Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 10 L 176/22
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,‑‑ € festgesetzt.
1
G r ü n d e:
2A. Der sinngemäß gestellte Antrag,
3den Antragsgegner zu verpflichten, auf der Kreisstraße 00 in Höhe des Guts B. vorläufig bis zur Entscheidung im Klageverfahren 10 K 569/22 in beiden Fahrtrichtungen eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h durch das Verkehrszeichen 274 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO anzuordnen,
4ist zulässig, aber unbegründet.
5I. Der Antrag ist zulässig.
6Die Antragsteller sind insbesondere analog § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) antragsbefugt, weil sie die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte geltend machen.
7Voraussetzung eines Anspruchs auf verkehrsregelndes Einschreiten ist, dass die Verletzung geschützter Individualinteressen in Betracht kommt.
8Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 4. Juni 1986 – 7 C 76.84 –, juris, Rn. 10.
9Der Antragsteller zu 2. und die Antragstellerin zu 3. können als Eigentümer und Bewohner des an die Kreisstraße 00 (K00) unmittelbar angrenzenden Gutes B. geltend machen, durch die fehlende Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung in ihren Rechten verletzt zu sein. Darüber hinaus erscheint auch die Verletzung geschützter Individualinteressen der Antragstellerin zu 1., die als juristische Personen aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit grundsätzlich ebenfalls durch verkehrsrechtliche Anordnungen in ihrem Rechtskreis betroffen sein kann,
10vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2006 – 3 B 181.05 –, juris, Rn. 5; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 29. September 2021 – 8 B 188/21 –, juris, Rn. 10,
11mit Blick auf den von ihr vorgetragenen Konflikt zwischen dem an ihrem Betriebsgelände vorbeifahrenden Verkehr und dem auf ihren Betrieb zurückzuführenden Verkehrsaufkommen zumindest möglich.
12Nach im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lediglich gebotener summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage verfügen der Antragsteller zu 2. und die Antragstellerin zu 3. auch über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, obwohl sie vor Anrufung des Gerichts keinen entsprechenden Antrag bei dem Antragsgegner gestellt haben. Der Antrag vom 25. Mai 2021 wurde lediglich von der Antragstellerin zu 1. gestellt und dementsprechend von dem Antragsgegner mit Bescheid vom 10. Februar 2022 (nur) ihr gegenüber ablehnend beschieden. Vorliegend kann jedoch vor dem Hintergrund der Ablehnungsbegründung des Antragsgegners davon ausgegangen werden, dass ein entsprechender Antrag des Antragstellers zu 2. und der Antragstellerin zu 3. ebenfalls erfolglos geblieben wäre.
13II. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
14Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch) und die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund), wobei der Antragsteller die Tatsachen, die Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zugrunde liegen, glaubhaft machen muss, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Dies bedeutet, dass er die behaupteten, Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund begründenden Tatsachen so darlegen muss, dass das Gericht von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgehen kann.
15Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 2 BvR 311/03 –, juris, Rn. 16; Schoch, in: ders./Schneider, 41. EL Juli 2021, VwGO, § 123 Rn. 94.
16Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
17Die Antragsteller haben bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
18Grundsätzlich mögliche Grundlage für einen Anspruch auf Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung ist § 45 Abs. 1 StVO i.V.m. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Ein Anspruch auf verkehrsrechtliche Anordnungen besteht jedoch nur unter den weiteren qualifizierten Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 StVO. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Nach Satz 2 dürfen Gefahrenzeichen dabei nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mir ihr rechnen muss. Nach Satz 3 dürfen – vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Ausnahmen nach Satz 4 bis 6 – insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.
19§ 45 Abs. 1 StVO i.V.m. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des fließenden Verkehrs somit eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage voraus. Diese muss – erstens – auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen sein und – zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie privates Sacheigentum) erheblich übersteigen. Die für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs erforderliche Gefahrenlage kann sich aus einer Gemengelage verschiedener Faktoren ergeben. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können insbesondere in der Übersichtlichkeit der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Sie liegen in Bezug auf Geschwindigkeitsbeschränkungen etwa dann vor, wenn eine Bundesautobahn den Charakter einer innerstädtischen Schnellstraße angenommen hat, bei der unterschiedliche Verkehrsströme zusammengeführt oder getrennt werden und wo deshalb eine erhöhte Unfallgefahr gegeben sein kann, oder wenn der Streckenverlauf durch eng aufeinanderfolgende Autobahnkreuze oder ‑dreiecke und eine Vielzahl von sonstigen Ab- und Zufahrten geprägt wird. Neben diesen auf die Streckenführung bezogenen Faktoren kann die Verkehrsbelastung relevant sein, wie etwa der durchschnittliche Tagesverkehr oder ein überproportional hoher Anteil des Schwerlastverkehrs. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vermehrter Schadensfälle wird sich in der konkreten Situation kaum je dartun lassen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es bei Verkehrsbeschränkungen und -verboten im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO regelmäßig um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und bedeutende Sachwerte geht. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts ist jedoch, wenn derart hochrangige Rechtsgüter betroffen sind, ein behördliches Einschreiten bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit wird daher von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht gefordert. Die Vorschrift setzt nur – aber immerhin – eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht.
20Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. September 2010 – 3 C 32.09 –, juris, Rn. 19 ff., und – 3 C 37.09 –, juris, Rn. 24 ff., sowie Beschluss vom 23. April 2013 – 3 B 59.12 –, juris, Rn. 9 (zur Gemengelage); OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2019 – 8 A 10/17 –, juris, Rn. 27.
21Eine konkrete Gefahr im Straßenverkehrsrecht erfordert somit die Gefährlichkeit einer bestimmten Strecke. Das bedeutet, dass sich aus einer konkreten Situation, Lage oder Bauweise einer Straße ergeben muss, dass sie für die Verkehrsteilnehmenden (oder für Anliegerinnen und Anlieger) über den Normalfall hinausgehende Gefahren birgt.
22Vgl. Rebler, in: Lütkes/Bachmeier/Müller/Rebler, Großkommentar zum Straßenverkehrsrecht, 352. EL März 2022, § 45 StVO, Rn. 7.
23Gemessen an dem Vorstehenden scheidet ein Anordnungsanspruch bereits deswegen aus, weil das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 45 Abs. 1 StVO i.V.m. § 45 Abs. 9 StVO nicht glaubhaft gemacht ist.
24Die geforderte Herabsetzung der nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von maximal 100 km/h auf 50 km/h mittels eines entsprechenden Verkehrszeichens (vgl. § 45 Abs. 4 StVO) stellt eine Beschränkung des fließenden Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dar. Eine hierfür erforderliche qualifizierte konkrete Gefahrenlage lässt sich nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht feststellen.
25Weder aus dem Streckenverlauf noch aus dem Ausbauzustand der Straße ergibt sich vorliegend eine Gefährlichkeit der Strecke. Bei dem hier in Rede stehenden Abschnitt der K00 zwischen der Bundesstraße 01 (B01) und der Kreisstraße 02 (K02) in Höhe des Gutes B. handelt es sich um eine überwiegend gerade verlaufende Straße mit zwei Fahrstreifen, die in Fahrtrichtung C. von der B01 kommend rund 250 Meter vor dem Gut B. eine leichte, lang gezogene Kurve nach links nimmt und dann ab Höhe der Ein- und Ausfahrt des Gut B. wieder in gerader Strecke weiter verläuft, bis sie nach mehreren hundert Metern in einer Rechtskurve mündet, in der die K02 auf die K00 trifft. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Streckenverlauf zum schnellen Fahren verleitet; dies stellt jedoch im Vergleich zu anderen gut ausgebauten, unbeschränkten Kreisstraßen keine örtliche Besonderheit dar. Es handelt sich um eine übersichtliche Strecke, die nicht bereits aufgrund ihrer Bauweise über den Normalfall einer unbeschränkten Kreisstraße hinausgehende Gefahren birgt. Insbesondere besteht an der Ausfahrt des Gutes B. nach der vom Antragsgegner in Bezug genommenen, unwidersprochen gebliebenen Stellungnahme der Kreispolizeibehörde F. vom 18. Oktober 2021 eine uneingeschränkte Sicht in Richtung C. (K33) und eine ausreichende Sicht in Richtung D. (B01) mit etwa 250 Metern Sichtweite, sodass derzeit alles dafür spricht, dass sowohl eine Einfahrt auf die Straße als auch ein Abbiegen auf das Grundstück ohne eigene Gefährdung oder eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmender möglich ist.
26Eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung relevanter Rechtsgüter erheblich übersteigt, ergibt sich nach summarischer Prüfung auch nicht aus einer auf der Strecke anzutreffenden Verkehrsbelastung und daraus resultierender Unfallzahlen oder einer besonderen Unfallanfälligkeit der Strecke.
