Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 10 K 2600/19.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Tatbestand
2Der 1992 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 09.06.2019 in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.06.2019 einen förmlichen Asylantrag.
3In seiner Anhörung am 13.08.2019 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) trug der Kläger vor, er habe die Türkei am 05.06.2019 auf dem Landweg verlassen. Er komme aus einem ländlichen Gebiet in der Osttürkei. Er habe eine weiterführende Schule in B. speziell für das Lehramt besucht und dort vier Jahre in einem Wohnheim der Gülen-Bewegung gewohnt. Während der Vorbereitung aufs Studium habe er Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung besucht und entsprechende Literatur verwendet. Sie hätten ihn in ihre Häuser eingeladen und zu Ausflügen mitgenommen. Nach dem Abitur habe er sich ein Jahr in D. auf die Prüfung zur Aufnahme an der Universität vorbereitet, dort in einem Wohnheim der Gülen-Bewegung gewohnt, deren Bildungseinrichtungen besucht sowie die Zaman Zeitung und Prüfungsbücher der Fem abonniert. Er sei auch eingeladen worden und man habe ihm bei der Prüfungsvorbereitung geholfen. Dann habe er in C. einen Studienplatz erhalten. Während des Studiums von 2011 bis 2015 habe er in wieder in einer Gülen-Wohnung gelebt und die Zaman Zeitung abonniert. Nachdem am 15.07.2016 der Putsch stattgefunden habe, hätten die Menschen in seinem Umfeld angefangen, ihn mit anderen Augen anzusehen. Seine Familie und er selbst seien als Volksverräter beschimpft worden. Es habe auch Personen gegeben, die ihn angezeigt hätten. Sie hätten dann angefangen, zu prüfen und zu ermitteln. Freunde vom Wohnheim seien festgenommen und befragt worden und hätten seinen Namen genannt. Er habe er zweimal eine Aussage bei der Polizei machen müssen. Beim zweiten Mal sei er eine Nacht in der Arrestzelle festgehalten worden. Er sei auch als Lehrer nicht eingestellt worden, weil er Gülen-Anhänger sei.
4Mit Bescheid vom 22.08.2019, zugestellt am 03.09.2019, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgemäßen Ausreise drohte es ihm die Abschiebung in die Türkei an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
5Hiergegen hat der Kläger am 12.09.2019 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus der Anhörung vor dem Bundesamt.
6Er beantragt,
7die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 22.08.2019 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen
8hilfsweise,
9die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, ihm subsidiären internationalen Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
10weiter hilfsweise,
11die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei vorliegt.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
15In der mündlichen Verhandlung vom 11.02.2022 ist der Kläger ergänzend zu seinen Asylgründen gehört worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Die Erkenntnisse der Kammer zum Herkunftsland wurden in das Verfahren eingeführt.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Die Kammer kann entscheiden, obwohl die Beklagte zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Die Beteiligten wurden unter Hinweis auf die Möglichkeit geladen, dass eine Entscheidung auch bei Nichterscheinen eines Beteiligten ergehen kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
19Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 22.08.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO.
20I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
21Die einzelnen Verfolgungshandlungen werden in § 3a AsylG näher umschrieben, die einzelnen Verfolgungsgründe in § 3b AsylG aufgeführt. Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG kann nach § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die ihn beherrschenden Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
22Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen.
23Vgl. BVerwG, Urteile vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 22 m.w.N. und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 19.
24Wenn der Asylbewerber frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt dafür geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde, kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute.
25Vgl. zur gleichlautenden Regelung in Art. 4 Abs. 4, Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG BVerwG, Beschluss vom 06.07.2012 - 10 B 17.12 -, juris Rn. 5.
26Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatland politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissenstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.08.1990 - 9 B 45.90 -, juris Rn. 2 und OVG NRW, Urteil vom 14.02.2014 - 1 A 1139/13.A -, juris Rn. 35.
28Gemessen an diesen Grundsätzen konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger sein Heimatland aufgrund politischer Verfolgung verlassen hat oder dass ihm bei Rückkehr dorthin solche droht.
291. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, ihm drohe flüchtlingsrelevante Verfolgung, weil er Anhänger der Gülen-Bewegung sei.
