Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 8 K 5736/17.A
Tenor
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. November 2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.0000 in I. geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie reiste am 9. September 2017 zusammen mit ihrem Ehemann, einem syrischen Staatsangehörigen, und ihrer am 4. April 2016 geborenen gemeinsamen Tochter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort stellte sie - ebenso wie ihr Ehemann und ihre Tochter - am 15. September 2017 einen Asylantrag. Das Verfahren des Ehemannes und der Tochter wurde durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) getrennt unter dem Az. XXXXXXX-222 geführt.
3Im Rahmen des persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats und der persönlichen Anhörung zur Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 15. September 2017 beim Bundesamt gab die Klägerin an, dass sie die Türkei im Jahr 1995 verlassen und danach 21 Jahre im Irak gelebt habe. Von dort sei sie über die Türkei, Bulgarien und weitere ihr unbekannte Länder nach Deutschland gekommen. In Bulgarien habe sie sich für circa ein Jahr in Sofia aufgehalten. Sie habe dort weder internationalen Schutz beantragt noch zuerkannt bekommen. Ihr seien in Bulgarien jedoch Fingerabdrücke abgenommen worden.
4In einer weiteren Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 21. September 2017 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass dem Bundesamt Erkenntnisse für die Unzulässigkeit des Asylantrags vorlägen. Die Klägerin gab an, am 27. August 2016 in Bulgarien eingereist zu sein und sich dort ungefähr vier Monate aufgehalten zu haben. In Bulgarien sei sie einen Monat im Gefängnis gewesen. Weitere drei Monate habe sie sich in einem geschlossenen Camp aufgehalten. Sie sei dort gezwungen worden, Fingerabdrücke abzugeben. Einen Asylantrag habe sie nicht gestellt. In Bulgarien gebe es keine Menschenrechte. Sie habe Angst gehabt, zu sagen, dass sie Kurdin aus der Türkei sei, vielmehr habe sie sich als syrische Staatsangehörige ausgegeben. Ihre Beinprothese sei kaputtgegangen, hierum habe sich aber niemand gekümmert. Sie habe sich deswegen an mehrere Hilfsorganisationen gewandt, die aber auch nichts für sie getan hätten. Wegen des Beins sei sie zuletzt im Jahr 2009 operiert worden. Sie nehme keine Medikamente, außer manchmal Schmerzmittel.
5In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt am selben Tag gab die Klägerin an, dass sie die Türkei verlassen habe, weil ihr Heimatdorf im Jahr 1993 und 1994 zerstört worden sei. Im Irak habe sie sich der PKK angeschlossen und diese nicht kämpfend unterstützt. Sie habe dort durch einen Luftwaffenangriff ihr Bein verloren. Seit dem Jahr 2012 habe sie keinen Kontakt mit der PKK mehr gehabt, vielmehr sei sie nach ihrer Heirat Hausfrau gewesen. Eine Schule habe sie nicht besucht.
6Nach einem Eurodac-Treffer der Kategorie 1 hinsichtlich Bulgariens stellte das Bundesamt am 2. Oktober 2017 ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 lit. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für die Klägerin. Mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 teilten die bulgarischen Behörden mit, dass dem Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 lit b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht stattgegeben werde, weil der Klägerin mit Entscheidung vom 17. Februar 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Zuständige bulgarische Behörde sei die Grenzpolizei.
7Mit Bescheid vom 9. November 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1.) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2.). Es forderte die Klägerin unter Androhung der Abschiebung nach Bulgarien auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (Ziffer 3.) Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4.).
8Mit Bescheid vom 28. Mai 2018 erging eine gleichlautende Entscheidung des Bundesamts für den Ehemann und die Tochter der Klägerin.
9Die Klägerin hat am 16. November 2017 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt, dass sie eine Unterschenkelprothese trage. Dies sei mit erheblichen Problemen verbunden. Sie sei daher auf medizinische Behandlung angewiesen, die sie in Bulgarien nicht in ausreichendem Maße erhalten werde. Als vulnerable Person drohe ihr in Bulgarien die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung.
10Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
11den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge der Beklagten vom 9. November 2017 aufzuheben,
12hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in ihrer Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Bulgariens vorliegt.
13Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
16Auf die Klage des Ehemannes und der Tochter der Klägerin gegen den Bundesamtsbescheid hob das Verwaltungsgericht Köln die gegenüber der Tochter der Klägerin ergangene Unzulässigkeitsentscheidung mit Urteil vom 26. September 2019 auf. Zudem verpflichtete es die Beklagte festzustellen, dass für den Ehemann der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Bulgariens vorliegt (dortiges Aktenzeichen: 20 K 4097/18.A), welches das Bundesamt mit Bescheid vom 13. März 2020 feststellte. Der Tochter der Klägerin wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 29. Mai 2020 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
17Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 5. August 2020, die Beklagte mit ihrer allgemeinen Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts der Beklagten Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Die Kammer kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, vgl. § 102 Abs. 2 VwGO.
21A. Die Kammer versteht den ausdrücklich gestellten Antrag,
22die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. November 2017 - 7216014-1-163 - zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen,
23bei verständiger Auslegung des Klagebegehrens (§§ 88 VwGO), die mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch bei - wie hier - anwaltlich vertretenen Klägern geboten ist, wenn das Rechtsschutzziel klar zu erkennen ist,
24vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 2 BvR 254/07 -, juris, Rn. 17,
25dahin, dass beantragt wird,
26den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. November 2017 aufzuheben,
27hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Bulgariens vorliegt.
28Die Klägerin hat ihre Klage nicht auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt. Vielmehr hat sie schriftsätzlich umfänglich die Aufhebung des Bescheids und nicht lediglich dessen Ziffer 2. beantragt. In der Klagebegründung findet sich zudem die Angabe, dass die Klägerin die Aufhebung des Bescheids der Beklagten und deren Verpflichtung begehrt, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Dies ist so zu verstehen, dass die Klägerin auch Ziffer 1. des Bescheids vom 9. November 2017 angegriffen hat. Hierfür spricht auch, dass von einem unterlegenen Asylbewerber regelmäßig sämtliche Feststellungen des ablehnenden Asylbescheids zum Gegenstand des Prozesses vor dem Verwaltungsgericht gemacht werden.
29Vgl. dazu bei inhaltlicher Prüfung und Ablehnung des Asylantrags bereits Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 -, juris, Rn. 12; Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 9 A 1434/18.A -, juris, Rn. 16.
30Die so verstandene Klage hat bereits mit dem Hauptantrag Erfolg.
31B. Die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. ist als Anfechtungsklage statthaft. Denn im Fall eines Bescheids, mit dem das Bundesamt einen Asylantrag - wie hier - nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat, ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO die statthafte Klageart. Eine gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren fortführen und eine Sachentscheidung treffen muss.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 - 1 C 39.16 -, juris, Rn. 16.
33C. Die Klage ist auch begründet.
34Der Bescheid des Bundesamts vom 9. November 2017 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
35I. Rechtsgrundlage für die angefochtene Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1. des Bundesamtsbescheids ist § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
36Der Beklagten war es vorliegend verwehrt eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu treffen.
371. Zwar sind die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift nach nationalem Recht gegeben. So ergibt sich aus dem im Verwaltungsvorgang des Bundesamts enthaltenen Schreiben der bulgarischen Dublin-Einheit vom 11. Oktober 2017, dass der Klägerin in Bulgarien mit Entscheidung vom 17. Februar 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt wurde. Diese Angabe hat die Klägerin im Nachgang auch nicht mehr bestritten.
382. Eine Unzulässigkeitsentscheidung ist hier jedoch aus unionsrechtlichen Gründen ausgeschlossen.
39a) Liegen die geschriebenen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, kann eine Unzulässigkeitsentscheidung nach der Rechtsprechung des EuGH aus Gründen vorrangigen Unionsrechts gleichwohl ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Antragsteller bzw. Kläger als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen.
40Vgl. ausdrücklich EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a, Hamed u.a. - Rn. 35; s.a. Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 101.
41Damit ist geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind, sondern bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen.
42Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 -, juris, Rn. 36, vom 4. Mai 2020 - 1 C 5.19 -, juris, Rn. 36, vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 -, juris, Rn. 15 und vom 17. Juni 2020 - 1 C 35.19 -, juris, Rn. 23.
43Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU verbietet einem Mitgliedstaat hingegen nicht, die durch diese Bestimmung eingeräumte Befugnis zur Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig auszuüben, wenn der Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der Lebensumstände, die ihn dort als international Schutzberechtigten erwarten würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen des Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie gerecht werden, führt angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu einer Einschränkung der Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRC nicht erreicht ist. Gleiches gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
44Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. April 2020 - 1 C 4.19 -, juris, Rn. 38, vom 4. Mai 2020 - 1 C 5.19 -, juris, Rn. 36, vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 -, juris, Rn. 16 und vom 17. Juni 2020 - 1 C 35.19 -, juris, Rn. 24 jeweils unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 83 ff. und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 34.
