Urteil vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 12 K 7034/17.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die nach eigenen Angaben im Jahr 1985 in Baqo Dalacho geborene Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Oromo. Sie reiste nach eigenen Angaben am 1. September 2015 über Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. September 2016 in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte.
3Sie wurde noch am selben Tag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich zu ihrem Verfolgungsschicksal angehört. Dabei gab sie an, dass sie ihre Heimat aufgrund der Unterdrückung der Oromo verlassen habe. Ihr Land sei ihnen weggenommen und an Investoren gegeben worden. Wenn sie zur Schule gegangen seien, seien sie auf der Straße geschlagen, beleidigt und verhaftet worden. Viele Oromo seien im Gefängnis, weil sie für ihre Rechte gekämpft hätten. Viele seien getötet worden. Ihr Vater sei vor zehn bis fünfzehn Jahren auf der Straße erschossen worden. Nachdem ihr Vater gestorben sei, seien sie zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie und ihre kranke Mutter geschlagen. Ihr Mann sei vor vier Jahren abgeholt worden. Man habe ihm vorgeworfen, die OLF zu unterstützen. Sie hätten sie zu Hause besucht und sie zusammengeschlagen. Seitdem sei sie krank und habe Probleme. Nach ihrer finanziellen Situation befragt gab die Klägerin an, dass sie Kaffee exportiert hätten. Die finanzielle Lage sei durchschnittlich gewesen. Zudem gab die Klägerin an, dass einige Onkel in ihrem Heimatland lebten.
4Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab. Ferner stellte es fest, dass die Voraussetzungen nach § 60 Absatz 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4) und drohte für den Fall der Nichtausreise binnen 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens die Abschiebung nach Äthiopien an (5.). Ferner befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Absatz 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6).
5Die Klägerin hat am 24. Juli 2017 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2018, der insgesamt aus fünf Seiten bestand, führte die Klägerin wie folgt aus: Es hätten bereits gewalttätige Übergriffe auf sie stattgefunden, weshalb sie vorverfolgt ausgereist sei. Daher greife die Beweiserleichterung des Artikels 4 Absatz 4 der Qualifikationsrichtlinie. Stichhaltige Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprächen, ergäben sich insbesondere nicht aus dem Amtsantritt des neuen Premierministers Dr. Abiy Ahmed. Amnesty International weise darauf hin, dass die politische Lage derzeit nicht eingeschätzt werden könne. Jedenfalls liege ein Abschiebungsverbot vor. Sie habe keine Familienangehörigen in Äthiopien. Zu der Mutter bestehe kein Kontakt. Sie sei Analphabetin. Daher werde sie ihr Existenzminimum nicht sicherstellen können. Zudem leide sie unter diversen Krankheiten und sei auf die Einnahme von mehreren Medikamenten angewiesen. Die Verfügbarkeit der erforderlichen Medikamente sei in Äthiopien nicht sichergestellt. Aber selbst wenn die Medikamente verfügbar sein sollten, könne sie sich diese nicht leisten. Selbst bei Einnahme der Medikamente sei sie in ihrer Alltagskompetenz deutlich eingeschränkt. Die Nichteinnahme der Medikamente führe zu einer Entgleisung des Blutdrucks und damit zu einer Arbeitsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 22. Februar 2019 überreichte die Klägerin ein Attest ihres Hausarztes Dr. O vom 21. Februar 2019 nebst einer Medikamentenverordnungsübersicht sowie den Entlassungsbericht des Marienhospitals C vom 24. Oktober 2017.
6Die Klägerin beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Juli 2017 zu verpflichten,
8sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
9hilfsweise, subsidiären Schutz zuzuerkennen,
10äußerst hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen,
11weiter hilfsweise Ziffer 6 des Bescheides von 12. Juli 2017 aufzuheben.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Die Klägerin wurde zu ihrem Verfolgungsschicksal in der mündlichen Verhandlung informatorisch befragt; wegen des Ergebnisses der Befragung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. März 2019 verwiesen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde ergänzend Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Einzelrichterin ist zuständig, nachdem ihr die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Absatz 1 des Asylgesetzes – AsylG).
18Es konnte ohne die Beklagte verhandelt und entschieden werden, weil die Beklagte ordnungsgemäß und mit einem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 102 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geladen wurde.
19Die mündliche Verhandlung war nicht zu vertagen. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "erheblichen Gründe" ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87 b VwGO) und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Absatz 1 VwGO), andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs, Artikel 103 Absatz 1 GG, § 108 Absatz 2 VwGO, Rechnung zu tragen. Letzteres verlangt, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten, wobei das rechtliche Gehör auch das Recht eines Beteiligten einschließt, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen.
20Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 23. Januar 1995 – 9 B 1.95 –, juris, Rn. 3.
21Danach kommt eine Vertagung zwar in Betracht, wenn ein Beteiligter kurz vor dem Termin oder in dem Termin mit Tatsachen oder Behauptungen oder Rechtsauffassungen konfrontiert wird, mit denen er bis dahin nicht rechnen musste und zu denen er in der zu Verfügung stehenden Zeit nicht sachgerecht Stellung nehmen kann.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 2013 – 1 B 8.13 –, juris, Rn. 13.
