Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 8 K 745/14
Tenor
Das Verfahren hinsichtlich der Kläger zu 1. und 3. wird eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 1. und ihre Tochter, die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 2., sowie der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 3., Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Klägerin zu 2., sind nach ihren Angaben armenische Staatsangehörige. Sie reisten erstmals im Jahr 1999 in das Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Oktober 1999 gab die Klägerin zu 1. an, dass ihre Papiere beim Schlepper verblieben seien. Sie habe einen Reisepass gehabt, der 1996 ausgestellt worden sei. Der Kläger zu 3. gab an, dass sein alter Pass 1985 und sein neuer Pass 1995 ausgestellt worden seien. Der Asylantrag der Kläger wurde mit Bescheid vom 2. November 1999 abgelehnt. Die eingelegten Rechtsmittel hatten keinen Erfolg. In der Folgezeit wurden die Kläger von der Beklagten geduldet.
3Im Rahmen des Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren teilte die armenische Botschaft im Juli 2006 der Beklagten mit, dass Passersatzpapiere für die Kläger nicht ausgestellt werden könnten, da Staatsbürger mit entsprechenden Personalien in Armenien nicht registriert seien. Die Beklagte forderte die Kläger daraufhin dazu auf, richtige Angaben über ihre Identität zu machen. Im Dezember 2006 wurden die Kläger der armenischen Botschaft vorgeführt. Sie verblieben bei ihren bisherigen Angaben zu ihrer Identität, die von der Botschaft als nachweislich falsch erachtet wurden. Die Zentrale Ausländerbehörde veranlasste daraufhin im Juni 2007 eine Expertenanhörung durch armenische Experten. Hieran nahm nur der Kläger zu 3. teil. Die Anhörung kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei ihm und auch den Klägerinnen zu 1. und 2. um armenische Staatsangehörige handele.
4Im Juli 2008 beantragten die Kläger erstmals die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
5Unter dem 13. Dezember 2010 wandten die Kläger sich schriftlich an das armenische Konsulat in Berlin und baten um Übersendung eines Antrags für Ausstellung eines Personalausweises oder Reisepasses. Dieses teilte mit Schreiben vom 25. Januar 2011 mit, dass die Kläger zu 1. und 3. unter den von ihnen angegebenen Personalien nie einen armenischen Nationalpass erhalten hätten und nicht als armenische Staatsangehörige erfasst seien.
6Mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 forderte die Beklagte die Kläger auf, einen Anwalt oder Verwandte in Armenien zu bemühen, Dokumente zu beschaffen, die ihre Identität belegen könnten. Unter dem 13. Januar 2012 lehnte der frühere Prozessbevollmächtigte der Kläger die Beauftragung eines armenischen Anwalts mangels finanzieller Möglichkeiten ab.
7Mit Ordnungsverfügungen vom 19. März 2014 lehnte die Beklagte die Anträge der Kläger auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung stellte die Beklagte vor allem darauf ab, dass die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 3. falsche Angaben zu ihren Personalien gemacht hätten. Jedenfalls aber hätten sie sich nicht ausreichend um die Erlangung armenischer Nationalpässe bemüht, da sie einen Vertrauensanwalt in Armenien nicht eingeschaltet hätten. Die Klägerin zu 2. müsse sich das Fehlverhalten ihrer Eltern zurechnen lassen. Zum Ermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG führte die Beklagte hinsichtlich der Klägerin zu 2. aus, dass von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung und des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes möglicherweise abgesehen werden könnte, da hierfür ihre Eltern und nicht sie selbst die Verantwortlichkeit trügen. Dies gelte aber nicht für das Erfordernis der Klärung der Identität und der Erfüllung der Passpflicht. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund weltweiter Terrorismusgefahren könne es nicht angehen, dass Personen, die an der Klärung ihrer Identität nicht mitwirkten, der Zugang zu einem Aufenthaltstitel geebnet werde. Die Versagung des Aufenthaltstitels sei deshalb auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich. Die faktischen und rechtlichen Nachteile, die mit einer Duldung verbunden seien, könnten das öffentliche Interesse nicht überwiegen. Spätestens mit Eintritt der Volljährigkeit könne die Klägerin zu 2. sich zudem selbst um Passpapiere bemühen. Die Entscheidung sei auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Zwar sei zu Gunsten der Klägerin zu 2. zu berücksichtigen, dass sie sich bereits seit dem Kleinkindalter in Deutschland aufhalte. Dem stehe jedoch das überragende staatliche Interesse gegenüber, zu wissen wer sich im Bundesgebiet aufhalte. Die hierdurch berührten Sicherheitsbelange überstrahlten deutlich das Privatinteresse, vor allem deshalb, da es nur um die Versagung eines Aufenthaltstitels und nicht um eine Aufenthaltsbeendigung gehe.