45Systemische Mängel des Asylverfahrens selbst mögen zwar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat rechtfertigen, schränken aber die Befugnis der übrigen Mitgliedstaaten nicht ein, einen neuen Antrag als unzulässig abzulehnen.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 34.19 -, juris, Rn. 16 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 95 - 100).
47Anders verhält es sich nur dann, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt hat, auf größere Funktionsstörungen stößt und dadurch eine Person tatsächlich der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt wäre. In diesen Fällen darf sich ein anderer Mitgliedstaat nicht auf Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU berufen, um einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen. Begründet hat der Gerichtshof diese Einschränkung der in Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2013/32/EU enthaltenen Ermächtigung zur Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig mit dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 GRC, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet, ohne dass es darauf ankommt, ob eine solche Behandlung zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss droht.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 86 ff.
49Der EuGH hat im Urteil "Ibrahim" - in Anlehnung an das Urteil "Jawo" vom gleichen Tag - den Maßstab für eine Verletzung von Art. 4 GRC durch die Lebensbedingungen im Staat der Schutzgewährung näher konkretisiert. Danach fallen systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann,
50vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 89 - 91 und - C-163/17, Jawo - Rn. 91 - 93 und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 39,
51wobei in der Abwägung die besondere Situation des jeweils Betroffenen zu berücksichtigen ist.
52Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 2020 - 1 C 4.19 -, juris, Rn. 40 und vom 4. Mai 2020 - 1 C 5.19 -, juris, Rn. 40.
53Bei der Gefahrenprognose stellt der EuGH auf das Bestehen einer ernsthaften Gefahr ("serious risk") ab.
54Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 86 sowie - C-163/17, Jawo - Rn. 83, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 36.
55Dies entspricht dem Maßstab der tatsächlichen Gefahr ("real risk") in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im nationalen Recht.
56vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 - 1 C 35.19 -, juris, Rn. 27 unter Bezugnahme auf EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff. bzw. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 58 Rn. 20 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 2 Buchst. e und Art. 15 Buchst. b RL 2004/83/EG.
57Aus der Rechtsprechung des EuGH
58Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. - Rn. 93,
59geht in Übereinstimmung mit der „Tarakhel“-Rechtsprechung des EGMR,
60vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel /Schweiz) -, NVwZ 2015, 127,
61zudem hervor, dass bei der Gefahrenprognose grundsätzlich unterschieden werden muss zwischen einerseits der Gruppe der gesunden und arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten sowie andererseits Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit, also vulnerablen Personen, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie unabhängig vom eigenen Willen und von persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten, wesentlich größer ist. Denn der Bedarf, den vulnerable Personen haben, um den Eintritt eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC zu vermeiden, ist gegenüber gesunden und arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten regelmäßig ein anderer bzw. höherer.
62Vgl. Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -, juris, Rn. 41; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 67; OVG Sachsen, Urteil vom 13. November 2019 - 4 A 947/17.A -, juris, Rn. 28; Verwaltungsgericht (VG) Saarland, Urteil vom 20. September 2019 - 3 K 1222/18 -, juris, Rn. 21; ähnlich VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22. November 2019 - 17a K 2746/18.A -, juris, 27 f.
63Bei vulnerablen Personen kann vor einer Rückführung ggf. auch eine hinreichend belastbare Versorgungszusicherung der Zielstaatsbehörden einzuholen sein.
64Vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. Juli 2018 - 2 BvR 714/18 -, juris, Rn. 19 m.w.N.
65Für die Beurteilung der Frage, ob ein Antragsteller der Gruppe der vulnerablen Personen zuzuordnen ist, kann Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, als Orientierungshilfe herangezogen werden. Danach sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, zu berücksichtigen. Dabei kommt es aber stets auch auf die Umstände des Einzelfalls an.
66Ist der Antragsteller Mitglied einer Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder), ist für die anzustellende Gefahrenprognose bei möglichst realitätsnaher Beurteilung der - wenn auch notwendig hypothetischen - Rückkehrsituation bei tatsächlich gelebter Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt. Der Gefahrenprognose ist danach eine typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen. Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 15.
68Diese zu einem nationalen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf das Herkunftsland des Ausländers ergangene Rechtsprechung ist auf die vorliegende Konstellation übertragbar. Das BVerwG hat die der Gefahrenprognose zugrunde zu legende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr damit begründet, dass der grund- und konventionsrechtliche Schutz des bestehenden Kernfamilienverbandes bereits auf die Rückkehrkonstellation einwirke und auch bei bestehender Bleibeberechtigung einzelner Mitglieder eine getrennte Betrachtung einzelner Familienmitglieder für den Rückkehrfall in der Regel nicht zulasse. Bereits das Bundesamt habe das im Regelfall aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung über die den einzelnen Familienmitgliedern im Herkunftsland drohenden Gefahren zu berücksichtigen. Diese Betrachtungsweise mindere zugleich Friktionen, die sich daraus ergeben könnten, dass über die Schutzanträge der einzelnen Mitglieder der Kernfamilie nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt entschieden werde. Diese Erwägungen greifen in gleicher Weise bei der Prüfung, ob eine Unzulässigkeitsentscheidung wegen der ernstlichen Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung des Antragstellers aufgrund der Lebensverhältnisse im schutzgewährenden Mitgliedstaat ausscheidet. Auch hier ist in Bezug auf den schutzgewährenden Mitgliedstaat eine Gefahrenprognose vorzunehmen, bei der die Schutzwirkungen der Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art 7 GRC zu beachten sind und nicht durch Zufälligkeiten des Verfahrensablaufs - wie der vorliegende Fall zeigt - unterlaufen werden dürfen. Dies gilt - von Missbrauchsfällen abgesehen - unabhängig davon, ob die familiäre Lebensgemeinschaft der Kernfamilie bereits im Rückkehrstaat bestanden hat oder nicht.
69Vgl. ebenso Bay VGH, Beschluss vom 3. Februar 2020 - 13a ZB 19.33975 -, juris, Rn. 4.
70b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe durfte der Asylantrag nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden. Denn der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Bulgarien die ernsthafte Gefahr einer gegen Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK verstoßenden erniedrigenden Behandlung. Die Kammer ist davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass die Klägerin unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnismittel zu den Lebensbedingungen anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien (aa) sowie unter Berücksichtigung ihrer individuellen Lage und persönlichen Umstände bei einer hier zu vermutenden Rückkehr im Familienverband (bb) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten und ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können wird.
71aa) Die Kammer geht auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnismittel zu den Lebensbedingungen zurückgeführter anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien von Folgendem aus:
72Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse zu der Situation anerkannt Schutzberechtigter in Bulgarien im Allgemeinen (1.), zu deren Unterbringungs- und Wohnsituation (2.), zu deren Zugang zu Sozialleistungen (3.), zu deren Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt (4.) und zu medizinischer Versorgung (5.) sowie zu der in Bulgarien durch Nichtregierungsorganisationen geleisteten Arbeit (6.) ist zusammenfassend festzustellen, dass die Schaffung von adäquaten, menschenwürdigen Lebensbedingungen in Bulgarien in einem sehr hohen Maß von der Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative des anerkannt Schutzberechtigten abhängig ist. Entscheidend ist dabei, ob es dem anerkannt Schutzberechtigten nach einer kurzen Anlaufzeit gelingen wird, trotz des ihm fremden Lebensumfelds Arbeit zu finden und aus den daraus erzielten Einkünften seinen Lebensunterhalt auf zumindest niedrigem Niveau und damit auch seine elementarsten Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) zu sichern. Im Einzelnen:
73(1.) Nach der aktuellen Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass nach Bulgarien zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte am Flughafen von der Grenzpolizei empfangen werden. Nichtregierungsorganisationen, wie etwa das bulgarische rote Kreuz empfangen die Rückkehrer zusätzlich, wenn sie von anderen Organisationen oder den Behörden des Landes, das den Schutzberechtigten zurücksendet, oder von bulgarischen Behörden auf einen speziellen Fall aufmerksam gemacht werden, wie etwa physisch oder psychisch kranke oder behinderte Menschen.
74Vgl. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 5.
75In Bulgarien existieren jedoch keine besonderen staatlichen Hilfsprogramme für Rückkehrer. Es gibt auch keine speziellen Programme für zurückgekehrte Schutzberechtigte von Nichtregierungsorganisationen.
76Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 5.
77Nach der Erkenntnislage werden anerkannte Schutzberechtigte, die Bulgarien zwischenzeitlich verlassen haben, dort auch nach Rückkehr weiterhin als solche behandelt werden. Ein einmal zuerkannter Status geht in Bulgarien nicht automatisch durch Ablauf des jeweiligen Aufenthaltstitels unter. Die Person muss lediglich persönlich in Bulgarien einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels stellen.