23Allerdings liegen diese Voraussetzungen ersichtlich nicht vor. Wenngleich die Klägerin zu Beginn der mündlichen Verhandlung auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Februar 2019 – 8 B 17.31645 – hingewiesen worden ist, das ihr bis dahin noch nicht bekannt gewesen ist, ist ihr rechtliches Gehör gleichwohl hinreichend gewahrt worden. Denn die Klägerin, der eine Abschrift der vorstehend genannte Entscheidung zu Beginn der Verhandlung übergeben worden ist, die sich sie hat während der ersten Unterbrechung der mündlichen Verhandlung durchlesen können, hat bereits mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2018 (auf Seite 4) zu der – auch schon zuvor durch andere Gerichte aufgeworfenen –,
24vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 6 K 4004/17.A –, juris, Rn. 50; VG Bayreuth, Urteil vom 5. September 2018 – B 7 K 17.33349 –, juris, 50,
25und vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof – im Ergebnis genauso – entschiedenen Frage, ob sich aus dem Amtsantritt des neuen Premierministers Dr. Abiy Ahmed stichhaltige Gründe für die Widerlegung der aus Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) folgenden Vermutung ergeben, Stellung genommen. Dabei hat sie unter anderem auch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 und die Stellungnahme von Amnesty International an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 11. Juli 2018 zitiert.
26Etwas Abweichendes folgt auch nicht aus dem Einwand der Klägerin, dass in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs so viele Erkenntnisse mitaufgeführt [würden], dass sie ad hoc hierzu nicht Stellung nehmen [könne]“. Denn die der Klägerin mit Ladungsverfügung vom 14. Januar 2019 übersandte Erkenntnismittelliste enthielt sämtliche für die Entscheidung relevanten Erkenntnisse. Erkenntnisse, die nicht in dieser Liste mitaufgeführt waren, sind der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt worden. Zudem hätte es der Klägerin (spätestens) an dieser Stelle oblegen mitzuteilen, welche in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs genannten Erkenntnisse ihr im Einzelnen noch nicht bekannt gewesen sind. Insoweit gab die Klägerin lediglich die in der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zitierte Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2019 an, die die Einzelrichterin bei ihrer Entscheidung – wie soeben ausgeführt – nicht – schon gar nicht tragend – berücksichtigt hat.
27Die zulässige Klage ist unbegründet.
28Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
29Der Klägerin stehen zu dem gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die geltend gemachten Ansprüche auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (I.), auf Asylanerkennung (II.), auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (III.) sowie auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 Satz 1 AufenthG (IV.) nicht zu, so dass auch die Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden ist (V). Schließlich begegnet auch die Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots keinen rechtlichen Bedenken (VI.), § 113 Absatz 1 Satz 1, Absatz 5 Satz 1 VwGO.
30I. Die Klägerin hat keinen Anspruch Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie ihr Heimatland nicht aufgrund einer politischen Verfolgung verlassen hat oder bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland eine solche zu befürchten ist.
31Nach § 3 Absatz 1 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr.1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b).
32Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Absatz 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Absatz 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Absatz 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) sowie Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylG fallen (Nr. 5).
33Dabei muss gemäß § 3a Absatz 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Absatz 1, § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Gemäß § 3b Absatz 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Absatz 1 Nr. 1 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
34Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder (3.) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
35Gemäß § 3e Absatz 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz).
36Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn sie aufgrund der im Herkunftsland des Antragstellers gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris, Rn. 19.
38Dieser Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris, Rn. 32 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rn. 23; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 35 ff.
40Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits in seinem Herkunftsland verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
41Vgl. insoweit Artikel 4 Absatz 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staaten-losen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie). Mit Aufhebung des § 60 Absatz 1 Satz 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der bis zum Ablauf des 30. November 2013 geltenden Fassung sollte kein geänderter Prüfungsmaßstab einhergehen, vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Januar 2014 – 9 A 2561/10.A –, juris, Rn. 39 m.w.N., BT-Drs. 17/13063, S. 24.
42Ob sich der Antragsteller im Einzelfall auf diese Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden, berufen kann, bzw. die Vermutung widerlegt wurde, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 39.
44Es ist Sache des Antragstellers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung Verfolgung droht bzw. bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Antragstellers berücksichtigt werden.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 33 m.w.N.
46Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Klägerin nicht zum Erfolg. Weder hat die Klägerin bereits vor ihrer Ausreise Verfolgungsmaßnahmen erlitten oder war von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht (1.) noch droht ihr im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung (2.).
471. Das Gericht vermochte nach der Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht zu der vollen Überzeugung zu gelangen, dass sie vor ihrer Ausreise aus Äthiopien landesweit von politischer Verfolgung betroffen war.
48a) Dabei kann zunächst dahingestellt bleiben, ob die Klägerin – wie von ihr beim Bundesamt behauptet – in Äthiopien ohne Entschädigung enteignet worden ist. Insoweit liegt weder eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Absatz 1 und 2 AsylG vor, noch ist ersichtlich, dass eine Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Insbesondere ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Enteignung allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromo erfolgt ist. Insoweit wird auf die nachstehenden Ausführungen Bezug genommen (siehe Seite 12 ff.).
