Urteil vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 8 K 1522/11
Tenor
Es wird festgestellt, dass es sich bei der durch das Grundstück I. in X1. des Klägers verlaufenden Ent- wässerungsleitung um einen öffentlichen Kanal handelt.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers je zur Hälfte; im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die rechtliche Einordnung eines Entwässerungskanals. Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks I. , das nördlich der hier im Wesentlichen von Westen nach Osten verlaufenden Straße "I. " liegt. Das Wohnhaus des Klägers sowie die Objekte I. 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15 und 19 leiten das auf diesen Grundstücken anfallende Abwasser derzeit in einen Kanal, der auf dem Grundstück "I. " seinen Anfang nimmt, sodann parallel zur Straße hinter und teilweise unter den Gebäuden bis zum Grundstück "I. " verläuft, unmittelbar ostwärts dieses Grundstücks nach Nordosten abknickt und über das Grundstücke N1. X2. der Beigeladenen einen Abwasserkanal im N1. X2. erreicht. Auf die hier eingedruckte Karte (Quelle: GEO-Server NRW) wird ergänzend Bezug genommen.
3Für keines der von der Kanaltrasse in Anspruch genommenen Grundstücke finden sich auf den betreffenden Grundbuchblättern Eintragungen über ein Durchleitungsrecht. Die Umstände, unter denen es zu der Herstellung des Kanals kam, sind nicht in allen Einzelheiten geklärt. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten zeichnen folgendes Bild:
4Mit Schreiben vom 8. Mai 1947 wandten sich mehrere "Bewohner des unteren I. " an die "Stadtverwaltung der Stadt X1. " und beantragten die "Legung einer Kanalisation". Es wurde vorgeschlagen, dass "jeder Anlieger bzw. Besitzer des Grundstückes die Ausschachtarbeiten der Kanalisation selbst durchführen müsste, wo hingegen die Stadt X1. das Rohrleitungsmaterial sowie Verlegen derselben nur noch durchzuführen hätte". Das Schreiben trug insgesamt acht Unterschriften, darunter diejenige eines Rechtsvorgängers der Beigeladenen. Dem Antrag beigefügt war eine Skizze mit der Darstellung der geplanten Kanaltrasse. In seiner Sitzung vom 3. Juni 1947 beschloss der Bauausschuss der Stadt X1. , den "gemeinschaftliche(n) Antrag der Anwohner am unteren I. auf Legung der Kanalisation... bis zur Etatberatung" zurückzustellen; in ihrer Sitzung vom 6. Juni 1947 genehmigte die Stadtvertretung diesen Beschluss. Unter dem 2. Oktober 1947 leitete der Bürgermeister der Stadt X1. dem "Herrn Amtsbaumeister" einen Vorgang "zur Kenntnis und Ermittlung der Kosten" zu. In seiner Sitzung vom 30. Juli 1948 beschloss der Bauausschuss X1. , unter anderem "für die Kanalisationsarbeiten am I. " Kostenanschläge anzufordern. Diesen Beschluss billigte die Stadtvertretung in ihrer Sitzung vom 17. August 1948. Unter dem 5. Oktober 1948 beschloss der Ausschuss, für die Ausführung der Kanalisationsarbeiten "für die Anlage am I. den Unternehmer B. O. " vorzuschlagen. Dies billigte die Stadtvertretung in ihrer Sitzung vom 15. Oktober 1948. In den Kassenbüchern der damaligen Stadt X1. für das Jahr 1948 finden sich Belege über zwei Zahlungen aus November und Dezember an B. O. . Aktenkundig ist ferner ein "Verwaltungsbericht für das Amt X1. für die Zeit von 1945 bis 1949", in dem unter anderem für die Stadt X1. unter der Zwischenüberschrift "Straßenbau" die Kanalisierung mehrerer Straßen festgestellt wurde, so "I. " und "A. ".
