Urteil vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 K 1145/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Die Beteiligten streiten um eine Dienstzeitverkürzung des Klägers nach § 40 Abs. 7 des Soldatengesetzes (SG). Zuletzt wurde er im September 2019 zum Oberstabsgefreiten ernannt.
3Der 1990 geborene Kläger trat im April 2015 als Soldat auf Zeit in die Bundeswehr ein und verpflichtete sich als Mannschaftsdienstgrad für acht Jahre. Im August 2018 beantragte er eine Dienstzeitverlängerung auf 19 Jahre; die Beklagte bewilligte den Antrag am 28. Februar 2020 mit einem Dienstzeitende am 31. März 2034. Im Oktober 2019 wurde er auf eigenen Wunsch von nach Aachen versetzt und dort in der Ausbildungs- und Verwendungsreihe 26120 (Stabsdienst) im Ausbildungszentrum Technik Landsysteme Bereich Unterstützung als Stabsdienstsoldat Streitkräfte eingesetzt.
4Unter dem 30. Oktober 2020 beantragte er die Verkürzung der Dienstzeit auf sechs Jahre zum 31. März 2021. Als Soldat könne er seiner erkrankten Ehefrau nicht immer beistehen, die unter dem Tod ihres Vaters leide. Auch habe er die Möglichkeit, als Brandmeister der Berufsfeuerwehr in oder zu arbeiten. Zwei Einstellungsabschnitte der Ausbildung habe er bereits bestanden. Sein nächster Disziplinarvorgesetzter befürwortete das Begehren, ebenso der nächsthöhere Dienstvorgesetzte.
5In einem Vermerk des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr (Bundesamt) vom 9. Dezember 2020 ist festgehalten, dass kein dienstliches Interesse nach § 40 Abs. 7 SG für die Verkürzung der Dienstzeit vorliege. Der Dienstposten des Klägers falle nicht weg und müsse weiterhin besetzt werden. Ein Überhang in der AVR 26120 bestehe nicht, von 5916 Dienstposten seien 5136 besetzt. Auch wenn die Nachwuchsgewinnung in Aachen unproblematisch sei, rechtfertige dies im Blick auf den gesamten Zuständigkeitsbereich nicht grundsätzlich ein dienstliches Interesse. Bei der familiären Notlage des Klägers könne dieser einen Antrag auf Entlassung aufgrund besonderer Härte erwägen.
6Mit Bescheid vom 10. Dezember 2020 wurde der Antrag des Klägers vom Bundesamt zurückgewiesen. Der Kläger begründete seine fristgerecht eingelegte Beschwerde mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Februar 2021 dahingehend, dass ein Mangel in der AVR nicht nachgewiesen sei. Nach der Rechtsprechung des BVerwG und des OVG NRW sei die personalbearbeitende Stelle beweis- und darlegungspflichtig für das Vorliegen eines dienstlichen Interesses. Wenn - wie hier - der Mangel nicht nachgewiesen sei, gelte eine Beweis- und Darlegungsumkehr mit der Folge, dass ein dienstliches Interesse nicht vorliege. Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 3. März 2021 wurde die Dienstzeitverkürzung zum 31. März 2022 begehrt.
7Mit Beschwerdebescheid vom 26. März 2021, zugestellt am 6. April 2021, wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Es fehle an einem dienstlichen Interesse an der Verkürzung der Dienstzeit. Die in der Zentralen Dienstvorschrift A-1350/64 (ZDv) aufgeführten Regelbeispiele für ein dienstliches Interesse - Wegfall des Dienstpostens, Überhang im Geburtsjahr, strukturelle Änderungen - seien nicht einschlägig. Organisationsübergreifend bestehe in der AVR 26120 - Stabsdienst - nach wie vor ein erhebliches Fehl an Personal von 780 Soldaten (5136 statt 5916 Dienstposten und damit nur 87 % seien besetzt).
8Der Kläger hat am 6. Mai 2021 Klage erhoben. Er bezieht sich auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und ergänzt, zwar stünde der Bundeswehr ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung nach § 40 Abs. 7 SG zu. Gleichwohl dürfe das Verfahren nicht willkürlich sein. Es fehlten nachvollziehbare Belege für die angebliche Mangel-AVR 26120-Stabsdienst S3/S3. Deshalb trage die Beklagte die Beweislast. Insoweit könne auf ein Urteil des OVG NRW vom 8. Juni 2010 - 1 A 2859/07 - verwiesen werden, welches eine fiktive Laufbahnnachzeichnung betroffen habe und das Gericht der Beklagten die Beweislast auferlegt habe. Auch sei nicht erkennbar, dass die militärische Gleichstellungsbeauftragte den besagten Vermerk mitgezeichnet habe, dieser trage zudem keine Unterschrift. Insgesamt habe er einen Neubescheidungsanspruch.