8Die Kläger haben am 16. April 2014 Klage erhoben. Sie wiederholen und vertiefen ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren. Sie hätten alles Zumutbare unternommen, um an armenische Pässe zu gelangen. Insbesondere hätten sie ihre Personalien wahrheitsgemäß angegeben. Ein gegenüber der Stadt F. gestellter Antrag auf Übernahme der Kosten für die Beauftragung eines Anwalts in ihrem Heimatland sei abgelehnt worden.
9Im Rahmen der mündlichen Verhandlung führt der Kläger zu 3. aus, dass nach der Geburt der Klägerin zu 2. das Krankenhaus eine Urkunde erstellt habe, die beim Schlepper verblieben sei. Bei einer Behörde habe er die Geburt hingegen nicht angezeigt, da er hierfür 300 US-Dollar hätte bezahlen müssen. Die Klägerin zu 2. gibt an, dass sie im Bundesgebiet zunächst den Hauptschulabschluss absolviert habe, danach eine Lehre als Frisörin begonnen, sich dann aber nach einem Monat anders entschlossen und nunmehr ihren Realschulabschluss für Sommer 2017 geplant habe. Sie besuche derzeit das Berufskolleg F. im Bereich "Gesundheitswesen und Soziales".
10Die Kläger zu 1. und 3. haben in der mündlichen Verhandlung ihre Klagen zurückgenommen.
11Die Klägerin zu 2. beantragt,
12die Beklagte unter Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 19. März 2014 zu verpflichten, der Klägerin zu 2. eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beklagte wiederholt und vertieft die Begründung des Ablehnungsbescheids. Die Identität der Kläger sei weiterhin nicht geklärt. Sie hätten nachweislich falsche Angaben getätigt.
16Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
17Entscheidungsgründe:
18Soweit die Kläger zu 1. und 3. ihre Klagen zurückgenommen haben, wird das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt. Im Übrigen, d.h. betreffend die Klägerin zu 2., ist die zulässige Klage unbegründet.
19Die Klägerin zu 2. hat weder einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch auf erneute Bescheidung ihres Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die ablehnende Ordnungsverfügung vom 19. März 2014 ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
20Die Klägerin zu 2. hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
21Ein Ausreisehindernis in diesem Sinne kommt zunächst wegen der Passlosigkeit der Klägerin zu 2. in Betracht. Allerdings ist es nicht hinreichend sicher, ob eine Abschiebung nicht zumindest mit Passersatzpapieren möglich wäre, da eine armenische Expertenkommission die armenische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2. anerkannt hatte. Dies bedarf aber keiner weiteren Aufklärung, da der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Passlosigkeit zumindest der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG entgegensteht. Hiernach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.
22Die Klägerin zu 2. hat zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Passlosigkeit nicht erfüllt. Da sie zwischenzeitlich volljährig ist, kommt es nicht (mehr) darauf an, ob ihren Eltern ein Verschulden zu Last gelegt werden kann, das ihr zuzurechnen sein könnte.
23Es ist die ureigene Angelegenheit eines Ausländers, seine Identität aufzuklären und sich bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Ausweispapiers zu bemühen. Der Besitz eines gültigen Passes zählt zu den Obliegenheiten eines Ausländers (vgl. § 3 Abs. 1 AufenthG). Jener ist ferner Regelvoraussetzung für die Erteilung eines jeden Aufenthaltstitels (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG) und damit auch für die hier erstrebte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zudem verdeutlicht § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass ein Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen hat. Diese müssen sich neben dem Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörde bei der Geltendmachung und Durchsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Deshalb hat ein ausreisepflichtiger Ausländer alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Dabei hat er - nicht die Ausländerbehörde - sich gegebenenfalls unter Einschaltung von Mittelspersonen in seinem Heimatland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen, wobei es grundsätzlich auch zumutbar ist, einen Rechtsanwalt im Herkunftsstaat zu beauftragen. Erwartet werden muss in diesem Zusammenhang, dass mit der größtmöglichen Sorgfalt in nachvollziehbarer Weise Nachforschungen angestellt werden. Deren Art und Umfang bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls,
24vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2008 – 18 E 471/08 -, juris, Rn. 5 ff.
