Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Aachen - 5 K 1420/22.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Prozessbevollmächtigte trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Prozessbevollmächtigte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d:
2Die am 00.00.2007 in Syrien geborene Klägerin verließ ihr Heimatland im Mai 2021 und reiste am 28. Juli 2021 als unbegleitete Minderjährige in die Bundesrepublik Deutschland ein. Da der Vater der Klägerin seit 2011 in Syrien als vermisst gilt und die Mutter sowie zwei jüngere Geschwister - ein Bruder und eine Schwester - weiter in Syrien leben, stellte das Familiengericht mit Beschluss vom 11. August 2021 (Amtsgericht Erkelenz - 20 F 184/21) das Ruhen der elterlichen Sorge fest und ordnete die Vormundschaft an. Zum Vormund wurde zunächst der Onkel und Bruder des Vaters der Klägerin bestellt, in dessen Haushalt die Klägerin lebt. Dem - damaligen - Vormund der Klägerin sowie der Ehefrau des Vormunds und den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern war mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 25. November 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden.
3Am 14. September 2021 stellte die Klägerin, vertreten durch ihren Vormund beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag; am 18. Oktober 2021 wurde die Klägerin zu ihren Asylgründen angehört.
4Mit Beschluss vom 5. April 2022 entließ das Familiengericht auf Antrag des Jugendamtes den Onkel der Klägerin aus der Bestellung zum Vormund und bestellte als neue Vormundin Frau A. B. als Mitarbeiterin des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer e.V. (Amtsgericht Erkelenz, 20 F 308/21). Das Jugendamt hatte den Antrag mit der Besorgnis einer Interessenkollision des Vormundes, die mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbare wäre, begründet; aufgrund einer Mitteilung der in der Familie eingesetzten Familienhelferin sei davon auszugehen, dass der Vormund beabsichtige die minderjährige Klägerin mit einem seiner Söhne nach islamischem Recht zu verheiraten; weiter habe der Vormund dem Jugendhilfeträger mitgeteilt, dass er künftig die gewährte Familienhilfe ablehnen wolle. Der Onkel der Klägerin erklärte, es habe zu keiner Zeit die Absicht bestanden, die Klägerin zu verheiraten. Das Familiengericht zeigte sich u.a. aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Einlassung des Onkels unzutreffend und daher eine Gefährdung der Interessen der Minderjährigen möglich sei.
5Mit Bescheid vom 1. Juni 2022, der Vormundin am 10. Juni 2022 zugestellt, erkannte das Bundesamt der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.
6Mit am 23. Juni 2022 eingegangenem Schriftsatz hat der Rechtsanwalt G. "Namens und im Auftrag der Klägerin" Klage mit dem Begehren der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerin (sog. Aufstockungsklage) erhoben. Die für die Klägerin angeordnete Vormundschaft erwähnte er nicht; eine Prozessvollmacht war nicht beigefügt.
7Am 24. Juni 2022 hat die Vormundin für die Klägerin ebenfalls eine Aufstockungsklage (anhängig unter dem Az. 5 K 1422/22.A) erhoben.
8Der Rechtsanwalt beantragt sinngemäß,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1. Juni 2022 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 des Asylgesetzes zuzuerkennen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie vertritt die Auffassung, es liege eine doppelte Rechtshängigkeit vor.
13Das Gericht hat den Rechtsanwalt unter Hinweis auf die angeordnete Vormundschaft und die von der Vormundin erhobene Klage wiederholt um Übersendung einer Prozessvollmacht gebeten. Weiter hat das Gericht dem Rechtsanwalt die im Verfahren 5 K 1433/22.A eingeholte Auskunft der Vormundin mit der Bitte um Stellungnahme übermittelt. Eine Reaktion ist nicht erfolgt.
14Die Kammer hat mit Beschluss vom 11. August 2022 das Verfahren auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
15Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (E1 bis E3) und der beigezogenen Gerichtsakte 5 K 1433/22.A.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
17Die Einzelrichterin kann über die vorliegende Klage durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beteiligten sind gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorher gehört worden.
18Die Klage ist unzulässig.
19Der für die Klägerin als Prozessbevollmächtigter auftretende Rechtsanwalt hat seine Bevollmächtigung trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung nicht durch eine wirksam erteilte schriftliche Vollmacht nachgewiesen.
20Nach § 67 Abs. 6 VwGO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen (Satz 1). Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen (Satz 2). Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden (Satz 3). Nach Satz 4 hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Diese Vorschrift hindert das Gericht vorliegend allerdings nicht, das Fehlen der Vollmacht ohne entsprechende Rüge der Beklagten zu berücksichtigen. Denn die Regelung lässt nur die Pflicht, nicht jedoch auch die Befugnis, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen, entfallen. Geben besondere Gründe Anlass am Bestehen einer Vollmacht zu Zweifeln, darf das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen berücksichtigen, wenn der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung keine Vollmacht nachreicht.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2011 - 8 A 1/10 -, juris Rn 16
22Hier bestehen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht nur Zweifel am Bestehen einer Vollmacht, sondern es steht aufgrund der Erklärung der Vormundin vom 18. Juli 2022 zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Rechtsanwalt nicht wirksam bevollmächtigt ist. Die Vollmacht hätte im Zeitpunkt der Klageerhebung durch den Rechtsanwalt am 23. Juni 2022 nur von der bereits am 5. April 2022 für die Klägerin bestellten Vormundin erteilt werden können. Diese hat jedoch ausgeführt, dass sie Rechtsanwalt G. weder eine Vollmacht noch einen Auftrag zur Klageerhebung erteilt habe; es sei ihr allerdings bekannt, dass der Onkel ihres Mündels Kontakt mit der Kanzlei G. gehabt und den Wunsch geäußert habe, Rechtsanwalt G. zu beauftragen; sie habe dies gegenüber dem Onkel jedoch ausdrücklich abgelehnt; es sei noch nicht abschließend geklärt, ob ein Anwalt beauftragt werde.
23Nach dieser Einlassung steht auch fest, dass eine nachträgliche Genehmigung der Klageerhebung und Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes nicht in Rede steht.
24Einer zusätzlichen ausdrücklichen Fristsetzung des Gerichts nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 VwGO bedurfte es mit Blick auf diese Umstände nicht,
25vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1985 - 9 C 105/84 -, juris Rn 8, wonach es sich um eine Kann-Bestimmung handelt und das Ob einer Fristsetzung im richterlichen Ermessen liegt,
26zumal dem Rechtsanwalt zuletzt unter Fristsetzung von einer Woche ab Zustellung der Anhörung zum Gerichtsbescheid nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war.
27Die Kosten des Verfahrens sind entsprechend § 173 Satz 1 VwGO, § 89 Abs. 1 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 179 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dem für die Klägerin auftretenden Rechtsanwalt als vollmachtloser Vertreter aufzuerlegen, da er die Kosten des erfolglosen Verfahrens veranlasst hat.
28Vgl. zur Kostentragungspflicht des vollmachtlosen Vertreters: BVerwG, Beschluss vom 25. September 2006 - 8 KSt 1/06 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24. April 2017 - 4 A 879/14 -, juris Rn 24.
29Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
- VwGO § 84 1x
- VwGO § 67 1x
- 8 KSt 1/06 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 5 K 1433/22 2x (nicht zugeordnet)
- 20 F 184/21 1x (nicht zugeordnet)
- 8 A 1/10 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 20 F 308/21 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 879/14 1x (nicht zugeordnet)
- 9 C 105/84 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- 5 K 1422/22 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 173 1x