78Vgl. Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 12; Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (auf Englisch United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR), Where there is a will, there is a way - Private Sector Engagement in the Employment of Beneficiaries of International Protection, 26. April 2017, Seite 6; OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17.A -, juris, Rn. 30; von der Möglichkeit einen Aufenthaltstitel neu zu beantragen spricht OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 74.
79Grundsätzlich haben Personen, die von Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt wurden, dort die gleichen Rechte wie bulgarische Staatsbürger; Personen mit subsidiärem Schutzstatuts haben dieselben Rechte wie Daueraufenthaltsberechtigte, Art. 32 Abs. 1 und 2 des bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetzes.
80Vgl. asylum information database (aida): Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 76 ff; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 19; BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 19; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 30. Juni 2017, Seite 17; Deutsche Botschaft Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2019, Seite 2; Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 12.
81Die Unterschiede zwischen Personen mit Flüchtlings- und solchen mit subsidiärem Schutzstatus bestehen dabei im Wesentlichen in den Rechtsfolgen für die Wartezeit bzgl. einer etwaigen Einbürgerung und der Möglichkeit des visafreien Reisens innerhalb der EU.
82Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 11; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 73.
83Zudem werden Identitätsdokumente mit unterschiedlicher Gültigkeitsdauer ausgestellt: Anerkannte Personen mit Flüchtlingsstatus erhalten fünf Jahre gültige Dokumente, subsidiär Schutzberechtigte solche mit einer dreijährigen Gültigkeit. Praktisch besteht für beide Gruppen von anerkannten Schutzberechtigten das administrative Problem, dass die Ausstellung der Identitätsdokumente an eine Registrierung in einer nationalen Datenbank (ЕСГРAОН) geknüpft ist. Diese knüpft an einen festen Wohnsitz nebst Meldeadresse in Bulgarien an.
84Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 77; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 21; UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 2.
85(2.) Die Unterbringung von anerkannten Schutzberechtigten gestaltete sich in der Vergangenheit in Bulgarien als schwierig.
86So waren und sind bei der Wohnraumbeschaffung keine besonderen staatlichen Leistungen vorgesehen. In Bulgarien existieren zudem nur wenige Sozialwohnungen, auf die sich anerkannte Schutzbedürftige ebenso wie bulgarische Staatsangehörige bewerben dürfen.
87Vgl. AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 2; AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2; Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 9.
88Nach Artikel 32 Abs. 3 des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes haben anerkannte Schutzberechtigte zwar de lege lata sechs Monate lang Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft.
89Vgl. dazu nur AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 2.
90In Ermangelung einer praktischen Umsetzung dieses Rechtsanspruchs hat sich jedoch eine Praxis etabliert, nach der die Aufnahmezentren für Asylbewerber auch anerkannten Schutzberechtigten für sechs Monate Unterkunft bieten, wenn entsprechende Kapazitäten bestehen.
91Vgl. aida, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 76; aida, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, Seite 76; aida, Housing out of reach? - The reception of refugees and asylum seekers in Europe, Seite 30; AA, Auskunft an Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2; AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 20; einschränkend nur hinsichtlich vulnerabler Flüchtlinge UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 2; auf die Platzkapazitäten insofern verweisend Auskunft der Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 8: „Although the practice (…) still exists, it cannot be regarded as a secure one. It depends inter alia on the availability of space in the centres“.
92Nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien müssen sich anerkannte Schutzberechtigte grundsätzlich selbstständig um eine Unterkunft bemühen.
93Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 1 und AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2.
94Dabei haben anerkannte Schutzberechtigte bei nicht sofortigem Erhalt einer Unterkunft die Möglichkeit, einen Antrag auf Aufnahme in einer Aufnahmeeinrichtung zu stellen.
95Vgl. AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 2; einschränkend dagegen AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2 sowie AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 1.
96Tatsächlich bestehen mittlerweile Überkapazitäten in den bulgarischen Aufnahmezentren. Die zuständige State Agency for Refugees (im Folgenden: SAR) verwaltet Aufnahme- und Gemeinschaftseinrichtungen für Asylsuchende mit einer Gesamtkapazität von 5160 Plätzen. Von diesen waren Ende Januar 2020 449 belegt, was einer Belegungsquote von 8,7 Prozent entspricht.
97Vgl. Bundesamt, Entscheiderbrief 03/2020, Seite 10; zur schwankenden Angabe zur Kapazität der fünf Aufnahmenzentren zwischen 4760 und 5940 Plätzen zwischen Dezember 2018 und März 2019 BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 16.
98An dieser Praxis hat sich auch durch die SARS-CoV2-Pandemie nichts geändert. Vielmehr hat die Europäischen Kommission bereits am 11. Mai 2020 darüber informiert, dass die für das Asylverfahren zuständige SAR in ihren Aufnahmezentren Unterkünfte für Begünstigte des internationalen Schutzes angeboten hat, die nicht mehr berechtigt seien, dort zu leben, aber aufgrund der COVID-19-Krise von Obdachlosigkeit bedroht sind. Die SAR stelle dort auch Essen zur Verfügung.
99Vgl. Europäische Kommission, „Impact of government measures related to COVID-19 on third-country nationals“, abrufbar unter https://ec.europa.eu/migrant-integration/news/impact-of-government-measures-related-to-covid-19-on-third-country-nationals-in-bulgaria, zuletzt abgerufen am 15. September 2020; anders noch zur Versorgung mit Lebensmitteln SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 21.
100Die Lebensbedingungen in den staatlichen Aufnahmezentren werden unterschiedlich beurteilt. So teilte das Auswärtige Amt dem Verwaltungsgericht Gießen mit Auskunft vom 27. Dezember 2017 mit, dass sich die Situation in den Aufnahmezentren verbessert habe und heute als insgesamt akzeptabel zu bewerten sei. Bei Besuchen von Mitarbeitern der Botschaft in Sofia im März und April 2017 hätten umfassende Renovierungsarbeiten an und Neubauten von Flüchtlingsunterkünften besichtigt werden können.
101Vgl. AA, Auskunft an das VG Gießen vom 27. Dezember 2017, Seite 4.
102Dagegen werden die Bedingungen im Bericht von aida trotz der von der SAR regelmäßig durchgeführten Teilrenovierungen nach wie vor als ärmlich beschrieben, vor allem in Bezug auf die Verfügbarkeit sanitärer Anlagen. Nach Angaben von aida sollen sich Bewohner aller Zentren - mit Ausnahme des Zentrums in Vrazhdebna - über die sanitären Bedingungen beschwert haben, insbesondere im Hinblick auf das Vorhandensein von Bettwanzen.
103Vgl. aida: Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 55.
104Dies wird auch in einem Bericht der FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) aus 2019 bestätigt. In diesem wird angeführt, dass sich Bewohner der Aufnahmezentren in Sofia während der Wintermonate über Heizungsausfälle beschwert hätten. Berichtet wird daneben von kleinen Feuern sowie dem Austritt von Wasser und Abwasser aus gebrochenen Wasserrohren.
105Vgl. FRA (European Union Agency for Fundamental Rights), Migration: Key Fundamental Rights Concerns, Quarterly Bulletin 1 aus 2019, Seite 3, abrufbar unter https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2019-migration-bulletin-1_en.pdf, zuletzt abgerufen am 15. Oktober 2020.
106Nach der Erkenntnislage ist zwar davon auszugehen, dass die Zugehörigkeit zu einer besonders vulnerablen Personengruppe von den bulgarischen Behörden von Rechts wegen hinsichtlich der Unterbringung berücksichtigt werden müsste, die Entscheidung über die Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse vulnerabler Personen jedoch im Ermessen steht und nicht anhand schriftlich festgelegter Kriterien oder Richtlinien getroffen wird. Insbesondere existieren in den Unterbringungszentren keine getrennten Einrichtungen für Familien, alleinstehende Frauen, unbegleitete Minderjährige oder traumatisierte Asylbewerber.
107Vgl. aida: Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 59 für im Asylverfahren befindliche Personen.
108Anders stellen sich die Lebensbedingungen nach der Erkenntnislage lediglich für die Aufnahmeeinrichtung in Harmali dar. Diese Aufnahmeeinrichtung verfügt über eine Kapazität von 2.710 Plätzen auf einer Fläche von 17 Hektar. Sie geriet im November des Jahres 2016 in die Schlagzeilen, weil einige Bewohner gegen die dortigen Lebensbedingungen protestierten und es hiernach zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Nach einer daraufhin eingeleiteten Umstrukturierung der Einrichtung sind dort (Stand: Mai 2019) fest 80 Personen angestellt, zu denen auch ein Arzt und eine Krankenschwester zählen. Die Bewohner in der Einrichtung werden getrennt nach ihrer Nationalität und ihrer Sprache in verschiedenen Gebäudekomplexen untergebracht. Es gibt einen Wohnkomplex für Arabisch sprechende Personen, ein Gebäude für afghanische Staatsangehörige, in dem Familien mit Kindern eigene Wohnräume erhalten, sowie ein Wohngebäude für vulnerable Personen. In Letzterem werden Frauen mit Kindern und unbegleitete Minderjährige jeweils getrennt voneinander untergebracht. Zusätzlich zu den drei Wohnblöcken stehen in Harmanli noch Wohncontainer mit einer eigenen Toilette und einem Waschbecken zur Verfügung, die im Fall eines hohen Zustroms belegt werden können. Bis zu 1.000 Personen können in diesen Containern zusätzlich untergebracht werden. Die Wohngebäude und die Wohncontainer verfügen über eine Zentralheizung. Der Sanitärbereich beinhaltet verschließbare Toiletten und mehrere Waschbecken auf unterschiedlicher Höhe, einschließlich solcher zur rituellen Fußwaschung für Muslime. Weiterhin steht den Bewohnern neben einem kleinen Einkaufsladen mit Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs eine Wäscherei kostenlos zur Verfügung.