25Grundsätzlich sind sämtliche Handlungen zumutbar, die zur Beschaffung eines zur Ausreise oder zur Abschiebung notwendigen Dokuments erforderlich sind und nur vom Ausländer persönlich vorgenommen werden können. Eine Mitwirkungshandlung, die von vornherein erkennbar aussichtslos ist, kann dem Ausländer nicht abverlangt werden,
26vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2006 - 1 B 54/06 -, juris, Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2008 - 17 A 2250/07 -, juris, Rn. 35.
27Gemessen hieran hat die Klägerin zu 2. zumutbare Anforderungen zur Erlangung eines Passes, die nicht von vornherein erkennbar aussichtslos sind, nicht unternommen.
28Es liegen ausreichende Anknüpfungspunkte vor, die der Klägerin zu 2. Nachforschungen zu ihrer Identität und darauf aufbauend die Beschaffung eines Passes möglich machen könnten.
29Die Kammer geht dabei davon aus, dass die Klägerin zu 2. sich hinsichtlich ihrer Identität auf die Angaben ihrer Eltern verlassen muss. Sie ist noch im Kleinkindalter in das Bundesgebiet eingereist und kann deshalb nur auf die Angaben ihrer Eltern zurückgreifen. Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern der Klägerin 2. eine falsche Identität der Klägerin zu 2. gegenüber den Behörden angegeben und gleichzeitig der Klägerin zu 2. ihre wahre Identität eröffnet haben, sind nicht ersichtlich.
30Aus den Angaben des Vaters der Klägerin zu 2. im Rahmen der mündlichen Verhandlung lässt sich ableiten, dass der Klägerin der Beweis ihrer Identität gegenüber den armenischen Behörden möglich sein könnte, auch wenn diese bislang mitgeteilt hatten, unter den Personalien der Klägerin zu 2. keine Person registriert zu haben. Der Vater der Klägerin zu 2. führte aus, dass ein Krankenhaus die Geburt der Klägerin zu 2. dokumentiert habe. Die Urkunde sei aber beim Schlepper verlieben. Die vom Krankenhaus dokumentierte Geburt könnte aber eine Möglichkeit für die Klägerin zu 2. bieten, ihre Identität und Staatsangehörigkeit zu beweisen und einen Pass zu erlangen. Auch wenn hierbei Schwierigkeiten entstehen sollten und nicht unwahrscheinlich sind, ist es im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zumindest nicht erkennbar aussichtslos, die Unterlagen erneut von dem fraglichen Krankenkaus zu beschaffen. Im Hinblick hierauf kann die Kammer offen lassen, ob die weitere Angabe des Vaters, eine staatliche Registrierung der Klägerin zu 2. sei nicht erfolgt, glaubhaft ist. Hieran könnten zumindest Zweifel bestehen, da die angeblich hierfür zu bezahlenden 300 US-Dollar übertrieben hoch erscheinen.
31Die Klägerin zu 2. wird nach aller Voraussicht für die Beschaffung von Dokumenten aus Armenien auf die Einschaltung von Mittelspersonen in Armenien, etwa in Form eines Anwalts, angewiesen sein. Sie kann ihrer Obliegenheit zur Passbeschaffung aber nicht damit entgegentreten, hieran wegen fehlender finanzieller Mittel gehindert zu sein.
32Dabei kann die Kammer offen lassen, ob der Einwand finanzieller Mittel schon deshalb ausgeschlossen ist, da dieses Risiko der Lebenssphäre des Ausländers zuzurechnen sein könnte. Denn zumindest erfasst die Obliegenheit des Ausländers nach dem vorstehend beschriebenen Maßstab, alle zumutbaren Anstrengungen hinsichtlich der Passbeschaffung zu unternehmen, die nicht erkennbar aussichtslos sind, also auch alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Finanzierung der notwendigen Maßnahmen für eine Passbeschaffung zu unternehmen. Dies bedeutet, dass ein Ausländer, der Sozialleistungen bezieht - so wie die Klägerin zu 2. -, sich ausreichend und nachhaltig um die Übernahme der Kosten durch den Sozialleistungsträger bemüht haben muss. Diesem Erfordernis ist die Klägerin zu 2. nicht nachgekommen.
