Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 3 K 6274/09
Tenor
Der Genehmigungsbescheid des Landrats des Beklagten vom 2. September 2009 in der Fassung vom 26. August 2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte; hiervon ausgenommen sind ihre eigenen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eheleute und jeweils zur Hälfte Miteigentümer des nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans belegenen und mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks P Straße 73 in T. Mit ihrer Klage wenden sie sich gegen den Genehmigungsbescheid des Landrats des Beklagten vom 2. September 2009 gegenüber der Beigeladenen hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs einer Broilermastanlage in der P Straße 39, belegen nordöstlich ihres eigenen Grundstücks.
3Die Beigeladene hatte unter dem 18. Februar 2008 den "Neubau eines Hähnchenstalles" beantragt. Dabei handelt es sich um die Errichtung und den Betrieb einer Mastanlage mit 39.900 Hähnchenmastplätzen. Die Gesellschafterin Frau C ist Geschäftsführerin, ihr Vater, Herr C1, stellvertretender Geschäftsführer. Dieser betreibt auf seinem Grundstück, welches östlich des Grundstücks der Kläger und durch die P Straße getrennt südlich des Vorhabens der Beigeladenen liegt, einen eigenen Hähnchenmaststall für ca. 25.000 Tiere; zusätzlich sind dort 150 Schweine- und 90 Bullenmastplätze vorhanden. Der väterliche Betrieb war mit Bescheid vom 20. Februar 1992 behördlich genehmigt worden und soll unverändert weiterbetrieben werden; das neue Vorhaben der Beigeladenen soll eigenständig in Regie von Frau C bewirtschaftet werden.
4In der Umgebung des Grundstücks der Kläger befinden sich des Weiteren u. a. mehrere andere landwirtschaftliche Betriebe beziehungsweise Tierzuchtbetriebe sowie Gaststätten mit Außengastronomie. Hinsichtlich der räumlichen Situation und Belegenheit der Grundstücke der Kläger, der Beigeladenen und des Herrn C1 sowie der Betriebsabläufe im zur Genehmigung gestellten Betrieb der Beigeladenen wird auf die sich in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Unterlagen sowie auf das Protokoll des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2010 verwiesen. Gemäß den Antragsunterlagen der Architektin E sowie den Angaben und Aussagen der Beigeladenen sei die neue Betriebseinheit eigenständig und vom väterlichen Betrieb unabhängig. So soll eine getrennte Bewirtschaftung und Buchführung erfolgen. Erschließung, Strom- und Wasserversorgung, Fütterung, Spülwasserver- und -entsorgung sowie die Hygieneschleuse seien vom vorhandenen väterlichen Betrieb getrennt. Lediglich der Maschinenpark - ein Traktor - solle für die Ausmistvorgänge gemeinsam genutzt werden. Dieser Traktor werde dann auf dem Hof des Vaters abgestellt. Gemeinsame technische Einrichtungen der beiden Betriebe sind weder nach den Antragsunterlagen noch nach den Angaben und Aussagen der Beigeladenen vorhanden.
5Den Antragsunterlagen war ein Geruchsgutachten des Ingenieurbüros für Abfallwirtschaft und Immissionsschutz S aus B vom 10. März 2009 beigefügt. Die Gutachter sind dabei von einem (von ihnen als mittlerer Geruchsstoffimmissionsfaktor bezeichneten) Wert von GE 50 gemäß der KTBL-Schrift 333 ausgegangen. In dem Gutachten heißt es (u. a.) auf Seite 20: "Die Geruchsausbreitungsberechnung führt zu folgendem Ergebnis: Wie den Flächenkennwerten zu entnehmen ist, werden an den umliegenden Häusern südlich, westlich, nordwestlich und östlich des geplanten Betriebes ... folgende belästigungsrelevante Kenngrößen IGb erreicht: Wohnhäuser im Außenbereich max. 0.08 – 0.20. Durch diese Ergebnisse wird nachgewiesen, dass der Immissionswert der Geruchsimmissionsrichtlinie für Wohnhäuser im Außenbereich (IW = 0,25) eingehalten wird. An den Häusern nordöstlich des geplanten Betriebes ... werden belästigungsrelevante Kenngrößen IGb zwischen 0.09 – 0.33 erreicht. Die erhöhte Immissionsbelastung an einem der Wohnhäuser ist vorrangig auf die Emissionen des Betriebes N zurückzuführen. Die vom geplanten Betrieb C ausgehende Zusatzbelastung überschreitet an keinem dieser Wohnhäuser einen Wert von 0,02 entsprechend 2 % der Jahresstunden. Damit hält hier die Anlage die Irrelevanz im Sinne von Punkt 3.3 der Geruchsimmissionsrichtlinie ein."