30Zwar dauert nach der Auskunftslage die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei an. Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind vage. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Indizien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten:
31- Nutzung der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock;
32- Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013;
33- Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman;
34- Spenden an den Gülen-Strukturen zugeordnete Wohltätigkeitsorganisationen;
35- Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder;
36- Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen / Organisationen / Firmen (inkl. abhängige Beschäftigung);
37- Teilnahme an religiösen Versammlungen der Gülen-Bewegung.
38Darüber hinaus kann in der Türkei jedenfalls in Gülenisten-Prozessen nicht von einem fairen und unvoreingenommenen Verfahren ausgegangen werden.
39Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 03.06.2021 (Stand: April 2021) S. 7 f.; VG Gießen, Urteil vom 24.09.2021 - 4 K 4846/18.GI.A -, juris Rn. 24 ff. und VG Kassel, Urteil vom 24.06.2021 - 5 K 2481/19.KS.A -, juris S. 10 ff.
40Daraus lässt sich indes nicht schließen, dass allein das Vorliegen oben genannter oder weiterer Indizien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Einleitung eines Strafverfahrens nach sich zieht. Das Gericht geht davon aus, dass nicht jede Person, die eines oder mehrere der in diesem Zusammenhang bestehenden Indizien verwirklicht, automatisch als Gülen-Anhänger in das Visier des türkischen Staates gerät, sondern dass es vielmehr auch Gülen-Anhänger in der Türkei gibt, die nicht das Ziel behördlicher Verfolgung sind. Somit ist es letztlich eine Frage des Einzelfalls, ob mutmaßliche Gülen-Anhänger Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten haben. Ausschlaggebend kann dabei u.a. sein, ob Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren eingeleitet wurden und der Betreffende selbst oder nahe Angehörige (insbesondere Eltern, Kind, Ehegatten) Verhaftungen erfahren haben, von Durchsuchungen betroffen waren o.Ä. Weiterhin ist relevant, ob der Betreffende bloßer Sympathisant oder Unterstützer war oder ob er selbst in die Aktivitäten der entsprechenden Organisationen und Vereinigungen involviert war. In diesem Zusammenhang kann auch von Bedeutung sein, dass der Betreffende als Person im Fokus der Strafverfolgungsbehörden steht, etwa als Beamter, insbesondere Richter, Staatsanwalt, Militär- oder Polizeiangehöriger, Wissenschaftler oder schulischer Lehrer. Diese Personen waren jedenfalls Haupt-Leidtragende der auf den Putschversuch im Juli 2016 folgenden Säuberungsmaßnahmen. Angesichts der nach wie vor anhaltenden Verhaftungswellen und der hohen Anzahl an Ermittlungsverfahren kann eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine drohende Verfolgung aber auch dann bestehen, wenn der Betreffende unverfolgt ausgereist ist.
41Vgl. VG Gießen, Urteil vom 24.09.2021 - 4 K 4846/18.GI.A -, juris Rn. 34 ff.; VG Kassel, Urteil vom 24.06.2021 - 5 K 2481/19.KS.A -, juris S. 11 f. und VG Münster, Urteil vom 26.06.2020 - 3 K 472/18.A -, juris Rn. 53 ff.
42Vorliegend ist eine flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr indes schon deshalb nicht gegeben, weil sich das Vorbringen des Klägers als unglaubhaft erweist. Das Gericht konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass er überhaupt Anhänger der Gülen-Bewegung ist, und erst recht nicht, dass er in diesem Zusammenhang in den Fokus der türkischen Behörden geraten wäre.
43Der Kläger konnte schon kein anschauliches Bild der zwei (angeblichen) polizeilichen Befragungen, von denen die zweite mit einer Nacht Arrest einhergegangen sein soll, vermitteln.
44In der Anhörung beim Bundesamt schilderte er dazu im freien Sachvortrag nur, er habe zweimal eine Aussage machen müssen. Das letzte Mal seien zwei Zivilpolizisten in seine Wohnung in D. gekommen, hätten ihn mitgenommen und eine Nacht in der Arrestzelle festgehalten. Das ist schon mehr als dürftig für solch einschneidende Ereignisse.
