Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 21 K 181/10
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. Dezember 2009 verpflichtet, dem B-Haus des Fwerkes e.V. in E für den Pflege¬platz der Klägerin ab dem 5. Juni 2008 Pflegewohngeld nach Ma߬gabe des Landespflegegesetzes zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Be-klagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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Die am 00.0.1928 geborene Klägerin ist Alleinerbin ihres am 19. März 2006 verstorbenen Ehemannes. Sie verkaufte mit notariellem Vertrag vom 20. Oktober 2006 die Immobilie H Str. 43 in E zu einem Kaufpreis von 110.000,- Euro. Im Februar 2007 wurden ihr nach Abzug einiger Kosten 107.001,40 Euro überwiesen. Unmittelbar danach erfolgten zahlreiche Überweisungen an verschiedene Verwandte in Höhe von insgesamt etwa 103.000,- Euro.
2Die Klägerin lebt seit dem 5. Juni 2008 im B-Haus des Fwerkes e.V. in E. Das Pflegeheim stellte am selben Tag beim Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Pflegewohngeld nach dem Landespflegegesetz für den Heimpflegeplatz der Klägerin sowie von Sozialhilfe nach dem SGB XII. Zum 30. Juni 2009 bestanden offene Heimkosten in Höhe von 15.006,75 Euro. Mit Beschluss vom 28. August 2009 bestellte das Amtsgericht E-S Herrn T zum Betreuer der Klägerin.
3Der Beklagte hörte die Klägerin unter dem 17. August 2009 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Pflegewohngeld an. Zur Begründung wies er darauf hin, dass zum Vermögen auch Schenkungsrückforderungsansprüche gehören. Die Klägerin habe erhebliche Vermögensbeträge an verschiedene Personen verschenkt.
4Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin forderte die beschenkten Verwandten als Geldempfänger wegen der Bedürftigkeit der Klägerin mit Schreiben vom 10. Dezember 2009 auf, die geschenkten Beträge nach § 528 BGB zurückzuzahlen. Die Empfänger lehnten dies ab oder reagierten nicht auf die Aufforderung.
5Der Beklagte lehnte den Antrag auf Bewilligung von Pflegewohngeld gegenüber dem Pflegeheim mit Bescheid vom 8. Dezember 2009 ab. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin verfüge über ein Vermögen von mehr als 10.000,- Euro. Hierzu zählten auch Schenkungsrückforderungsansprüche.
6Die Klägerin hat am 11. Januar 2010 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
7Der Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 16. Februar 2010 darlehensweise Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII ab dem 5. Juni 2008 unter Berücksichtigung eines täglichen Pflegesatzes von 106,36 Euro bewilligt. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Klägerin in der Vergangenheit Vermögen auf andere Personen übertragen habe. Derzeit würden Schenkungsrückforderungsansprüche geltend gemacht. Deshalb werde die Sozialhilfe darlehensweise gewährt.
8Die Klägerin ist auf der Grundlage des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 13. Dezember 2007 (16 A 3391/06) der Ansicht, dass dem Sozialhilfebescheid Tatbestandswirkung hinsichtlich der Bedürftigkeit zukomme und deshalb eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erforderlich sei. Danach habe sie einen Anspruch auf Bewilligung von Pflegewohngeld.
9Die Klägerin beantragt sinngemäß,
10den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. Dezember 2009 zu verpflichten, dem B-Haus des Fwerkes e.V. in E für ihren Pflegeplatz ab dem 5. Juni 2008 Pflegewohngeld nach Maßgabe des Landespflegegesetzes zu bewilligen.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er hält das Urteil des OVG NRW vom 13. Dezember 2007 für unzutreffend. Es privilegiere unberechtigterweise diejenigen Personen, die kurz vor Heimaufnahme Vermögen verschenkt hätten oder über nicht sofort realisierbare Vermögenswerte verfügten. Die sozialhilferechtlichen Regelungen nähmen hierauf Rücksicht, indem eine darlehensweise Gewährung von Leistungen möglich sei. Sie ermöglichten eine Refinanzierung der Leistungen und eine Hilfegewährung an diejenigen, die nur einer übergangsweisen und keiner dauerhaften Hilfe bedürften. Pflegewohngeld könne hingegen nicht als Darlehen, sondern nur als Zuschuss gewährt werden. Schließlich entstünde einem Heimbewohner kein Nachteil, da der Investitionskostenanteil des Pflegewohngeldes über die Sozialhilfe übernommen würde, allerdings mit der Möglichkeit der Refinanzierung nach Realisierung der entsprechenden Vermögenswerte.
14Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten.
16Entscheidungsgründe:
17Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 8. April 2010 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
18Die Klage hat Erfolg.
19Sie ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin als Heimbewohnerin in dem auf Bewilligung von Pflegewohngeld an den Heimträger gerichteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2003 16 A 2789/02 -, NWVBl. 2003, 440.
21Sie ist auch begründet.
22Der an das Pflegeheim gerichtete Bescheid des Beklagten vom 8. Dezember 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Diese hat ab dem 5. Juni 2008 einen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Pflegewohngeld nach dem Landespflegegesetz zugunsten des B-Haus des Fwerkes e.V. in E für ihren Pflegeplatz (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
23Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes (Landespflegegesetz Nordrhein-Westfalen - PfG NRW) haben zugelassene vollstationäre Dauerpflegeeinrichtungen im Sinne von § 71 Abs. 2 SGB XI, die eine vertragliche Regelung nach § 85 SGB XI abgeschlossen haben, einen Anspruch gegen den zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe oder den überörtlichen Träger der Kriegsopferfürsorge auf Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen der Pflegeeinrichtungen nach § 82 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 SGB XI für Heimplätze solcher Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, die Leistungen nach dem SGB XII oder nach den §§ 25, 25a und 25c BVG erhalten oder wegen der gesonderten Berechnung nicht geförderter Aufwendungen gemäß § 82 Abs. 3 und 4 SGB XI erhalten würden.
24Das OVG NRW hat zu der insoweit inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift des § 14 Abs. 1 PfG NRW 1996 ausgeführt:
25"Aus der Anknüpfung an ein vorhandenes Regelungssystem unter Verzicht auf eine spezifisch pflegewohngeldrechtliche Definition der Bedürftigkeit folgt, dass der sozialhilferechtliche (und kriegsopferfürsorgerechtliche) Selbsthilfegrundsatz Anwendung findet, wonach vor einer Inanspruchnahme staatlicher Fürsorgeleistungen eigenes bzw. dem Hilfe Suchenden zurechenbares Einkommen und Vermögen einzusetzen ist.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, NWVBl. 2003, 440-443.
27Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Pflegebedürftigen bildet § 14 Abs. 1 PfG 1996 zwei verschiedene Fallgruppen. Zunächst kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - für denjenigen Pflegewohngeld beansprucht werden, der bereits Sozialhilfe oder Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den genannten Vorschriften erhält. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kommt es entscheidend auf den Erlass eines entsprechenden Bewilligungsbescheides an, ohne dass danach zu differenzieren wäre, ob die Hilfe als Zuschuss oder wegen vorhandenen und nach Maßgabe von § 88 Abs. 2 und 3 BSHG bzw. § 25f Abs. 1 BVG i.V.m. § 88 Abs. 2 und 3 BSHG einzusetzenden, aber im Bedarfszeitraum nicht verwertbaren Vermögens gemäß § 89 BSHG bzw. § 25f Abs. 1 BVG i.V.m. § 89 BSHG als Darlehen gewährt wurde. Denn auch bei darlehensweiser Hilfegewährung erhält der Betreffende Leistungen der Sozialhilfe bzw. Kriegsopferfürsorge. Ferner ist es in diesem Zusammenhang nicht von Belang, ob Unterhaltsansprüche des Hilfeempfängers gemäß § 91 BSHG bzw. § 27h BVG auf den Träger der Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge übergegangen sind oder ob dieser andere Ansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte nach § 90 BSHG bzw. § 27g BVG übergeleitet hat. Der Gesetzessystematik lassen sich Anhaltspunkte für eine derartige Differenzierung schon deshalb nicht entnehmen, weil die Anspruchsvoraussetzungen für die Bewilligung von Pflegewohngeld in anderen Bezügen nicht mehr aufgegriffen werden. Darüber hinaus verbietet es sich, auf die - im Übrigen insoweit auch unergiebigen - Regelungen der Pflegewohngeldverordnung abzustellen, denn § 14 Abs. 4 PfG 1996 ermächtigte den Verordnungsgeber nur zu ergänzenden Detailregelungen, nicht aber zu einer eigenständigen (oder gar von den gesetzlichen Vorgaben abweichenden) Regelung der Anspruchsvoraussetzungen.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, a.a.O.
29Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten keine einschränkende Auslegung des § 14 Abs. 1 PfG 1996 auf eine zuschussweise Gewährung von Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge oder eine solche ohne Übergang oder Überleitung von Ansprüchen des Hilfeempfängers gegen Dritte. Neben dem in § 1 Satz 1 PfG 1996 zum Ausdruck gebrachten Ziel, eine ausreichende Pflegeinfrastruktur zu schaffen, dient die Gewährung von Pflegewohngeld ausweislich der Gesetzesbegründung dazu, den Anteil derjenigen stationär Pflegebedürftigen zu erhöhen, der unabhängig von Leistungen der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge ist, wobei eine sozialpolitisch differenzierte Regelung unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Pflegebedürftigen geschaffen werden sollte.
30Vgl. LT-Drs. 12/194 S. 42.
31Der Zweck, Sozialhilfe- oder Kriegsopferfürsorgebedürftigkeit wenigstens abzumildern, wird auch erreicht, wenn die genannten Hilfen nur darlehensweise gewährt werden oder Ansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte auf den Hilfeträger übergegangen sind oder auf ihn übergeleitet wurden. Zudem ist auch in diesen Fällen der Betreffende nicht in der Lage, einer akuten Notlage mit eigenen Mitteln zu begegnen. Liegt also ein Bescheid über die Bewilligung von Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge vor, unterbleibt nach der gesetzlichen Regelung im Rahmen des Verfahrens auf Gewährung von Pflegewohngeld jede weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreffenden. Dem Bewilligungsbescheid über den Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. Kriegsopferfürsorgeleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz kommt insoweit eine Tatbestandswirkung zu. [...]"
32OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 16 A 3391/06 -; juris.
33Das erkennende Gericht schließt sich diesen Ausführungen aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung an.
34Gleichwohl sind die Bedenken des Beklagten nicht von der Hand zu weisen. Er weist zutreffend darauf hin, dass diejenigen Personen privilegiert werden, die vor der Heimaufnahme Vermögen verschenkt haben oder über nicht sofort realisierbare Vermögenswerte verfügen. Die sozialhilferechtlichen Regelungen ermöglichen im Gegensatz zum Pflegewohngeldrecht durch die Möglichkeit einer darlehensweisen Bewilligung eine Refinanzierung dieser Aufwendungen. Damit wird Personen, die keiner dauerhaften Hilfe bedürfen, die Überbrückung eines finanziellen Engpasses ermöglicht. Zudem entsteht Personen, die darlehensweise Sozialhilfe erhalten, kein Nachteil, da die Sozialhilfeleistungen den Investitionskostenanteil enthalten, der ansonsten über das Pflegewohngeld abgedeckt wird. Pflegewohngeld ist allerdings gesetzlich als Zuschuss ausgestattet und damit nicht als Darlehen zu bewilligen.
35Vgl. etwa Barden, Die neuere Rechtsprechung zum Pflegewohngeld in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2010, S. 50, 53.
36Nach den oben dargestellten Maßstäben hat die Klägerin ab dem 5. Juni 2008 einen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Pflegewohngeld, da ihr ab diesem Zeitpunkt darlehensweise Sozialhilfe nach dem SGB XII bewilligt wurde und diesem Bescheid hinsichtlich der Bedürftigkeit Tatbestandswirkung zukommt.
37Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO gerichtskostenfrei.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 16 A 3391/06 -, juris und NRWE.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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