33Ausreichende Bemühungen in diesem Sinne setzen voraus, dass der Ausländer zunächst ermitteln muss, welche Kosten für die Beauftragung von Mittelspersonen, etwa in Form eines Anwalts, in seinem Heimatland anfallen werden. Denn so lange diese Kosten nicht zumindest ungefähr benannt sind, wird ein Sozialleistungsträger schon wegen eines nicht hinreichend konkretisierten Antrags keine Kostenzusage geben können. Der Ausländer muss von seiner Seite aus alles getan haben, um die Bewilligung eines Antrags gegenüber dem Sozialleistungsträger zu erreichen.
34Dies hat die Klägerin zu 2. nicht getan. Zwar hat sie nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung die Kosten für einen Rechtsanwalt im Internet recherchiert. Die Ergebnisse der Recherche und die zu erwartenden Kosten hat sie aber in keiner Form nachvollziehbar dokumentiert. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Umstand, dass die Stadt F. einen von der Klägerin zu 2. gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten (mit einer fragwürdigen Begründung) abgelehnt hat, keine ausreichende Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit abgeleitet werden.
35Die Klägerin zu 2. kann gegen die Verweisung auf die Inanspruchnahme eines Sozialleistungsträgers auch nicht einwenden, dass ein entsprechender Antrag offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags dürften vielmehr offen, also eben nicht offensichtlich aussichtslos, sein.
36Die Übernahme von Kosten für die Passbeschaffung kommt für Ausländer, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, zunächst auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Alt. 4 AsylbLG in Betracht. Hiernach können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Bei der ausländerrechtlichen Pflicht der Erlangung eines Passes handelt es sich sowohl nach der verwaltungsgerichtlichen als auch der sozialgerichtlichen Rechtsprechung um eine verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht im Sinne der Vorschrift,
37vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juni 2008 - 18 E 471/08 -, juris, Rn. 14, m.w.N.; LSG NRW, Urteil vom 10. März 2008 - L 20 AY 16/07 -, juris, Rn. 34; Deibel, in: Dohm, GK-AsylbLG, § 6 Rn. 244, 246; Frerichs, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 6 AsylbLG, Rn. 93, 95.
38Vorliegend dürfte ein Anspruch der Klägerin zu 2. auf Grund von § 6 Abs. 1 AsylbLG aber deshalb nicht mehr in Betracht kommen, da die Klägerin zu 2. gegenwärtig sogenannte Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG bezieht. Nach dieser Vorschrift ist abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Aufenthaltsdauer in diesem Sinne hat die Klägerin zu 2. erfüllt. Zu Gunsten der Klägerin zu 2. geht die Kammer auch davon aus, dass diese ihren Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne der Vorschrift beeinflusst hat. Würde man hingegen von einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung des Aufenthalts ausgehen, würde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schon der Ausschlussgrund des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegenstehen, da die Klägerin zu 2. dann nicht unverschuldet an der Ausreise gehindert wäre.
39Soweit man die Klägerin als (rechtmäßige) Bezieherin von Analogleistungen im Sinne von § 2 Abs. 1 AsybLG erachtet, kommt ein Anspruch auf die zuschussweise Übernahme der Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts in ihrem Heimatstaat zwecks Beschaffung eines Nationalpasses aus § 73 Satz 1 SGB XII in Betracht.