45Daran änderte sich auch nichts trotz wiederholter Fragen zu der ersten Aussage (wann und vor wem er diese gemacht habe, was für eine Aussage er gemacht habe und was man von ihm habe wissen wollen, wie lange die Befragung gedauert habe, wie viele Personen involviert gewesen und wie diese Personen gekleidet gewesen seien). Diese hätten freilich Anlass zu einer konkreteren Darstellung geben müssen. Dennoch blieb sein Vorbringen oberflächlich. Er schilderte lediglich, das sei in D. auf einem Polizeirevier gewesen; er sei dazu eingeladen worden; sie hätten sich auf seinen Bildungsweg bezogen und gewusst, wo er zur Schule gegangen sei; sie hätten über C. gefragt, wo er dort gewohnt habe, und über D., bei wem und wo er gewohnt und was er dort gemacht habe; es habe ca. eine Stunde gedauert; er sei von zwei in Zivil gekleideten Personen befragt worden, die Westen getragen hätten. Dieser Darstellung fehlen ersichtlich die Anschaulichkeit und der Detailreichtum, die für die Wiedergabe wirklicher Erlebnisse kennzeichnend sind.
46Nichts anderes gilt hinsichtlich der zweiten Aussage. Dazu befragt, wann, wo und vor wem die zweite Aussage stattgefunden habe, wie lange sie gedauert habe und ob man ihm einen Grund genannt habe, warum er die Nacht dort habe verbringen müssen, bekundete er nur, zwei Zivilpolizisten hätten ihn gegen Mitte April von seiner Wohnung abgeholt, ihm in D. im Polizeirevier ca. eineinhalb Stunden allgemeine Fragen gestellt; er sei eine Nacht in der Arrestzelle gewesen und habe dann gehen dürfen; zum Grund für die Übernachtung hätten sie gesagt, dass einige Prozesse durchgeführt werden müssten und er am nächsten Morgen nach Hause gehen könne. Ein anschauliches Bild, wie man es bei jemandem erwarten würde, der nach einer Befragung über Nacht festgehalten wurde und somit einer emotional belastenden Situation ausgesetzt war, entsteht daraus nicht ansatzweise.
47In der mündlichen Verhandlung bestätigte sich der Eindruck. Auf Bitte, den Ablauf der beiden Befragungen durch die Sicherheitskräfte im Einzelnen zu schildern, erläuterte der Kläger eingangs zwar, dass in D., wo er sich in einer Wohnung seiner Neffen aufgehalten habe, zwei Männer in Zivil an die Tür geklopft, ihn zu seiner Identität befragt, ihre Ausweise vorgezeigt und ihn aufgefordert hätten, mit ihnen auf die Wache zu kommen. Sodann wich er jedoch aus auf seine Zeit im Gülen-Wohnheim von 2006 bis 2010 in B.. Auf Frage des Gerichts zum Bezug zu den polizeilichen Befragungen äußerte er, in den Vernehmungen sei es um diese Thematik gegangen, und wandte sich danach unmittelbar wieder der Thematik seiner Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung zu. Das Gericht wertet dies als fortdauernden Versuch, die Beantwortung der Fragestellung zu umgehen. Die bloße Behauptung, in den polizeilichen Befragungen sei es um diese Thematik gegangen, ändert daran nichts. Denn der Kläger berichtete keinesfalls in einer Art und Weise, die sein Gespräch mit den Sicherheitsbehörden wiedergegeben hätte, sondern trug ohne jeden Bezug zu einer Vernehmung zu seiner Verbindung zur Gülen-Bewegung vor. Auf erneute Nachfrage des Gerichts zum Ablauf der Vernehmung durch die Sicherheitskräfte reagierte er nicht, sondern fuhr stur fort mit seinen weiteren Zeiten in der Gülen-Bewegung, der Entwicklung nach dem Putschversuch im Allgemeinen und den Maßnahmen gegenüber den Nutzern von Wohnheimen, Beamten und Bewerbern für den Staatsdienst. Dass er in diesem Zusammenhang seine Person betreffend anführte, die Polizei sei auf ihn zugekommen, weil man herausgefunden habe, dass er in den Wohnheimen der Gülen-Bewegung gewohnt habe, und er neun Jahre Kontakt zu der Bewegung gehabt habe, gibt nach wie vor keinen Aufschluss über den Ablauf der Vernehmungen, ebensowenig wie der Hinweis darauf, damals habe er auch zu denjenigen gehört, die sich für die Aufnahmeprüfung zum Lehramt im Staatsdienst beworben hätten. Seine inhaltliche Stellungnahme zu den Befragungen durch die Sicherheitskräfte beschränkte sich sodann darauf, sie habe diesen Zeitraum betroffen, wie er die Gülen-Bewegung kennengelernt und wie er Kontakt bekommen habe. Selbst nochmals zum Ablauf der polizeilichen Vernehmung befragt, bekundete er nur, sie hätten ihn gefragt, welche Stellung er in der Gülen-Bewegung gehabt habe, insbesondere auch im Studentenwohnheim; man habe ihm Fragen zu seiner Stellung in der Bewegung gestellt. Eine pauschalere Darstellung ist kaum denkbar.
