Beschluss vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 10 L 1601/18.A
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtswalt E1. , C. , wird abgelehnt.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragssteller tragen die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe:
2Den Antragstellern wird keine Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt, weil die von ihnen betriebene Rechtsverfolgung aus den im Folgenden dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung – ZPO).
3Der sinngemäß gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der am 15. Oktober erhobenen Klage – 10 K 4187/18.A – gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01. Oktober 2018 anzuordnen,
5hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber nicht begründet.
6Nach Art. 16 a Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) und § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG darf das Gericht in Fällen der vorliegenden Art die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung nur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen.
7Solche ergeben sich entgegen der Auffassung der Antragssteller nicht bereits aus den Grundsätzen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 („Gnandi“) aufgestellt hat.
8In dieser Entscheidung hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob in den Fällen, in denen der Antrag eines Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes abgelehnt wurde, eine Rückkehrentscheidung unmittelbar nach oder zusammen mit der Ablehnung erlassen werden darf. Dies könnte deshalb problematisch sein, weil die Aufforderung zum Verlassen des Staatsgebietes dann vor einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung ergeht. Der EuGH ist der Ansicht, dass die Richtlinien 2008/115/EG und 2005/85/EG sowie die Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einem solchen Vorgehen der Behörden dann nicht entgegenstehen, wenn unter anderem alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, der Ausländer während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und wenn er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei Sache der nationalen Gerichte.
9Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 68.
10In den Entscheidungsgründen führt der EuGH unter anderem aus, dass zur Vermeidung einer der Charta der Grundrechte widersprechenden Behandlung dem Ausländer ein Rechtsbehelf zustehen müsse, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfalte. Ferner müssten während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und im Fall seiner Einlegung bis zur Entscheidung über ihn unter anderem alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden. Hierzu genüge es nicht, dass der Mitgliedsstaat von einer zwangsweisen Umsetzung der Rückkehrentscheidung absehe; vielmehr müssten alle ihrer Rechtswirkungen ausgesetzt werden. Diese bedeute insbesondere, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen dürfe, solange der Ausländer ein Bleiberecht habe.
11Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 54 – 66.
12Diesen Rechtsschutzanforderungen wird das deutsche Asylverfahrensrecht unzweifelhaft bei Klagen, die nach § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben, gerecht; im Ergebnis allerdings auch in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Dies gilt sowohl für die vom EuGH geforderte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung als auch das Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet.
13Im Hinblick auf das Erfordernis der Aussetzung aller Rechtswirkungen bedarf es der Entscheidung, ob die unter Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung, nach der die Ausreisefrist von einer Woche grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht erst nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt (vgl. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 2 AsylG) zu einer Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führt. Diese Frage, die in Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend geklärt ist, ist zu verneinen. Auch wenn insoweit Bedenken bestehen mögen, führen sie jedenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (§ 36 Abs. 4 S. 1 AsylG).
14Teilweise wird vertreten, dass die Anordnung einer solchen Frist zur freiwilligen Ausreise, die mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht dem Abschluss des (gerichtlichen) Verfahrens zu laufen beginnt, zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt führe.
15Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 3 L 1935/18.A –, juris; wohl auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 11 S 2125/18 –, juris Rn. 14; offen gelassen von VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 – W 2 S 18.31990 –, juris; Gutmann, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, in: NVwZ 2018, S. 1629 – 1631; siehe auch Hruschka, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache „Gnandi“, in: Asylmagazin 2018, Heft 9, S. 290 – 293, der die Notwendigkeit einer Änderung des nationalen Rechts sieht.
16Nach anderer Auffassung ist bereits nach der geltenden Gesetzeslage davon auszugehen, dass der Lauf der Ausreisefrist erst mit der (negativen) gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag in Gang gesetzt wird. Dies führe bei einer im Übrigen gegebenen Rechtmäßigkeit des Bescheides zur vollständigen Ablehnung des Eilantrags. Als Begründung wird teilweise eine europarechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 8 AsylG und teilweise die Ansicht, dass mit rechtzeitiger Stellung des Eilantrags die im Bescheid gesetzte Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 S. 6 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – AufenthG unterbrochen wird, herangezogen.
17Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – A 2 K 10728/18 –, juris; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A –, juris Rn. 27 m.w.N.; noch offen gelassen von VG Berlin, Beschluss vom 24. September 2018 – 36 L 358.18 A –, juris.
18Schließlich wird vertreten, dass sich aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen generell keine Rechtswidrigkeit einer solchen Abschiebungsandrohung ergibt.
19Vgl. VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018, 10 B 4228/18; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 05. Juli 2018 – 20 B 17.31636 –, juris Rn. 40; Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, in: ZAR 2018, S. 325 – 331; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidungen, in: Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 – 6; siehe auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. November 2018 – 12 S 2504/18 –, juris.
20Dieser letztgenannten Auffassung ist zu folgen.
21Denn das in dem Verfahren „Gnandi“ ergangene Urteil stützt sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG, die jedoch mittlerweile durch die Richtlinie 2013/32/EU abgelöst worden sind.
22In der Richtlinie 2005/85/EG war in Art. 39 Abs. 1 im Wesentlichen nur geregelt, dass abgelehnte Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben. In Art. 39 Abs. 3 dieser Richtlinie wurde den Mitgliedsstaaten zudem die Möglichkeit eingeräumt, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen Vorschriften festzulegen im Zusammenhang mit den Fragen, ob der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen und der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen.
23Diese Regeln sind mit der Richtlinie 2013/32/EU durch ein ausdifferenzierteres System ersetzt worden. Demnach stellen die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 46 Abs. 1 sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen die in Art. 46 Abs. 1 a) bis c) genannten ablehnenden Entscheidungen haben. Nach Art. 46 Abs. 4 und 5 legen die Mitgliedsstaaten angemessene Fristen für die Wahrnehmung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 Abs. 1 fest und gestatten unbeschadet von Art. 46 Abs. 6 den Antragstellern das Recht zum Verbleib in ihrem Staatsgebiet bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Nach Art. 46 Abs. 6 sind demgegenüber unter anderem in dem hier vorliegenden Fall der Ablehnung eines Antrags als offensichtlich unbegründet die Gerichte befugt, „entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist“. Gemäß Art. 46. Abs. 8 gestatten die Mitgliedsstaaten dem Antragsteller bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Abs. 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.
24Diesem Regelungssystem entsprechen die §§ 34 – 43 AsylG und §§ 74, 75 AsylG. Demnach ist insbesondere die Bestimmung, dass bei einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet der Antragssteller nur bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein Recht zum Verbleib hat, nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU europarechtskonform. Unter anderem in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit ist es ausdrücklich zulässig, dass (1) die Behörden eine Entscheidung treffen können, die das Recht des Asylbewerbers auf Verbleib im Mitgliedsstaat beendet, dass (2) das nationale Recht nicht vorsehen muss, dass ein Recht auf Verbleib im Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf besteht und dass es (3) dann einem Gericht obliegt darüber zu entscheiden, ob der Asylbewerber (bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens) im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf (Art. 46 Abs. 6 a.E.). Dieses gestufte Rechtsschutzsystem, dem das deutsche Verfahrensrecht entspricht, setzt voraus, dass eine von der Behörde gesetzte Ausreisefrist sofort zu laufen beginnt, weil die Behörde es sonst nicht in der Hand hätte das Recht auf Verbleib zu beenden und eine gesonderte Entscheidung eines Gerichts über den Verbleib bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überflüssig wäre. Würde die Ausreisefrist während der Rechtsbehelfsfrist und – bei Einlegung eines Rechtsbehelfs – bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu laufen beginnen, bräuchte es nicht der von Art. 46 Abs. 6 und §§ 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 AsylG vorgesehenen Entscheidung des Gerichts über ein (vorläufiges) Bleiberecht. Auch die Regelung des Art. 46 Abs. 8 hätte keinen Anwendungsbereich, wenn die Ausreisfrist nicht schon zu laufen beginnen würde. Ferner sieht Art. 46 Abs. 8 ein Bleiberecht nur für den Zeitraum bis zur gerichtlichen Eilentscheidung und nicht bis zum Ablauf einer danach beginnenden Ausreisfrist vor. Von dem EuGH ist dies in der Entscheidung „Gnandi“ nicht berücksichtigt worden, weil die Richtlinie 2013/32/EU gemäß ihres Art. 52 erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz Anwendung findet.