6Nach mehreren Zeitungsberichten über das geplante Vorhaben und mehreren vorherigen Eingaben erhob der Kläger am 23. Dezember 2008 "Einspruch" gegen den geplanten Hähnchenmastbetrieb. Im Mai 2009 legten die Kläger eine "Beurteilung des o. g. Geruchsgutachtens S" des Dipl.-Ing. (FH) I (Sachverständiger für Immissionsschutz) vom 11. Mai 2009 vor. Unter Verweis auf diese Beurteilung müsse eine neue Begutachtung bezüglich der Staubemissionen und der Lärmentwicklung durch die Ventilatoren des Vorhabens der Beigeladenen unter Berücksichtigung der unmittelbaren Nähe der vorhandenen Wohnbebauung erfolgen.
7Dipl.-Ing. I kommt in seinem Gutachten unter "Zusammenfassung und Fazit" zu dem Ergebnis: "Das Geruchsgutachten ... S ... enthält eine Reihe von Fehlern in der Grunddatenerhebung und der Modellierung der Quellen. So wurde eine Reihe von Emittenten in der Umgebung nicht erfasst und Tierzahlen nicht richtig bestimmt. Die der Ausbreitungsprognose zugrunde gelegte Rauhigkeitslänge ist zu gering. Die Modellierung der direkt an die Wohnbebauung angrenzenden Hauptemittenten durch vertikale Linienquellen mit 50prozentiger Turbulenz, mit oder ohne Fahnenüberhöhung ist aufgrund der Höhen der umliegenden Bauten und Vegetation unsachgemäß. Die Modellierung der Flächenquellen entspricht nicht dem Stand des Wissens. Die gewählten Emissionsfaktoren sind fast ausschließlich Minimalfaktoren oder liegen sogar unterhalb bekannter Messungen, so dass auf Grundlage der prognostizierten Emissionswerte keine Planungssicherheit geschaffen werden kann. Ferner umfasst das Gutachten lediglich den Aspekt der Geruchsbelastung in der angrenzenden Wohnbebauung. Die Immissionen von Ammoniak und Staub sowie die Belastung der ansässigen Bevölkerung durch anlagenbezogenen Lärm sind gänzlich unberücksichtigt geblieben. In der Summe muss das Gutachten als unvollständig und nicht belastbar bezeichnet werden, weil aufgrund vieler Faktoren das dargestellte Ergebnis die tatsächlich zu erwartende Belastung unterschätzt."
8Die Sachverständigen S übersandten in der Folge unter dem 27. Mai 2009 eine Stellungnahme zu der vorgenannten Kritik des Dipl.-Ing. I und führten aus, dass dessen Annahmen nicht zutreffend seien und dem Vorhaben der Beigeladenen nicht entgegenstünden.
9Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) erstellte (im Rahmen eines Fachaufsichtsbeschwerdeverfahrens) unter dem 26. Juni 2009 gegenüber der Bezirksregierung E1 eine Stellungnahme zur Plausibilität. Bereits zuvor hatte es unter dem 9. Februar 2009 eine Stellungnahme hinsichtlich Windrosen und Häufigkeitsverteilung der Windgeschwindigkeits- und Ausbreitungsklassen der Wetterstation C2 abgegeben.
10Mit weiterem Schreiben vom 11. August 2009 nahm das Büro S ergänzend zum Einfluss der Geländetopographie Stellung.
11Mit Genehmigungsbescheid vom 2. September 2009 genehmigte der Landrat des Beklagten die Errichtung und den Betrieb einer Broilermastanlage mit 39.900 oder weniger Mastgeflügelplätzen. Zur Begründung bezog er sich auf das Geruchsgutachten des Büros S vom 10. März 2009 mit dem Nachtrag vom 11. August 2009 sowie insbesondere darauf, dass die Zusatzbelastung durch den Betrieb der Beigeladenen nach der Gutachtenlage die Irrelevanzgrenze von 2% der Jahresgeruchsstunden gemäß der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) nicht überschreite. Der Landrat änderte in der Folgezeit mit Schreiben vom 26. August 2010 unter Berufung auf § 42 VwVfG NRW die auf Seite 1 des angefochtenen Genehmigungsbescheides genannte (unrichtige) Gemarkungsbezeichnung M in Alt T.
12Am 29. September 2009 haben die Kläger Klage erhoben. Mit ihrer am 23. April 2010 zunächst per Fax vorgelegten Klagebegründung haben sie eine "Immissionsprognose..." des Dipl.-Ing. I vom 28. September 2009 eingereicht.
13Im Rahmen des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2010 hat das Gericht die Gesellschafter der Beigeladenen hinsichtlich der Betriebsabläufe und der technischen Einrichtungen in ihren Betrieben persönlich angehört. Der Beklagte hat in diesem Termin unwidersprochen ausdrücklich erklärt, dass durch den angefochtenen Genehmigungsbescheid nur 7 Mastdurchgänge pro Jahr und ein Mastzyklus von 35 Tagen genehmigt (worden) seien.
14Mit Beschluss vom selben Tag hat das Gericht zu der Frage der Beeinträchtigung der Kläger als Nachbarn durch Gerüche, Bioaerosole, Stäube und Ähnlichem Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des LANUV NRW.