40Nach § 73 Satz 1 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Hierbei gilt es zu beachten, dass auf Grund des seit dem 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur Ermittlung des Regelbedarfs nach § 28 SGB XII die Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren im Regelbedarf abgebildet sind. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/3404 S. 64): "Bei sonstigen Dienstleistungen werden die neufestgelegten Gebühren von 28,80 EUR bezogen auf zehn Jahre für den Personalausweis, die künftig auch hilfebedürftige Personen zu entrichten haben, zusätzlich berücksichtigt. [...] Zusätzlich wird unter der Position "Sonstige Dienstleitungen, nicht genannte" ein Betrag von 0,25 EUR berücksichtigt. (Daraus ergeben sich 3,00 EUR im Jahr und für die Gültigkeitsdauer des neuen Personalausweises insgesamt 30.00 EUR.)“ Da die Kosten für eine Passbeschaffung bereits in dem Regelsatz nach § 28 SGB XII enthalten sind, bleibt nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung für eine zuschussweise Übernahme der Passbeschaffungskosten eines Ausländers gemäß § 73 Satz 1 SGB XII kein Raum. Denn die Vorschrift setzt eine unbenannte Bedarfslage voraus, die eine gewisse Vergleichbarkeit mit den ansonsten von der Sozialhilfe abgedeckten Lebenslagen aufweist, und die in den sonstigen Bereichen des Sozialrechts keine abschließende Regelung erfährt. Am letzteren fehlt es, da die Kosten für ein Ausweispapier im Regelbedarf abgebildet werden,
41vgl. LSG NRW, Urteil vom 18. Mai 2015 - L 20 SO 355/13 -, juris, Rn. 36; SG Aachen, Urteil vom 16. Juli 2013 - S 20 75/13 -, juris, Rn. 21; vgl. zur Rechtslage vor dem 1. Januar 2011, als die Kosten noch nicht im Regelsatz enthalten waren, hingegen LSG NRW, Urteil vom 23. Mai 2011 - L 20 AY 19/08 -, juris, Rn. 35.
42Vorliegend geht es aber gerade nicht um Passbeschaffungskosten im engeren Sinne, wie der Entrichtung einer Gebühr für den Ausweis oder die Fahrtkosten zu einem Konsulat, sondern um die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts, der in (einem ersten Schritt) geeignete Dokumente im Heimatstaat zum Beweis der Identität der Klägerin 2. beschaffen soll, die es ihr (in einem zweiten Schritt) erst ermöglichen sollen, einen erfolgversprechenden Antrag auf Erteilung eines armenischen Nationalpasses zu stellen. Eine Regelung für die Übernahme von Kosten der Einschaltung eines Rechtsanwalts im Heimatland zur Beschaffung von Dokumenten zum Nachweis der eigenen Identität existiert nicht, sodass § 73 Satz 1 SGB XII nicht schon deshalb gesperrt wäre, weil die Erfüllung des Bedarfs bereits abschließend geregelt wäre.
43Soweit man entgegen der Ansicht der Kammer davon ausgeht, dass auch die Kosten zur Beschaffung von Dokumenten im Regelsatz enthalten sind, müsste die Klägerin zu 2. sich darauf verweisen lassen, einen Anspruch nach § 37 Abs. 1 SGB XII geltend zu machen. Kann im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, sollen nach dieser Vorschrift auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden,
44vgl. zum Anspruch nach § 37 Abs. 1 SGB XII im Falle der Beschaffung eines Passes LSG NRW, Urteil vom 18. Mai 2015 - L 20 SO 355/13 -, a.a.O., Rn. 52 f.
45Geht man mit der Kammer hingegen davon aus, dass die anfallenden Kosten nicht im Regelsatz enthalten sind, hält die Kammer es für offen, ob die Klägerin zu 2. mit Erfolg einen Antrag nach § 73 Satz 1 SGB XII stellen kann. Der Begriff der Lebenslage im Sinne der Vorschrift ist mit Blick auf das System der im SGB XII geregelten Leistungen zur Deckung verschiedener Bedarfssituationen zu verstehen, deren Deckung zur Führung eines menschenwürdigen Lebens unerlässlich ist, vgl. § 1 Satz 1 SGB XII. Voraussetzung ist deshalb, dass ein besonderer, atypischer Bedarf begründet ist. Daher ist bei der Erbringung von Sozialhilfeleistungen, die der Gesetzgeber nicht bereits ausdrücklich in den §§ 27-74 SGB XII erfasst hat, zu verlangen, dass ohne die Leistungserbringung eine Verletzung des verfassungsrechtlich gesicherten Existenzminimums, der Menschenwürde oder eines anderen Grundrechts eintreten würde,
46vgl. für Fälle mit SGB II Bezug: BSG, Urteil vom 19. August 2010 - B 14 AS 13/10 R -, juris, Rn. 17, m.w.N.; für Fälle ohne SGB II Bezug BayLSG, Beschluss vom 27. Januar 2016 - L 8 SO 306/14 B ER -, juris, Rn. 16; Böttiger, in: jurisPK-SGB XII, § 73 Rn. 25.