25Vgl. VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris Rn. 14; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 – 2 B 1616/18 – asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 10 B 4228/18 –.
26Vor diesem Hintergrund wäre es auch im Ergebnis nur schwer hinnehmbar, dass aufgrund des formalen Kriteriums des Fristbeginns jedem Eilantrag unabhängig von seiner Begründetheit im Übrigen stattzugeben sein soll. Denn dann wäre ein Ausländer, dessen Antrag auch nach der Auffassung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben wird (etwa weil sein Vorbringen offenkundig falsch ist, er gefälschte Beweismittel vorgelegt oder über seine Identität getäuscht hat, § 30 Abs. 3 Nr. 1 – 3 AsylG) oder bereits unzulässig ist (§§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Art. 46 Abs. 6 b) der Richtlinie 2013/32/EU), bis zum Abschluss des oft mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies würde dem Wortlaut der §§ 34 – 43, 74, 75 AsylG sowie des Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU und ihrem Regelungszweck, erkennbar aussichtslose Verfahren effizient zu gestalten, zuwiderlaufen.
27In der hier vertretenen Lösung liegt keine unzumutbare Verkürzung des Rechtsschutzes des Ausländers. Dieser darf in den Fällen des negativen Ausgangs des Eilverfahrens und der damit tatsächlich vorliegenden offensichtlichen Unbegründetheit seines Antrags nicht auf einen längeren Aufenthalt im Bundesgebiet vertrauen, sondern muss ich auf seine Ausreise nach Beendigung des Eilverfahrens einstellen. Ferner ist ihm unabhängig davon nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens eine Frist zur freiwilligen Ausreise zuzubilligen.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1986 – 1 C 16/85 –, juris Rn 21 und 22.
29Aufgrund der Bestimmungen der Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ist es auch nicht selbstverständlich, dass der EuGH verbindliche Anforderungen für alle Verfahrensarten aufstellen wollte, die über die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU hinausgehen. Der Entscheidung „Gnandi“ ist schon nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass die Ausreisefrist erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu laufen beginnen muss. Die nicht Teil des Tenors gewordene Formulierung, dass diese Frist nicht zu laufen beginnen darf, „solange der Betroffene ein Bleiberecht hat“, kann auch so verstanden werden, dass er nur während des laufenden gerichtlichen Verfahrens den Mitgliedsstaat nicht verlassen muss. Dies entspricht dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und der Vorlagefrage. Ferner stellt der EuGH in den weiteren Entscheidungsgründen hinsichtlich der Rechte des Antragsstellers stets auf den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und nicht an eine sich daran anknüpfende Ausreisefrist ab.
30Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 63 a.E. und 66 a.E.
31Auch in seinem Beschluss vom 05. Juli 2018, in dem wiederholt auf die im Verfahren „Gnandi“ ergangene Entscheidung Bezug genommen wird, fordert der EuGH nur, das die Wirkungen der Rückkehrentscheidung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens auszusetzen sind. Unter Hinweis auf Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU stellt er ausdrücklich fest, dass in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Mitgliedsstaaten Ausländern einen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet nur bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über ihr Bleiberecht gestatten müssen. Er verlangt nicht, dass sich daran noch die ursprünglich gesetzte Ausreisefrist anschließt.
32Vgl. EuGH, Beschluss vom 05. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris Rn. 53; siehe auch VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 21.
33Die geltende Rechtslage wird im Ergebnis auch dem vom EuGH aufgestellten Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet, gerecht.
34Zwar hat gemäß §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG eine Klage gegen die in dem Bescheid getroffenen Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Vielmehr ist der Ausländer gehalten, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen.
35Dies entspricht jedoch – wie dargestellt – dem von Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ausdrücklich vorgesehenen Regelungssystem.
36Ferner sind die Folgen der Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis mit denen einer kraft Gesetzes bestehenden aufschiebenden Wirkung identisch, so dass eine äquivalente Rechtsschutzdichte besteht.
37So ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 8 AsylG eine Abschiebung des Ausländers vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dabei handelt es sich um mehr als ein (vom EuGH als nicht ausreichend angesehenes) bloßes Absehen von einer Abschiebung durch die Behörden, weil die Rechtsfolge gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch eine Inhaftierung des Ausländers ist während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens nicht zulässig, da keine vollziehbare Ausreispflicht besteht (vgl. § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).