48Der Kläger konnte weiterhin nicht nachvollziehbar erklären, woher er erfahren haben will, dass Personen ihn angezeigt haben sollen. Dazu beim Bundesamt befragt, gab er gänzlich vage an, er wisse das von seinem nahen Umfeld; er wisse aber nicht, welche Personen das gewesen seien. Sodann wich er auf von seiner Person losgelöste Ausführungen zur allgemeinen Situation dahingehend aus, es seien sehr viele Menschen angezeigt worden, weil der Präsident gesagt habe, dass Personen von der Gülen-Bewegung festgestellt werden, vom Dienst entlassen und auch bestraft werden sollten; deswegen hätten Menschen andere Leute ganz einfach anzeigen können. Eine auch nur einigermaßen konkrete Antwort auf die Frage blieb er schuldig.
49Auch dazu, woher er wisse, dass Freunde aus dem Wohnheim festgenommen und befragt worden seien und in diesem Zusammenhang seinen Namen genannt hätten, konnte er keine substantiierten Angaben machen. Er bekundete - wiederum völlig vage -, er sei in Kontakt mit seinem nahen Umfeld gewesen; die hätten das gesagt. Es folgten allgemeine Informationen dazu, im Wohnheim habe es mehr als 300 Studenten / Schüler gegeben, von denen einige festgenommen worden seien; diese Person würden dann Namen nennen; das Wohnheim sei geschlossen worden; es habe im Wohnheim bestimmte zuständige Personen gegeben, die über alle Studenten oder Schüler Bescheid gewusst, sich um sie gekümmert und deshalb Informationen über sie gehabt hätten; zwei von diesen seien festgenommen worden. Dazu, woher er diese Kenntnisse erlangt und außerdem erfahren will, dass er persönlich betroffen gewesen sein soll, beschränkte er sich anschließend auf den einen pauschalen Satz, in seinem Freundeskreis sei darüber geredet worden, dass diese beiden Personen ihre Namen angegeben hätten. Konkrete Angaben dazu, von wem er was erfahren haben will, konnte oder wollte er nicht liefern, obwohl doch zu erwarten wäre, dass sich Gespräche über für den Kläger derart wichtige Informationen hätten einprägen müssen.
50Die mündliche Verhandlung brachte ebenfalls nichts Erhellendes. Auf Bitte, konkret zu schildern, woher und wie er erfahren habe, dass er angezeigt worden sei und dass festgenommene Personen seinen Namen genannt hätten, äußerte er, sie hätten diejenigen, die in den Studentenwohnheimen gewohnt hätten, recherchiert und vorgeladen; manche von ihnen seien geständig gewesen; es gebe ja auch offizielle Eintragungen über diejenigen, die in den Heimen gewohnt und z.B. die Zeitungen abonniert hätten. Die Frage des Gerichts blieb damit unbeantwortet.
51Auf dieser Grundlage kann nur der Schluss gezogen werden, dass jegliches Vorbringen des Klägers dazu, dass er als Anhänger der Gülen-Bewegung ins Visier des türkischen Staates geraten sein will, aus asyltaktischen Gründen frei erfunden ist.
52Das Gericht konnte darüber hinaus auch nicht die Überzeugung gewinnen, dass er überhaupt Anhänger der Gülen-Bewegung gewesen wäre. Schon das offensichtlich unglaubhafte und asyltaktisch geprägte Vorbringen zum Kerngeschehen, nämlich dazu, dass er bereits in den Fokus der Sicherheitskräfte geraten sein will, gibt dem Gericht keine Grundlage, seinem Vortrag im Übrigen zu glauben. Aber auch unabhängig davon blieben seine Ausführungen unzureichend.