5Es ist nicht bekannt, welche gemeindlichen Rechtsvorschriften in den Jahren 1948/1949 bestanden, die sich mit der öffentlichen Abwasserbeseitigung befassten. Die - soweit ersichtlich - erste Satzung der Stadt X1. über die Entwässerung der Grundstücke und den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage (Kanalisation) trat am 1. Januar 1960 in Kraft. In dieser Satzung ist ein § 20 Abs. 2 des vom Deutschen Gemeindeverlag herausgegebenen Formulars gestrichen, der sich mit dem Außerkrafttreten einer "Satzung vom ..." befasst. Nach § 1 der Satzung obliegt der Gemeinde die unschädliche Ableitung der Abwässer. Zur Erfüllung dieses Zwecks sind und werden Abwasseranlagen errichtet, die ein einheitliches Netz bilden und von der Gemeinde als öffentliche Einrichtung im Mischverfahren betrieben und unterhalten werden. Nach § 1 Abs. 4 der Satzung gehören zu den Abwasseranlagen auch Anlagen und Einrichtungen, die nicht von der Gemeinde selbst, sondern von Dritten hergestellt und unterhalten werden, wenn sich die Gemeinde zur Durchführung der Grundstücksentwässerung dieser Anlagen und Einrichtungen bedient und zu ihrer Unterhaltung beiträgt.
6Anfang der sechziger Jahre verlegte die Beklagte in der Straße "I. " einen Abwasserkanal. Dieser reichte, beginnend am N1. -X2 , zunächst bis zum Haus I. . In jüngster Zeit wurde der Kanal nach Westen verlängert und er gestattet nun auch den Anschluss der Häuser I. 15, 17 und 19. Bei dieser Gelegenheit wurden von dem vorhandenen Kanal aus Hausanschlussleitungen bis zu den Grenzen der nördlich der Straße gelegenen Grundstücke verlegt.
7Mit Bauschein vom 25. Oktober 1968 genehmigte der Amtsdirektor des Amtes X1. die Errichtung eines Zweifamilienhauses auf dem Grundstück I. . Der Bauschein enthält eine "Bedingung", wonach die Abwasserleitungen an die städtische Kanalisation anzuschließen seien, deren Höhenlage beim Tiefbauamt zu erfragen sei. Im Sommer 1970 wurde der Eigentümer des Grundstücks I. 19 zu einer "Gebühr für den Anschluss an die Kanalisation" in Höhe von 300,00 DM herangezogen. Mit Bescheid vom 20. Januar 1975 wurde der Eigentümer des damals noch unbebauten Grundstücks "I. " zu einem Anschlussbeitrag in Höhe von 846,00 DM herangezogen, weil die betroffenen Flurstücke "an die öffentliche Abwasseranlage I. angeschlossen werden" könnten, so dass die Anschlussbeitragspflicht entstanden sei. Im Jahre 2004 wurde die Bebauung des Flurstücks I. betrieben. Auf dem Lageplan zum Baugesuch wurde die Schrift "private Schmutzwasserleitung der Anlieger DN 250" handschriftlich geändert, indem die Wörter "private" und "der Anlieger" gestrichen wurden. In einem Vermerk der Stadtwerke X1. vom 23. Oktober 2003 wird festgestellt, die Entwässerung erfolge in einem Mischsystem und ein Straßenkanal sei vorhanden. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass im Falle einer Kanalerneuerung in der Straße I. damit zu rechnen sei, dass die vorhandene Kanalleitung hinter den Häusern außer Betrieb genommen werde. Für diesen Fall sei eine Anschlussverlängerung zum I. nötig, die bereits bei der Planung berücksichtigt werden solle.