47Ob aufgrund der spezifischen ausländerrechtlichen Situation der Klägerin ein grundrechtlicher Bedarf im vorgenannten Sinne für die Übernahme der Kosten, die die Identität der Klägerin beweisen sollen, angenommen werden kann, ist bislang in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht geklärt. Es könnte aber einen verfassungsrechtlich relevanten, nicht auflösbaren Wertungswiderspruch bedeuten, die beschriebenen Kosten zur Klärung der Identität und dem Erhalt eines Passes nicht zu übernehmen, wenn der Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiets rechtlich oder tatsächlich zwingend ist, etwa weil ein Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG vorliegt, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aber allein daran scheitert, dass die Identität nicht geklärt ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG) und die Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) nicht erfüllt wird. Denn dann würde der betroffene Ausländer trotz eines zwingend notwendigen Aufenthalts im Bundesgebiet daran gehindert, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und müsste sich dauerhaft auf den Duldungsstatus trotz der damit verbundenen Nachteile verweisen lassen. Die Kammer braucht die Frage, ob eine Auslegung von § 73 Satz 1 SGB XII in diesem Sinne gerechtfertigt ist, nicht zu entscheiden. Im Hinblick auf den bei § 25 Abs. 5 Satz 4 AufentG anzulegenden Maßstab ist es ausreichend, dass eine Auslegung im vorgenannten Sinne und damit ein Antrag gegenüber dem Sozialleistungsträger nicht erkennbar aussichtslos sind. Dies ist im Hinblick auf die vorstehenden Argumente der Fall. Insbesondere liegen auch keine anderslautenden Judikate der sozialgerichtlichen Rechtsprechung hierzu vor. Aus der ausländerrechtlichen Perspektive des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufentG ist es der Klägerin deshalb zuzumuten, zunächst einen - substantiierten - Antrag gegenüber dem Sozialleistungsträger zu stellen und anschließend ggf. sozialgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Dass ein von der Klägerin zu 2. gestellter Antrag vom Sozialamt der Stadt F. abgelehnt worden ist, ist deshalb unerheblich, da die Klägerin zu 2. sich gegen die Ablehnung nicht zu Wehr gesetzt hat.
48Die fehlende Vorlage eines Passes durch die Klägerin zu 2. hat weiterhin zur Folge, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auch die Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG entgegensteht. Gründe für einen Ausnahmefall von der Regel liegen nicht vor, da die Klägerin zu 2. - wie vorstehend ausgeführt - die ihr zumutbaren Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung nicht erfüllt hat. Die im Hinblick auf § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung der Beklagten, von dem Erfordernis der Passpflicht auch nicht im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abzusehen, ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hatte in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung ausgeführt, dass die Klägerin zu 2. mit Eintritt der Volljährigkeit selbst die Möglichkeit haben wird, sich einen Reisepass und Identitätsdokumente zu beschaffen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte diese Erwägung im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO zulässig dahingehend ergänzt, dass Anhaltspunkte vorlägen, die Nachforschungen der Klägerin zu 2. zu ihrer Identität erlaubten. Diese Erwägungen werden dem Zweck der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und der Absehensvorschrift (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) gerecht, da die von der Beklagten von der Klägerin zu 2. verlangten Aufklärungsmaßnahmen dieser zumutbar sind, wie vorstehend bereits ausgeführt wurde. Auf die weiteren Ermessenserwägungen der Beklagten kommt es deshalb nicht an.
49Da die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht vorliegt, bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG noch ein Ausreisehindernis aus einem anderen Grund als der Passlosigkeit in Betracht kommt.
50Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG, deren besondere Erteilungsvoraussetzungen vorliegen dürften, und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG steht die Nichterfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) ebenfalls entgegen. Es bestand keine Veranlassung für die Beklagte, das Absehensermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für diese Aufenthaltstitel anders auszuüben.
51Hinsichtlich der Kläger zu 1. und 3 folgt die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 2 VwGO. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Klägerin zu 2. folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
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- 20 AY 16/07 1x (nicht zugeordnet)
- 8 SO 306/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 6 AsylbLG 1x (nicht zugeordnet)
- 20 AY 19/08 1x (nicht zugeordnet)
- 17 A 2250/07 1x (nicht zugeordnet)