Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 16 K 1652/99.A
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Februar 1999 wird hinsichtlich seiner Ziffer 2. insoweit aufgehoben, als dem Kläger die Abschiebung nach Marokko angedroht wird.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, daß hinsichtlich Marokko Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG vorliegen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 19. November 1993 mit dem Flugzeug von Casablanca aus Marokko aus. Am 1. Februar 1994 beantragte der Kläger erstmals seine Anerkennung als Asylberechtigter, im wesentlichen mit der Begründung, er sei homosexuell und werde deshalb in Marokko verfolgt; er sei insgesamt sechsmal für einige Tage festgehalten, dabei auch mißhandelt und gefoltert worden; gegen Geld sei er jeweils freigekommen.
3Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 3. Februar 1994 ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
4Am 2. Mai 1995 stellte der Kläger einen ersten Folgeantrag, verwies auf sein früheres Vorbringen und trug zusätzlich vor, eine alte Frau habe ihm aus Marokko geschrieben, die Polizei habe mehrmals nach ihm gefragt; er habe auch eine Vorladung bekommen, in der der Grund dafür nicht genannt werde.
5Das Bundesamt lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens durch Bescheid vom 15. Mai 1995 ab. Die daraufhin beim erkennenden Gericht erhobene Klage - 16 K 5157/95.A - nahm der Kläger am 18. Juli 1995 zurück.
6Unter dem Datum des 18. Juli 1996 stellte der Kläger einen weiteren Asylfolgeantrag, jetzt mit der Begründung, er sei transsexuell und werde im Falle seiner Rückkehr nach Marokko nach islamischem Recht getötet werden; es gebe dort kein Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Liebe schütze.
7Mit Bescheid vom 26. Juli 1996 lehnte das Bundesamt erneut die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab.
8In dem sich anschließenden Klageverfahren - 16 K 9025/96.A - trug der Kläger vor, er weise durch die Einnahme weiblicher Hormone jetzt äußerlich weibliche Geschlechtsmerkmale auf; dadurch könne er seine Homosexualität bei einer Rückkehr nach Marokko nicht mehr verbergen; schon früher habe man ihm, als er in Marokko Frauenkleider getragen habe, bei der Polizei die Zähne ausgeschlagen und ihn an den Haaren gezogen. Das erkennende Gericht wies die auf das Asylbegehren und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 AuslG beschränkte Klage durch rechtskräftiges Urteil vom 11. Dezember 1996 ab.
9Laut Operationsbericht des Prof. Dr. F am E2krankenhaus N wurde beim Kläger am 13. Oktober 1998 eine Genitaltransformation M-F erfolgreich durchgeführt. Unter Berufung hierauf stellte der Kläger unter dem Datum des 9. Februar 1999 einen dritten Asylfolgeantrag und trug vor, einem Transsexuellen, der sich zu einer Frau habe umoperieren lassen, drohten in Marokko schlimmste Repressalien bis hin zu Bedrohungen für Leib und Leben; mit seinem auf einen Männernamen ausgestellten Paß müsse er auch mit größten Schwierigkeiten bei der Einreise rechnen.
10Mit Bescheid vom 23. Februar 1999, als Einschreiben abgesandt am 1. März 1999, lehnte das Bundesamt erneut die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bzw. Bestandskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls ihm die Abschiebung nach Marokko oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht wurde.
11Mit der am 6. März 1999 erhobenen Klage vertieft der Kläger sein Folgeantragsvorbringen. Die Klinik in Mannheim habe er spätestens am 27. Oktober 1998 verlassen. Danach habe er noch drei Monate zu Hause liegen müssen. In dieser Zeit habe sein Freund ihn versorgt. Das Haus habe er nur für Arztbesuche und ärztlicherseits empfohlene kurze Spaziergänge verlassen. Vor der Stellung des letzten Asylfolgeantrags habe sein Freund ihn zur Anwaltskanzlei gefahren. Der Kläger bietet dafür, daß der Transsexualismus durch die überwiegend muslimische Bevölkerung Marokkos auf das Schärfste verfolgt werde und er mit Diskriminierungen bis hin zur Tötung rechnen müsse, andererseits keinen Schutz durch die Behörden erwarten könne, die in Deutschland lebende Zeugin O an; diese kenne ihn seit 20 Jahren und stamme wie er aus einem Dorf in der Nähe von Marrakesch.