8Mit Schreiben vom 15. Mai 2010 wandte sich die Beigeladene an den Kläger und weitere Anlieger der Straße "I. " und teilte diesen Folgendes mit: Bei Instandsetzungsarbeiten in ihrem Garten sei der Unternehmer auf Abflussrohre gestoßen. Man habe festgestellt, dass die Rohre undicht seien und sie sich zum Teil unter dem Hause befänden. Um weiteren Schaden abzuwenden, werde sie die Rohre verschließen lassen. Sie setze den Betroffenen eine Frist bis zum 15. Mai 2011, damit diese ihre Abwässer in den Kanal in der Straße "I. " einleiten könnten.
9In dem nun folgenden Meinungsaustausch zwischen dem Kläger und der Beklagten vertrat diese die Ansicht, die vorhandene Abwasserleitung, die hinter den Gebäuden verlaufe, sei nicht Bestandteil der öffentlichen Kanalisation. Vielmehr handele es sich um eine private Sammelleitung. Der Kläger und seine Nachbarn hingegen waren der Meinung, ihre Grundstücke seien an einen öffentlichen Kanal angeschlossen, der auch über das Grundstück der Beigeladenen verlaufe. Ein Anschluss ihrer Grundstücke an den vorhandenen Kanal in der Straße "I. " sei nur mit entsprechenden Pumpenanlagen möglich. Deshalb werde beantragt, im Zuge einer ohnehin alsbald notwendigen Erneuerung diesen Kanal tiefer zu legen, so dass eine Entwässerung im Freispiegelverfahren möglich sei. Diesem Begehren widersprach die Beklagte mit Schreiben vom 20. Januar 2011, in welchem sie unter anderem darlegte, der Kanal auf den Grundstücken nördlich der Straße "I. " sei eine private Abwasserleitung.
10Mit Schreiben vom 6. April 2011 forderte die Beklagte den Kläger auf, sein Grundstück an den Kanal in der Straße "I. " anzuschließen, sobald sie - die Beklagte - die Verlängerung jenes Kanals bis zum Haus-Nr. 19 ausgeführt habe. Hierzu verweise sie auf § 9 ihrer Entwässerungssatzung vom 22. Dezember 2009 (EWS), wonach jeder Anschlussberechtigte verpflichtet sei, sein Grundstück an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen und das gesamte auf dem Grundstück anfallende Abwasser in diese Anlage einzuleiten.
11Am 26. Mai 2011 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: Der Kanal, in den sein Grundstück entwässere, gehöre zur öffentlichen Abwasseranlage der Beklagten. Er sei nämlich auf Veranlassung der Stadt errichtet und auch von dieser bezahlt worden. Die Widmung einer öffentlichen Sache sei auch formlos möglich; hierzu verweise er etwa auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. August 2010 - 15 A 89/10 -. Der Kanal sei der Beklagten stets bekannt gewesen und dadurch, dass sie ihn gleichsam "hingenommen" habe, sei er auch konkludent gewidmet worden. Die Beklagte habe Anschlussgebühren erhoben und im Zuge der Entwässerung des N1. -X2. im Jahre 1994 auch den in Rede stehenden Kanal neu an die städtische Entwässerung angeschlossen.
12Der Kläger beantragt,
13festzustellen, dass es sich bei der durch das Grundstück I. in X1. verlaufenden Entwässerungsleitung um einen öffentlichen Kanal handelt.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie erneuert ihre bereits vorprozessual geäußerte Rechtsansicht, wonach die fragliche Leitung ein Privatkanal sei. Hierzu trägt sie vor: Nach ihrer Satzung seien nur die Hauptkanäle in den Straßen öffentlich-rechtlich. Nach der Rechtsprechung komme es für die Abgrenzung auch darauf an, welchem Zweck ein Kanal diene. Im vorliegenden Fall entwässere der Kanal nur einzelne Grundstücke. Bei der Herstellung dieser Einrichtung sei die damalige Stadt X1. lediglich unterstützend für eine private Maßnahme tätig geworden, indem sie etwa die Rohre beschafft habe. Es bestehe auch keine öffentlich-rechtliche Sicherung des Leitungsrechts. Die Leitung sei nicht erforderlich, weil ein öffentlicher Kanal in der Straße vorhanden sei, an den die Grundstücke angeschlossen werden könnten. Sie habe den fraglichen Kanal auch im Übrigen nicht selbst betrieben, insbesondere habe sie ihn nicht nach den Vorschriften der Selbstüberwachungsverordnung Kanal untersucht.