9Der Kläger beantragt sinngemäß,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 10. Dezember 2020 in der Gestalt dessen Beschwerdebescheides vom 26. März 2021 zu verpflichten, seinen Antrag auf Dienstzeitverkürzung nach § 40 Abs. 7 SG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
11sowie die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden und ergänzt, ausschließlich dienstliche Interessen seien für die Dienstzeitverkürzung maßgeblich. Persönliche Belange des Klägers könnten keinen Ausschlag geben. Deshalb habe man aus Fürsorgegründen auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 55 Abs. 3 SG verwiesen. Ein dienstliches Interesse bestehe nicht, weil die AVR des Klägers einen erheblichen Personalmangel aufweise, 780 von 5916 Dienstposten seien zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschwerdebescheides nicht besetzt gewesen. Nicht der konkrete Standort Aachen, sondern die Gesamtheit aller Dienstposten sei entscheidend; ein erheblicher Bedarf an Stabsdienstsoldaten bestehe im süddeutschen Raum. Von einer willkürlichen Ablehnung könne daher keine Rede sein. Die Gleichstellungsbeauftrage habe per Mail vom 9. Dezember 2020 den Vorgang mitgetragen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
17Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, vgl. § 101 Abs. 2 VwGO.
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der Bescheid des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 10. Dezember 2020 in der Gestalt dessen Beschwerdebescheides vom 26. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Dienstzeitverkürzung nach § 40 Abs. 7 SG.
20Ob die Dienstzeit des Klägers verkürzt werden kann, ist nach § 40 Abs. 7 Satz 1 SG zu beurteilen. Hiernach kann die Dienstzeit eines Soldaten auf Zeit auf dessen Antrag verkürzt werden, wenn dies im dienstlichen Interesse liegt. Voraussetzung für die Verkürzung der Dienstzeit ist daher ausschließlich, dass diese den Belangen der Bundeswehr dient. Bei der Beurteilung dieser Frage steht der zuständigen personalbewirtschaftenden Stelle der Bundeswehr ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu; denn was im originären dienstlichen Interesse der Bundeswehr liegt, kann letztlich nur diese selbst beurteilen.
21Vgl. VG München, Urteil vom 29. Januar 2020 - M 21a K 18.3014 -, juris, Rn. 18; VG Aachen, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 1 L 875/14 -, juris, Rn. 20; VG Augsburg, Urteil vom 13. Februar 2014 - Au 2 K 13.48 - juris, Rn. 17.
22Mit der Regelung des § 40 Abs. 7 Satz 1 SG hat der Gesetzgeber die Bundeswehr ermächtigt, auf Antrag des Soldaten und zu ausschließlich dienstlichen Zwecken in das Dienstverhältnis des Soldaten auf Zeit einzugreifen und die festgesetzte Dienstzeit abzukürzen. Die Regelung soll einerseits dem objektiven Interesse an einer Reduzierung der Personalstärke der Streitkräfte dienen, wobei aber eine dienstgrad- und altersgerechte Personalstruktur der Bundeswehr gewahrt bleiben muss; andererseits soll das Ausscheiden qualifizierten Personals verhindert und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte aufrechterhalten werden. Dagegen dient § 40 Abs. 7 Satz 1 SG nicht dem individuellen Interesse des jeweiligen Soldaten und gewährt diesem somit kein subjektiv-öffentliches Recht auf Verkürzung seiner Dienstzeit. In die Entscheidung über den Verkürzungsantrag sind daher die persönlichen Interessen des Zeitsoldaten nicht einzustellen. Nach der Systematik des Soldatengesetzes können persönliche Interessen des Soldaten an einem vorzeitigen Ausscheiden aus der Bundeswehr nur im Rahmen einer Entlassung auf eigenen Antrag nach § 55 Abs. 3 SG berücksichtigt werden.
23Vgl. VG München, Urteil vom 29. Januar 2020 - M 21a K 18.3014 -, a.a.O., Rn. 19, m.w.N.; Sohm in HK-SG, 4. Auflage 2020, § 40 Rn. 47.
24Weil die Entscheidung der Bundeswehr jedoch mit einer Umgestaltung des subjektiven Rechtsstatus des Soldaten auf Zeit verbunden wäre, hat der Kläger jedenfalls Anspruch darauf, dass über seinen Antrag nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen in einem ordnungsgemäßen, an den gesetzlichen Vorgaben ausgerichteten Verfahren ohne Willkür entschieden wird. Die Gewährleistung von Rechtsschutz ist daher auf den Schutz vor einer willkürlichen Entscheidung der Bundeswehr beschränkt.
25Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 6 ZB 20.577 -, juris, Rn. 4, m.w.N.