49b) Soweit die Klägerin vorgetragen hat, dass sie nach der Verhaftung ihres Mannes geschlagen worden ist, ist ihr Vortrag bereits unglaubhaft. Denn ihr Vortrag in der mündlichen Verhandlung steht zum einen im Widerspruch zu ihrem Vorbringen beim Bundesamt. So gab die Klägerin beim Bundesamt noch an, dass sie sie zu Hause besucht und zusammengeschlagen hätten. Ihre Mutter habe denen gesagt, dass sie sie in Ruhe lassen sollten und gefragt, ob sie jetzt ihre Tochter umbringen wollten, nachdem sie schon ihren Mann ermordet hätten. Dann hätten sie auch ihre Mutter zusammengeschlagen. In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin abweichend hierzu aus, dass sie bei der Festnahme ihres Mannes geschlagen worden sei, nachdem sie gefragt habe, weshalb er festgenommen werde. Ihre Angaben hierzu blieben auch auf Nachfrage sehr undetailiert und vage und erweckten nicht den Eindruck, die Klägerin berichte von tatsächlich Erlebtem. Vielmehr berief sie sich an dieser Stelle auf gesundheitliche Probleme und gab an, dass es ihr lieber wäre, wenn die Einzelrichterin sie nicht weiter danach fragen würde, da sie ein Trauma habe. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck der Klägerin erschien dies als reine Ausflucht, um auf weitergehende – möglicherweise unangenehme – Fragen nicht antworten zu müssen. Denn die Klägerin war bis hierhin noch in der Lage auf die Fragen der Einzelrichterin ohne weiteres zu antworten und zwar auch, als sie gefragt worden ist, was für Probleme ihr in Äthiopien bereitet worden sind. Zum anderen hat die Klägerin schon kein hinreichend substantiiertes Attest beigebracht, aus dem sich hinreichende Anhaltspunkte für die behauptete Traumatisierung ergeben. Insbesondere vermag die ärztliche Bescheinigung des praktischen Arztes I vom 4. Dezember 2018, in der der Klägerin eine schwere Depression attestiert wird, die Anforderungen der Rechtsprechung an die Substantiierung einer Depression nicht ansatzweise zu erfüllen.
50Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 17.07 –, juris, Rn. 15.
51Selbst wenn die Klägerin bei der Inhaftierung ihres Mannes geschlagen worden sein sollte, ist auch insoweit nicht hinreichend dargetan, dass dies in Anknüpfung an ein Verfolgungsmerkmal geschehen wäre. Insbesondere ist nicht dargetan, dass sie aufgrund des Verdachts verletzt oder inhaftiert worden ist, ebenfalls die OLF zu unterstützen. Vielmehr gab die Klägerin in der mündlichen Verhandlung – wie soeben ausgeführt – als Grund dafür, dass sie geschlagen worden ist, an, dass sie nachgefragt habe, weshalb ihr Mann festgenommen werde. Auch beim Bundesamt hat die Klägerin an keiner Stelle behauptet, dass ihr ebenfalls vorgeworfen worden ist, die OLF zu unterstützen.
52Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass ein solcher Vorfall oder andere beim Bundesamt behauptete Vorfälle (wie z.B. die Ermordung ihres Vaters vor zehn bis fünfzehn Jahren) fluchtauslösend gewesen wäre/wären. Die Ausreise muss sich bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener Verfolgung stattfindende Flucht darstellen. In dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. Ein Ausländer ist mithin grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist anzusehen, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichem Zusammenhang mit der erlittenen Verfolgung verlässt.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 1990 – 9 C 73.90 –, juris, Rn. 13 m.w.N.
54Letzteres ist nicht der Fall. Es fehlt bereits an dem vorstehend dargestellten zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise. So gab die Klägerin beim Bundesamt an, dass ihr Ehemann vor vier Jahren inhaftiert worden sei, ohne glaubhaft gemacht zu haben, dass ihr seitdem noch etwas zugestoßen ist. Zudem hat die Klägerin als Grund für ihre Ausreise beim Bundesamt die Unterdrückung der Oromos benannt. Erst in der mündlichen Verhandlung gab sie an, dass sie wegen ihres Mannes das Land habe verlassen müssen.
55Ungeachtet dessen ist – selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags – jedenfalls nicht ersichtlich, dass sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien (weiterhin) landesweit politisch verfolgt werden würde. Zwar ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Insofern streitet für denjenigen, der bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die Vermutung des Artikel 4 Absatz 4 der Qualifikationsrichtlinie kann jedoch widerlegt werden. Dies ist der Fall, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, d.h. eine erneute Verfolgung nicht ernsthaft droht, wobei jene Beurteilung der tatrichterlichen Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung obliegt.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rn. 23; OVG NRW, Urteile vom 31. Juli 2018 – 14 A 707/18.A –, juris Rn. 24; vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 39; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. Februar 2019 – 8 B 17.31645 –, juris, Rn. 40; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 54 ff.; Marx, in: Fritz/Vormeier, GK AsylG, Band I, Vor II – 5 Rn. 239 f.
57Derartige gegen eine (erneut) drohende Verfolgung sprechende Gründe liegen im Falle der Klägerin – entgegen ihrer mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2018 geäußerten Ansicht – vor. Denn die politische Situation in Äthiopien hat sich seit Anfang des Jahres 2018 deutlich geändert. Anfang 2018 kündigte der damalige Premierminister Hailemariam Desalegn nach zweijährigen andauernden Protesten Reformmaßnahmen und die Freilassung von politischen Gefangenen an. Am 15. Februar 2018 kündigte Desalegn an, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der regierenden EPRDF niederzulegen, um den Weg für Reformen freizumachen. Am 2. April wurde Abiy Ahmed, der auch der Volksgruppe der Oromo angehört, als neuer Premierminister vereidigt. Der im Februar 2018 für sechs Monate verhängte Ausnahmezustand wurde Anfang Juni vorzeitig beendet. Seit Beginn des Jahres sind Tausende politische Gefangene aus der Haft entlassen worden, darunter auch führende Mitglieder von der Regierung bisher als touristisch eingestuften Gruppe Ginbot 7 und der zum Tode verurteilte Andargachew Tsege. Zudem wurde ein berüchtigtes zentrales Untersuchungsgefängnis geschlossen und es wurden der bisherige Nachrichten-/Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef ausgewechselt.