17Die Beigeladene beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie schließt sich den Ausführungen der Beklagten zur Sach- und Rechtslage an.
20Am 17. November 2011 hat der Berichterstatter auf der Straße "I. " die Sach- und Rechtslage mit den Parteien und einer weiteren Nachbarin (Miteigentümerin des Grundstücks I. ) erörtert. Auf die über diesen Termin gefertigte Niederschrift (Blätter 67 bis 69 der Gerichtsakte) wird verwiesen.
21Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
23Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als Feststellungsklage zulässig. Indem der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag zu 2. aus der Klageschrift vom 26. Mai 2011 nicht (mehr) gestellt hat, liegt keine teilweise Klagerücknahme vor. Bei lebensnaher Betrachtung behandeln die Anträge zu 1. und 2. der Klageschrift ein identisches Begehren: Dem Kläger kommt es mit seinem Antrag zu 1. darauf an, die öffentlich-rechtliche Qualität des in Rede stehenden Kanals gerichtlich feststellen zu lassen. Mit dieser Feststellung ist sogleich und ohne weiteres Zutun geklärt, dass für das Grundstück des Klägers ein Anschlusszwang im Hinblick auf den Kanal in der Straße "I. " nicht besteht. Umgekehrt hätte eine dem Klägern günstige Entscheidung über den Antrag zu 2. der Klageschrift die Feststellung vorausgesetzt, dass das Grundstück bereits an die öffentliche Kanalisation angeschlossen ist. Weil mithin in dem Wegfall des ursprünglichen Antrags zu 2. keine Teilklagerücknahme vorliegt, braucht das Gericht auch nicht auf der Grundlage von § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die teilweise Einstellung des Verfahrens auszusprechen.
24Nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO kann mit der Feststellungsklage das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift sind die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen,
25vgl. nur Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage (2007), § 43 Rand-Nr. 11 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.
26Im vorliegenden Fall ist das Begehren des Klägers auf die Feststellung gerichtet, dass der in Rede stehende Abwasserkanal zum öffentlichen Kanalnetz der Stadt X1. gehört. Hierbei handelt es sich um ein der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis. Das berechtigte Interesse an einer baldigen Klärung dieser Frage ist offenkundig. Die Beigeladene ist entschlossen, den über ihr Grundstück verlaufenden Abschnitt der fraglichen Abwasserleitung stillzulegen. Sie meint, hierzu befugt zu sein, weil privatrechtliche Ansprüche der Nutzer dieses Kanal gegen sie - die Beigeladene - nicht bestehen. Mit der von dem Kläger begehrten Feststellung der öffentlich-rechtlichen Qualität des Kanals ist die Beigeladene an ihrem Vorhaben gehindert.
27Die Feststellungsklage ist auch begründet. Der über die Privatgrundstücke nördlich der Straße I. verlaufende Kanal gehört zu den öffentlichen Abwasseranlagen, welche die Beklagte nach § 1 Abs. 2 EWS als öffentliche Einrichtung betreibt. Für die gegenteilige Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen, wonach es sich um eine gemeinschaftliche Anschlussleitung handele, die den Eigentümern der angeschlossenen Grundstücke gehöre, fehlt jeglicher Anhalt.
28In dem auch den Beteiligten bekannten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 31. August 2010 - 15 A 89/10 -, der u. a. bei "Juris" veröffentlicht ist, wird zu der auch im vorliegenden Fall streitigen Rechtsnatur eines Kanals Folgendes ausgeführt:
29"Ob ein Kanal oder ein Wegeseitengraben Teil der öffentlichen Entwässerungseinrichtung ist, hängt davon ab, ob er - was die Antragsbegründung nicht in Abrede stellt - zum entwässerungsrechtlichen Zweck technisch geeignet ist und ob er durch Widmung entsprechend bestimmt ist, die nicht formgebunden ist und auch konkludent erfolgen kann.
30OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NWVBl. 2000, 730 ff.; Beschluss vom 27. Januar 1999 - 15 A 1929/96 -; Urteil vom 7. September 1987 - 2 A 993/85 -, StuGR 1988, 299.
31Hinsichtlich der Widmung muss lediglich der (nach außen wahrnehmbare) Wille der Gemeinde erkennbar sein, die fragliche Anlage als Teil der gemeindlichen Entwässerungsanlage in Anspruch nehmen zu wollen. Diesen Widmungswillen kann eine Gemeinde u. a. dadurch zu erkennen geben, dass sie für das Einleiten von Abwasser in eine bestimmte Anlage Entwässerungsgebühren verlangt.
32Vgl. bereits OVG NRW, Urteil vom 5. September 1986 - 2 A 2955/83 -, Gemht 1987, 187.
33...
34In der Rechtsprechung des Gerichts ist seit langem anerkannt, dass es für die Wirksamkeit der Widmung von Entwässerungsstrecken und damit für deren Einbeziehung in die gemeindliche Abwasseranlage weder erforderlich ist, dass die einzubeziehenden Strecken im Eigentum der Gemeinde stehen, noch dass der jeweilige Eigentümer der einbezogenen Flächen die zur Rechtmäßigkeit der Widmung erforderliche Zustimmung erteilt hat.
35OVG NRW, Urteile vom 7. September 1987 - 2 A 993/85 -, Gemht 1988, 162 ff., und vom 14. Dezember 1977 - II A 235/76 -, RdL 1978, 212 f.
36Wenn aber schon die - vom Beklagten gar nicht behauptete - fehlende Zustimmung der jeweiligen Eigentümer von Grundstücken, über die Teile des Kanalnetzes verlaufen, der Wirksamkeit der Widmung eines Kanals nicht entgegensteht, dann muss das erst recht in solchen Fällen gelten, in denen die Inanspruchnahme fremder Grundstücke "lediglich" nicht rechtlich abgesichert ist."
37Alle diese Merkmale sind hier erfüllt.
38Zunächst ist die Leitung, über die der Kläger und seine Nachbarn derzeit ihre Abwässer beseitigen, zum entwässerungsrechtlichen Zweck technisch geeignet. Jedenfalls hat er in den über 60 Jahren, die seit seiner Herstellung vergangen sind, die Abwässer der an ihn angeschlossenen Grundstücke augenscheinlich problemlos dem Kanal im N1. -X2. zugeführt. Er war seinerzeit ausreichend dimensioniert worden, um nicht nur die bereits vorhandenen Gebäude, sondern auch künftige Bauten entwässerungstechnisch zu erschließen. Selbst das in jüngerer Zeit (2004) errichtete Wohnhaus auf dem Grundstück I. konnte an den Kanal angeschlossen werden, ohne dass dieser überlastet wurde. Zwar mag der Kanal - wie zahlreiche Leitungen, die vor Jahrzehnten angelegt worden sind - möglicherweise sanierungsbedürftig sein. Hierdurch würde indessen seine grundsätzliche Eignung nicht in Frage gestellt.