53Schon die Nachfrage des Gerichts zu seinen Aktivitäten in der Gülen-Bewegung über das Wohnen in den Wohnheimen hinaus konnte er nicht anschaulich beantworten. Dazu schilderte er, er habe an religiösen Versammlungen und Konferenzen sowie an sonstigen Veranstaltungen teilgenommen; man habe ihnen die Kassetten seiner Exzellenz Gülen vorgespielt; er habe an Ausflügen teilgenommen; Verantwortliche, die sie als „Abi“ in der Hierarchie bezeichnet hätten, seien in die Heime gekommen und hätten sie über religiöse Dinge sowie über die Vorbereitungskurse und die Zeitschriften unterrichtet; sie hätten Unterrichtsmaterialien bekommen und Tests für die Prüfungen seien für sie vorbereitet worden. Dieser Darstellung fehlen die Anschaulichkeit und der Detailreichtum, die für die Wiedergabe wirklicher Erlebnisse kennzeichnend sind. Die Schilderung des Klägers, die ohne jeglichen persönlichen Einschlag blieb, erweckte vielmehr den Eindruck, dass er nicht von selbst Erlebtem berichtete, sondern abstrakt angeeignetes Wissen zur Gülen-Bewegung rezitierte. Dazu passt es auch, dass seine Äußerungen durchmischt waren mit und immer wieder übergingen in von der Fragestellung losgelöste allgemeine Ausführungen dazu, dass die Gülen-Bewegung früher mit Einverständnis des Staates agiert habe und mit großem Respekt behandelt worden sei, außerdem zur Größe der Bewegung und zu ihren Leistungen im Bildungs- und Erziehungsbereich und dazu, dass sie seit Ende 2014 / Anfang 2015 als staatsfeindliche und terroristische Struktur dargestellt worden sei.
54Insofern gebietet die Anmerkung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass dieser eine Gülen-typische Terminologie verwende, keine andere Einschätzung. Denn von entsprechendem Vokabular kann der Kläger genauso anderweitig Kenntnis erlangt und es sodann bewusst gegenüber dem Gericht verwendet haben. Abstraktes Wissen hilft - wie aufgezeigt - über die unzureichende Schilderung seiner persönlichen Mitwirkung in der Bewegung gerade nicht hinweg.
55Für ein asyltaktisches Aussageverhalten spricht ferner, dass des Kläger erst später und auf ausdrückliche Nachfrage seines Prozessbevollmächtigten, ob er zum Abi aufgestiegen sei, erwähnte, das habe er in dem Sinne zwar nicht erreicht; es sei aber so gewesen, dass, wenn z.B. neue Schüler Nachhilfe gebraucht hätten, sie diese unterrichtet hätten; dann habe es geheißen, der jeweilige Schüler stehe unter der Aufsicht von diesem Abi; in diesem Sinne sei er dann schon Abi gewesen. Dabei hätte es doch mehr als nah gelegen, gerade die Wahrnehmung einer solchen Aufgabe auf die Frage des Gerichts zu seinen Aktivitäten in der Gülen-Bewegung von vornherein zu benennen. Insoweit drängt sich der Eindruck auf, dass der Kläger die Frage seines Prozessbevollmächtigten taktisch zum Anlass nahm, seine angebliche Betätigung in der Gülen-Bewegung noch „auszubauen“.
56Weiterhin fielen seine Angaben dazu, was für ihn persönlich ausschlaggebend gewesen sei, sich dort zu integrieren und mitzuwirken, nicht überzeugend aus. Er verwies zum einen auf geografische Gründe dergestalt, dass es für ihn mit Blick auf seine Herkunft die einzige Möglichkeit gewesen sei, an solche Bildungsangebote zu kommen. Dabei habe ihn insbesondere ein Lehrer namens F., den er schon zuvor in der Schule kennengelernt habe, unterstützt. Andererseits sei ausschlaggebend gewesen die Art der Bildung und, was man ihm dort an Bildung habe bieten können. In den Studentenwohnheimen und WGs habe er sich zudem sehr wohlgefühlt und es sei eine fast familiäre Atmosphäre gewesen, in der er die Lehrer kennengelernt und Freunde gefunden habe. Die genannten Gründe wirken jedoch stereotyp und das Vorbringen könnte sich so auch jeder Außenstehende ausdenken. Eine substantiierte innere Auseinandersetzung mit Einstellung und Lehre der Gülen-Bewegung in religiöser und allgemeiner Hinsicht ist darin nicht zu erblicken.
