Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 25 K 5127/96.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Tatbestand:
2Der am xxxxxxxxxxxxx 1972 in Kukes geborene Kläger ist albanischer Staatsangehöriger und albanischer Volkszugehörigkeit.
3Er reiste am 10. Januar 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 19. Januar 1996 die Anerkennung als Asylberechtigter.
4Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 24. Januar 1996 gab er im wesentlichen an: Sein Großvater habe 1940 anläßlich eines Streites um ein Stück Land jemanden umgebracht. Nach dem demokratischen Umbruch seien viele alte Blutrachen wieder aufgenommen worden. Seine Familie habe die Familie des Getöteten um Versöhnung gebeten und Geld angeboten. Der Sohn des Getöteten habe das aber abgelehnt und Blutrache angekündigt. Er als junger Mann sei besonders gefährdet. Deshalb sei er nach Tirana gegangen. Dort habe er von Januar 1995 bis August 1995 bei einem Onkel gelebt. Er sei dann aber weiter zu einem Schwager des Onkel nach Durres gegangen, weil er sich in Tirana nur habe nachts bewegen können. In Durres habe er dann bis zu seiner Ausreise gelebt.
5Mit Bescheid vom 16. April 1996 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen, stellte ferner fest, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist drohte es die Abschiebung nach Albanien an.
6Der Bescheid wurde dem Kläger am 26. April 1996 zugestellt.
7Der Kläger hat am 26. April 1996 Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Mit Beschluß vom 15. Mai 1996 (25 L 1590/96.A) hat die erkennende Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet. Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Anerkennungsbegehren weiter.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. April 1996 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
10Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12In der mündlichen Verhandlung vom 29. November 1999 wurde der Kläger mit Hilfe eines Dolmetschers für die albanische Sprache zu seinen Asylgründen gehört. Seine Aussage wurde protokolliert.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und er in diesem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten betreffend den Kläger und den Bruder des Klägers, der Ausländerakten der Landrätin des Kreises xxxxx, der ebenfalls beigezogenen Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Weimar und der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünfte und Erkenntnisquellen Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gegen die Beklagte bzw. auf die Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, bzw. auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und ist von der Beklagten zu Recht unter Abschiebungsandrohung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland Frist aufgefordert worden.
17Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht nach Art. 16a Abs. 1 GG, wenn der Asylbewerber die aus Tatsachen begründete Furcht hegen muß, in dem Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt bzw. in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt zu werden, und wenn er den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtung nicht in Anspruch nehmen will.
18Der Begriff der Verfolgung meint dabei die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit sowie eine solche Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter wie der Religionsfreiheit, der beruflichen oder der wirtschaftlichen Betätigung, die nach ihrer Schwere und Intensität die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bevölkerung des betreffenden Staates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen hat,
19vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 2. Juli 1980, BVerfGE 54, S. 341, 357; Urteil vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, S. 143, 157 f..
20Die Verfolgung stellt sich als "politisch" dar, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf die politische Überzeugung des Betroffenen zielt,
21ständige Rechtsprechung, siehe nur Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Mai 1983, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 7; ferner BVerfG, Beschluß vom 10. Juli 1989, - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, Bl. 24 des Abdrucks.
22Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abstellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muß. Hat der Flüchtling bereits einmal politische Verfolgung erlitten, so kann ihm asylrechtlicher Schutz grundsätzlich nur verwehrt werden, wenn im Rahmen der zu treffenden Zukunftsprognose eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist,
23BVerfG, Beschluß vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, S. 143, BVerwG, Urteil vom 27. April 1982, BVerwGE 65, S. 250.
24Das Asylrecht ist aber auch dann zuzuerkennen, wenn der Asylbewerber politische Verfolgung begründet befürchten muß, d.h. wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß ihm eine Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht zuzumuten ist. Ob eine derartige beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, ist durch eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Maßgebend ist, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder statistischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht,
25BVerwG, Urteil vom 15. März 1988, BVerwGE 79, S. 143.
26Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern, die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel sowie bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist. Das Gericht darf hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland (Vorfluchtgründe) keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewißheit verlangen, sondern muß sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Soweit die Verfolgungsfurcht auf Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers gestützt wird, genügt es für die Überzeugungsbildung des Gerichts, daß die Asylgründe glaubhaft gemacht sind, wobei die Glaubhaftmachung eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung der Gründe mit Einzelheiten voraussetzt. Widersprüchliches oder im Verfahren sich steigerndes Vorbringen kann die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen, falls die Unstimmigkeit nicht überzeugend aufgelöst wurde;
27zum Vorstehenden: BVerwG, Urteil vom 29. November 1979, BVerwGE 55, S. 82; Urteil vom 16. April 1985, BVerwGE 71, S. 180, Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NW), Urteil vom 25. August 1981, InfAuslR 1982, S. 43.