38Dem Ausländer stehen mindestens für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens alle Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG und der sie ablösenden Richtlinie 2013/33/EU zu. Insbesondere behält er seine Rechte aus der Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG) einschließlich der Rechte aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG).
39Der Prüfungsumfang des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes genügt ebenfalls den europarechtlichen Anforderungen. Zwar ist eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§§ 80 Abs. 5, Abs. 7, 101 Abs. 3 VwGO, 36 Abs. 3 S. 4 AsylG), dafür ist gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 VwGO die Abschiebung bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auszusetzen und nicht erst bei voller richterlicher Überzeugung. Der Ausländer kann sich zudem auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung von Umständen berufen, die Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben könnte (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG).
40Schließlich wird der Ausländer durch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung transparent über die Einhaltung der vorgenannten Garantien informiert.
41Vgl. VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 22 – 29 m.w.N., auch zur Gegenansicht; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris Rn. 11.
42Auch im Übrigen bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.Vm. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung mit der in § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehenen Ausreisefrist von einer Woche rechtmäßig ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die geltend gemachte Erkrankung der Antragstellerin zu 3.
43Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn unter anderem die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Ein die Androhung hinderndes Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist in der Regel gegeben, wenn in dem Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
44Eine solche ist aus gesundheitlichen Gründen gegeben, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, also wenn eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ausgehend vom asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit reicht es dabei nicht aus, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands im Bereich des Möglichen liegt; sie muss vielmehr überwiegend wahrscheinlich sein.
45Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Oktober 2006 –
461 C 18/05 – juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein –Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30.10.2006 – 13 A 2820/04 – juris.
47Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation im Zielstaat wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar ist oder der Ausländer sie tatsächlich, also individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen, nicht erlangen kann.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18/05 – juris; BVerwG, Urteil vom 29. 10. 2002 – 1 C 1/02 – juris.
49Allerdings kann von einer zu berücksichtigenden Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht schon dann gesprochen werden, wenn lediglich eine Heilung des Krankheitszustandes im Zielstaat nicht zu erwarten oder die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist. Ferner ist eine wesentliche Verschlechterung nicht bereits bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Denn das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll dem Ausländer keine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern nur vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist der Ausländer auch grundsätzlich auf die im Zielstaat allgemein üblichen medizinischen Standards verwiesen.
50Vgl. OVG Münster, Beschlüsse vom 20. September 2006 – 13 A 1740/05 – juris; 6. September 2004 – 18 B 2661/03 – juris; 05. August 2004 – 13 A 2160/04 – juris; 20. Oktober 2000 –18 B 1520/00 – juris.
51Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen der Antragssteller nicht zur Annahme eines in Bezug auf die Antragstellerin zu 3. vorliegenden Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen.
52Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid verwiesen (dort S. 7 – 10), denen das Gericht folgt. In der Antragsbegründung ist diesen Ausführungen nicht entgegen getreten worden; vielmehr wird der Antrag nur auf die in dem Verfahren „Gnandi“ aufgestellten Grundsätze gestützt.
53Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 83b AsylG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 34 Abs. 1 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 8 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 L 4508/18 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 4x
- 10 K 4187/18 1x (nicht zugeordnet)
- 1 C 1/02 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 159 1x
- § 77 Abs. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 C 18/05 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 2504/18 1x
- 13 A 1740/05 1x (nicht zugeordnet)
- § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 59 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 80 Abs. 5, Abs. 7, 101 Abs. 3 VwGO, 36 Abs. 3 S. 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 10 B 4228/18 2x (nicht zugeordnet)
- 1 C 16/85 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 2 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- 3 L 1935/18 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 74, 75 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- § 83b AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Absatz 7 Satz 1 des AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 1616/18 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 K 10728/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 60 Abs. 7 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 75 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- § 36 Abs. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 18 B 2661/03 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 2160/04 1x (nicht zugeordnet)
- 18 B 1520/00 1x (nicht zugeordnet)
- 9 L 976/18 3x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 101 1x
- § 60 Absatz 5 und 7 des AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 2820/04 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 2125/18 1x
- 1 C 18/05 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 36 1x