57Dieser Eindruck wird bestätigt durch sein Aussageverhalten beim Bundesamt. Dort dazu befragt, welche religiösen Einstellungen er mit der Bewegung teile, erklärte er lediglich, sie hätten ihnen über den Islam erzählt, Bücher vorgelesen und Kassetten vorgespielt. Auf erneute Nachfrage lautete seine Antwort einzig „der Islam“. Welche religiösen Inhalte ihm überhaupt vermittelt sein sollen und inwiefern er diesen zustimmt, blieb im Dunkeln. Dazu befragt, ob er die Ansichten der Gülen-Bewegung teile, bejahte er dies zwar und bekundete, wenn er die Bücher gelesen, die Kassetten angehört und den Gesprächen der Lehrer dort zugehört habe, habe er die Ansichten geteilt. Auf Nachfrage, was die Ansichten der Gülen-Bewegung seien, fiel seine Antwort jedoch dürftig aus. Zunächst erklärte er, die Bewegung erzähle über den Islam; in den Büchern würden Geschichten erzählt; sie hätten eine eigene Art der Erzählung. Das ist pauschal und vage. Sodann kam er darauf zu sprechen, dass die Gülen-Bewegung in ihren Ansichten Wert auf Bildung lege, Bildungseinrichtungen betreibe und begabte Schüler fördere. Das ist zwar für sich genommen zutreffend, aber auch allgemeinkundig und jedem Außenstehenden, der sich über die Bewegung informiert, ohne Weiteres erkennbar. Dass der Kläger sich vertieft mit den Ansichten der Gülen-Bewegung auseinandergesetzt hätte, ist daraus nicht zu ersehen, und erst recht nicht, dass er für sich persönlich eine zustimmende Meinung gebildet hätte. Darüber hilft auch sein Hinweis nicht hinweg, weil er intelligenter gewesen sei, habe er in den Einrichtungen der Gülen-Bewegung studieren dürfen und Bücher bekommen. Das ist zunächst einmal nur eine (angebliche) Tatsachenfeststellung. Zu seiner inneren Überzeugungsbildung geht daraus nichts hervor.
58Zuletzt vermochte der Kläger auch nicht anschaulich zu vermitteln, wie sein Umfeld ihm und seiner Familie gegenüber nach dem Putschversuch auf seine - nach eigenem Bekunden bekannte - Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung reagierte. Beim Bundesamt trug er vor, in seinem Umfeld hätten sie angefangen, ihn mit anderen Augen anzusehen, und sie als Volksverräter dargestellt; seine Familie und er selbst seien beschimpft worden, dass sie das Land verkauft hätten. Dazu befragt, ob ihm und seiner Familie in Bingöl über die Beschimpfungen als Verräter hinaus noch etwas passiert und ob er persönlich bedroht worden sei, führte er aus, die Menschen im nahen Bereich hätten sie beschimpft und gesagt, dass er ein Volksverräter sei; sie hätten seine Eltern dafür verantwortlich gemacht; man habe ihnen gesagt, dass sie kein Recht hätten, in diesem Land zu leben. Das ist oberflächlich, stereotyp und lässt wiederum die Anschaulichkeit und den Detailreichtum vermissen, der bei der Schilderung wirklicher Erlebnisse zu erwarten wäre. Insbesondere beschrieb der Kläger keine einzige solche Situation als konkretes Beispiel ihrem Ablauf nach und unter Nennung der Beteiligten.