28Die Verfolgungsprognose ist im übrigen landesweit, d.h. für den gesamten Heimatstaat des Asylbewerbers und nicht etwa begrenzt auf dessen ursprüngliche Heimatregion zu treffen, denn des Schutzes vor politischer Verfolgung im Ausland bedarf nicht, wer zwar in Teilen seines Heimatlandes politische Verfolgung erlitten hat, bzw. von entsprechenden Verfolgungsmaßnahmen bedroht ist, aber in anderen Teilen des eigenen Landes ohne Furcht vor politischer Verfolgung leben kann, sofern der Aufenthalt dort für ihn nicht unzumutbar ist (sogenannten inländische Fluchtalternative),
29ständige Rspr. des BVerwG, etwa Urteil vom 6. Oktober 1987, Buchholz, a.a.O., § 1 AsylVfG Nr. 72, BVerfG, Beschluß vom 20. Dezember 1988, NVwZ 1989, S. 746 f..
30Eine Erstreckung des Asylgrundrechts auf nach der Flucht des Asylbewerbers aus seinem Heimatland entstandenen Tatbestände (Nachfluchtgründe) kommt nur insoweit in Betracht, als sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung, wie sie dem Norminierungswillen des Verfassungsgebers entspricht, gefordert ist. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich für sogenannte objektive Nachfluchttatbestände, die durch Vorgänge oder Ereignisse im Heimatland unabhängig von der Person des Asylbewerbers ausgelöst werden, eine Asylrelevanz in Betracht ziehen. Subjektive Nachfluchttatbestände, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluß geschaffen hat, rechtfertigen in aller Regel nur dann eine Anerkennung als Asylberechtigter, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen,
31BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986, BVerfGE 74, S. 51.
32Darüber hinaus ist ein subjektiver Nachfluchtgrund grundsätzlich nur dann asylrechtlich beachtlich, wenn eine Kontinuität zwischen dem schon im Heimatstaat erkennbar gewordenen Verhalten und dem Nachfluchtverhalten gegeben ist,
33BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989, BVerwGE 82, S. 171.
34Für Vorgänge innerhalb des Gastlandes ist - anders als bei Vorfluchttatbeständen - der volle Nachweis durch den Asylbewerber zu fordern,
35BVerfG, Beschluß vom 26. November 1986, a.a.O., BVerfG, Urteil vom 29. November 1979, BVerfGE 55, S. 82.
36Ausgehend von diesen Grundsätzen und aufgrund der eigenen Angaben des Klägers, der beigezogenen Akten sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse über die politische Situation im Heimatland des Klägers hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.
37Dies hat das Bundesamt im angegriffenen Bescheid im einzelnen zutreffend dargelegt; das Gericht folgt im wesentlichen dieser Entscheidung, welcher der Kläger nicht mit rechtserheblichem Vorbringen entgegengetreten ist, und verweist zur Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Bundesamtes (§ 117 Abs. 5 VwGO, 77 Abs. 2 AsylVfG).
38Die geltend gemachte Verfolgung durch die Mitglieder der verfeindeten Familie xxxx ist nicht asylrelevant. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob das Vorbringen des Klägers zur befürchteten Blutrache glaubhaft ist, denn diese Verfolgung durch "Dritte" ist privater, strafrechtlich zu ahndender Natur und beinhaltet keine staatliche Verfolgung, weil dem Staat Schutzfähigkeit, Schutzwilligkeit und Schutzbereitschaft nicht gänzlich abgesprochen werden können. Absoluter Schutz vor derartigen Übergriffen ist auch in den westeuropäischen Staaten nicht zu erlangen.
39Zu Recht hat das Bundesamt des weiteren festgestellt, daß die Voraussetzungen des § 51 AuslG nicht vorliegen, denn es ist nach den vorstehenden Ausführungen nichts dafür ersichtlich, daß das Leben oder die Freiheit des Klägers in Albanien aus den in Abs. 1 der Vorschrift genannten Gründen bedroht ist.
40Ebenfalls zu Recht hat das Bundesamt den nach § 42 Abs. 1 AuslG ausreisepflichtigen Kläger, der nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung ist, zur Ausreise aufgefordert und ihm nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 1 und 2 AuslG die Abschiebung nach Albanien angedroht. Die Ausreisefrist von einem Monat ergibt sich aus § 37 Abs. 2 AsylVfG.
41Ist danach der Hauptantrag nicht begründet, bleibt auch der hilfsweise gestellte Verpflichtungsantrag zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG ohne Erfolg.