58Vgl. hierzu ausführlich Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 13. Februar 2019 – 8 B 17.31645 –, Rn. 29 ff. sowie auch schon VG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 6 K 4004/17.A –, juris, Rn. 50 unter Hinweis auf Amnesty International, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 4. Mai 2018, S. 1 f. und Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 11. Juli 2018, S. 1; so auch das Auswärtige Amt in seiner Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 14. Juni 2018, S. 1 f. und VG Bayreuth, Urteil vom 5. September 2018 – B 7 K 17.33349 –, juris, Rn. 50.
59Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien befürchten muss, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromo und/oder aufgrund der oppositionellen Unterstützung der OLF durch ihren Ehemann (erneut) inhaftiert und/oder misshandelt zu werden. Vor allem aufgrund der Tatsache, dass auch die OLF von der Terrorliste gestrichen wurde, tausende von politischen Gefangenen freigelassen wurden und in den vergangenen Monaten sogar ehemals führende Oppositionspolitiker unbehelligt nach Äthiopien zurückgekehrt sind, spricht alles dafür, dass auch die Klägerin trotz einer – schon nicht glaubhaft gemachten – früheren Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.
60Damit einhergehend gab die Klägerin auf die Frage, was sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien befürchtet, lediglich an, dass sie krank sei und dort ohne die in Deutschland ihr zugängliche Behandlung nicht einen Tag überleben könnte. Andere Befürchtungen, wie z.B. inhaftiert oder geschlagen zu werden, hat die Klägerin demgegenüber nicht vorgetragen.
612. Der Klägerin droht bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung.
62a) Insbesondere droht ihr nicht allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Oromo eine landesweite Verfolgung in Form einer Gruppenverfolgung. Hierzu hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit bei juris veröffentlichtem Urteil vom 8. März 2018 – 6 K 3856/17.A – wie folgt ausgeführt:
63„Wenngleich der Kläger als Oromo einer bestimmten ethnischen Gruppe im Sinne von § 3b Absatz 1 Nr. 1 AsylG angehört, ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe auch Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt sein wird. Im Einzelnen:
64Im April und Mai 2014 sowie seit Ende 2015 kam es aufgrund der Pläne der Regierung, Addis Abeba auf Kosten von Oromia zu erweitern, zu heftigen Unruhen in den Regionen Oromia und Amhara. Dabei soll es tausende Verletzte und mehr als 500 Tote durch gewalttätiges Einschreiten der Sicherheitskräfte gegeben haben. Hunderte, womöglich sogar Tausende Demonstranten sind verschwunden.
65Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 6. März 2017, S. 7; Human Rights Watch, World Report 2017 Ethiopia.
66Aufgrund der Unruhen befindet sich Äthiopien seit dem 9. Oktober 2016 im Ausnahmezustand. Zehntausende wurden vorübergehend verhaftet, laut offiziellen Angaben circa 24.000 Personen.
67Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien vom 6. März 2017, S. 7.
68Die seit den Jahren 2014 bis 2016 weit verbreiteten Gewalttaten und Inhaftierungen von Demonstranten in ganz Oromia waren allerdings nicht ethnisch ausgerichtet, sondern spiegeln die Sensibilität der Regierung gegenüber politischer Opposition wieder. Die äthiopische Regierung zeigt eine allgemeine Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen und Regierungskritikern, wenngleich sich diese insbesondere in Oromia regelmäßig manifestiert. Menschen aus allen ethnischen Gruppen sind in Äthiopien von Gewalt und Inhaftierung bedroht, wenn sie aktiv und offen gegen die regierende Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker (Ethiopian Peoples’ Revolutionary Democratic Front – EPRDF) sind.
69Vgl. VG Kassel, Urteil vom 5. September 2017 – 1 K 2320/17.KS.A –, juris; Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Ethiopia, 28. September 2017, S. 12; Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 21.
70Dieser Gesamteindruck wird letztlich auch dadurch bestätigt, dass der derzeitige Präsident von Äthiopien, Mulatu Teshome, ebenfalls der Volksgruppe der Oromo angehört, die mit etwa 35,3 Prozent der Bevölkerung die größte ethnische Gruppe in Äthiopien bilden. Zudem gibt es auch registrierte politische Parteien, die die Oromo-Interessen vertreten, einschließlich der Oromo Volksdemokratischen Organisation (OPDO), die Teil der regierenden Regierung ist. Auch sind Mitglieder der OPDO in der Regierung als Minister tätig und halten eine Reihe öffentlicher Macht- und Einflusspositionen inne.
71Vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance Note – Ethiopia: Oromos and the Oromo Protests, Dezember 2016, S. 8; 38. Australian Department of Foreig Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Ethiopia, 28. September 2017, S. 12.
72Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Bericht von Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014. Ungeachtet des Umstandes, dass dieser Bericht nur den Zeitraum bis 2014 erfasst und sich damit – anders als die zuvor genannten Berichte – nicht (mehr) auf die aktuelle Lage in Äthiopien erstreckt, die sich zudem – wie bereits dargestellt – seit Anfang 2018 auch verbessert zu haben scheint, lässt sich ihm ebenfalls nicht entnehmen, dass Personen, die der Volksgruppe der Oromo angehören, mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit allein auf Grund der Zugehörigkeit zu dieser ethnischen Gruppe einer landesweiten Verfolgung ausgesetzt sind. Vielmehr folgt auch aus diesem Bericht, dass die äthiopische Regierung gegen jede abweichende Meinung vorgeht und zwar egal wo und wie sie sich darstellt und gegenüber einflussreichen Einzelpersonen oder Gruppen, die nicht mit EPRDF verbunden sind, Feindseligkeiten zeigt. Dabei macht die Regierung Gebrauch von willkürlicher Verhaftung und Inhaftierung, um abweichende Meinungen in vielen Teilen des Landes, vor allem aber in Oromia, zu unterdrücken.
73Vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 8 und 21.
74Soweit es in dem Bericht weiter heiß, dass Oromia und die Oromo lange Zeit Repressionen ausgesetzt waren, die auf einer weit verbreitet unterstellten Opposition gegen die EPRDF basieren, die Zusammengenommen mit der Bevölkerungsgröße als potentielle politische Bedrohung für die Regierung angesehen wird,
75vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 8,
76ist bereits nicht hinreichend ersichtlich, was für Repressionen Personen drohen, die der Volksgruppe der Oromo zugehören, ohne sich – beispielsweise durch Demonstrationen und Proteste – (exponiert) oppositionell zu betätigen. Nachfolgend wird allein die Verhaftung von mindestens 5.000 Oromos, die in den Jahren zwischen 2011 und 2014 friedlich demonstriert haben, dargestellt.
77Dass bestimmte Verhaltensweisen wie die Weigerung, der regierenden politischen Partei beizutreten, von der Regierung argwöhnisch betrachtet werden,
78vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 10 und 46,
79ist für sich genommen ebenfalls nicht ausreichend, um eine flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr allein aufgrund der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromo als hinreichend beachtlich erscheinen zu lassen. Insoweit bleibt unklar, was für Folgen diese von der äthiopischen Regierung argwöhnisch betrachteten Verhaltensweisen mit welcher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Insbesondere fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass hinreichend beachtlich Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a Absatz 1 und 2 AsylG drohen. So wird hierzu lediglich ausgeführt, dass die Weigerung der regierenden Partei beizutreten, zu Festnahmen und willkürlichen Inhaftierungen führen kann.
80Vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 48.
81Überdies ist auch nicht ersichtlich, dass derartige Verhaltensweisen lediglich bei Zugehörigen zu der Volksgruppe der Oromos und nicht auch bei allen anderen Volksgruppen argwöhnisch betrachtet werden. Letzteres liegt aus Sicht der Kammer mit Blick auf die instabile politische Lage in Äthiopien näher. Dafür spricht nicht zuletzt, dass sogar die Mitgliedschaft in der regierenden Partei keine finale Sicherheit davor bietet, aufgrund des dennoch (fort-)bestehenden Verdachts, gegen die Regierung zu sein, verhaftet zu werden.
82Vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 46 und 50.
83Gleiches gilt, soweit seitens der äthiopischen Regierung auch Ausdrücke der Geschichte und Kultur Oromos als Manifestation einer abweichenden Haltung angesehen und nicht geduldet werden,
84vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 22,
85da auch hier nicht die Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromos, sondern das aus Sicht der äthiopischen Regierung abweichende Verhalten und das daraus befürchtete Potential einer Aufruhr als Anknüpfungspunkte für die staatlichen Repressionen dienen.
86Dass viele Oromos glauben, allein aufgrund ihrer ethnischen Identität in das Visier der Äthiopischen Regierung genommen worden zu sein,
87vgl. Amnesty International, Because I Am Oromo, vom 30. April 2014, S. 23,
88ist unerheblich. Denn wie sich aus § 3b Absatz 2 AsylG ergibt, ist maßgeblich allein die Motivation der Verfolger.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1986 – 9 C 28.85 –, BVerwGE 75, 99-107 = juris, Rn. 25; Hailbronner, Ausländerrecht, § 3b AsylG, Rn. 48.
90Soweit aus den Erkenntnissen schließlich hervorgeht, dass Oromos sich trotz ihrer zahlenmäßigen Mehrheit in einer Minderheitensituation im Land befinden und ihr politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles Leben in Äthiopien geprägt von Diskriminierung ist,
91vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance Note – Ethiopia: Oromos and the Oromo Protests, Dezember 2016, S. 5; Australian Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Ethiopia, 28. September 2017, S. 12; Gesellschaft für bedrohte Völker, Bericht über die Menschensrechtsarbeit 2016, 20. Oktober 2017, S. 10,
92ist ebenfalls nicht hinreichend ersichtlich, dass hierdurch die Schwelle, der drohenden Verfolgung oder des Drohens eines ernsthaften Schadens überschritten wird.
93Vgl. auch UK Home Office, Country Information and Guidance Note – Ethiopia: Oromos and the Oromo Protests, Dezember 2016, S. 5 und 7 f.
94Im Übrigen zeichnet sich in Äthiopien auch im Hinblick auf die politische Repräsentation der verschiedenen Volksgruppen ein Umschwung ab, nachdem der frühere, der Volksgruppe der Tigre zugehörige Regierungschef Hailemariam Desalegn zu Beginn des Jahres 2018 zurückgetreten ist und im April 2018 der Amtsantritt von Abiy Ahmed, dem ersten äthiopischen Regierungschef aus der ethnischen Gruppe der Oromo, erfolgte.
95Vgl. Bericht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Äthiopien vom 3. Juli 2018 (Stand: Juli 2018), S. 4 f.