109Vgl. Deutsche Botschaft Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2019, Seite 5 ff.
110Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Praxis einer fortgesetzten Unterkunftsgewährung in den Aufnahmezentren trotz der oben genannten Erkenntnisquellen nicht auf anerkannte Schutzberechtigte angewandt wird, die die Unterkunft zwischenzeitlich verlassen haben, wozu auch aus dem Ausland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte zählen,
111vgl. so wohl: OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17.A -, juris, Rn. 91 und 97; AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 8; Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 8; UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 3, a.A. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 62,
112sind anerkannte Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien nicht von Obdachlosigkeit bedroht.
113Sie können nach der Rückkehr zwölf landesweit verteilte „Zentren für temporäre Unterkunft“ in Anspruch nehmen. In diesen stehen insgesamt 607 Plätze zur Verfügung; hier ist eine Unterbringung pro Kalenderjahr für jeweils drei Monate möglich; diese kann im Notfall um weitere drei Monate verlängert werden.
114Vgl. Bundesamt, Länderinformationen: Bulgarien, Stand: Mai 2017, Seite 4; hierauf ebenfalls abstellend OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17 -, juris, Rn. 57; VG Lüneburg, Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 8 B 180/19 -, juris, Rn. 25.
115Hinzu kommen noch zwei kommunale „Krisenzentren“ zur Unterbringung von Obdachlosen in Sofia, die in den Wintermonaten (1. Dezember bis 31. März) geöffnet sind; hier stehen 170 Plätze zur Verfügung.
116Vgl. Bundesamt: Länderinformationen: Bulgarien, Stand: Mai 2017, Seite 4.
117Das Auswärtige Amt geht zur Unterbringungssituation in Obdachlosenunterkünften davon aus, dass diese bescheiden, aber in den ihm bekannten Fällen nicht menschenunwürdig sei,
118vgl. AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 2; AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2,
119wohingegen der UNHCR einschränkend ausführt, dass die dortigen Bedingungen nicht für Kinder geeignet seien.
120Vgl. UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 3.
121Schwierigkeiten bei der anschließenden privaten Unterkunftssuche soll nach Einschätzung von Nichtregierungsorganisationen zum einen bereiten, dass viele Vermieter zögern sollen, Wohnungen an Migranten zu vermieten.
122Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 2; zu diesen Vorbehalten gegenüber anerkannten Schutzberechtigten muslimischen Glaubens bereits AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 9.
123Zum anderen erschwert die Anmietung einer Wohnung der Umstand, dass für den Abschluss eines Mietvertrags das Führen gültiger Ausweispapiere erforderlich ist. Diese können jedoch nicht ausgestellt werden, wenn kein Wohnsitz besteht bzw. keine Meldeadresse angegeben werden kann.
124Vgl. SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 21; von einem „Teufelskreis“ sprechend: VG Lüneburg, Beschluss vom 12. Dezember 2019 - 8 B 180/19 -, juris, Rn. 26.
125Für neu anerkannte Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte, die in einem der fünf Aufnahmezentren für Asylbewerber (Ovcha Kupel bzw. Voenna Rampa in Sofia und Banya, Pastrogor sowie Harmanli) leben, soll dabei nach Angaben von aida und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe das Problem bestehen, dass die SAR es diesen Personen nicht mehr erlaubt, die Adresse des Zentrums als Residenzadresse anzugeben.
126Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 77; aida, Housing out of reach? - The reception of refugees and asylum seekers in Europe, Bericht vom 30. April 2019, Seite 28; SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 21.
127Demzufolge setzt der Erhalt der Identitätsdokumente das Bestehen eines festen Wohnsitzes in Bulgarien als Meldeadresse, dies aber wiederum den Erhalt von Identitätsdokumenten voraus. Um diesen Kreis zu durchbrechen, werden in der Praxis zum Teil Scheinmietverträge verwendet.
128vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 77; aida, Housing out of reach? - The reception of refugees and asylum seekers in Europe, Bericht vom 30. April 2019, Seite 28,
129Nach den Angaben des Bundesamts können die Unterbringungszentren dagegen als Meldeadressen für Rückkehrer dienen.
130Vgl. Bundesamt, Länderinformationen: Bulgarien, Stand: Mai 2017, Seite 3.
131Für muslimische Schutzberechtigte kann zusätzlich die muslimische Gemeinde ein Anlaufpunkt sein, welche sich in der Vergangenheit immer wieder an der Flüchtlingshilfe beteiligte und z.B. leerstehenden Wohnraum an anerkannte Schutzberechtigte überließ.
132Vgl. Deutsche Botschaft Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2019, Seite 4; zur großen syrischen Gemeinde noch Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, Seite 20.
133Bei der Suche nach einer Unterkunft können die Rückkehrer zudem auf Hilfe von Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen. So helfen Nichtregierungsorganisationen außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte bei der Wohnungssuche.
134Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 8.
135Dies führt - zusammen mit der niedrigen Zahl von in Bulgarien verweilenden Flüchtlingen - nach Angaben des Auswärtigen Amtes dazu, dass es dort kaum obdachlose Flüchtlinge gibt.
136Vgl. AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 2; AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2; ebenso BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 21; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 21.
137Gründe an diesen Angaben des Auswärtigen Amts zu zweifeln, hat die Kammer nicht. Auch aus den sonstigen Erkenntnismitteln lässt sich nicht konkret entnehmen, dass eine große Anzahl anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien Obdachlosigkeit, Hunger oder Entbehrung leidet.
138Vgl. dazu Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 8 f.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15 -, juris, Rn. 56 unter Verweis auf OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 133; auch im Bericht von aida, Housing out of reach? - The reception of refugees and asylum seekers in Europe, Bericht vom 30. April 2019, Seite 33 f. werden für Bulgarien keine entsprechenden Fälle benannt; lediglich von einem durchaus bestehenden Risiko der Obdachlosigkeit sprechend UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 2.
139Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen sollen am ehesten Frauen und Familien mit kleinen Kindern von Obdachlosigkeit bedroht sein, auch wenn gleichermaßen berichtet wird, dass sie durch die bulgarischen Behörden zuweilen besonderen Schutz (z. B. hinsichtlich der Unterbringung) bekommen sollen,
140vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 10; vgl. dazu auch VG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 19. September 2019 - 16 A 6012/18 -, juris, Rn. 118
141und eine weitere Quelle angibt, dass für Familien bei ihrer Rückkehr nach Bulgarien die gleichen Bedingungen wie für Alleinstehende gelten sollen. Eine zusätzliche Unterstützung vonseiten der Nichtregierungsorganisationen könne ggf. nur erfolgen, wenn diese bereits vor Rückkehr in die Wege geleitet worden sei. Besondere Vorkehrungen und Aufnahmezentren bestünden lediglich für Minderjährige.
142Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 5.
143(3.) Zur Abwendung von Obdachlosigkeit nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums und zur Sicherung des Lebensunterhalts im Übrigen können anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf das Existenzminimum sichernde Sozialhilfeleistungen des bulgarischen Staates zurückgreifen. Zwar gewährt dieser anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten die gleichen sozialen Unterstützungsleistungen, wie sie auch bulgarische Staatsangehörige in Anspruch nehmen können.
144Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 19; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 20.
145Für den Zugang zu staatlicher sozialer Unterstützung ist - ebenso wie beim Ausstellen von Identitätsdokumenten - eine Wohnsitzregistrierung und eine Meldeadresse erforderlich.
146Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 19; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 20.
147Es gibt verschiedene Möglichkeiten staatlicher sozialer Unterstützung. Schutzberechtigte können sich zum einen an ihrem Wohnort an das zuständige Social Assistance Directorate der Social Assistance Agency wenden. Dort existieren verschiedene Formen der Unterstützung (monatliche, einmalige oder zielgerichtete Sozialzulagen). Außerdem besteht die Möglichkeit, kommunale Sozialleistungen für Anwohner zu beantragen. Die Sozialhilfe beläuft sich pro Person auf umgerechnet circa 33 Euro im Monat.
148Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 3; AA, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Juli 2018, Seite 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 19 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 19.