42Das insoweit nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zuständige Bundesamt hat zu Recht festgestellt, daß Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Abschiebung nach dieser Vorschrift hindernde konkrete Tatsachen hat der Kläger nicht vorgetragen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
43Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 oder 4 AuslG liegen im Hinblick auf die vom Kläger behauptete Gefahr der Blutrache schon deshalb nicht vor, weil die genannten Vorschriften auf nichtstaatliche Gefährdungen keine Anwendung finden,
44BVerwG, Urteil vom 15. April 1997, Inf AuslR 1997, 341 (343); Urteile vom 17. Oktober 1995, InfAuslR 1996, 254 und DVBl. 1996, 612 (614) sowie Urteil vom 19. November 1996- NVwZ 1997, 685.
45Daß der albanische Staat Blutrachetaten veranlaßt, bewußt duldet oder ihnen gegenüber keinen Schutz gewährt, obwohl er dazu in der Lage wäre, läßt sich nicht feststellen. Zum einen ist die vorsätzliche Tötung eines Menschen nach dem am 1. Juni 1995 in Kraft getretenen albanischen Strafgesetzbuch - nach wie vor - strafbar, ohne daß Blutracheakte einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund darstellen,
46vgl. Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 1. Oktober 1996 und an das VG Augsburg vom 7. Januar 1998, Lageberichte vom 17. Februar 1998 und vom 19. Februar 1999.
47Zum anderen unterstützt der albanische Staat in Albanien tätige Versöhnungsgruppen bei ihrer Arbeit und hat über Medien versucht, die Bevölkerung zu sensibilisieren in der Hoffnung, die aufgeflammten Blutfehden eindämmen zu können,
48vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 1. Oktober 1996.
49Absoluter Schutz vor solchen Übergriffen ist schließlich auch in westeuropäischen Staaten nicht zu erreichen.
50Ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, das unabhängig von der Abschiebungsandrohung gemäß § 41 Abs. 1 AsylVfG kraft Gesetzes zur Aussetzung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten führt, liegt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Abschiebungshindernis nur bei Bestehen einer konkreten, d.h. individuell bestimmten, beachtlich wahrscheinlichen, erheblichen und landesweit drohenden Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit gegeben,
51vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995, DVBl. 1996, 203 ff. (205); und 612 ff sowie Urteil vom 4. Juni 1996, InfAuslR 1996, 289.
52Dem Kläger drohen auch im Hinblick auf die von ihm behauptete Blutrache der Familie xxxx nicht landesweit und konkret erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder seine Freiheit.
53Sein Vorbringen zur Blutrache ist nach dem persönlichen Eindruck, den die Einzelrichterin im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat, schon nicht glaubhaft. Die Schilderungen des Klägers waren durchweg vage, zudem hat der Kläger stets ausweichende Antworten gegeben und die ihm gestellten Fragen oftmals erst auf mehrfache Nachfrage hin beantwortet. Außerdem widerspricht sein Vortrag in zahlreichen Punkten den Schilderungen seines Bruders in dessen Asylverfahren. Insoweit sei beispielhaft nur darauf verwiesen, daß der Kläger im Gegensatz zu den Angaben des Bruders behauptet hat, keiner seiner Brüder habe eine Ausbildung, während sein Bruder Kfz-Mechaniker und Techniker sein will. Nach den Schilderungen des Klägers hat die Familie von den Einnahmen aus der Spielothek des Vaters gelebt, in der alle Brüder gearbeitet haben. Demgegenüber will der Bruder des Klägers in einer ihm und seinem Bruder gehörenden Kfz- Werkstatt gearbeitet haben, von einer Spielhölle seines Vaters war dagegen keine Rede. Schließlich hat der Bruder des Klägers angegeben, auf den Kläger, sei vor seiner Flucht nach Deutschland bereits von seiten der Familie xxxx ein Tötungsversuch unternommen worden. Davon hat der Kläger weder bei seiner Anhörung durch das Bundesamt, noch im Termin zur mündlichen Verhandlung berichtet. Auf konkrete Nachfrage hat er dies abgestritten und demgegenüber behauptet, dieser Vorfall habe sich bei seinem Onkel ereignet, es sei eine reine Provokation gewesen, er wisse auch nicht, wer geschossen habe. Auch das eigene Vorbringen des Klägers ist von Widersprüchen und Ungereimtheiten gekennzeichnet. So hat der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt auf Befragen angegeben, er habe sich nicht um Schutz bei der Polizei bemüht, weil diese ohnehin nicht helfen könne. Demgegenüber hat er im Klageverfahren behauptet, sein Vater sei mehrfach wegen der drohenden Blutrache bei der Polizei gewesen. Die Erklärung des Klägers, sein Vater habe dies vor der Familie geheimgehalten, weil es in Albanien nicht üblich sei, Hilfe von seiten des Staates in Anspruch zu nehmen, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Auch die Angaben zum Grad seiner eigenen Gefährdung sind widersprüchlich. So hat der Kläger im Klageverfahren behauptet, der Sohn des Getöteten habe ihm in Tirana nachgespürt. Davon war aber weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Termin zur mündlichen Verhandlung die Rede. So hat er bei dem Bundesamt auf die Frage, warum er nicht in Tirana geblieben sei, angegeben, es sei schwierig für ihn gewesen, sich dort zu verstecken, er habe sich dort nur nachts bewegen können. Nichts hätte näher gelegen als bei dieser Gelegenheit auch anzugeben, daß ihm dort schon nachgespürt worden war. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er davon auf Nachfrage nichts berichtet, sondern angegeben, nach Durres gegangen zu sein, um noch sicherer zu sein. Außerdem hat der Kläger sein Vorbringen im Termin zur mündlichen Verhandlung auch noch gesteigert und behauptet, auf sein Auto sei ein Sprengstoffanschlag verübt worden, er vermute, daß dieser von der Familie xxxx erfolgt sei. Von diesem Anschlag haben er und sein Bruder weder bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt berichtet, noch hat der Kläger dies in seiner schriftlichen Klagebegründung erwähnt. Daß der Kläger dies nicht erzählt hat, weil er nicht gewußt habe, ob dies wichtig sei, ist angesichts des Umstandes, daß er sein gesamtes Asylbegehren ausschließlich auf die befürchtete Blutrache gestützt hat, ebenfalls absolut nicht nachvollziehbar.