15Dieses hat mit seinem Bericht vom 31. Mai 2011 das erbetene Gutachten in Bezug auf die Geruchsimmissionssituation unter Berücksichtigung der Geruchsvorbelastung, die Staubimmission, die Bioaerosol-Immission und das verwendete Desinfektionsmittel Intersteril vorgelegt. Die Berechnungen sind unter Berücksichtigung eines GE-Wertes von 60 für die in der Umgebung bereits vorhandene Geruchsvorbelastung und eines (zeitreihenbezogenen) GE-Wertes von 180 für die vom Vorhaben der Beigeladenen ausgehende Zusatzbelastung erfolgt. Der im Bericht genannte Analysepunkt (ANP) 2 bezeichnet das Wohnhaus der Kläger in der P Straße. Im Ergebnis hat das LANUV NRW unter Ziffer 7. ("Zusammenfassung") im Wesentlichen ausgeführt: Der Hähnchenmaststall sei nicht irrelevant im Sinne der GIRL. Die Geruchsgesamtbelastung überschreite am Wohnhaus der Kläger den für den Außenbereich genannten Wert von 0,25. Auch die Geruchsvorbelastung überschreite mit 0,29 diesen Wert bereits. Die vorhandene Geruchsvorbelastung werde durch das Vorhaben der Beigeladenen um 0,04 erhöht. Bezüglich Bioaerosolen sei keine konkrete Gesundheitsgefahr gegeben. Das verwendete Desinfektionsmittel Peressigsäure führe ebenfalls zu keinen Gefahren.
16Das Gericht hat das LANUV NRW mit Verfügung vom 12. Juli 2011 zur Stellungnahme und Ergänzung des vorgenannten Berichts insbesondere unter Beachtung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts und der zu diesem Zeitpunkt zu Grunde zu legenden Vorgaben aufgefordert.
17Ausweislich der daraufhin erstellten ergänzenden Stellungnahme des LANUV NRW vom 31. August 2011 stelle der Bericht vom 31. Mai 2011 "die zum heutigen Zeitpunkt aus fachlichen Gesichtspunkten sachgerechte Vorgehensweise" dar und berücksichtige den "aktuellen Stand des Wissens." Die durchgeführten Berechnungen seien auf "Basis der neuesten Erkenntnisse" und unter Berücksichtigung eines mittleren Emissionswertes von GE 180 anstelle eines Jahresmittelwertes erstellt worden. Es sei "mittlerweile anerkannte fachliche Meinung", dass der damals gültige mittlere Emissionsfaktor von GE 50 nach der KTBL-Schrift 333 heute "nicht korrekt" und dass von einem Wert von GE 60 auszugehen sei. Messungen des LANUV NRW in den letzten Jahren hätten gezeigt, dass ein Wert von GE 180 "sehr gut geeignet" sei, um "als Ausgangsgröße herangezogen zu werden." Ein Ansatz von GE 50 führe "zu einer systematischen Unterschätzung der Geruchshäufigkeiten." Das LANUV NRW hat zusätzlich im Wesentlichen ausgeführt: Es halte aufgrund der nunmehr (gleichwohl) mit einem Wert von GE 50 durchgeführten Berechnungen (bezogen auf die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides verwendeten üblichen Berechnungsmethoden und -grundlagen) die Irrelevanzgrenze von 0,02 der Jahresgeruchsstunden durch das Neubauvorhaben der Beigeladenen entsprechend der früheren Feststellungen des Büros S vom 10. März 2009 am ANP 2 mit einem Wert der Zusatzbelastung von 0,00 für nicht überschritten. Die vorhandene Gesamtvorbelastung habe am ANP 2 bei 35 Masttagen (indes) 0,29 bzw. 0,30 betragen.
18Unter dem 31. Januar 2012 hat das LANUV NRW eine weitere Ergänzung vorgelegt. Aus der dortigen Tabelle 1 ergibt sich eine (ungewichtete) Zusatzbelastung durch das Neubauvorhaben der Beigeladenen unter Ansatz von unterschiedlichen Emissionsfaktoren von GE 50 bis GE 245. Dabei wurde am Wohnhaus der Kläger bei Ansatz eines GE-Wertes von 50 bereits eine tatsächliche zusätzliche Geruchshäufigkeit von 0,4 % festgestellt, die das LANUV NRW auf 0 abgerundet hat. Bei Ansatz eines GE-Wertes von 60 ergibt sich eine (auf 1 aufgerundete) Geruchshäufigkeit von 0,6 %. Bei Ansatz eines GE-Wertes von 115 ergibt sich (auf 2 aufgerundete) Geruchshäufigkeit von 1,5 %. Das LANUV NRW bejaht vor diesem Hintergrund weiterhin die Irrelevanz der Emissionen des Vorhabens der Beigeladenen.
