Urteil vom Verwaltungsgericht Augsburg - Au 5 K 18.30993

Tenor

I. Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

II. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird in den Nrn. 3 bis 5 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

III. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zuletzt die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote sowie die Aufhebung oder kürzere Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Die am ... 1962 in ... (Irak) geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit und christlichem Glauben.

Ihren Angaben zufolge reiste die Klägerin am 5. Dezember 2016 erstmalig auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie unter dem 19. Dezember 2016 Asylantrag stellte. Der Asylantrag wurde gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) beschränkt.

Die persönliche Anhörung der Klägerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 27. Dezember 2016. Die Klägerin trug hierbei im Wesentlichen vor, dass sie als Christen im Irak zu einer Minderheit gehörten. Christen besäßen keine Rechte. Die Klägerin befürchte bei einer Rückkehr in den Irak, aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit getötet zu werden. Darüber hinaus sei sie eine alleinstehende, geschiedene Frau. Ihre Eltern seien bereits verstorben; weitere Verwandte gebe es im Irak nicht. Sie habe keinen Beruf erlernt, habe zuletzt als ungelernte Zahnarzthelferin bis zur Ausreise gearbeitet. Außerdem sei die Familie von der kirchlichen Gemeinde und der ... unterstützt worden.

Auf den weiteren Vortrag der Klägerin anlässlich von deren persönlicher Anhörung beim Bundesamt wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11. April 2017 wurde der Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt (Nr. 1. des Bescheids) und in Nr. 2. festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Nr. 3. wurde gegenüber der Klägerin die Abschiebung nach Italien angeordnet. Auf die Gründe dieses Bescheides wird verwiesen.

Nach Ablauf der Überstellungsfrist wurde der vorbezeichnete Bescheid des Bundesamtes mit weiterem Bescheid des Bundesamtes vom 19. Februar 2018 aufgehoben. Auf die Gründe dieses Bescheides wird Bezug genommen.

Mit weiterem Bescheid des Bundesamtes vom 17. Mai 2018 (Gz. ...) wurden die Anträge der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Gewährung des subsidiären Schutzstatus abgelehnt (Nrn. 1. und 2. des Bescheids). Nr. 3. des Bescheides bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. In Nr. 4. wird die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde der Klägerin die Abschiebung in den Irak angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass die Klägerin auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den sie einreisen dürfe oder der für ihre Rückübernahme verpflichtet sei. Nr. 5. setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest. In den Gründen ist u.a. ausgeführt, dass Abschiebungsverbote zu Gunsten der Klägerin nicht vorliegen. Eine Abschiebung sei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn die Klägerin im Falle ihrer Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen zu treffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstelle. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Mit Vormarsch des „Islamischen Staates“ ab Juni 2014 seien große Teile der sunnitischen Gebiete des Irak der Kontrolle der Zentralregierung entzogen. Gegenwärtig stelle sich die Lage jedoch differenziert dar. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei vorliegend angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Mai 2018 wird ergänzend verwiesen.

Der vorbezeichnete Bescheid wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 25. Mai 2018 zugestellt.

Die Klägerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 28. Mai 2018 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und zunächst beantragt,

1. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass sie die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes erfüllt, hilfsweise festzustellen, dass für sie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, hilfsweise, das Einreise- und Aufenthaltsverbot kürzer zu befristen.

2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Mai 2018, Gz.:, wird aufgehoben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.

Eine Begründung der Klage ist im Weiteren nicht erfolgt. Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2018 wurde ein ärztliches Attest des Zentrums für Allgemeinmedizin,, vorgelegt, auf dessen Inhalt verwiesen wird.

Die Beklagte hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Juni 2018 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2018 hat die Klägerin ihre Klage dahingehend beschränkt, dass nur mehr die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten begehrt wird. Im Übrigen wurde die Klage zurückgenommen. Die Klägerin hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Mit Generalerklärung der Beklagten vom 27. Juni 2017 hat sich die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

Der Entscheidung ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu Grunde zu legen, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG.

1. Soweit die Klage mit Schriftsatz vom 13. Juli 2018 teilweise zurückgenommen wurde, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach teilweiser Klagerücknahme verbliebener Gegenstand des Verfahrens ist damit nur mehr der Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

2. Soweit die Klägerin ihre Klage im Schriftsatz vom 13. Juli 2018 noch aufrechterhalten hat, ist sie zulässig und begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 17. Mai 2018 ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in Nrn. 3 bis 5 insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten, als diese einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des Irak hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Ob daneben auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).

a) Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Die im Fall der Klägerin zu erwartenden schlechten allgemeinen Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen vorliegend eine Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 30285/14 – InfAuslR 2015, 212 = juris Rn. 17 ff.).

b) Gemessen hieran liegen diese besonders strengen Voraussetzungen vor. Die Klägerin würde im Falle einer Rückkehr bzw. Abschiebung in den Irak einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht mehr gesichert wären. Damit ist von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen (VG München, U.v. 22.9.2016 – M 24 K 16.31812 – juris).