149Faktisch besteht aber - sowohl für anerkannte Schutzbedürftige wie auch für bulgarische Staatsangehörige - kaum die Möglichkeit zum Bezug von Sozialhilfe, weil die Voraussetzungen für deren Gewährung derart hoch sind, dass in der Praxis nur eine Minderheit der bezugsberechtigten bulgarischen Staatsangehörigen und kaum anerkannte Schutzberechtigten sie beziehen. Im Jahr 2017 soll lediglich in 20 Fällen Sozialhilfe gezahlt worden sein.
150Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 3; AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 6; zum gleichen Ergebnis gelangend Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 7; speziell zu Wohngeld AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 2.
151Die Lebenshaltungskosten werden im Übrigen in Bulgarien im Landesdurchschnitt mit 305 € Euro (für Sofia mit 397 €) beziffert.
152Vgl. AA, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019, Seite 3 im Fall eines männlichen Erwachsenen.
153Hierbei ist hinsichtlich der Preise für Lebensmittel zu berücksichtigen, dass diese niedriger sind als in anderen EU-Ländern, z. B. kostet
154- Brot etwa 1,50 bulgarische Lew (im Folgenden: BGN) - umgerechnet 1,02 € - pro Kilo,
155- Weißkäse zwischen 8,00 und 11,00 BGN - umgerechnet zwischen 4,09 und 5,62 € - pro Kilo,
156- Hartkäse zwischen 12,00 und 18,00 BGN - umgerechnet zwischen 6,13 und 9,19 € - pro Kilo,
157- Milch zwischen 1,80 und 2,50 BGN - umgerechnet zwischen 92 Cent und 1,53 € - pro Liter
158- und Joghurt etwa 2,50 BGN - umgerechnet 1,53 € - pro Liter.
159Strom wird in Bulgarien nach einem zeitvariablen Tarif abgerechnet: 0,20 BGN - umgerechnet 10 Cent - pro kWh bei Tag und 0,12 BGN - umgerechnet 6 Cent - bei Nacht.
160Vgl. Europäische Kommission, Eures, Lebens- und Arbeitsbedingungen in Bulgarien, Lebenshaltungskosten, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eures/main.jsp?catId=8691&acro=living&lang=de&parentId=7803&countryId=BG&living=, zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020.
161Der gesetzliche Mindestlohn in Bulgarien wurde im Jahr 2020 auf 610 BGN (umgerechnet 311,53 €) angehoben.
162vgl. Europäische Kommission, Eures, Lebens- und Arbeitsbedingungen in Bulgarien, Löhne und Gehälter, abrufbar unter https://ec.europa.eu/eures/main.jsp?catId=8361&acro=living&lang=de&parentId=7770&countryId=BG&living= sowie Becca Blanke, Artikel vom 15. August 2020 auf The Borgen Project, Poverty in Bulgaria, abrufbar unter https://borgenproject.org/tag/minimum-wage-in-bulgaria/, beide zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020.
163(4.) Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Schutzberechtigte automatisch und bedingungslos gegeben, insbesondere wird kein Arbeitsmarkttest durchgeführt und der Zugang zum Arbeitsmarkt ist auch nicht auf bestimmte Sektoren beschränkt.
164Vgl. aida: Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 83; aida: Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, Seite 76; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 21; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 21.
165Anerkannte Schutzberechtigte sind damit rechtlich den Inländern gleichgestellt.
166Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 6.
167Zwar soll nach Angaben von aida der Zugang zu Beschäftigung die Identifizierung auf der Grundlage eines gültigen Identitätsdokuments voraussetzen.
168Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 76; aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, Seite 70.
169Jedoch soll es nach Angaben des Auswärtigen Amtes für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keine entscheidende Rolle spielen, ob die anerkannten Schutzberechtigten über eine feste Meldeanschrift verfügen.
170Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 3.
171Problem beim Zugang zur Erwerbstätigkeit ist häufig die Sprachbarriere. Es wird neben Sprachbarrieren zwischen den anerkannten Schutzberechtigten und den Mitarbeitern der Agenturen für Arbeit auch von Sprachschwierigkeiten im Verhältnis mit potentiellen Arbeitgebern, von der fehlenden Anerkennung von Qualifikationen der Betroffenen und Vorbehalten gegenüber Schutzberechtigten berichtet, die Hürden bei der Arbeitssuche darstellen.
172Vgl. Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 6; AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 6; UNHCR, Where there is a will, there is a way - Private Sector Engagement in the Employment of Beneficiaries of International Protection, 26. April 2017, Seite 11; Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, Seite 32.
173Es gibt von Seiten des bulgarischen Staats zudem nur vereinzelte Fördermaßnahmen für anerkannte Schutzberechtigte. So fand im Februar 2017 eine Berufsmesse für Flüchtlinge statt. Bei dieser wurden 60 vorselektierte Kandidaten in ihren Bemühungen eine Arbeit zu finden unterstützt.
174Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 30. Juni 2017, Seite 18.
175Die Hilfe durch die staatliche Agentur für Arbeit kann daher nicht als effektiv eingestuft werden.
176Vgl. so auch VG Schleswig-Holstein, Gerichtbescheid vom 7. Mai 2019 - 10 A 628/18 -, juris, Rn. 34.
177Unabhängig davon besteht aber durchaus Bedarf und Interesse an der Beschäftigung anerkannter Schutzbedürftiger in Bulgarien. So heißt es in einer Auskunft der Botschaft Sofia vom 1. März 2018, dass auf dem Land häufig Mitarbeiter für einfache Tätigkeiten in der Landwirtschaft und Gastronomie, auch ohne besondere Ausbildung und bulgarische Sprachkenntnisse, gesucht würden, auf der anderen Seite aber kaum Bereitschaft der Betroffenen bestehe, sich in der Provinz niederzulassen. In Folge des Rückgangs der Bevölkerung in der bulgarischen Provinz erkundigten sich Unternehmen bei der Flüchtlingsagentur, wie sie auf Grund der mittlerweile geschaffenen Integrationsverordnung Flüchtlinge vor Ort aufnehmen könnten.
178Vgl. Botschaft Sofia, Auskunft an das AA vom 1. März 2018, Seite 2; ebenso auch AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 4.
179Es wird des Weiteren davon berichtet, dass sich Unternehmer in der jüngsten Vergangenheit zunehmend danach erkundigt hätten, wie sie Flüchtlinge beschäftigen könnten, wobei auch Unterkunftsmöglichkeiten, insbesondere auf dem Land, angeboten würden. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist es sicherlich möglich, dass das mit einigen dieser Tätigkeiten erzielte Einkommen auskömmlich ist, um den Lebensbedarf und eine Unterkunft zu finanzieren.
180Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, Seite 4.
181Darüber hinaus haben in Bulgarien eine Reihe von privaten Unternehmen Niederlassungen gegründet, die sich unter anderem über die SAR und einige Nichtregierungsorganisationen gezielt um Asylsuchende und anerkannte Schutzberechtigte als Beschäftigte bemühen und für diese zum Teil besondere Hilfen - etwa Unterkünfte, Lebensmittelgutscheine, Transportmöglichkeiten bei Nachtschichten usw. - anbieten (z.B. Pirin Tex Ltd., Convoy, TELUS International, Aladin Foods).
182Vgl. dazu UNHCR, Where there is a will, there is a way - Private Sector Engagement in the Employment of Beneficiaries of International Protection, 26. April 2017, Seiten 12, 16, 18 und 21.
183Des Weiteren berichtet die Caritas von einem Trend dahingehend, dass Nichtregierungsorganisationen und sonstige Institutionen Asylbewerber und anerkannte Schutzberechtigte als Übersetzer, Sozialarbeiter und Mediatoren anstellen.
184Vgl. Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox, Mai 2019, Seite 7.
185Auch durch die SARS-CoV-2-Pandemie haben sich die Verhältnisse auf dem bulgarischen Arbeitsmarkt nicht grundlegend geändert bzw. so wesentlich verschlechtert, dass anerkannte Schutzberechtigte dort keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen können.
186Zwar kam es zu Beginn der Pandemie - wie auch sonst weltweit - im Zuge von Einschränkungen für die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben in Bulgarien zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt. So stieg im Zuge der Pandemie die Arbeitslosenrate von 4,2 auf 7,0 Prozent. Viele bulgarische Arbeitnehmer im Ausland kehrten in die Heimat zurück. Den größten Verlust von Arbeitsplätzen gab es wegen Einschränkungen und Schließungen im Dienstleistungssektor.
187Vgl. Germany Trade Invest, Artikel vom 30. Juli 2020 zu Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten, abrufbar unter https://www.gtai.de/gtai-de/trade/wirtschaftsumfeld/bericht-wirtschaftsumfeld/bulgarien/arbeitsmarkt-243982, zuletzt abgerufen am 15. September 2020.