19Die Kläger rügen im Wesentlichen: Zunächst seien die Voraussetzungen der §§ 4 und 6 BImSchG nicht gegeben; vielmehr hätte ein Änderungsgenehmigungsverfahren nach den §§ 15 und 16 BImSchG mit einer umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müssen, denn der Betrieb des Herrn C1 und der der Beigeladenen seien als ein gemeinsamer Betrieb zu betrachten. Das Neubauvorhaben sei nämlich nicht eigenständig. Dem Vorhaben fehle die Genehmigungsfähigkeit nach Bauplanungsrecht wegen der Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB und deswegen, weil es in der Gemeinde T geeignete Grundstücke für ein solches Vorhaben in ausgewiesenen Gewerbegebieten gebe; die vorhandene Bebauung an der P Straße sei eine Splittersiedlung gemäß § 34 BauGB, die einen höheren Schutz genieße als der Außenbereich, beziehungsweise es handele sich um ein Wohn- und nicht um ein Dorfgebiet. Die zwischenzeitlich vorhandenen Wohnhäuser stünden der Annahme einer Außenbereichslage entgegen. Dem Vorhaben fehle auch die Genehmigungsfähigkeit nach Immissionsschutzrecht. Insbesondere seien die Vorbelastungen der vorhandenen Betriebe in der Umgebung zu berücksichtigen. Für sie – die Kläger – ergäben sich unzumutbare Belastungen aufgrund der Immissionsprognose des Dipl.-Ing. I vom 28. September 2009. Das Geruchsgutachten des Büros S vom 10. März 2009 sei fehlerhaft. Die geplante Halle sei für 39.900 Hähnchen überdimensioniert, eine Erweiterung somit vorprogrammiert. Schließlich fehle eine Sonderfallprüfung, insbesondere weil Bioaerosole aufträten. Auch komme es zu einer unzulässig hohen Staubbelastung.
20Den aufgrund des Beweisbeschlusses des Gerichts vom 26. Oktober 2010 erstellten Bericht des LANUV NRW vom 31. Mai 2011 erachten die Kläger für zutreffend. Sie haben zudem eine weitere Stellungnahme des Dipl.-Ing. I vom 1. Oktober 2011 vorgelegt, in der dieser u. a. auf die bei einer Genehmigungserteilung zu beachtenden Vorgaben aus der KTBL-Schrift 446 aus dem Jahr 2006 hinweist, aus der sich anzuwendende GE-Werte zwischen 60 und 170 (und nicht von 50) ergäben. Zur Ergänzung des LANUV NRW vom 31. Januar 2012 führen die Kläger aus, dass es unzutreffend sei, bezogen auf ihr Grundstück von einer Geruchszusatzbelastung durch das Vorhaben der Beigeladenen von 0,0 auszugehen. Ferner komme das Irrelevanzkriterium nach der GIRL bei einer dermaßen hohen Überschreitung des nach der GIRL zulässigen und für sie maßgeblichen Immissionswertes (von IW gleich 0,15 für Dorfgebiete) und der vom LANUV NRW festgestellten vorhandenen Geruchsvorbelastung nicht zur Anwendung. Keinesfalls sei von einem Immissionswert von 0,25 auszugehen. Aber auch dieser sei aufgrund der Vorbelastung von 0,29 beziehungsweise 0,30 weit überschritten. Die maßgebliche Gesetzes- und Vorschriftenlage sei im Jahr 2009 keine andere gewesen als heute. Insbesondere sei (daher) die KTBL-Schrift 446 zu Grunde zu legen. Schließlich haben die Kläger eine weitere Stellungnahme des Dipl.-Ing. I vom 18. Februar 2012 eingereicht, in der dieser u. a. einen Wert von GE 50 für veraltet erachtet.
21Die Kläger beantragen,
22den Genehmigungsbescheid des Landrats des Beklagten vom 2. September 2009 in der Fassung vom 26. August 2010 aufzuheben.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Er ist der Auffassung, dass sein Genehmigungsbescheid insgesamt rechtmäßig sei. Insbesondere liege keine Betriebserweiterung des väterlichen Betriebs von Herrn C1 vor. Der genehmigte Betrieb der Beigeladenen sei nämlich eine hiervon unabhängige und selbständige Betriebseinheit, weil Frau C hier allein entscheidungsbefugt sei. Tatsächlich handele es sich um zwei Betriebe und nicht um eine gemeinsame Anlage, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 der 4. BImSchV nicht gegeben seien. Die Ausführungen des Dipl.-Ing. I seien unabhängig von seiner offenkundigen Parteilichkeit auch in der Sache insgesamt nicht zutreffend.