Ob die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, ist eine Frage der konkreten Umstände, in denen sich der Asylbewerber befindet. Dabei ist vorliegend zum einen zu berücksichtigen, dass es sich bei der Klägerin um eine alleinstehende, geschiedene Frau handelt. Nach ihrem glaubwürdigen Vorbringen im Verfahren befinden sich mittlerweile keine Familienangehörigen mehr im Irak. Auch die vormals angemietete Wohnung in ... wurde aufgegeben. Ein Teil ihrer Geschwister lebt in den USA und Kanada, die weiteren Geschwister in Deutschland. Die Klägerin hat den Irak im Dezember 2016 gemeinsam mit ihren zuletzt noch dort lebenden beiden Schwestern verlassen. Darüber hinaus verfügt die Klägerin nach ihrem glaubwürdigen Vorbringen über keine berufliche Ausbildung. Zuletzt hat sie in ... als ungelernte Zahnarzthelferin gearbeitet. Darüber hinaus hat sie auf die fortwährende Unterstützung seitens der christlichen Kirche und der ... in ... verwiesen. Dies aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie im Irak. Die Eltern der Klägerin sind vorverstorben. Im Jahr 2006 fiel mit dem Tod des Bruders der Klägerin auch noch dessen Versorgungsbeitrag für die Familie weg. Die geschiedene Klägerin, die stets auf den Rückhalt ihrer Familie angewiesen war, ist es weder gewohnt, selbstständig zu leben, noch sich in nennenswertem Umfang um ihren Lebensunterhalt zu kümmern. Bei einer Rückkehr in ihre vormals bewohnte Heimatregion (...) wäre die Klägerin vollständig auf sich allein gestellt. Einer erneuten Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit als ungelernte Kraft stehen überdies die multiplen gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin entgegen. Derzeit erhält die Klägerin auf Grund ihrer orthopädischen Probleme einen Kniegelenksersatz am linken Knie. Darüber hinaus besteht bei der Klägerin eine Diabetes. Im Hinblick auf das Alter der Klägerin, ihre fehlenden beruflichen Qualifikationen und ihre gesundheitlichen Einschränkungen ist nach Auffassung des Gerichts nicht zu erwarten, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Irak (...) in der Lage wäre, ihr Existenzminimum auch nur im Ansatz ohne fremde Hilfe sicherzustellen. Die Klägerin wäre, zumal sich ihre übrigen Familienangehörigen dauerhaft im Ausland bzw. in Deutschland aufhalten, zwingend auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Nachdem sich keine Familienmitglieder mehr in ... befinden, könnte die Klägerin allenfalls Unterstützung durch kirchliche Einrichtungen erhoffen.

Ob die christliche Gemeinde in ... oder die ... jedoch nach wie vor in der Lage sind, Bedürftige Gemeindemitglieder zu unterstützen und ob der Klägerin ausreichend Hilfe zu teil würde, um wenigstens das Existenzminimum zu sichern, ist nicht ausreichend sichergestellt. Ansprüche kann die Klägerin insoweit nicht geltend machen. Auch verfügt sie im Fall einer Rückkehr nicht mehr über eine Unterkunft. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es der Klägerin nach Auffassung des Gerichts auch wegen ihres christlichen Glaubens in ... nicht ohne weiteres möglich sein wird, ihren Lebensunterhalt mit Hilfe der Unterstützung staatlicher Stellen zu sichern. Als Angehörige der christlichen Minderheit und zudem als alleinstehende, geschiedene Frau kann sie insoweit voraussichtlich nicht auf die Solidarität der überwiegend islamisch geprägten Gesellschaft hoffen.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich wegen der individuellen Situation der Klägerin nach der Überzeugung des Gerichts vorliegend eine existenzielle Gefahr bei einer Abschiebung nach .... Die Klägerin wird voraussichtlich nicht in der Lage sein, sich bei einer Abschiebung in den Irak eine Existenzgrundlage zu schaffen und deshalb in eine existentielle Notlage geraten.

4. Nachdem bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot vorliegt, waren auch die Abschiebungsandrohung (Ziffer 4 des Bescheids) und das auf 30 Monate festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 AufenthG (Ziffer 5 des Bescheids) aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung in dem nach § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahren beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, wobei das Gericht zugrunde gelegt hat, dass die erklärte Klagerücknahme der Klägerin 2/3 des ursprünglichen Streitgegenstandes betrifft, während die Klägerin hinsichtlich der weiter aufrechterhaltenen Klage vollständig obsiegt.

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