96Nach alldem ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Äthiopien allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromo eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht.“
97Die Einzelrichterin schließt sich diesen Ausführungen an. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten aktuellen Entwicklungen in Äthiopien, die eine flüchtlingsrelevante Verfolgung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Oromo erst recht nicht beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen.
98b) Schließlich droht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien eine flüchtlingsrelevante Verfolgung auch nicht aufgrund des Vorwurfs, ihr Ehemann habe die OLF unterstützt. Ungeachtet der Frage, ob ihrem Ehemann tatsächlich vorgeworfen worden ist, die OLF zu unterstützen, lässt jedenfalls die aktuelle Entwicklung in Äthiopien eine Verfolgung der Klägerin aus diesem Grund nicht beachtlich wahrscheinlich erscheinen. Insoweit wird auf die Ausführungen auf S. 11 Bezug genommen. Im Übrigen lagen auch schon vor der derzeitigen Entwicklungen in Äthiopien keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die für eine Sippenhaft gesprochen hätten.
99Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 13. Dezember 2018 – 6 K 4004/17.A –, juris, Rn. 134 ff. m.w.N. und vom 8. März 2018 – 6 K 3856/17.A –, juris, Rn. 53 m.w.N.
100II. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte (Art. 16a Absatz 1 GG). Dies folgt bereits aus den vorstehenden Ausführungen, da sich die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Artikel 16a Absatz 1 GG und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG lediglich dadurch unterscheiden, dass der Schutzbereich des § 3 AsylG hinsichtlich selbst geschaffener Nachfluchtgründe und einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG) weiter gefasst ist.
101Vgl. zu § 60 Abs. 1 Satz 3, 4 AufenthG a.F. OVG NRW, Urteile vom 22. Februar 2010 – 8 A 3053/08.A – und vom 29. Juli 2008 – 15 A 2803/06.A –, jeweils m.w.N.; Huber, Das Zuwanderungsgesetz, NVwZ 2005, 1 (6, 10).
102Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte auch schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, nämlich Italien, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (vgl. Artikel 16a Absatz 2 Satz 1 GG).
103III. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG. Sie hat aus vorstehenden Gründen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihr gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 AsylG in ihrem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht.
104IV. Darüber hinaus bestehen entgegen der Ansicht der Klägerin auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nationale Abschiebungsverbote gemäß § 60 Absatz 5 und Absatz 7 Satz 1 AufenthG einschlägig sein könnten. Die Klägerin kann weder im Hinblick auf ihre gesundheitliche Lage (1.) noch aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen in Äthiopien (2.) Abschiebungsschutz beanspruchen.
1051. Ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Absatz 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, kurz: bei existentiellen Gesundheitsgefahren. Denn Abschiebungsschutz nach § 60 Absatz 7 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren.
106Vgl. hierzu grundsätzlich OVG NRW, Beschlüsse vom 20. September 2006 – 13 A 1740/05.A –, juris (= InfAuslR 2006, 487-492), vom 10. Januar 2007 – 13 A 1138/04.A –, juris, vom 5. Juni 2007 – 13 A 4569/05.A –, juris und vom 16. Dezember 2004 – 13 A 1140/04.A –, juris Rn. 29 ff.
107Gemäß § 60 Absatz 7 Satz 3 AufenthG ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Vielmehr muss sich ein Ausländer auf den Standard der üblichen heimatlichen Gesundheitsversorgung verweisen lassen, soweit sie eine zumutbare Gesundheitsversorgung darstellt. Eine solche ist regelmäßig selbst dann gegeben, wenn die Beschaffung von Medikamenten im Einzelfall auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen und mit nicht unerheblichem Kostenaufwand verbunden sein kann.
108Zu § 53 Absatz 6 AuslG: OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2004 – 13 A 1140/04.A –, juris, vom 30. Dezember 2004 – 13 A 1250/04.A –, juris m.w.N. und weiterer Begründung und vom 19. März 2004 – 13 A 931/04.A –, juris m.w.N.
109Schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung nach § 60 Absatz 7 Satz 4 AufenthG in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
110Bei der hiernach anzustellenden Rückkehrprognose, d.h. bei der Einschätzung, ob und ggf. in welcher Weise sich die Gefahr für Leib oder Leben wesentlich verschlimmern wird, ist die Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland zu berücksichtigen.
111Vgl. zu § 53 Absatz 6 AuslG: BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2001 – 1 B 185.01 –, juris (= Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr 51).
112Soweit im Übrigen krankheitsbedingte Gefahren drohen, die sich allein als Folge der Abschiebung und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben könnten, sind diese nicht vom Bundesamt, sondern von der Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu prüfen.
113Zu § 53 Absatz 6 AuslG: OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2004 – 13 A 1140/04.A –, juris, vom 30. Dezember 2004 – 13 A 1250/04.A –, juris m.w.N. und weiterer Begründung und vom 19. März 2004 – 13 A 931/04.A –, juris m.w.N.
114Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine abschiebungsrelevante Gesundheitsgefahr im Sinne des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG auf der Grundlage der vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen nicht greifbar. Weder aus der mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2018 noch aus den mit Schriftsatz vom 22. Februar 2019 oder den im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen lassen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Klägerin an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Die Bescheinigung des praktischen Arztes Issam Hammad vom 4. Dezember 2018 ist – wie auch schon bei der Frage, ob die Klägerin eine Traumatisierung hinreichend substantiiert vorgetragen hat, ausgeführt – völlig unsubstantiiert. Aus dem ärztlichen Attest des Hausärztlichen Internisten Dr. O vom 21. Februar 2019 folgt zwar, dass die Klägerin aufgrund eines „offensichtlich schwer einstellbaren Artiellen Hypertonus“ in Behandlung und auf die in der Anlage genannten Medikamente (Amlodipin, Moxonidin, Valsacor) angewiesen ist. Indes lässt sich dieser Bescheinigung nicht entnehmen, dass bei einem Behandlungsabbruch und/oder dem Absetzen der Medikamente alsbald nach einer Rückkehr nach Äthiopien beachtlich wahrscheinlich eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr in dem vorstehend dargestellten Sinne eintreten würde. In dem zuletzt genannten Attest wird ausgeführt, dass ein Abbruch der Behandlung ein hohes kardiovaskuläres Risiko hätte. Es drohten beispielsweise potentiell Apoplex und Myokardinfarkt. Das Attest enthält demgegenüber keinerlei Aussagen zum Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Behandlungsabbruchsfolgen. Auch wird weder ausgeführt noch ist sonst ersichtlich, wann mit dem Eintritt einer Lebensgefahr bei einer Rückkehr nach Äthiopien zu rechnen wäre. Dahingehende Anhaltspunkte folgen auch nicht aus dem Entlassungsbericht des Marienhospitals C vom 24. Oktober 2017 oder sonstigen ärztlichen Bescheinigungen, die die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt hat. Vielmehr heißt es in dem Entlassungsbericht, dass die kardiologische Abklärung keinen Anhalt für ein akutes Ereignis ergeben habe. Im letzten Aufenthalt sei eine ausführliche Diagnostik bzgl. sekundärer Hypertonie durchgeführt worden, die ebenfalls keinen Anhalt ergeben habe. Die Klägerin ist schließlich in gutem Allgemeinzustand in ambulante Weiterbehandlung entlassen worden.
115Da danach als wahr unterstellt werden konnte, dass die der Klägerin verschriebenen Medikamente nicht in Äthiopien verfügbar sind, war der wörtlich lautende Beweisantrag, „zum Beweis der Tatsache, dass die Verfügbarkeit der von der Klägerin eingenommenen Medikamente Amlodipin, Moxonidin und Valsacor oder entsprechende Ausweichpräparate in Äthiopien sichergestellt ist,“ zumindest als unerheblich abzulehnen.
116Im Übrigen vgl. VG München, Urteil vom 24. Mai 2016 – M 12 K 16.30568 –, juris, Rn. 30 zu der Frage der Behandelbarkeit u.a. einer arteriellen Hypertonie.
117Aus diesen Gründen war auch der Beweisantrag, „zum Beweis der Tatsache, dass sie auf die Einnahme der Medikamente Amlodipin, Moxonidin und Valsacor bzw. entsprechende Ausweichpräparate angewiesen ist und es bei Nichteinnahme dieser Medikamente zu einer hyperintensiven Krisen kommt, die bei Nichtbehandlung zu Organschäden führt und potenziell lebensbedrohlich ist und die ein hohes kardiovaskuläres Risiko birgt eine Auskunft des Auswertigen Amtes einzuholen“, als unerheblich abzulehnen. Inwieweit der Beweisantrag zudem auch verspätet im Sinne von § 87b VwGO gewesen ist, konnte daher dahingestellt bleiben.
1182. Ein Ausländer kann im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Absatz 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Es sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
119StRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 8. September 2012 – 10 C 14.10 –, juris, Rn. 22 f. m.w.N. (= BVerwGE 140, 319-332), und vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 –, juris, Rn. 38 (= BVerwGE 146, 12-31).
120Eine solche Gefährdungslage ist auch vor dem Hintergrund der sicherlich harten Existenzbedingungen in Äthiopien nicht anzunehmen. Zwar ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile, insbesondere der Landbevölkerung, äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Zusätzlich werden 7,8 Menschen über das Productive Safety Net Programme unterstützt.
121Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien (Stand: November 2014) vom 4. März 2015, S. 18.
122Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten. Es sind bisher keine Fälle bekannt, in denen zurückgekehrte Äthiopier Benachteiligungen ausgesetzt waren.
123Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien (Stand: November 2014) vom 4. März 2015, S. 19.
124Für Rückkehrer bieten sich zudem schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Der Klägerin ist zuzumuten, dort auch einfache Tätigkeiten auszuüben. Dass der Klägerin, die in Äthiopien aufgewachsen ist, das Nachgehen einer Erwerbstätigkeit möglich sein wird, steht aufgrund der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse hinreichend fest. So ergibt sich aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 13. Juli 2017, dass es einer alleinstehenden Mutter grundsätzlich möglich ist, in Äthiopien den Lebensunterhalt für sich und ihr minderjähriges Kind zu sichern. Die Chancen auf eine Erwerbstätigkeit und der Umfang des Gehalts sind wie in Deutschland oft von Schulbildung bzw. Sekundarbildung abhängig. Erwerbsmöglichkeiten bestehen allgemein auch für Personen ohne Schulbildung.
125Vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 13. Juli 2017, S. 1.
126Damit einhergehend war die Klägerin auch schon vor ihrer Ausreise dazu in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. So gab sie beim Bundesamt an, dass sie mit Kaffee gehandelt habe. Sie habe ihn gekauft und verkauft. Ihre finanzielle Lage sei durchschnittlich gewesen.