26Den aufgrund des Beweisbeschlusses des Gerichts vom 26. Oktober 2010 erstellten Bericht des LANUV NRW vom 31. Mai 2011 erachtet er aufgrund der dort verwendeten und zugrunde gelegten Messmethoden und Berechnungen, insbesondere wegen des Ansatzes eines Wertes von GE 180 aufgrund eines in der Nr. 11/12 – Nov./Dez. 2009 der Zeitschrift "Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft" veröffentlichten Forschungsprojekts des LANUV NRW für nicht zutreffend und verweist auf den damaligen vom Büro S in zutreffender Weise verwendeten GE-Wert von 50. Jedenfalls im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Erlass des angefochtenen Bescheides vom 2. September 2009, habe es keine rechtliche oder sonst verbindliche Vorgabe gegeben, nach welcher (anderen) Methodik eine Geruchsausbreitungsberechnung durchzuführen gewesen wäre. Der angesetzte und zu Grunde gelegte Wert von GE 50 gemäß der KTBL-Schrift 333 sei daher nicht zu beanstanden. Nachträglich gewonnene neue Erkenntnisse (niedergelegt zum Beispiel in der VDI-Richtlinie 3894 mit einem dort genannten GE-Wert von 60) oder das vorgenannte Forschungsprojekt des LANUV NRW dürften nunmehr nicht rückwirkend zur Rechtswidrigkeit der damaligen Genehmigung führen. Zur ergänzenden Stellungnahme des LANUV NRW mit Datum vom 31. August 2011 bemerkt der Beklagte, es sei nunmehr klar, dass die erteilte Genehmigung rechtmäßig erteilt worden sei. Die Kläger seien bereits deshalb nicht in ihren Rechten verletzt, da die Geruchszusatzbelastung an ihrem Wohnsitz 0,00% betrage.
27Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
28die Klage abzuweisen.
29Sie führt im Wesentlichen aus: die angefochtene Genehmigung sei zutreffend und rechtmäßig gemäß § 4 BImSchG erteilt worden. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung habe nicht durchgeführt werden müssen. Insbesondere sei auch die Wahl des Verfahrens durch die Behörde nicht drittschützend und daher von den Klägern nicht angreifbar. Die alleinige Bestimmungsgewalt in der Beigeladenen habe von Anfang an bei Frau Schulte-Bocholt gelegen. Daher habe es sich um ein Neubauvorhaben und gerade nicht um eine wesentliche Änderung (Erweiterung) des vorhandenen väterlichen Betriebes gehandelt. Dieser werde seinen Betrieb, der mit dem Vorhaben der Beigeladenen nichts zu tun habe, wie bisher weiterführen. Seine Tochter sei alleinige Geschäftsführerin und Betriebsleiterin der Beigeladenen. Diesbezüglich verweist die Beigeladene auf den ihrer Ansicht nach unmissverständlichen bereits erwähnten GbR-Vertrag und den späteren Änderungsbeschluss. Auch bestehe entgegen des Vortrags der Kläger keine Absicht, die Beigeladene nach erteilter Genehmigung oder später wieder aufzulösen. Die Einwendungen der Kläger im Übrigen stünden ebenfalls insgesamt der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Genehmigungsbescheids nicht entgegen. So gehöre das Grundstück der Kläger nicht zu einer Splittersiedlung. Das Vorhaben der Beigeladenen sei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts als privilegierte Mastanlage im Außenbereich jedenfalls gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB (und nur dort) zulässig. Die Angaben der Kläger zu den weiter vorhandenen emittierenden Betrieben in der Umgebung seien falsch. Gesundheitsgefährdende Immissionen und Schadstoffbelastungen gingen vom Vorhaben der Beigeladenen nicht aus. Letztlich habe auch das LANUV NRW die von ihr vorgelegten Gutachten des Büros S überprüft und nicht beanstandet. Das (mit der Klageschrift vorgelegte) Gutachten des Dipl.-Ing. I sei reiner Parteivortrag und überzeuge nicht. Der Gutachter sei auch kein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Emissionen und Immissionen in der Land- und Forstwirtschaft. Zudem sei er als 1. Vorsitzender der Kreisgruppe des BUND in H weder objektiv noch neutral, zumal es Ziel des BUND sei, Massentierhaltungen zu verhindern. Zur Bestätigung der Richtigkeit ihres Vortrags verweist die Beigeladene auf eine weitere Stellungnahme des Büros S vom 7. Juni 2010. Anhaltspunkte für einen Wertverlust des klägerischen Grundstücks seien weder ersichtlich noch nachvollziehbar dargelegt.
