Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 7 L 745/16.A
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Nr. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.08.2016 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
1
G r ü n d e :
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 7 K 2139/16.A gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.08.2016 anzuordnen,
4ist zulässig und unbegründet.
5Der Zulässigkeit des Antrages steht nicht entgegen, dass der Antragsteller erst am 06.09.2016 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt hat. Gemäß § 60 VwGO war dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn er war ohne Verschulden gehindert, die gesetzliche Frist zur Antragsstellung (und Klageerhebung) einzuhalten. Zwar soll ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10.08.2016 der Bescheid vom 03.08.2016 "in den zur Wohnung" gehörenden Briefkasten eingelegt worden sein, so dass der Bescheid als dem Antragsteller zugestellt gelten würde. Die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG wäre dementsprechend zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO am 06.09.2016 verstrichen. Der Antragsteller hat indes Tatsachen glaubhaft gemacht, die die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO rechtfertigen. Seiner eidesstattlichen Versicherung zu Folge hat er den Bescheid erst am Samstag, den 03.09.2016 unter einem Stapel Zeitschriften in einem geöffneten Briefumschlag vorgefunden. Auf die zentral eingehende Post habe jeder Bewohner der Unterkunft Zugriff gehabt. Nachdem der Antragsteller bereits den Anhörungstermin versäumt hatte, hatte er besondere Veranlassung, auf den Eingang amtlicher Poststücke zu achten. Dementsprechend war er auch ansonsten bemüht, zeitnah auf Schreiben des Bundesamtes zu reagieren. So beantwortete er zeitnah das Anschreiben des Bundesamtes vom 29.04.2016 mit Schreiben vom 05.05.2016 unter Hinweis auf seine Diabeteserkrankung und Fußschmerzen. Auch vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass er von dem für ihn wesentlichen Bescheid vom 03.08.2016 nicht frühzeitiger Kenntnis erlangt hat. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde auch innerhalb der Frist von zwei Wochen des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt.
6Es ist davon auszugehen, dass sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage lediglich gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung (Nr. 5) richtet, da weitergehende Anträge (u.a. betreffend Nr. 6 des Bescheides) unzulässig wären. Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist begründet.
7Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG setzt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) bestehen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die vom Bundesamt getroffene Entscheidung einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist auch die Einschätzung des Bundesamtes betreffend Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zum Gegenstand der Prüfung zu machen.
8Vorliegend überwiegt im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung - im Hinblick auf die glaubhafte gemachte Diabeteserkrankung - das Individualinteresse des Antragstellers, vorläufig von Abschiebungsmaßnahmen verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes.
9Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Vieles spricht dafür, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Nach den vom Antragsteller im gerichtlichen Eilverfahren eingereichten hausärztlichen Unterlagen, befindet er sich bereits seit dem 11.04.2016 wegen seiner Diabetes-Erkrankung in Behandlung. Es soll sich um Diabetes mellitus Typ II handeln, der vorliegend insulinabhängig sei. Dementsprechend wurden dem Antragsteller seit Anfang April 2016 verschiedene Insulinpräparate (u.a. Velmetia und Lantus) verordnet. Trotz der eingeleiteten Behandlung mit Insulin, Teststreifen und Lanzetten kam es Anfang August 2016 zu einer Diabetesentgleisung. Ferner wurde eine diabetische Polyneuropathie in diesem Zusammenhang diagnostiziert und Anfang September 2016 bestätigt.
10Im Heimatland des Antragstellers ist die Versorgung mit Insulinpräparaten, Teststreifen und Lanzetten nach vorläufiger Einschätzung eher schwierig. Bereits vor der Krisensituation im Jahre 2012 war die Versorgung von Diabeteskranken nach einer Studie aus dem Jahre 2004 - abgesehen von der Region um Bamako - schwierig. Es gab in Mali auch nur einen Diabetologen. Auf allen Ebenen gab es Probleme mit der Versorgung (z.B. an Urinteststreifen, Streifen für Glucosometer, etc.),
11vgl. Final Report of the International Insulin Foundation on the rapid asessment protocol for Insulin Access in Mali, December 2004.
12Nach einer im Dezember 2014 erstellten aktuellen Studie betreffend die Versorgung von Diabeteskranken seit dem Putschversuch im März 2012 führte die Destabilisierung des Landes - vor allem im Norden - zu erheblichen Versorgungsausfällen (bis hin zu einem völligen Abbruch). Trotz Bemühungen der Organisation Santé Diabète bei den Vereinten Nationen, UNICEF, WHO und NGO-Gruppen, konnten nur in geringem Umfang eine Versorgung der Erkrankten im Norden (u.a. 32 Personen mit diabetischen Fußproblemen) erfolgen.
13Vgl. Diabetes in an emergency context: the Malian case study, (01.05.2015 veröffentlicht).
14Abgesehen von der schwierigen Versorgungssituation ergeben sich für die chronisch Erkrankten erhebliche Kostenrisiken um eine regelmäßige Versorgung sicher zu stellen.
15Es bedarf der näheren Überprüfung im Klageverfahren, in welchem Umfang der Antragsteller auf eine tägliche Insulinversorgung angewiesen ist, welche Folgen mit kurzen Unterbrechungen verbunden wären und ob für ihn im Falle einer Rückkehr nach Mali in ausreichendem Umfang lebensnotwendige Medikamente und Materialien zugänglich und bezahlbar sind. Abgesehen von den landesspezifischen Versorgungsproblemen für Diabetes scheitert auch in anderen afrikanischen Staaten der Sahararegion z.B. an der Finanzierbarkeit,
16vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20.12.2013 - 7a K 5347/12.A -, juris, Rn. 33 ff.: zu Togo, wo ca. 25 % eines durchschnittlichen Jahreseinkommens zur Sicherstellung einer lebensnotwendigen Versorgung erbracht werde mussten; VG München, Urteil vom 06.08.2013 - M 12 K 13.30565 -, juris Rn. 58: zu mangelnder Finanzierbarkeit einer Diabetes Typ II-Versorgung in Äthiopien.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG.
18Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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Referenzen
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