12Der Kläger beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ferner festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Das Gericht hat Beweis darüber erhoben, welche Gefahren bzw. Nachteile dem Kläger aufgrund der Geschlechtsumwandlung in Marokko seitens Bevölkerung und Behörden drohen und ob ihm gegebenenfalls Schutz durch Behörden gewährt würde, durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Institutes. Wegen der Einzelheiten der Beweisfragen und des Inhalts der Auskünfte wird auf Bl. 25 und 28 bis 32 der Gerichtsakten Bezug genommen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde verwiesen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage hat nur im tenorierten Umfang Erfolg.
20I.
21Sie ist unbegründet, soweit sie sich auf die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG richtet. Der Kläger ist nämlich in Marokko weder politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen, noch droht ihm eine solche, wenn er nach Marokko zurückkehrt. Nach der insoweit überzeugenden Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 15. Juni 1999 ist bei der dem Kläger in Marokko wegen seiner Transsexualität bzw. Geschlechtsumwandlung drohenden Bestrafung (maximal drei Jahre Haft nach Art. 489 Code Pénal bzw. maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe nach Art. 483 Code Pénal) nicht davon auszugehen, daß die Bestrafung, falls sie überhaupt in diesem Umfang erfolgen sollte, politisch motiviert wäre. Auch sonst ist nach dem Gutachten des Auswärtigen Amtes politische Verfolgung durch marokkanische Behörden gegenüber dem Kläger aufgrund seiner Veranlagung und der Geschlechtsumwandlung nicht zu erwarten. Das Deutsche Orient-Institut hat sich dieser Einschätzung in seinem im Auftrag des Gerichts erstellten Gutachten vom 2. Juli 1999 kurz, aber vollinhaltlich angeschlossen. Auch der dem Gutachten des Auswärtigen Amtes zu entnehmende Umstand, daß bei Übergriffen auf den Kläger seitens der marokkanischen Bevölkerung behördlicher Schutz nur begrenzt vorstellbar ist, läßt keinen Schluß auf politische Verfolgung zu; denn der Auskunft ist insgesamt zweifelsfrei zu entnehmen, daß ein etwaiges Unterbleiben behördlichen Schutzes keiner politischen Motivation sondern lediglich den Umständen zugeordnet werden könnte. Selbst aus dem Gesichtspunkt, daß (in Marokko) die Bereitschaft der Behördenbediensteten, dem Kläger in durch seine Erscheinung oder sein Verhalten verursachten Notlagen zu helfen, in einigen Fällen gering sein dürfte, kommt ein politisch motiviertes, dem marokkanischen Staat zuzurechnendes Verhalten der Behörden nicht in Betracht.
22II.
23Die Klage ist aber begründet, soweit sie sich auf die Verpflichtung der Beklagten richtet festzustellen, daß hinsichtlich einer Abschiebung des Klägers nach Marokko Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG vorliegen, und soweit dem Kläger in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides die Abschiebung nach Marokko angedroht wird.
24Auch bei Asylfolgeanträgen, die nach der Entscheidung des Bundesamtes nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt haben, ist das Verwaltungsgericht befugt, in Bezug auf Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG in der Sache durchzuentscheiden,
25vgl. OVG Münster, Urteil vom 24. Februar 1997 - 25 A 3389/95 -.
26Der Abschiebung des Klägers nach Marokko stehen Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG entgegen. Gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dem Kläger droht im Falle der Abschiebung nach Marokko die erhebliche konkrete Gefahr, von der dortigen Bevölkerung schwer mißhandelt oder getötet zu werden.