30Die Beigeladene kritisiert ebenso wie der Beklagte den Bericht des LANUV NRW vom 31. Mai 2011. Dieser stelle in unzulässiger Weise auf die nunmehr aktuelle Situation ab. Maßgeblich sei allein die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Genehmigungsbescheids. Das LANUV NRW dürfe nicht auf den erst im Dezember 2009 im Gründruck erschienen Entwurf der VDI-Richtlinie 3894 abstellen, sondern müsse maßgeblich die Werte der KTBL-Schrift 333 heranziehen und mit einem mittleren Emissionswert von GE 50 statt mit GE 180 rechnen. Zur ergänzenden Stellungnahme des LANUV NRW vom 31. August 2011 weist die Beigeladene ausdrücklich darauf hin, dass die von ihrem Vorhaben ausgehende Geruchszusatzbelastung unterhalb des Irrelevanzkriteriums der GIRL von 2 % der Jahresgeruchsstunden liege. Das Gutachten des Dipl.-Ing. I vom 1. Oktober 2011 erachtet die Beigeladene (ebenfalls) für nicht brauchbar. Vielmehr habe das LANUV NRW in seinen Gutachten festgestellt, dass die Berechnungsmethode, die Ansätze und das Ergebnis des ursprünglich im Genehmigungsverfahren von dem Büro S erstellten Gutachtens "vollständig, plausibel und nachvollziehbar" seien.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Unterlagen (Beiakten Hefte 1 bis 11) Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe:
33Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
34I.
35Die Kläger sind insbesondere gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, da eine Beeinträchtigung ihrer subjektiv öffentlichen Rechte als Nachbarn gegenüber von dem Vorhaben der Beigeladenen ausgehenden Geruchsimmissionen und wegen einer möglichen Verletzung von Betreiberpflichten der Beigeladenen gemäß § 5 BImSchG nicht ausgeschlossen werden kann.
36Der Genehmigungsbescheid des Landrats des Beklagten vom 2. September 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger als von dem Vorhaben der Beigeladenen in ihrer materiellen Rechtsposition betroffene Grundstücksnachbarn dadurch in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
37II.
38Die Anlage der Beigeladenen ist bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Genehmigungsbescheids nicht gemäß der §§ 4, 6, 19 BImSchG genehmigungsfähig, denn sie verursacht unzulässig hohe Geruchsimmissionen zum Nachteil der Kläger; die gleichwohl erteilte Genehmigung beachtet nicht die Vorgaben der nordrhein-westfälischen Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008.
391.
40Allerdings sind die wesentlichen rechtlichen Vorfragen im Sinne des Beklagten und der Beigeladenen zu beantworten.
41a.
42Der Landrat des Beklagten hat zunächst rechtlich beanstandungsfrei das vereinfachte Genehmigungsverfahren gemäß § 19 BImSchG und der 9. BImSchV durchgeführt. Insbesondere war er entgegen der Auffassung der Kläger nicht verpflichtet, den Antrag der Beigeladenen im Änderungsgenehmigungsverfahren gemäß § 16 Abs. 1 BImSchG zu prüfen und zu bescheiden. Es liegt nämlich keine Änderung des bestehenden väterlichen Betriebs C1 im Sinne einer Betriebserweiterung um das Neubauvorhaben der Beigeladenen vor; vielmehr ist dieses als eigenständiger Betrieb anzusehen und auf seine Genehmigungsfähigkeit zu untersuchen.
43Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG bedarf die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage der Genehmigung, wenn durch die Anlage nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 erheblich sein können (wesentliche Änderung). Eine Genehmigung ist nach Satz 2 dann nicht erforderlich, wenn durch die Änderung hervorgerufene nachteilige Auswirkungen offensichtlich gering sind und die Erfüllung der sich aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 ergebenden Anforderungen sichergestellt ist, wovon hier schon angesichts der Größe des zur Genehmigung gestellten Vorhabens der Beigeladenen (39.900 Hähnchenmastplätze) nicht ausgegangen werden kann.
44Ebenso wenig kann ein Genehmigungserfordernis wegen einer wesentlichen Änderung (der bestehenden Anlage des Vaters Herrn C1) deswegen angenommen werden, dass die in der 4. BImSchV aufgeführten Schwellenwerte überschritten sind (Anhang 1, Nr. 7., Nr. 7.1 Spalte 2 lit. c: 30.000 bis weniger als 40.000 Mastgeflügelplätze). Der maßgebliche Schwellenwert von 40.000 Mastplätzen wird durch das Neubauvorhaben der Beigeladenen nicht erreicht; eine Addition dieser Mastplätze mit den ca. 25.000 vorhandenen Plätzen im Betrieb des Vaters kommt nicht in Betracht. Nur bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Änderungsgenehmigung wäre die gesamte Emissionsbelastung (des bestehenden Betriebs des Vaters und des Betriebs der Beigeladenen) zusammen zu betrachten.
45Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11. Februar 1977 - IV C 9.75 -, u. a. DVBl. 1977, 770 ff. und Juris; Urteil vom 21. August 1996 - 11 C 9.95 -, u. a. BVerwGE 101, 347 ff. und Juris; vgl. auch Jarass, BImSchG, Kommentar, 9. Auflage, 2012, § 16 Rn. 35; Kotulla, BImSchG, Kommentar (Loseblattausgabe), Stand Juni 2011, § 16 Rn. 37, 50, 64, 70.
46Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben der Beigeladenen und der bestehende (genehmigte) väterliche Betrieb bilden keine gemeinsame Anlage im Sinne von § 1 Abs. 3 der 4. BImSchV. Vielmehr handelt es sich bei dem Vorhaben der Beigeladenen trotz des (nicht zu berücksichtigenden) tatsächlichen und über den vorgenannten GbR-Vertrag ausgestalteten rechtlichen Näheverhältnisses zwischen der Geschäftsführerin der Beigeladenen als Tochter des stellvertretenden Geschäftsführers und Betreibers des bestehenden Betriebs C1 um eine Neuerrichtung. Von einer solchen ist auszugehen, wenn das zur Genehmigung gestellte Vorhaben nicht auf die genehmigte Anlage bezogen ist, sondern sich als Errichtung einer weiteren Anlage darstellt.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2008 - 7 B 2.08 -, Feldhaus, Entscheidungssammlung, BImSchG, § 16 Nr. 5 und Juris.
48Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Abgrenzung zwischen einer Betriebserweiterung bzw. Änderung eines bestehenden Betriebs und einer Neuerrichtung der Anlagenbegriff des § 1 Abs. 2 und 3 der 4. BImSchV maßgeblich.
49Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2008 - 7 B 2.08 -, a. a. O.; Niedersächsisches OVG (Nieders. OVG), Beschluss vom 30. November 1999 - 4 B 1934/99 -, Rechtsprechungsdatenbank Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht.
50Danach erstreckt sich das Genehmigungserfordernis auf alle betriebsnotwendigen Anlagenteile und Verfahrensschritte, die in einem räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang stehen, sowie auf eine Mehrheit von Anlagen derselben Art, die dadurch in einem engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen, dass sie auf demselben Betriebsgelände liegen, mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden sind und einem vergleichbaren technischen Zweck dienen.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2008 - 7 B 2.08 -, a. a. O.
52Gemäß § 1 Absatz 3 Satz 2 der 4. BImSchV ist ein enger räumlicher und betrieblicher Zusammenhang (nur) gegeben, wenn die Anlagen 1. auf demselben Betriebsgelände liegen, 2. mit gemeinsamen Betriebseinrichtungen verbunden sind und 3. einem vergleichbaren technischen Zweck dienen.
53Vgl. zu den Voraussetzungen anschaulich Landmann / Rohmer, UWR II, Kommentar (Loseblattausgabe), Stand Juli 2011, § 1 der 4. BImSchV, Rn. 14 ff.; zur Betreibereigenschaft: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 27. November 2008 - 8 B 1476/08 -, DVBl. 2009, 456 und Juris.
54Ein neues Vorhaben stellt dann eine Änderung einer bestehenden genehmigten Anlage dar, wenn es als ihre Nebeneinrichtung zuzuordnen oder mit ihr betriebstechnisch und organisatorisch in einer Weise verbunden ist, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertigt, eine einheitliche, nach einem übergreifenden Konzept betriebene Anlage anzunehmen.
55Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2008 - 7 B 2.08 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 16. November 1990 - 21 A 2254/89 -, NVwZ 1991, 902 f. und Juris; Nieders. OVG, Beschluss vom 30. November 1999 - 4 B 1934/99 -, a. a. O.; zu § 1 der 4. BImSchV ebenso: Koch / Scheuing, GK-BImSchG (Loseblattausgabe), Stand Dezember 2011, § 16 Rn. 140; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht (Loseblattausgabe), Stand Juli 2011, § 1 der 4. BImSchV Rn. 23; Landmann / Rohmer, a. a. O., § 1 der 4. BImSchV Rn. 20 ff.
56Die Annahme der Erweiterung des bestehenden Betriebes des Vaters mit seinen (u. a.) ca. 25.000 Hähnchenmastplätzen um die zusätzlichen 39.900 Plätze der Beigeladenen kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erfolgen, weil nach den Antragsunterlagen sowie den klaren und widerspruchsfreien Angaben der Beigeladenen insbesondere in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2010 eine räumliche Trennung beider Betriebe besteht und jeder Betrieb einen eigenen voneinander unabhängigen Betriebsablauf insbesondere hinsichtlich des eigentlichen Mastvorganges hat. Die tatsächliche und rechtliche Verbindung zwischen Frau und Herrn C (Vater-Tochter-Verhältnis und Einfluss des Vaters als stellvertretender Geschäftsführer auf die Beigeladene) reicht nicht aus, um das Erfordernis der gemeinsamen Betriebseinrichtungen als gegeben ansehen zu können.
57Vgl. allgemein Landmann / Rohmer, a. a. O. § 1 der 4. BImSchV, Rn. 21 f.