54Schließlich widersprechen die Angaben in der von dem Kläger vorgelegten Bescheinigung des Polizeikommissariats von Kukes vom 12. Februar 1996 auch den Behauptungen des Klägers. Nach dem Inhalt der Bescheinigung ist Grund für die von seiten der Familie xxxx angekündigten Blutrache ein nicht eingehaltenes Versprechen der Familie des Klägers. Demgegenüber hat der Kläger behauptet, die Blutrache gehe auf eine Mord zurück, den sein Großvater im Jahr 1940 begangen habe. Davon abgesehen kommt der Bescheinigung aber ohnehin kein besonderer Beweiswert zu, weil sie nach ihrem Inhalt auf Bestellung und den Angaben der Familie des Klägers beruht und nicht aufgrund eigener Kenntnis der Polizei ausgestellt worden ist.
55Aber selbst bei Zugrundelegung der Angaben des Klägers läßt sich nicht feststellen, daß diesem konkret und landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Blutrache droht. So hat der Kläger schon keine konkreten Anhaltspunkte nennen können, aus denen er entnimmt, daß gerade er Opfer der Blutrache werden könnte. Vielmehr ist er nach seinen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung nur aus einer allgemeinen, vom Vater für erforderlich gehaltenen Vorsicht nach Tirana gegangen. Es leben nach seinen Angaben aber auch noch andere männliche Verwandte in Albanien bei ihren Familien, die Blutrache zu befürchten hätten. Insoweit hat der Kläger erst auf gezielte Nachfrage seines Prozeßbevollmächtigten behauptet, daß diese sich in Albanien versteckt halten.
56Entscheidend ist aber, daß dem Kläger nach seinen eigenen Schilderungen im Termin zur mündlichen Verhandlung weder in Tirana noch später in Durres mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Tötung aufgrund der angekündigten Blutrache drohte. Dort hat er sich insgesamt ein Jahr unbehelligt aufgehalten. In Tirana war er nach seinem Vorbringen nicht mehr konkret bedroht; er ist von dort lediglich deshalb weggegangen um noch sicherer zu sein. Ebenso hat er nach seiner Einlassung auch in Durres Sicherheit finden können. Auch von dort ist er nach seinen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht etwa deshalb weggegangen, weil er von der Familie xxxx aufgespürt worden war, oder dies befürchtet hatte, sondern weil er in dem fremden Haus nicht mehr hatte wohnen wollen und ohnehin beabsichtigte, nach Europa zu gehen. Daß die Gefahr durch Blutrache getötet zu werde, durch einen Ortwechsel innerhalb Albaniens erheblich reduziert werden kann, wird schließlich auch von dem Auswärtigen Amt bestätigt,
57Auskunft an das erkennende Gericht vom 1. Oktober 1996, an das VG Augsburg vom 7. Januar 1998 und an das VG Leipzig vom 19. Februar 1999.
58Ob dies generell in jedem Fall bei drohender Blutrache möglich ist, kann im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falls offen bleiben.
59Schließlich steht der Annahme einer konkreten, beachtlich wahrscheinlichen Gefahr für den Kläger auch entgegen, daß nach seinen Angaben im August 2000 noch ein weiterer Termin unter Mitwirkung von Angehörigen einer Versöhnungsgruppe mit der Familie xxxx ansteht, der zu einer Versöhnung der verfeindeten Familien und einer endgültigen Beseitigung der Gefahr der Blutrache führen kann.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG.
61Wegen des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf § 83b Abs. 2 AsylVfG verwiesen.
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