39Es lässt sich auch eine Widmung im Sinne des nach Außen wahrnehmbaren Willens der Beklagten erkennen, die fragliche Anlage als Teil der gemeindlichen Entwässerungsanlage in Anspruch nehmen zu wollen. Die einzelnen Rechtsakte aus den Jahren 1947 und 1948 lassen keinen Zweifel daran, dass die Anlieger der Straße I.- nicht etwa eine gemeinschaftliche Kanalanschlussleitung herstellen wollten. Vielmehr wollten sie die damalige Stadt X1. veranlassen, ihr Entwässerungsnetz entsprechend zu erweitern, damit die einzelnen Grundstücke, und zwar jedes für sich, an den neuen Kanal angeschlossen werden konnten. Gegen die Annahme, die Anlieger hätten seinerzeit einen "Privatkanal" herstellen wollen, spricht geradezu zwingend, dass keines der betroffenen Grundbuchblätter dingliche Sicherungen hierüber enthält. Die Annahme, die Nachbarn hätten eine informelle schuldrechtliche Vereinbarung ausreichen lassen, um auf dieser Grundlage einen Privatkanal herzustellen, ist fernliegend. Es mag sein, dass hin und wieder zwei oder drei Nachbarn privatschriftliche oder auch nur mündliche Absprachen über die gegenseitige Inanspruchnahme ihrer Grundstücke treffen. Dass allerdings keinem der acht Unterzeichner des Antrags vom 8. Mai 1947 in den Sinn gekommen sein soll, ein als privat gewolltes gegenseitiges Leitungsrecht dinglich zu sichern, ist nicht vorstellbar. Der "Antrag auf Legung einer Kanalisation" konnte von der damaligen Stadt X1. also nur so verstanden werden, dass diese Adressatin des Begehrens war.
40Die Behandlung des Antrags der Anlieger der Straße "I. " in den politischen Gremien lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Stadt als "Bauherrin" verstand, die mit der Herstellung des Kanals eine eigene Aufgabe wahrnehmen und nicht etwa eine Hilfsleistung für die Anlieger erbringen wollte: Zunächst (Juni 1947) wurde der "gemeinschaftliche Antrag" zurückgestellt, weil die Etatberatungen abgewartet werden mussten. Nachdem offenbar die Finanzierung geklärt war (Oktober 1947), konnte der Amtsbaumeister um die Ermittlung der Kosten gebeten werden. Später (August 1948) wurden - anscheinend als vereinfachte Ausschreibung - "Kostenanschläge" angefordert, damit schließlich (Oktober 1948) die Arbeiten - soweit hier von Interesse - an den Unternehmer O. vergeben werden konnten, der ausweislich des Kassenbuchs für das Jahr 1948 aus Mitteln der Stadt bezahlt worden ist. Dieser Verfahrensgang unterscheidet sich in nichts von dem seinerzeit offenbar üblichen Vorgehen bei der Herstellung öffentlicher Baumaßnahmen der Stadt X1. . Nicht ohne Grund taucht der Kanal "I. " in dem Verwaltungsbericht 1950 undifferenziert neben anderen Kanalisierungsmaßnahmen auf, die in jenen Jahren in X1. ausgeführt worden sind und die eindeutig der öffentlichen Kanalisation zugehören. Diese wurden - soweit ersichtlich - ebenso wenig förmlich gewidmet wie der Kanal "I. ", ohne dass deshalb ihre öffentlich-rechtliche Eigenschaft damals oder später infrage gestellt wurde.
41Der Umstand, dass der Kanal über private Grundstücke verläuft, steht seiner Einstufung als öffentliche Einrichtung nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts in dem bereits zitieren Beschluss nicht entgegen. Im Übrigen kann in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass die Zustimmung eines Rechtsvorgängers der Beigeladenen zur Herstellung des Kanals durch die Stadt X1. nicht nur nicht fehlt. Vielmehr hat der damalige Eigentümer des Grundstücks, Herr X3. L3. , den Antrag vom 8. Mai 1947 ausdrücklich mit unterzeichnet.