26Zusätzlich unterliegt der Kläger als Soldat auf Zeit der Zentralen Dienstvorschrift „Verkürzung der Dienstzeit, Umwandlung des Dienstverhältnisses“ (ZDv A-1350/64). Nach Nr. 201 ZDv A-1350/64 ist Dienstzeitverkürzung oder Umwandlung nur im dienstlichen Interesse möglich. Dieses kann hiernach zum Beispiel vorliegen, wenn der Dienstposten des Antragstellers wegfällt und strukturelle oder sonstige Gesichtspunkte einem Verwendungswechsel entgegenstehen, die bestimmende Qualifikation der bisherigen Verwendung des Soldaten auf Zeit nicht mehr benötigt wird, im jeweiligen Geburtsjahrgang Überhang besteht oder der Soldat auf Zeit auf einer Planstelle z.b.V. geführt wird. Ein Anspruch auf Dienstzeitverkürzung oder Umwandlung besteht nach der besagten ZDv nicht.
27Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich vorliegend nicht feststellen, dass die Beklagte ihrer Entscheidung sachfremde Erwägungen zu Grunde gelegt und damit willkürlich entschieden hätte. Für das dienstliche Interesse kommt es hierbei nicht auf die Personalstruktur an dem Standort des Klägers in Aachen an, sondern das dienstliche Interesse der Bundeswehr ist schon aufgrund des Verteidigungsauftrages aus Art. 87a GG bundesweit zu würdigen. Denn ob ein Bedarf an der Dienstleistung einzelner Zeitsoldaten besteht, ist ausschließlich von der hierfür zuständigen Stelle, dem Bundesamt, zu beurteilen, welches allein in der Lage ist, die Gesamtpersonallage einzuschätzen und den zukünftigen Bedarf an Soldaten zu prognostizieren. Nur das Bundesamt kann die überörtliche Personallage und den Gesamtbedarf an Personal im Blick haben; die jeweilige Personallage am einzelnen Standort ist nicht ausschlaggebend.
28Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 6 ZB 20.577 -, a.a.O., Rn. 5.
29Danach wird im Ausgangs- bzw. Beschwerdebescheid nachvollziehbar dargelegt und im Schriftsatz vom 25. Januar 2022 mittels Anlage bestätigt, dass im Bereich der AVR 26120 - Stabsdienst - nach wie vor ein erhebliches Fehl an Personal von 780 Soldaten (5136 statt 5916 Dienstposten und damit nur 87 % seien besetzt) besteht. Dies genügt, um ein dienstliches Interesse der Bundeswehr an der Verkürzung der Dienstzeit des Klägers zu verneinen. Denn es liegt auf der Hand, dass die Bundeswehr auf die Dienste eines Zeitsoldaten, dessen Arbeitskraft sie weiterhin benötigt, nur unter Zurückstellung eigener dienstlicher Interessen verzichten könnte. Diese Darstellung der Beklagten hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen. Er hat lediglich Ausführungen zur Situation an seinem Standort gemacht. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Beklagte im Ausgangs- bzw. Beschwerdebescheid – wie der Kläger behaupten lässt – von anderer Personalbesetzung als der Tatsächlichen ausgegangen sei, ändert dies folglich nichts daran, dass vorliegend kein dienstliches Interesse für die Dienstzeitverkürzung im Sinne des § 40 Abs. 7 Satz 1 SG erkennbar ist. Schließlich deckt sich die Entscheidung der Beklagten auch mit den in Nr. 201 ZDv A-1350/64 aufgestellten Grundsätzen der Dienstzeitverkürzung. Sämtliche der dort beispielsweise aufgezählten Gründe für das Vorliegen eines dienstlichen Interesses sind vorliegend weder vorgetragen noch einschlägig.
30Da § 40 Abs. 7 Satz 1 SG, wie ausgeführt, nicht dem individuellen Interesse des jeweiligen Soldaten dient, bleiben die familiären und beruflichen Belange des Klägers - die Erkrankung der Ehefrau, die Möglichkeit, in den Feuerwehrdienst zu wechseln - für das Vorliegen eines dienstlichen Interesses der Bundeswehr ohne Belang. Einen eigenen Antrag auf Entlassung hat der Kläger nach Aktenlage (noch) nicht gestellt.
31Dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung kein Ermessen ausgeübt hat, kann nicht beanstandet werden. Ein Ermessen kann im Rahmen von § 40 Abs. 7 Satz 1 SG erst dann betätigt werden, wenn die tatbestandliche Voraussetzung des dienstlichen Interesses an der Verkürzung der Dienstzeit vorliegt; anderenfalls muss - wie hier - der Antrag des Soldaten zwingend abgelehnt werden, ohne dass es zu einer Ermessensausübung kommen kann.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels positiver Kostengrundentscheidung bedarf es keines Ausspruchs zu § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
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Referenzen
- Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 1 L 875/14 1x
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- VwGO § 162 1x
- 1 A 2859/07 1x (nicht zugeordnet)
- SG § 40 Begründung des Dienstverhältnisses eines Soldaten auf Zeit 10x