188Jedoch hat die bulgarische Regierung mit einem Krisenpaket reagiert, um die Folgen der Pandemie für die heimische Wirtschaft abzufedern. Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow kündigte am 27. Juli 2020 ein Maßnahmenpaket im Wert von umgerechnet 593,1 Millionen Euro an, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie in Bulgarien einzudämmen. Es soll mit Haushaltsmitteln finanziert werden. Davon sind 374,5 Millionen Euro soziale Transferleistungen. Die restlichen 218,6 Millionen Euro sind zur Unterstützung der Wirtschaft vorgesehen. Recht erfolgreich läuft bisher die Maßnahme 60/40; sie soll bis Ende 2020 weitergeführt werden. Dabei übernimmt der Staat 60 Prozent der Ausgaben für Löhne und Sozialversicherungsbeiträge. Arbeitgeber tragen somit die restlichen 40 Prozent der Lohn- und Lohnnebenkosten. Alle Arbeitgeber, die einen Einkommensrückgang von 20 Prozent nachweisen können, sind förderberechtigt. Die Regierung finanziert diese Maßnahme mit dem Budget des Programms „Entwicklung der Humanressourcen 2014 bis 2020“. Ab 1. Oktober 2020 erhöht der Staat zudem den Mindestbetrag des Arbeitslosengeldes von 9 auf 12 BGN. Großunternehmen können seit Juni 2020 Zuschüsse von umgerechnet 15.339 bis 51.129 Euro von der Regierung erhalten, um Liquiditätsengpässe zu überwinden. Anspruch darauf haben Firmen, deren Umsatz im vergangenen Jahr zwischen 1,5 Millionen und 25,6 Millionen Euro betrug und die Einbußen von 20 Prozent nachweisen können. Speziell für die Tourismusbranche kann der Staat 28 Millionen Euro von der Europäischen Union (EU) abrufen. Dabei handelt es sich um Gelder, die von der EU-Kommission genehmigt wurden, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie einzudämmen. Reiseveranstalter können pro Gast, der eine Reise nach Bulgarien bucht, einen Zuschuss von 35 Euro erhalten. Diese Subventionen gewährt die EU bis zum 31. Dezember 2020. Reiseunternehmen dürfen dabei nicht mehr als insgesamt 800.000 Euro an Zuschüssen beantragen.
189Vgl. Germany Trade Invest, Artikel mit Stand 5. August 2020, Covid-19: Maßnahmen der Regierung, abrufbar unter https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bulgarien/covid-19-massnahmen-der-regierung-239240, zuletzt abgerufen am 15. September 2020.
190Auch die Europäische Kommission prognostiziert in ihrer Sommervorhersage zur Entwicklung der Wirtschaft in Bulgarien, dass mit dem Aufheben von Lockdown-Maßnahmen zu erwarten sei, dass sich der private Konsum in der zweiten Hälfte des Jahres wieder erhole und in moderatem Maße im Jahr 2021 wieder ansteige. Ein Anstieg von Investitionen wird erst für 2021 wieder erwartet. Dagegen prognostiziert die Kommission, dass die Exporte graduell während der zweiten Hälfte des Jahres 2020 wieder ansteigen.
191Vgl. Europäische Kommission, Summer 2020 (Interim) Forecast, Bulgaria, abrufbar unter https://ec.europa.eu/economy_finance/forecasts/2020/summer/ecfin_forecast_summer_2020_bg_en.pdf, zuletzt abgerufen am 15. September 2020.
192Zudem wird für die Jahre 2020 und 2021 ein - im Vergleich zu den Jahren 2018 und 2019 geringerer - Anstieg der Konsumentenpreise um lediglich 1,0 bzw. 1,1 Prozent vorhergesagt.
193Vgl. Europäische Kommission, Summer 2020 (Interim) Forecast, Statistical Annex, Table 4, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/economy-finance/summer_2020_economic_forecast_-_statistical_annex.pdf, zuletzt abgerufen am 15. September 2020.
194(5.) Auch bezüglich der Gesundheitsversorgung werden anerkannte Schutzberechtigte bulgarischen Staatsangehörigen gleichgestellt.
195Vgl. SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 22.
196Dies bedeutet praktisch, dass Schutzberechtigte ab Statuszuerkennung die Krankenversicherungsbeträge selbst bezahlen müssen, welche während des Asylverfahrens noch von der SAR getragen werden. Der Mindestsatz beträgt umgerechnet 22,90 €.
197Vgl. aida, Country Report: Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 84; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 22.
198Für besonders Schutzbedürftige sollen manche Nichtregierungsorganisationen einen Teil der Krankenversicherungskosten übernehmen. Zudem soll der Staat die Krankenversicherung für Kinder übernehmen, unabhängig davon, ob sie unbegleitet oder zusammen mit ihren Eltern in Bulgarien sind.
199Vgl. UNHCR, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Oktober 2018, Seite 3.
200Die Gesundheitsversorgung soll sich in der Praxis als schwierig darstellen,
201vgl. SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 16,
202was aber ebenso für bulgarische Staatsangehörige gilt.
203Vgl. so auch die Einschränkung bei SFH, Auskunft zu Bulgarien - Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus vom 30. August 2019, Seite 16.
204Diese Versorgung wird in Bulgarien regelmäßig durch „Out of Pocket“-Zahlungen aufgebessert, welche die anerkannten Schutzberechtigten selbst leisten müssen. Rezeptfreie Medikamente lassen sich auf eigene Rechnung über das Internet erwerben. Rezeptpflichtige Medikamente können bei ganzer oder teilweiser Kostenübernahme von der Krankenkasse bezahlt werden.
205Vgl. dazu BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 21; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 22; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 30. Juni 2017, Seite 18 f.; s. noch VG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juni 2019 - A 13 K 6939/18 -, juris, Rn 49 und VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 7. Mai 2019 - 10 A 628/18 -, juris, Rn. 44 m.w.N.
206Zu den verfügbaren Medikamenten gehören auch bestimmte Psychopharmaka.
207Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 30. Juni 2017, Seite 19; s. auch noch World Health Organization (WHO): Mental Health ATLAS 2017 Member State Profile Bulgaria, abrufbar unter https://www.who.int/mental_health/evidence/atlas/profiles-2017/BGR.pdf?ua=1, zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020.
208Eine kostenlose - unabhängig vom Versicherungsstatus bestehende - medizinische Notfallversorgung ist aber in jedem Fall gegeben.
209Vgl. AA, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018, 4; AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 9 f.
210Zu dieser auf Art. 7 der Verordnung Nr. 25 vom 4. November 1999 über die medizinische Notfallversorgung basierenden Versorgung sind weder dem Auswärtigen Amt noch der regelmäßig berichtenden bulgarischen Rechtsanwältin Dr. Valeria Ilareva Fälle bekannt geworden, in denen sie anerkannten Schutzberechtigten verweigert und es deshalb zu ernsthaften Schäden für Leib und Leben der anerkannten Schutzberechtigten gekommen wäre.
211Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 10; Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 11.
212Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, die dringend psychologische oder psychiatrische Unterstützung benötigen, werden zudem an die Organisationen „ASET“, „NADYA“ oder an das Zentrum für psychische Gesundheit „Prof. N. Shipkovenski“ verwiesen. Vom Hausarzt können sie zu einem Psychiater in einem diagnostisch-konsultativen Zentrum überwiesen werden.
213Vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 30. Juni 2017, Seite 18.
214(6.) In Bulgarien sind zudem verschiedene Nichtregierungsorganisationen, wie z.B. das Bulgarische Rote Kreuz, das Bulgarian Helsinki Committee, die Caritas und das Council of Refugee Women in Bulgaria aktiv. Hinsichtlich der Hilfsangebote der Nichtregierungsorganisationen ist von Bedeutung, dass diesen im Allgemeinen und dem bulgarischen roten Kreuz im Besonderen in Bulgarien schon von Gesetzes eine zumindest kooperative Rolle hinsichtlich der Durchführung der Aufgaben des Asyl- und Flüchtlingsrechts und explizit auch bei der Integration der anerkannt Schutzberechtigten zugeschrieben wird. Das Bulgarische Rote Kreuz ist einerseits im Bereich der Asylantragstellung eingebunden, etwa bei der Unterbringung sowie der Bereitstellung von Hilfen zur Anpassung an die bulgarischen Verhältnisse und der (Mit-) Organisation von Sprachkursen. Die Art. 53 Nr. 4, 56 Abs. 1 des bulgarischen Asylgesetzes sehen daneben ausdrücklich vor, dass die Organisation auch bei der Integration der anerkannten Schutzberechtigten mitwirkt und sowohl soziale, medizinische und psychologische Begleitung als auch Hilfe bei der Suche nach einer Beschäftigung anbietet.
215Vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. August 2018 - 3 L 50/17 -, juris, Rn. 20; ebenso OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17 -, juris, Rn. 82; der Gesetzestext ist in englischer Übersetzung abrufbar unter https://www.refworld.org/pdfid/47f1faca2.pdf, zuletzt abgerufen am 21. Oktober 2020.