42Ist allerdings der Kanal bei seiner Errichtung Bestandteil der öffentlichen Entwässerungsanlage der Stadt X1. geworden, so hat er diese Eigenschaft in der Folgezeit nicht verloren. Eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen der Stadt einerseits und den Eigentümern der von der Kanaltrasse berührten Grundstücke andererseits, wonach diese den Kanal gleichsam "übernehmen", wurde augenscheinlich zu keinem Zeitpunkt getroffen. Auch eine einseitige Erklärung der Stadt, wonach sie die Leitung aus ihrer Sachherrschaft entlasse, ist nicht aktenkundig. Die Stadt war auch gar nicht befugt, ihre eigene Verantwortung für den Kanal aufgeben, ohne zugleich einen neuen Verantwortlichen zu installieren, der die entwässerungstechnische Erschließung der Grundstücke für die Zukunft gewährleistet. Nach § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB war die Anlage bei ihrer Herstellung lediglich Scheinbestandteil der Grundstücke, durch welche sie verläuft. Bei einer späteren Aufgabe der Sachherrschaft der Stadt X1. hätte diese sich mit den Eigentümern über einen Eigentumsübergang verständigen müssen, damit die jeweiligen Abschnitte der Leitung wesentliche Bestandteile (§ 94 Abs. 1 BGB) der einzelnen Grundstücke werden konnten,
43vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 71. Auflage (2012) § 95 Rdnr. 4.
44Dies ist hier jedoch nicht geschehen; der Kanal hat seine Eigenschaft als öffentliche Sache nicht durch einseitige Verlautbarungen der Stadt X1. , sofern solche überhaupt getätigt worden sein sollten, eingebüßt.
45Die fragliche Leitung ist auch nicht durch das spätere Satzungsrecht ein Privatkanal geworden. Die am 1. Januar 1960 in Kraft getretene Satzung unterschied zwischen Entwässerungsanlagen, die ein einheitliches Netz bilden und eine öffentliche Einrichtung waren, und den Anschlussleitungen, die in § 10 näher geregelt waren. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift sollte jedes Grundstück einen eigenen unmittelbaren Anschluss an die Straßenleitung haben. Absatz 2 eröffnete die Möglichkeit, unter besonderen Verhältnissen zwei Grundstücke durch eine gemeinsame Anschlussleitung zu entwässern. Die dafür erforderliche Gestattung seitens der Gemeinde setzte voraus, dass die betreffenden Grundstücke dauernd in einer Hand blieben. Hier waren allerdings die Grundstücke von vornherein in den Händen verschiedener Eigentümer, so dass die in Rede stehende Satzungsbestimmung nicht erfüllt war. Wenn im übrigen - wie hier - mehr als zwei Grundstücke über einen gemeinsamen Anschluss entwässert werden sollten, mussten die Unterhaltungs- und Benutzungsrechte und -pflichten schriftlich festgelegt und grundbuchlich gesichert werden. An beiden Voraussetzungen fehlt es, so dass § 10 der damaligen Satzung einen Übergang der zuvor öffentlichen Entwässerungsleitung in die private Hand und ihre Umwandlung in einen gemeinschaftlichen Anschlusskanal nicht bewirken konnte.