27Nach den eingeholten Auskünften (die Auskunft des Deutschen Orient-Institutes bekräftigt lediglich den Inhalt derjenigen des Auswärtigen Amtes) stehen sowohl die Transsexualität des Klägers als auch dessen Geschlechtsumwandlung in erheblichem Konflikt mit islamischen Wertvorstellungen und müssen gerade im Bereich der Sexualität Minderheiten mit Diskriminierungen durch die weitgehend islamische Bevölkerung, ja mit Anfeindungen rechnen. Daß es dabei zu Ausschreitungen kommen kann, ergibt sich mittelbar aus der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, bei ernsthafteren Ausschreiungen" würden die Behörden eingreifen (hierzu weiter unten). Das Gericht kann ohne weiteres einschätzen, in welchem lebensbedrohlichen Maße derartige Ausschreitungen in islamisch dominierten Ländern eskalieren können. Ein weiteres Gutachten, etwa von amnesty inernational, zu dieser Frage einzuholen, erscheint dem Gericht überflüssig, weil es aus eigener Erfahrung weiß, welche Emotionen in arabischen Ländern teilweise aus unbedeutenden Anlässen möglich und keineswegs selten sind. So hat der erkennende Richter selbst im Jahre 1970 erlebt, wie die Teilnehmer an einer Hochzeit in Tunesien lediglich beim Tanzen und ohne Mitwirkung von Rauschmitteln in äußerste Erregung geraten sind. Es drängt sich dem Gericht ohne weiteres auf, in welch gefährlicherem Maße im arabischen Raum öffentliche Erregung über (nach dortigen Wertvorstellungen) abartige und widerliche Verhaltens- und Erscheinensweisen, die noch dazu eklatant und in höchstem Maße provozierend gegen islamische Wertvorstellungen verstoßen, eskalieren wird, sobald die Situation des Klägers, die ihm von der dortigen Bevölkerung mit an Sicherheit grenzender Wahrcheinlichkeit als persönliches Fehlverhalten angelastet werden wird, in Marokko bekannt wird. Daß es dabei zu schweren Mißhandlungen kommen wird, ist so sehr wahrscheinlich, daß eine Gefahr für Leib und Leben des Klägers als erheblich und konkret bezeichnet werden muß. Die insoweit eher zurückhaltenden Auskünfte stehen dieser Einschätzung nicht im Wege.
28Der Kläger kann dieser Gefahr auch nicht durch angepaßtes Verhalten entgehen. Denn zumindest seine Geschlechtsumwandlung ist irreversibel und offensichtlich. Aber selbst wenn der Kläger durch das Tragen von Männerkleidung und durch eine entsprechende Frisur zunächst unauffällig nach Marokko einreisen könnte (ihm wird nur ein auf seinen männlichen Vornamen ausgestelltes Einreisepapier zur Verfügung gestellt), wäre seine Enttarnung" selbst in einer Großstadt nur eine Frage der Zeit. Dem Kläger ist im übrigen auch nicht zuzumuten, seine Geschlechtsumwandlung äußerlich so zu verschleiern, daß diese nicht sogleich bemerkt wird. Denn die Geschlechtsumwandlung wäre überhaupt gar nicht erst durchgeführt worden, wenn sie nicht durch die Veranlagung des Klägers medizinisch zwingend gewesen wäre. Auf die entsprechenden ärztlichen Gutachten in den Verwaltungsakten wird insoweit verwiesen.
29Dem Kläger steht auch nicht die Möglichkeit offen, seine Verfolgung durch die islamische Bevölkerung durch Wohnsitznahme in einer marokkanischen Großstadt zu verhindern. Denn zum einen ist auch in den marokkanischen Großstädten der Islam allgegenwärtig, zum anderen ist nicht zu vermeiden, daß der Kläger gelegentlich die Großstadt verläßt und eine Kleinstadt oder ein Dorf aufsucht, wo ihm in besonderem Maße Enttarnung" und Verfolgung droht. Auch dies widerspricht nicht der Einschätzung in den Auskünften.
30Der Schutz durch die marokkanische Polizei ist im Falle des Klägers nicht ansatzweise gesichert. Unabhängig von der Bereitschaft der Polizei, dem Kläger überhaupt Schutz zu gewähren, wäre dieser Schutz im Hinblick auf die ständig drohende Gefahr von Angriffen aus der überall gegenwärtigen islamischen Bevölkerung nur dann hinreichend, wenn er nahezu lückenlos wäre. Dies ist im Falle des Klägers, der keine bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Marokko ist, vielmehr aufgrund seiner Eigenart eher der Verachtung seiner Landsleute ausgesetzt sein wird, auszuschließen. Dies wird im übrigen vom Auswärtigen Amt bestätigt, wenn es in dessen Auskunft heißt, ein Schutz im Sinne eines behördlichen Schutzauftrages sei allerdings nur begrenzt vorstellbar, da der Transsexualismus offiziell nicht anerkannt werde.
31Der Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugin bedurfte es bei dieser Gesamteinschätzung des Gerichts nicht.
32Da somit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Falle des Klägers erfüllt sind, bedarf es noch einer Ermessensentscheidung über das Absehen von der Abschiebung des Klägers nach Marokko. Diese kann im vorliegenden Fall nur zugunsten des Klägers ausfallen, weil die ihm drohende Gefahr auf der Hand liegt,
33vgl. OVG Bremen, Beschluß vom 21. August 1997 - 1 B 68/97 -; VG Oldenburg, Urteil vom 7. Mai 1998 - 6 A 4610/96 -.
34Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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