216Das Bulgarische Rote Kreuz verfügt über Zweigstellen in mehreren bulgarischen Städten und bietet Asylbewerbern sowie anerkannten Schutzberechtigten Geld- und Sachleistungen an. Zudem führt es in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union Integrationsmaßnahmen durch. Diese umfassen Bulgarisch-Sprachkurse, Anmeldungen zur Berufsausbildung und Kostenübernahme dieser Ausbildung, Sozialberatung, Empfehlungen für den Zugang zu einer Arbeitsstelle, Unterkunft, medizinische Versorgung und Bildung, die Weitergabe von Informationen sowie rechtliche, soziale und psychologische Beratungen. Zusätzlich stellt das Bulgarische Rote Kreuz Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel, sozio-kulturelle Organisationskurse, Übersetzungen von Dokumenten und Zeugnissen sowie Übersetzertätigkeiten bei Behördengängen zur Verfügung. Schutzberechtigte werden zudem während ihrer Teilnahme am Sprachkurs oder einer Berufsausbildung krankenversichert. Um an diesen Integrationsprogrammen teilzunehmen, müssen die Schutzberechtigten sich bewerben. Die Vergabe der Plätze erfolgt grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip, jedoch werden vor kurzem anerkannte Schutzberechtigte und solche, die noch keinen Sprachkurs besucht haben, bevorzugt. Das Bulgarische Rote Kreuz bietet auch Sachleistungen oder einmalige finanzielle Hilfe in Notsituationen (bei drohender Obdachlosigkeit, Krankheit oder ähnlichem).
217Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 4; AA, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Juli 2018, Seite 3; AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 2; zum „Flüchtlings-Migrantendienst“ des bulgarischen roten Kreuzes auch noch Bundesamt, Länderinformation: Bulgarien, Stand: Mai 2017, Seite 5; zu Bulgarisch-Sprachkursen Deutsche Botschaft Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2020, Seite 4.
218Weitere Unterstützung bieten das Bulgarian Helsinki Committee, das rechtliche Hilfestellungen offeriert, und die Caritas. Letzere betreibt in Sofia ein Integrationszentrum, das psychologische Hilfe, Bildungsservices, soziale Beratung, humanitäre Hilfe und Unterstützung bzgl. Wohnungen und Arbeit anbietet.
219Vgl. AA, Auskunft an das Niedersächsische OVG vom 18. Juli 2017, Seite 5; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, Seite 22; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 28. August 2019, Seite 23; Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 5; Bundesamt, Länderinformation: Bulgarien, Stand: Mai 2017, Seite 5.
220Das Council of Refugee Women in Bulgaria verfügt in Sofia über eine zentrale Sammel- und Ausgabestelle für gespendete Lebensmittel, Kleidung, Alltagsgegenstände etc., die Asylbewerbern wie auch anerkannten Schutzberechtigten zu Gute kommen. Seit dem 21. August 2020 verteilt die Organisation unter der Adresse 51 Iskar Street in Sofia die ihr überlassenen Spenden.
221Vgl. Artikel der Organisation vom 21. August 2020, abrufbar unter http://www.crw-bg.org/en/blogs/our-new-storehouse-humanitarian-aid, zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2020 sowie zuvor allgemein bereits OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 66 f. unter Bezugnahme auf Council of Refugee Women in Bulgaria, http:/crw-bg.org/eu/private-donors/.
222Der Umfang der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen hängt von deren konkreter Finanzierung ab,
223vgl. Auskunft der Frau Dr. Valeria Ilareva an das Niedersächsische OVG vom 7. April 2017, Seite 3,
224wobei keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Hilfeleistungen der Nichtregierungsorganisationen mangels Finanzierung eingeschränkt oder eingestellt wurden.
225Vgl. ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - OVG 3 B 8.17 -, juris, Rn. 49.
226(7.) Nach Auswertung dieser Erkenntnismittel ist es zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Bezug auf die Personengruppe der uneingeschränkt arbeitsfähigen anerkannt Schutzberechtigten, die nach einem (ggf. auch längeren) Aufenthalt im Bundesgebiet nach Bulgarien zurückkehren und die nicht zum Kreis der vulnerablen Personen gehören, nicht beachtlich wahrscheinlich, dass es ihnen nicht gelingen wird, in Bulgarien Arbeit zu finden und mit dem daraus erzielten Erwerbseinkommen ihre Ernährung, Unterkunft, angemessene hygienische Bedingungen und eine medizinische Versorgung jedenfalls auf einem Mindeststandard zu gewährleisten.
227Vgl. aus jüngerer Zeit ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. März 2020 - 7 A 10903/18 -, juris, Rn. 49 ff; OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17.A -, juris, Rn. 37 ff; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 - OVG 3 B 8.17 -, juris, Rn. 31 ff; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 33 ff; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 68 ff; für eine Flüchtlingsfamilie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - A 4 S 2476/19 -, juris; für Dublin-Rückkehrer noch OVG Sachsen, Urteil vom 13. November 2019 - 4 A 947/17.A -, juris, Rn. 36 ff sowie VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2019 - A 4 S 1329/19 -, juris.
228Insbesondere lässt sich ein von dem Willen und von den persönlichen Einstellungen des Betroffenen unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ für die Personengruppe der uneingeschränkt arbeitsfähigen, nicht vulnerablen anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien nicht feststellen.
229Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. März 2020 - 7 A 10903/18 -, juris, Rn. 85; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 51; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 - 4 LB 12/17 -, juris, Rn. 133; OVG Sachsen, Urteile vom 13. November 2019 - 4 A 947/17.A -, juris, Rn. 52 und vom 15. Juni 2020 - 5 A 382/18 -, juris, Rn. 36.
230Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände stellt sich die Situation anerkannt Schutzbedürftiger in Bulgarien insgesamt immer noch als durchaus schwierig dar. Zwar werden diese nach Rückkehr nach Bulgarien dort weiterhin als Schutzberechtigte behandelt, insbesondere geht ein einmal zuerkannter Status nicht automatisch nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne unter. Den Lebensunterhalt sichernde staatliche Sozialleistungen existieren in Bulgarien jedoch nicht. Nach Rückkehr nach Bulgarien steht den Rückkehrern allerdings der bulgarische Arbeitsmarkt offen, auf dem grundsätzlich auch Chancen zur Beschäftigung bestehen. Selbst eine mit dem bulgarischen Mindestlohn entlohnte Tätigkeit deckt zumindest knapp die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine Person. Jedoch gestaltet sich die Unterbringung für anerkannte Schutzberechtige nach wie vor als schwierig. Sie haben zwar de lege lata einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Dieser wird praktisch jedoch nicht umgesetzt. Für einen Übergangszeitraum von sechs Monaten besteht allerdings die Möglichkeit, in den Aufnahmeeinrichtungen der SAR Unterkunft zu finden. Bei - zur Zeit nicht gegebener - Auslastung dieser Einrichtungen können die anerkannt Schutzberechtigten dort sowie in zwölf landesweit verteilten Zentren für temporäre Unterkunft und zumindest in den Wintermonaten in zwei kommunalen Krisenzentren vorübergehend eine Unterkunft finden. Die Lebensbedingungen in den Unterkünften sind zwar ärmlich, jedoch zumindest für alleinstehende, nicht vulnerable Personen im Regelfall nicht menschenunwürdig. Eine getrennte Unterbringung von besonders schutzbedürftigen Personen findet faktisch nicht statt. Auch auf eine kindgerechte Unterbringung wird ganz überwiegend nicht geachtet. Eine Ausnahme bildet insoweit allein die Unterbringungseinrichtung in Harmanli. Es bestehen im Übrigen hohe administrative Hürden bei der Wohnungssuche, die an die Notwendigkeit zur Registrierung in einem Melderegister anknüpfen, welche jedoch bereits das Vorhandensein eines Wohnsitzes voraussetzt. Gegen eine Unmöglichkeit der Eintragung in das nationale Melderegister und die damit verbundene Erlangung von Identitätsdokumenten zum Abschluss von Wohnraummietverträgen spricht aber, dass die bulgarischen Behörden von 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2019 insgesamt 8.710 Ausweisdokumente für Flüchtlinge und 6.427 Ausweisdokumente für subsidiär Schutzberechtigte ausgestellt haben.
231Vgl. zu diesen Zahlen aida, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2019, Seite 76.
232Dies lässt darauf schließen, dass praktisch Zugang zu den Identitätsdokumenten existiert. Bei den beschriebenen administrativen Hürden der Registrierung können sich zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte zudem durch Nichtregierungsorganisationen unterstützen lassen. Sollte anerkannt Schutzberechtigten die Ausstellung eines Ausweisdokuments dennoch verweigert werden, so können sie zudem um gerichtlichen Rechtsschutz, ggf. auch Eilrechtsschutz nachsuchen. In Fällen von Rechtsverletzungen leistet das vom UNHCR finanzierte Bulgarian Helsinki Committee auch rechtliche Hilfe. Auch sonst leisten Nichtregierungsorganisationen in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten nach der Erkenntnislage vielfältige Hilfe. Insbesondere bei der Suche nach Wohnraum besteht Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen. So gewährt z.B. das Bulgarische Rote Kreuz eine einmalige finanzielle Hilfe bei Notsituationen bei drohender Obdachlosigkeit oder Krankheit und bietet auch Unterstützung bei Verhandlungen mit dem Vermieter sowie durch Zahlung der ersten Miete. Ferner ist in Bulgarien zumindest eine kostenlose medizinische Notversorgung gewährleistet.