46Auch durch das aktuelle Satzungsrecht hat der fragliche Kanal seine Eigenschaft als Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage der Beklagten nicht verloren. § 2 EWS enthält mehrere Definitionen, die allerdings nur bedingt geeignet sind, die öffentliche Abwasseranlage von den Anschlussleitungen abzugrenzen. Nach § 2 Nr. 6 Buchstabe a EWS gehören zur öffentlichen Abwasseranlage alle von der Stadt selbst oder in ihrem Auftrag betriebenen Anlagen, die der Abwasserbeseitigung dienen. Beurteilt man die rechtliche Qualität des Kanals allein anhand dieser Umschreibung, gehört er ohne weiteres zur öffentlichen Abwasseranlage. Denn er wurde seinerzeit - wie zuvor dargelegt - von der Stadt X1. hergestellt und er wird seither auch von ihr betriebenen. Der "Betrieb" eines Abwasserrohres erschöpft sich in der Regel darin, dass es ohne weiteres Zutun die auf den angeschlossenen Grundstücken anfallenden Abwässer fortleitet. Ein darüber hinausgehendes "Betreiben" im Sinne von § 2 Abs. 6 Buchstabe a) EWS war und ist im vorliegenden Fall überhaupt nicht erfolgt. Nach § 2 Abs. 6 Buchstabe b EWS gehören zur öffentlichen Abwasseranlage allerdings nicht die Grundstücks- und die Hausanschlussleitungen. Diese werden in § 2 Abs. 7 EWS näher beschrieben: Unter Grundstücksanschlussleitungen versteht die Satzung die Leitungen von der öffentlichen Abwasseranlage bis zur Grenze des anzuschließenden Grundstücks; Hausanschlussleitungen sind Leitungen von dieser Grenze bis zu dem Gebäude, in dem Abwasser anfällt. Nach § 2 Abs. 6 Buchstabe b EWS endet die öffentliche Abwasseranlage also dort, wo die Grundstücksanschlussleitung beginnt. Diese erstreckt sich nach § 2 Abs. 7 Buchstabe a von der öffentlichen Abwasseranlage bis zur Grenze des jeweils anzuschließenden Grundstücks. Mit anderen Worten: Die öffentliche Abwasseranlage endet dort, wo die Grundstücksanschlussleitung beginnt. Die in § 2 EWS enthaltenen Definitionen der drei Begriffe "Öffentliche Abwasseranlage", "Grundstücksanschlussleitung" und "Hausanschlussleitung" mit ihren wechselseitigen Bezugnahmen sind auf die regelmäßig anzutreffende Situation ausgerichtet, in der das in einem Gebäude anfallende Abwasser über eine Hausanschlussleitung zur Grundstücksgrenze und von dort über eine Grundstücksanschlussleitung zur öffentlichen Abwasseranlage geführt wird. Sie versagen jedoch in den "kritischen" Fällen, in denen - wie hier - gerade nicht offen zu erkennen ist, an welchem Punkt genau eine Grundstücksanschlussleitung endet und die öffentliche Abwasseranlage beginnt.
47Gegen die Annahme, nach der aktuellen Entwässerungssatzung der Beklagten handele es sich bei dem fraglichen Kanal um eine gemeinsame Anschlussleitung, spricht nicht zuletzt § 13 Abs. 8 EWS. Nach dieser Vorschrift können zwei oder mehrere Grundstücke nur auf Antrag durch eine gemeinsame Anschlussleitung entwässert werden, wobei zudem die Benutzungs- und Unterhaltungsrechte dinglich im Grundbuch abzusichern sind. An beiden Voraussetzungen fehlt es hier: Ein Antrag des Klägers und seiner Nachbarn, den Kanal als gemeinsame Anschlussleitung zu betreiben, liegt nicht vor. Ebenso fehlt es an entsprechenden grundbuchlichen Eintragungen.
48Am Ende sei schließlich noch angemerkt, dass in mehreren Verwaltungsverfahren, an denen die Beklagte beteiligt war, der fragliche Kanal als Teil der öffentlichen Abwasseranlage angesehen worden ist. Auf die im Tatbestand dieses Urteils mitgeteilten Sachverhalte wird Bezug genommen. Die dort wiedergegebenen Verlautbarungen sind ein weiteres Indiz dafür, dass auch die Beklagte - jedenfalls zeitweilig - den Kanal als Teil ihrer öffentlichen Abwasseranlage angesehen hat.
49Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beklagte und die Beigeladene bilden den unterliegenden Teil im Sinne von § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene ist an der Kostentragung beteiligt, weil sie einen Sachantrag gestellt hat. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen durch den Beklagten kommt nicht in Betracht, weil auch die Beigeladene zum unterliegenden Teil gehört.
50Die Kammer sieht davon ab, die Berufung zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil die hier einschlägigen Fragen in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts seit langem geklärt sind. Ihre Anwendung auf den Einzelfall verleiht diesem nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil neben dem Kläger weitere Nutzer des Kanal betroffen sind. Das Gericht weicht auch nicht von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte ab.
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