27Sofern sich die Antragsteller auf das mit ihrem Betrieb verbundene Verkehrsaufkommen berufen, ist dieses für sich genommen nicht geeignet, eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage zu begründen. Zwar erscheint es für das Gericht nicht ausgeschlossen, dass es infolge einer Straßenquerung langsamer Fahrzeuge bei Missachtung der Straßenverkehrsregeln durch andere Verkehrsteilnehmende zu Konfliktsituationen kommen kann. Eine das allgemeine Risiko des Straßenverkehrs im landwirtschaftlich genutzten Raum außerhalb geschlossener Ortschaften, in dem es regelmäßig zu einem gemischten Verkehr langsamer und schneller Fahrzeuge kommt, deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts folgt hieraus aber noch nicht. Im Übrigen legt ein Vergleich der von dem Antragsgegner im August 2021 ermittelten durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke (DTV) von 2235 (Fahrtrichtung C.) bzw. 2106 (Fahrtrichtung D.) Kraftfahrzeugen pro Tag mit den Daten des Landesbetriebs Straßenbau Nordrhein-Westfalen, wonach die Verkehrszählung im Jahr 2015 auf dem Abschnitt 2,2 der K00 eine DTV von 5161 Kraftfahrzeugen pro Tag (davon eine Schwerlastverkehrsstärke von 478 Fahrzeugen/Tag) ergab, auch unter Berücksichtigung der während der Verkehrsmessung anfangs noch andauernden Sommerferien nahe, dass entsprechend dem – unwidersprochen gebliebenen – Vortrag des Antragsgegners auf der K00 tatsächlich eine Verkehrsberuhigung im Vergleich zu den Vorjahren eingetreten ist. Die im August 2021 ermittelte DTV erscheint für sich genommen auch nicht derart hoch, dass allein hieraus eine Gefahrenlage erwachsen könnte; gleiches gilt für den von dem Antragsgegner ermittelten Schwerverkehrsanteil von lediglich 6 %. Jedenfalls aber haben die Antragsteller nicht dargetan, dass bzw. inwiefern mit dem durch den …betrieb verursachten Verkehrsaufkommen langsamer Schleppfahrzeuge – trotz der Übersichtlichkeit der Strecke– eine erhöhte Gefährlichkeit aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse einhergehen soll. Sofern sich die Antragsteller weiter darauf berufen, dass es "ständig … zu Verkehrsunfällen" komme, bleibt dieser Vortrag gänzlich unkonkret. Die Antragsteller haben keinen einzigen der sich angeblich fortlaufend ereignenden Unfälle näher beschrieben. Die ohne Angaben von Einzelheiten vorgenommene bloße Auflistung von Unfalldaten, die sich überdies auf lediglich 12 Unfallereignisse in einem Zeitraum von mehr als 23 Jahren beschränken (davon in den letzten fünf Jahren lediglich drei Unfälle, der letzte vor mehr als eineinhalb Jahren), ist zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags nicht geeignet. Gleiches gilt für die pauschale eidesstattliche Versicherung der Antragsteller, wonach sich fortlaufend, auch unter Einbeziehung ihrer Fahrzeuge, insbesondere solcher des …betriebs, Unfälle ereigneten. Die Antragsteller haben keinen Unfall konkret benannt, der sich unter Einbeziehung ihrer Fahrzeuge ereignet haben soll.
28Gegen eine besondere Unfallanfälligkeit der Strecke spricht vielmehr die Stellungnahme der Kreispolizeibehörde F. im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mit Schreiben vom 18. Oktober 2021, wonach an der K00 in B. kein unfallauffälliger Bereich vorliege. Zwar lässt sich der Verwaltungsakte entnehmen, dass sich im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2021 auf dem Abschnitt 2,2 der K00 insgesamt fünf Unfälle ereignet haben. Diese betrafen jedoch, wie der Antragsgegner mit Schreiben vom 31. März 2022 auf Nachfrage des Gerichts klargestellt hat, nicht den hier in Rede stehenden Abschnitt in Höhe des Gutes B. Für das Gericht ist nach summarischer Prüfung darüber hinaus insbesondere nicht feststellbar, dass auch nur einer dieser registrierten Unfälle, bei denen es sich ausweislich des Verwaltungsvorgangs um zwei Alleinunfälle, einen Wildunfall, einen Unfall in Folge der Nichtbeachtung eines die Vorfahrt regelnden Verkehrszeichens durch einen Fahrradfahrer sowie einen Unfall aufgrund eines Überholvorgangs ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs gehandelt hat, geschwindigkeitsbedingt erfolgte. Eine konkrete Gefahr, die im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht, kann aus diesen Unfällen allein daher nicht geschlossen werden.
