Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 34 K 4920/98.PVL
Tenor
Es wird festgestellt, daß Mitbestimmungsrechte des Antragstellers gemäß § 72 Abs. 4 Nr. 1 LPVG dadurch verletzt sind, daß die Arbeitnehmer
B
C
C1
C2
C3
C4
C5
E
G
G1
H1
H2
L
L1
L2
L3
M
M1
M2
M3
M4
Q1
S
T1
T2
T3
X
T4
H3
K
K1
S
V
L4
N
N1
N2
O
Q2
L5
T5
an der Regelung der variablen Arbeitszeit bei der Beteiligten ausgeschieden sind.
1
Gründe:
2I.
3Die Verfahrensbeteiligten schlossen am 18. Juli 1989 eine Dienstvereinbarung über die variable (= gleitende) Arbeitszeit. Unter Ziffer 2.) heißt es zum Geltungsbereich der Dienstvereinbarung:
4Die Bestimmungen dieser Dienstvereinbarung gelten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hauses, soweit nicht einzelvertraglich etwas anderes vereinbart wurde oder rechtliche Gründe, ..., der vollen Nutzung der variablen Arbeitszeit entgegenstehen.
5Vorstand und Personalrat können gemeinsam Ausnahmen und abweichende Regelungen von dieser Dienstvereinbarung treffen, sofern Besonderheiten einzelner Betriebsstellen dies erfordern. Die betreffenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden über die Ergänzung der Dienstvereinbarung unverzüglich informiert..."
6Unter Ziffer 10.) - Inkrafttreten/Kündigungsvereinbarung - wurde bestimmt, dass die Dienstvereinbarung mit Wirkung vom 18. Juli 1989 in Kraft tritt. Eine Kündigung von beiden Vertragsparteien war unter Wahrung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zu jedem Monatsschluß vorgesehen. Eine Nachwirkung wurde ausgeschlossen.
7Mit Schreiben vom 29. Dezember 1997 wurde die Dienstvereinbarung durch den Beteiligten mit Wirkung zum 30. Juni 1998 gekündigt. Mit anschließender Folgevereinbarung kamen die Beteiligten dahin überein, dass die alte Dienstvereinbarung im wesentlichen unverändert, insbesondere unter Beibehaltung von Ziffer 2, bis zum 30. Juni 2000 fortgelten soll.
8Bereits unter dem 24. April 1998 legte der Beteiligte dem Antragsteller jeweils Nachträge zu Arbeitsverträgen von insgesamt 27 Mitarbeiter mit leitenden Funktionen zur Kenntnis vor. Die Nachträge sahen u.a. ein Ausscheiden der betroffenen Beschäftigten aus der Regelung zur variablen Arbeitszeit vor. Hinsichtlich weiterer 13 Beschäftigter in leitenden Funktionen ergingen ebenfalls Nachträge, allerdings ohne dass der Antragsteller hierüber informiert wurde.
9In seiner Sitzung vom 29. April 1998 beschloss der Antragsteller die Nachträge abzulehnen und teilte dies dem Beteiligten mit Schreiben vom 5. Mai 1998 mit. Zur Begründung verwies er auf die entgegenstehende Dienstvereinbarung sowie darauf, dass mit dem Wegfall der variablen Arbeitszeit die davon betroffenen Mitarbeiter benachteiligt würden. Gleichzeitig forderte er den Beteiligten auf, die bereits durchgeführten Maßnahmen bis zum 12. Mai 1998 zurückzunehmen.
10Der Beteiligte ging auf die Forderung des Antragstellers nicht ein.
11Der Antragsteller hat daraufhin am 5. Juni 1998 das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren bei der Fachkammer eingeleitet. Er ist der Ansicht, dass dem Personalrat wegen der vom Beteiligten vollzogenen Nachträge zum Wegfall der variablen Arbeitszeit für einen bestimmten Personenkreis ein Mitbestimmungsrecht gem. § 72 Abs. 4 Nr. 1 LPVG NRW zustehe.
12Der Antragsteller beantragt,
13festzustellen, dass Mitbestimmungsrechte des Antragstellers gem. § 72 Abs. 4 Nr. 1 LPVG dadurch verletzt sind, dass die Arbeitnehmer ... (vgl. Sitzungsprotokoll, dort die im stattgebenden Tenor aufgeführten Namen) an der Regelung der variablen Arbeitszeit bei der Beteiligten ausgeschieden sind.
14Der Beteiligte beantragt,
15den Antrag abzulehnen.
16Er ist der Ansicht, dass der Antragsteller ein etwaiges ihm zustehendes Mitbestimmungsrecht wegen der einvernehmlich mit dem Beteiligten geschlossenen Dienstvereinbarung vom 18. Juli 1989 verbraucht habe. Der Geltungsbereich der Dienstvereinbarung schließe die von den Nachträgen betroffenen Mitarbeiter ausdrücklich aus, da insoweit einzelvertraglich etwas anderes vereinbart worden sei. Es handele sich bei dieser Regelung um eine Öffnungsklausel.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
18II.