233Anders stellt sich die Situation hingegen für die Gruppe der nicht uneingeschränkt arbeitsfähigen, ggf. vulnerablen Personen dar. Bei diesen wird unter Berücksichtigung der Erkenntnislage und ihres regelmäßig besonderen Bedarfs in aller Regel nicht davon auszugehen sein, dass sie die für die Schaffung adäquater, menschenwürdiger Lebensverhältnisse in Bulgarien erforderliche besondere Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit aufbringen und ihren Lebensunterhalt zumindest auf niedrigem Niveau und damit ihre elementarsten Bedürfnisse durch Arbeit sicherstellen können werden. Maßgeblich ist dabei eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls.
234bb) Im Hinblick auf die Person der Klägerin ist es zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch bei einer zu vermutenden Rückkehr im Familienverband unter Berücksichtigung ihrer individuellen Lage und ihrer persönlichen Umstände beachtlich wahrscheinlich, dass sie in Bulgarien in absehbarer Zeit in eine existenzielle Notlage geraten wird.
235Im Rahmen der Gefahrenprognose ist mit Blick darauf, dass die Klägerin derzeit und auch schon vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet sowohl in Bulgarien als auch im Irak in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann und ihrer minderjährigen Tochter lebt und gelebt hat, aufgrund der vorgenannten Regelvermutung davon auszugehen, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie nach Bulgarien zurückkehren wird.
236Auch in dieser Rückkehrkonstellation ist unter Berücksichtigung der individuellen Lage und der persönlichen Umstände der Klägerin - und ihrer Familie - jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie alsbald unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten und ihre elementarsten Bedürfnisse für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können wird.
237Zwar ist davon auszugehen, dass die Klägerin nach der dargestellten Erkenntnislage unmittelbar nach einer Rückkehr nach Bulgarien zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer minderjährigen Tochter zumindest für sechs Monate in einer der Aufnahmerichtungen der SAR oder der anderen Unterbringungseinrichtungen Unterkunft finden und in dieser Übergangszeit auch Hilfe von Nichtregierungsorganisationen etwa bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie der Versorgung mit Lebensmitteln in Anspruch nehmen können wird. Bei nicht sofortigem Erhalt einer Unterkunft muss sie sich auch auf die Möglichkeit verweisen lassen, einen Antrag auf Aufnahme in einer der Einrichtungen zu stellen und notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Auch wenn eine Unterbringung in den genannten Einrichtungen einem minderjährigen Kind im Kleinkindalter - wie der erst vier Jahre alten Tochter der Klägerin -, das auf ein Mindestmaß an Hygiene und regelmäßiger Versorgung mit (auch warmen) Nahrungsmitteln angewiesen ist, angesichts der dort herrschenden ärmlichen, insbesondere in sanitärer Hinsicht unzureichenden und nicht kindgerechten Verhältnissen nicht zumutbar sein dürfte, ist dies im vorliegenden Verfahren außer Betracht zu lassen, da es hier allein um eine Rechtsverletzung der Klägerin geht. Der Klägerin selbst ist als erwachsener Frau eine Unterbringung in den genannten Einrichtungen auch unter Berücksichtigung ihrer körperlichen Behinderung in Form einer Unterschenkelamputation aber noch zumutbar.
238Jedoch ist zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht beachtlich wahrscheinlich, dass es der Klägerin und ihrem Ehemann im Anschluss an die Übergangszeit der nur vorübergehenden Unterbringung in einer der vorgenannten Einrichtungen gelingen wird, den Lebensunterhalt der dreiköpfigen Familie zumindest auf einem Niveau sicher zu stellen, das eine existenzielle Notlage ausschließen wird. Da nach den dargelegten Erkenntnissen bedarfssichernde Sozialleistungen des bulgarischen Staates nicht existieren bzw. erreichbar sind, wird die Familie den Lebensunterhalt ausschließlich durch eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bedarf der Familie mit Blick auf die Notwendigkeit einer kindgerechten Unterbringung der erst 4-jährigen Tochter und mit Blick auf die Behinderung der Klägerin infolge ihrer Unterschenkelamputation - etwa in Form von Reparaturen oder Erneuerungen der Prothese sowie Einnahme von Schmerzmitteln - deutlich erhöht ist. Es ist aber nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine Arbeit finden können werden, aus deren Einkünften dieser ‑ erhöhte - Bedarf der Familie im Sinne eines absoluten Existenzminimums gedeckt werden kann. Die Klägerin selbst wird schon aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen infolge ihrer Behinderung bei realistischer Betrachtung nicht auf dem Arbeitsmarkt bestehen können, zumindest nicht in den Bereichen, die anerkannt Schutzberechtigten in erster Linie offenstehen (Landwirtschaft, Gastronomie und Tourismus). Darüber hinaus wird ihr die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch mit Blick auf die erforderliche Betreuung der noch im Kleinkindalter befindlichen Tochter nur begrenzt möglich bzw. zumutbar sein.
239Es ist auch nicht anzunehmen, dass es dem Ehemann der Klägerin allein gelingen wird, für die dreiköpfige Familie ein auch nur deren Mindestbedarf sicherndes Erwerbseinkommen zu erzielen. Die Tätigkeiten, welche anerkannt Schutzberechtigten ohne besondere Qualifikationen und/oder bulgarische Sprachkenntnisse in Bulgarien zur Verfügung stehen, entstammen ganz überwiegend dem Niedriglohnsektor. Entsprechende Sprachkenntnisse oder sonstige Qualifikationen des Ehemannes der Klägerin sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Geht man daher von der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Gastronomie oder Landwirtschaft und von einer Entlohnung dieser Tätigkeit mit dem bulgarischen Mindestlohn aus, können hiermit allenfalls die Grundbedürfnisse eines der Familienmitglieder gesichert werden. Selbst die Aufnahme einer weiteren Teilzeitbeschäftigung durch diesen würde nicht beachtlich wahrscheinlich ausreichen, um den - erhöhten - Mindestbedarf der gesamten Familie zu sichern. Insbesondere erscheint es nicht hinreichend gesichert, dass der erhöhte medizinische Versorgungsbedarf der Klägerin aufgrund ihrer Behinderung über die lediglich bei Gefahren für Leib oder Leben eingreifende kostenlose Notversorgung abgedeckt sein wird. Dafür, dass der Ehemann der Klägerin die im bulgarischen Gesundheitswesen regelmäßig erforderlichen Zuzahlungen finanzieren können wird, ist ebenfalls nichts ersichtlich.
240Angesichts der dargestellten Schwierigkeiten für die Familie der Klägerin, ihre elementaren Grundbedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit auf Dauer zu sichern, kann eine Überstellung nach Bulgarien ohne belastbare individuelle Versorgungszusicherung des bulgarischen Staates nicht erfolgen. Eine solche Zusicherung liegt hier nicht vor. Nach der Erkenntnislage wird eine solche von den bulgarischen Behörden auch generell nicht abgegeben.
241Vgl. AA, Auskunft an das Bundesamt vom 25. März 2019, Seite 1 zu einer zeitlich nicht begrenzten - kindgerechten - Unterbringung.
242II. Ist danach die Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids aufzuheben, so muss Gleiches auch für die Ziffern 2. bis 4. des streitgegenständlichen Bescheids gelten.
2431. Die unter Ziffer 2. des Bescheids getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist bei Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung jedenfalls verfrüht ergangen. Denn das Bundesamt ist nunmehr zunächst verpflichtet, den Antrag des Klägers materiell zu prüfen. Eine Entscheidung über Abschiebungsverbote kann sachgemäß erst nach Abschluss des Asylverfahrens erfolgen und insoweit auch nur in Bezug auf den (Heimat-)Staat, in den abgeschoben werden soll.
244Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris, Rn. 21.
2452. Die unter Ziffer 3. des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Androhung der Abschiebung nach Bulgarien ist ebenfalls aufzuheben. Gemäß § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war, wenn ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 AsylG vorliegt. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt - wie ausgeführt - nicht vor, § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist nicht einschlägig.
2463. Die in Ziffer 4. des Bescheids enthaltene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. ist nach alledem gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben.
247D. Eine Entscheidung über den Hilfsantrag war vorliegend nicht (mehr) geboten, weil die Klägerin bereits mit ihrem Hauptantrag obsiegt.
248E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
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- 20 K 4097/18 1x (nicht zugeordnet)
- 1 Bf 132/17 5x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)