29Eine qualifizierte konkrete Gefahrenlage ergibt sich ferner nicht aus häufigen Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der K00 in Höhe des Gutes B.. Zwar hat die Verkehrsmessung des Antragsgegners vom 13. bis 20. August 2021 ergeben, dass in Fahrtrichtung C. bei 19 % der insgesamt gemessenen 15.757 Fahrzeuge und in Fahrtrichtung D. bei 10 % der insgesamt gemessenen 14.847 Fahrzeuge eine Geschwindigkeitsübertretung vorlag. Die "85 %-Geschwindigkeit" (V85), d.h. die Geschwindigkeit, die von 85 % aller Fahrenden eingehalten wird, lag dabei in Fahrtrichtung C. bei 102 km/h und in Fahrtrichtung D. bei 97 km/h. Ein Anspruch der Antragsteller auf Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung folgt daraus nicht. Vielmehr legt das Ergebnis unter Einbeziehung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) zum Zeichen 274 (Zulässige Höchstgeschwindigkeit) für sich genommen nahe, dass – ohne Hinzutreten anderer Faktoren – eine besondere Gefahrenlage infolge häufiger Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht anzunehmen ist. Nach Nummer I Rn. 1 Satz 4 der VwV-StVO zu Zeichen 274 können sich Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen im Einzelfall empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden. Nach Nummer II Rn. 2 der VwV-StVO zu Zeichen 274 soll bei Geschwindigkeitsbeschränkungen auf bestimmten Streckenarten (Kurven, Gefällstrecken) für die Festlegung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit diejenige Geschwindigkeit maßgeblich sein, die vorher von 85 % der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde. Vorliegend wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit in beiden Fahrtrichtungen bereits von im Durchschnitt rund 85 % der Fahrzeugführer eingehalten, womit nach der VwV-StVO eine sicherheitsbedingte Notwendigkeit für eine Geschwindigkeitsbegrenzung aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten von Verkehrsteilnehmenden nicht besteht. Zwar haben sich im Zeitraum der Messung damit rund 15 % aller Fahrzeugführer in Höhe des Gutes B. nicht an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit gehalten. Der Dokumentation der Verkehrsmessung des Antragsgegners lässt sich insofern entnehmen, dass teilweise erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen mit Geschwindigkeiten von 183 km/h (Fahrtrichtung C.) bzw. 171 km/h (Fahrtrichtung D.) festgestellt wurden, die jeweils mit zwei Punkten, einem Fahrverbot von drei Monaten und einem Bußgeld von 700 Euro zu bewerten sind (vgl. Ziffer 2.2.3 der Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung i. V. m. Ziffer 11.3.10 der Tabelle 1 lit. c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zur Bußgeldkatalog-Verordnung). Geschwindigkeitsüberschreitungen durch andere Verkehrsteilnehmende stellen jedoch – ebenso wie anderes verkehrsrechtswidriges rücksichtloses Verhalten – zwar Rechtsverstöße dar, begründen für sich genommen aber keine konkrete Gefahr für die von § 45 StVO geschützten Individualinteressen und somit keinen Anspruch der Antragsteller auf Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h. Denn verkehrsrechtswidriges Verhalten von Verkehrsteilnehmenden beruht regelmäßig nicht auf örtlichen Besonderheiten.
30Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18. März 2022 – 11 ZB 21.585 –, juris, Rn. 24; unter Hinweis auf König, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 45 StVO, Rn. 28a.
31Insofern obliegt es dem Antragsgegner, für die Durchsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch entsprechende Maßnahmen der Verkehrsüberwachung zu sorgen. Eine hieraus resultierende, auf den besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende, qualifizierte Gefahrenlage lässt sich dem jedoch nicht entnehmen.
32Sofern sich die Antragsteller im Übrigen auf einen geringen Abstand zwischen Gut und Straße sowie eine Bushaltestelle berufen, ist der Vortrag bereits mangels jeglicher Substantiierung nicht geeignet, die Annahme einer besonderen qualifizierten Gefahrenlage zu begründen.
33Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
34B. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wegen der Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens wird der Auffangwert auf die Hälfte reduziert (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).
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