127Zudem ist der Vortrag der Klägerin, sie habe in Äthiopien keinen familiären Rückhalt, unglaubhaft. So hat sie bei der Anhörung beim Bundesamt noch angegeben, dass einige ihrer Onkel in Äthiopien lebten. In der mündlichen Verhandlung hieß es abweichend hierzu, dass sie nur einen Onkel in Äthiopien habe, der aber weit weg lebe. Ohne dass es letztlich darauf ankommt, wie viele ihrer Onkel noch in Äthiopien leben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht zumindest bei diesem einem Onkel unterkommen bzw. von ihm unterstützt werden könnte. Vor diesem Hintergrund kann auch dahingestellt bleiben, ob sie tatsächlich keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann und ihrer Mutter hat.
128Der Beweisantrag, zum Beweis der Tatsache, dass eine alleinstehende Frau in Äthiopien, die Analphabetin und dem Volk der Oromo angehörig ist und zudem unter schwerem Bluthochdruck leidet, der wiederholt zu hyperintensiven Krisen führt und die in Äthiopien über kein familiäres Netzwerk verfügt welches unterstützungsfähig und unterstützungswillig ist, nicht in der Lage sein wird ihr Existenzminimum auch nur ansatzweise sicherzustellen, war nach alledem – ungeachtet der Frage, ob er verspätet im Sinne des § 87b VwGO gewesen ist – als unerheblich und wegen eigener Sachkunde des Gerichts abzulehnen. Zum einen kann die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien – wie soeben ausgeführt – sehr wohl auf familiäre Unterstützung zurückgreifen. Aus diesem Grund ist der Beweisantrag bereits unerheblich. Zum anderen liegen dem Gericht zu der Frage, ob eine alleinstehende Frau ihr Existenzminimum in Äthiopien sicherstellen kann, bereits hinreichende Erkenntnisse vor (s.o.).
129Es ist weder hinreichend substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung generell nicht in der Lage ist, einer einfachen, körperlich nicht anstrengenden, Tätigkeit nachzugehen. Hinreichende Anhaltspunkte hierfür lassen sich insbesondere nicht den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen entnehmen. Da sich letzteres auch nicht allein daraus ergäbe, dass die Klägerin – wie von ihr behauptet – selbst bei Einnahme der verschriebenen Medikamente „in ihrer Alltagskompetenz deutlich eingeschränkt ist und oft bewusstlos wird“, war auch der Antrag, den anwesenden Herrn B als präsenten Zeugen anzuhören, als unerheblich abzulehnen. Die Beweistatsache konnte zudem bereits aufgrund der vorhandenen familiären Unterstützung der Klägerin in Äthiopien (s.o.) als wahr unterstellt werden. Vor diesem Hintergrund konnte auch an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 87b Absatz 3 VwGO vorlagen. Insbesondere kam es nicht darauf an, dass S. 3 des Schriftsatzes vom 10. Dezember 2018 fehlt, wo die Klägerin den präsenten Zeugen als Beweismittel benannt haben will.
130Auch der Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass sie mit und ohne Einnahme von Medikamenten derart körperlich eingeschränkt ist, dass sie keine körperliche Arbeit verrichten kann, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, war – ungeachtet des § 87b VwGO – als unerheblich abzulehnen. Denn selbst wenn die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Beschwerden nicht in der Lage sein sollte körperliche Arbeiten zu verrichten, ist weder hinreichend substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich, dass sie nicht in der Lage wäre, andere als körperlich anstrengende Arbeiten durchzuführen. Die Unerheblichkeit ergibt sich überdies auch an dieser Stelle aus dem Umstand, dass die Klägerin in Äthiopien auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann. Daneben ist der Beweisantrag auch unsubstantiiert, weil zumindest für die Tatsachenbehauptung, dass die Klägerin selbst bei Einnahme von Medikamenten derart körperlich eingeschränkt ist, dass sie keine, auch nicht nur leichte körperliche Arbeit, verrichten kann, bisher keine hinreichenden Anhaltspunkte vorliegen. Insbesondere enthalten die mit Schriftsatz vom 22. Februar 2019 vorgelegten beiden ärztlichen Bescheinigungen keinerlei Ausführungen hierzu. Dem Attest des Hausärztlichen Internisten vom 21. Februar 2019 lässt sich lediglich entnehmen, dass die Klägerin „körperlich nicht uneingeschränkt belastbar“ sei. Wenngleich nicht ganz klar ist, was damit gemeint ist, ist doch zumindest nicht im Ansatz greifbar, dass die Klägerin gänzlich arbeitsunfähig ist. Aber auch dann, wenn dies der Fall sein sollte, könnte die Klägerin – wie bereits mehrfach ausgeführt – jedenfalls auf familiäre Unterstützung zurückgreifen.
131Schließlich war auch der Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass sie auch bei Einnahme von Medikamenten nicht uneingeschränkt körperlich belastbar ist, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, jedenfalls als unerheblich abzulehnen. Die Beweistatsache konnte ein weiteres Mal aufgrund der in Äthiopien bestehenden familiären Unterstützung und zudem auch aufgrund der Möglichkeit, zumindest nicht körperlich belastende Arbeiten auszuüben, als wahr unterstellt werden.
132V. Damit liegen auch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vor, §§ 34, 38 Absatz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG.
133VI. Schließlich begegnet auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate keinen rechtlichen Bedenken. Zur Begründung wird auf die Gründe des Bescheides, denen das Gericht folgt, Bezug genommen (§ 77 Absatz 2 AsylG).
134Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
135Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).
136Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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