19Der zulässige Antrag ist begründet.
20Durch das von der Beteiligten in Gestalt der Nachträge zum Arbeitsvertrag geregelte Ausscheiden der im Tenor angeführten Beschäftigten aus der Regelung zur variablen Arbeitszeit sind Mitbestimmungsrechte des Antragstellers gem. § 72 Abs. 4 Nr. 1 LPVG NRW verletzt worden.
21Nach der genannten Vorschrift hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage, Einführung, Ausgestaltung und Aufhebung der gleitenden Arbeitszeit. Eine vorgreifliche gesetzliche oder tarifliche Regelung liegt nicht vor. Die Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen schließt ungeachtet der Frage, ob die Verordnung über etwaige Zusatzvorschriften vorliegend auch auf die angestellten Beschäftigten bei der Beteiligten Anwendung findet, eine Mitbestimmung des Personalrats schon deswegen nicht aus, weil sie keine erschöpfende Regelung der gleitenden Arbeitszeit enthält (vgl. OVG NRW, Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen, Beschluß vom 1. April 1992, CL 22/89, m.w.N.).
22Die Tatbestandsvoraussetzungen im übrigen liegen vor: Mit den hier strittigen Nachträgen hat der Beteiligte entgegen der Dienstvereinbarung vom 18. Juli 1989 die variable (= gleitende) Arbeitszeit für die im Tenor aufgeführten Beschäftigten aufgehoben.
23Die Nachträge erfüllen auch die - ungeschriebene - Voraussetzung des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 LPVG NRW, dass es sich um eine kollektive Maßnahme handeln muß. Nach der Rechtsprechung der Fachspruchkörper bezieht sich der genannte Mitbestimmungstatbestand, soweit er die Festlegung der täglichen Arbeitszeit zum Gegenstand hat, nur auf generelle Regelungen, die die Beschäftigten einer Dienststelle insgesamt oder zumindest eine Gruppe von Beschäftigten erfassen. Gleiche Anforderungen müssen auch für Maßnahmen im Zusammenhang mit der Festlegung oder Ausgestaltung der gleitenden Arbeitszeit gelten. Zweck der Mitbestimmung als Mittel des kollektiven Schutzes gegenüber der Dienststelle ist es nämlich, dass die berechtigten Belange der Beschäftigen mit den dienstlichen Erfordernissen in Einklang gebracht werden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. September 1983 - 6 P 1.82 -, PersV 1985, 163 und vom 1. Juni 1987 - 6 P 8.85 -, ZBR 1987, 346; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 1992 - CL 22/89 -, vom 21. Juni 1989 - CL 55/87 - und vom 3. Juli 1986 - CL 9/84 -).
24Unter einer Gruppe von Beschäftigen ist ein abgrenzbarer Teil der Beschäftigten einer Dienststelle zu verstehen. Die Abgrenzbarkeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, z.B. organisatorischen, aufgabenmäßigen oder persönlichen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 1992 - CL 22/89 -, vom 21. Juni 1989 - CL 55/87 - und vom 3. Juli 1986 - CL 9/84 -). Im vorliegenden Fall kann dabei offen bleiben, wie hoch die Zahl der von einer Arbeitszeitfestsetzung betroffenen Beschäftigten mindestens sein muß, um eine Kollektivmaßnahme annehmen zu können. Denn jedenfalls ist die Zahl der hier von den maßgeblichen Nachträgen betroffenen Beschäftigten so hoch, dass ohne weiteres von einer - aus organisatorischen und aufgabenmäßigen Gründen zusammengehörigen - Gruppe von Beschäftigten auszugehen ist. Die Nachträge erfassen nämlich ausschließlich Mitarbeiter mit leitenden Funktionen.
25Der Tatbestand des § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 LPVG NRW ist vorliegend auch insoweit erfüllt, als die fraglichen Nachträge eine Aufhebung der gleitenden Arbeitszeit" darstellen. Durch die Nachträge sollen die von ihr betroffenen Beschäftigten aus den zwischen den Beteiligten getroffenen Regelungen in Gestalt der Dienstvereinbarung vom 18.7.1989 zur variablen (= gleitenden) Arbeitszeit ausscheiden, so dass für diese Gruppe die Gleitzeit aufgehoben wird.
26Die vorgenannte Tatbestandsalternative ist auch trotz der zwischenzeitlich erfolgten Kündigung der Dienstvereinbarung (mit Wirkung zum 30. Juni 1999) einschlägig. Die Beteiligten haben nämlich eine Folgevereinbarung mit im wesentlichen gleichem Inhalt bis zum 30. Juni 2000 abgeschlossen.
27Der weitere Einwand der Beteiligten, der Mitbestimmungstatbestand sei deswegen nicht einschlägig, weil die alte Dienstvereinbarung aus 1989 unter Ziffer 2 (die gleichlautend in der Folgevereinbarung übernommen wurde) die hier betroffenen Beschäftigten ausdrücklich von ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen habe, mit der Folge, dass der Personalrat sein Mitbestimmungsrecht insoweit abschliessend verbraucht habe, greift nicht durch. Die Auslegung der hier strittigen Ziffer 2 der Dienstvereinbarung ergibt vielmehr, dass die im Tenor aufgeführten Beschäftigten ihrem Geltungsbereich unterfallen.