59In der mündlichen Verhandlung änderte sich daran nichts. Auf Bitte, näher zu beschreiben, wie er und seine Familie allgemein unter Druck geraten seien, äußerte er, nach dem Putsch hätten die Nachbarn angefangen, seiner Familie Vorwürfe zu machen, dass er für so lange Zeit bei der Gülen-Bewegung gewesen sei und eine Gehirnwäsche erhalten habe; es sei behauptet worden, er habe sich durch den Besuch dieser Einrichtungen gegen den Staat gewandt; über die Nachbarschaft hinaus hätten das sogar die eigenen Verwandten gesagt. Das ist ebenso oberflächlich wie beim Bundesamt. Wiederum blieb er zudem die Schilderung konkreter Beispielsfälle schuldig, obwohl ihm die Benennung solcher doch insbesondere bei Differenzen auch innerhalb der Verwandtschaft hätte möglich sein müssen. Ansonsten äußerte er sich noch zur (emotionalen) Reaktion seiner Eltern und zu der aus der Situation resultierenden Angst. Dabei wiederholte er sich hinsichtlich des Vorwurfs der Gehirnwäsche und des Verrats am türkischen Staat, gegen den er sich den Vorwürfen zufolge gewandt habe, mehrfach. Ein klares und anschauliches Bild der angeblichen Drangsalierung ergibt sich daraus für das Gericht nicht ansatzweise.
602. Der Kläger hat überdies keine Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden zu befürchten. Kurden sind in der Türkei keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt.
61Vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 10.02.2020 - 24 ZB 20.30271 -, juris Rn. 6 und vom 26.10.2018 - 9 ZB 18.32678 -, juris Rn. 9; SächsOVG, Beschluss vom 09.04.2019 - 3 A 358/19.A -, juris Rn. 13; VG Berlin, Urteil vom 30.11.2021 - 37 K 16/18 A -, juris Rn. 52; VG Wiesbaden, Urteil vom 17.05.2021 - 3 K 4180/17.WI.A -, juris S. 22 ff. m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 19.03.2021 - A 18 K 2788/20 -, juris S. 18 ff.; VG Köln, Urteile vom 07.10.2020 - 22 K 1855/18.A -, juris Rn. 39 f. m.w.N. und vom 12.08.2020 - 22 K 13926/17.A -, juris Rn. 22 ff.; VG München, Beschluss vom 12.06.2020 - M 1 S 20.30514 -, juris Rn. 21 und zur Lage der Kurden allgemein Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 03.06.2021 (Stand: April 2021) S. 10 f.
62II. Weiterhin sind keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären (internationalen) Schutzes nach § 4 AsylG gegeben.
63Danach ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, wobei nach S. 2 als solcher die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (Nr. 3) gilt. Dafür ist vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nichts ersichtlich.
64III. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
651. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus der Systematik als auch der Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet aus Art. 8 EMRK, ziehen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG nach sich. In Betracht kommt damit vor allem ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK (Verbot der Folter). Hier ist aber vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Insbesondere erscheint es dem Kläger als erwachsenem und arbeitsfähigem Mann, der das Abitur erlangt und studiert hat, möglich, seinen Lebensunterhalt in der Türkei zu sichern. Ungeachtet dessen hat er Familie in der Türkei, auf deren Unterstützung er im Bedarfsfall zurückgreifen könnte.
662. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst grundsätzlich nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen, da bei allgemeinen Gefahren gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG i.V.m. § 60a AufenthG über die Gewährung von Abschiebungsschutz im Wege politischer Leitentscheidungen entschieden werden soll (Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Grundsätzlich sind das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte an diese gesetzgeberische Kompetenzentscheidung gebunden. Sie dürfen Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht besteht, nur dann im Einzelfall ausnahmsweise Schutz vor einer Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 AufenthG zusprechen, wenn eine Abschiebung Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG verletzen würde. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Ausländer im Zielstaat der Abschiebung einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, die landesweit besteht oder der der Ausländer nicht ausweichen kann.
67Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 12.07.2011 - 1 C 2.01 -, juris.
68Dafür ist vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen nichts ersichtlich.
69IV. Die Ausreiseaufforderung mit der Abschiebungsandrohung beruht auf den §§ 34 Abs. 1 und 38 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG.
70V. Schließlich ist die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 und 3 AufenthG nicht zu beanstanden. Gegen die Ermessensentscheidung des Bundesamtes, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist nach Maßgabe des sich aus § 114 Satz 1 VwGO ergebenden (eingeschränkten) Prüfungsumfangs nichts zu erinnern. Das Bundesamt hat eine Frist gewählt, die im mittleren Bereich des Fünfjahresrahmes liegt. Besondere Umstände, die eine abweichende Befristung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt den Aufenthalt zweier älterer Brüder des Klägers in Deutschland nicht zum Anlass genommen hat, eine kürzere Frist zu setzen, da diese nicht zur Kernfamilie zählen.
71Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83 b AsylG.
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