28Dienstvereinbarungen sind grundsätzlich einer Auslegung zugäng- lich (vgl. für Betriebsvereinbarungen ausdrücklich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, u.a. BAG, Urteil vom 28.10.1992 - AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 28.04.1993 - AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 16.03.1994 - AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting/Kaiser/Heither, Betriebsverfassungsgesetz, § 77 Rn. 15, wonach Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge auszulegen sind). Maßgeblich ist dabei auf den im Wortlaut der Dienstvereinbarung zum Ausdruck gekommenen Willen der Vertragsparteien abzustellen, darüber hinaus auch auf den beabsichtigten Sinn und Zweck, soweit diese in den Regelungen der Dienstvereinbarung ihren Niederschlag gefunden haben. Zu berücksichtigen ist weiter der Gesamtzusammenhang der Regelung, der schon häufig deswegen miteinzubeziehen ist, weil daraus auf den wirklichen Willen der Vertragsparteien geschlossen und nur so der Sinn und Zweck der Regelung zutreffend ermittelt werden kann. Der übereinstimmende Wille der vertragsschließenden Parteien kann auch bei der Auslegung von Dienstvereinbarungen maßgeblich sein, wenn er im Text nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Auch über den bloßen Wortlaut hinaus ist eine weitergehende Auslegung möglich, sofern dies von den vertragsschließenden Parteien zweifelsfrei gewollt ist (vgl. zur Betriebsvereinbarung und Tarifverträgen BAG, Urteil vom 31.10.1990 - AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge).
29Der Wortlaut der hier maßgeblichen Dienstvereinbarung vom 18. Juli 1989 (in Gestalt der bis zum 30. Juni 2000 gültigen Folgevereinbarung) läßt keinen Zweifel daran, dass die Beschäftigten, die vorliegend aus der Regelung zur variablen Arbeitszeit ausscheiden sollen, von ihrem Geltungsbereich erfaßt werden. Nach dem Wortlaut der Dienstvereinbarung gelten die Bestimmungen der Dienstvereinbarung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Beteiligten, soweit nicht einzelvertraglich etwas anderes vereinbart wurde (Unterstreichung durch die Kammer). Die weitere Alternative, dass rechtliche Gründe nicht entgegenstehen dürfen, ist hier nicht einschlägig. Durch die Formulierung wurde" wird maßgeblich auf die Vergangenheit abgestellt. Auf nachträgliche einzelvertragliche Vereinbarungen der Dienststelle mit ihren Beschäftigten bezieht sich der Wortlaut der Dienstvereinbarung nicht.
30Ein dem Wortlaut entgegenstehender Wille der Vertragsparteien ist nicht zu erkennen. Der weiteren Regelung unter Ziffer 2 der strittigen Dienstvereinbarung, dass Vorstand und Personalrat gemeinsam Ausnahmen und abweichende Regelungen von dieser Vereinbarung treffen können ist vielmehr zu entnehmen, dass die Vertragsparteien Abweichungen von der Dienstvereinbarung gerade nicht der einzelvertraglichen Absprache zwischen Dienststelle und ihren Beschäftigten überlassen wollten.
31Die am Wortlaut orientierte Auslegung der Dienstvereinbarung stimmt auch mit Sinn und Zweck der Regelung überein. Zwar hat die Anhörung ergeben, dass bis zum Abschluss der Dienstvereinbarung keine Arbeitsverträge mit Individualvereinbarungen, wonach bestimmte Beschäftige von der variablen Arbeitszeit von vornherein ausgenommen worden waren, vorlagen. Ob die hier strittige Klausel, wie der Antragsteller ausführt, als reine Vorsichtsmaßnahme mitaufgenommen wurde oder nicht, kann letztlich dahinstehen. Denn die bisherige Auslegung macht jedenfalls dahin Sinn, dass sich die Formulierung wurde" in zeitlicher Hinsicht auf den Abschluß von Arbeitsverträgen solcher Beschäftigter bezieht, die mit Inkrafttreten der Dienstvereinbarung noch nicht in die Dienststelle eingegliedert sind, also auf Neueinstellungen. Insofern eröffnet Ziffer 2 der Dienststelle die Möglichkeit jedenfalls bei Neueinstellungen einzelvertraglich und in Abweichung von der Dienstvereinbarung zu regeln, dass etwa die Gleitzeit keine Anwendung finden soll.
32Damit sind die im Tenor aufgeführten Beschäftigten nicht vom Geltungsbereich der Dienstvereinbarung ausgeschlossen, so dass ihr Ausscheiden aus der Regelung zur variablen Arbeitszeit der Mitbestimmung des Antragstellers gem. § 72 Abs. 4 Nr. 1 LPVG NRW unterliegt.
33Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahren.
34
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.