58Gemeinsame technische Betriebseinrichtungen bestehen nicht. Aus dem Bauantrag der Beigeladenen (Schreiben der Architektin Dipl.-Ing. E mit Genehmigungsunterlagen) vom 9. Februar 2008 ergibt sich nämlich, dass der väterliche Betrieb und der Betrieb der Beigeladenen insbesondere hinsichtlich der Erschließung, der Stromversorgung, der Wasserversorgung, der Fütterungseinrichtungen, der Spülwasserlagerung, der Spülwasserausbringung und der Hygieneschleusen getrennt und eigenständig sind. Unerheblich für die Beurteilung sind beispielsweise die Vermittlungsgarantie Nährstoffbörse, der Einkauf des Futters, der Verkauf der Hähnchen, die Spülwasserausbringung auf einer dem Vater gehörenden Fläche, die gemeinsame Nutzung des Traktors des Vaters bei der Ausmistung, die Entrichtung der Herstellungskosten des Neubaus (durch den Vater), das Stellen etwaiger Sicherheitsleistungen (des Vaters) gegenüber der finanzierenden Bank, die Finanzierung der laufenden betrieblichen Verpflichtungen (zumindest in der Anlaufphase) sowie vertragliche Bindungen gegenüber Lieferfirmen, Entsorgern und Abnehmern.
59Vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom 30. November 1999 - 4 B 1934/99 -, a. a. O.
60Diese Tatsachen sind auch durch die beiden Gesellschafter der Beigeladenen in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2010 bestätigt worden, ohne dass für das Gericht Widersprüche erkennbar sind.
61b.
62Eine UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens der Beigeladenen besteht ebenfalls nicht, da es nicht in der Anlage zum UVPG aufgeführt ist (vgl. Anlage 1 zum UVPG (Liste "UVP-pflichtige Vorhaben"), Nr. 7., Nr. 7.3 (Errichtung und Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastgeflügel)).
63c.
64Der Genehmigungsbescheid ist des Weiteren hinsichtlich der Zahl der Mastdurchgänge und der Mastzyklen im Ergebnis hinreichend bestimmt gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Jedenfalls unter (nachträglicher zulässiger) Konkretisierung des Bescheidinhalts hat der Beklagte in dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2010 unter Bezugnahme auf die Antragsunterlagen der Beigeladenen auf (verbindlich) planfestgestellte 7 Mastdurchgänge pro Jahr und auf einen Mastzyklus von 35 Tagen verwiesen und diese Angaben ausdrücklich zu Protokoll gegeben. Die Beigeladene hat diesbezüglich keine Einwendungen erhoben.
65d.
66Auch leidet die angefochtene Genehmigung nicht an nach Normen des Baurechts zu beurteilenden Fehlern. Denn bei einem Hähnchenmaststall mit 39.900 Mastplätzen handelt es sich um ein im Außenbereich privilegiert zulässiges Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB (gewerbliche Tierhaltung), ohne das es hierzu aufgrund der klaren Rechtslage weiterer Ausführungen bedarf.
67Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, NWVBl. 2010, 277 ff. und Juris; Beschluss vom 2. Juni 2009 - 8 B 572/09 -, u. a. DVBl. 2009, 1040 und Juris (zu einem Hähnchenmaststall mit 39.900 Hähnchen unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Beschluss vom 27. Juni 1983 - 4 B 206.82 -, NVWZ 1984, 169 f. und Juris (zu einem Geflügelmaststall mit 180.000 Mastplätzen)); ebenso BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, u. a. BVerwGE 131, 352 ff. und Juris; auch VG Münster, Urteil vom 23. April 2010 10 K 2567/08 , Juris.
68Das Grundstück der Kläger befindet sich in einem bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Verwaltungsvorgang, dem vorhandenen Kartenmaterial und den über das Internet zugänglichen Luftbildern der örtlichen Gegebenheiten. Danach ist von einer überwiegend landwirtschaftlich geprägten Siedlungsstruktur mit vornehmlich lockerer Bebauung in der Umgebung auszugehen. Vor diesem Hintergrund war eine Ortsbesichtigung durch das Gericht nicht erforderlich, zumal es für das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung hierauf auch letztlich nicht ankommt. Aufgrund der räumlichen Lage sind den Klägern außenbereichstypische Belästigungen wie etwa Gerüche und Lärm grundsätzlich zumutbar. Anwohner in einem Außenbereich müssen nämlich mit dem Vorhandensein und der Errichtung von im Außenbereich privilegierten Anlagen rechnen. Im typischerweise landwirtschaftlich genutzten Außenbereich muss daher generell mit Lärm und Gerüchen gerechnet werden, die durch Tierhaltung, Dungstätten, Güllegruben und dergleichen üblicherweise entstehen und typische Begleiterscheinungen einer landwirtschaftlichen Nutzung sind. Allerdings sind unzumutbare Beeinträchtigungen nicht hinzunehmen.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, a. a. O. (vorgehend VG Münster, Beschluss vom 30. Juni 2009 - 10 L 199/09 -, Juris); Beschluss vom 12. August 2008
70- 10 A 1666/05 -, Juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 3 L 142/11 -.
71Ein Bebauungsplan gemäß § 29 BauGB für den hier in Rede stehenden Bereich ist nicht aufgestellt und erlassen worden, sodass nicht von einem planfestgestellten allgemeinen Wohngebiet (WA) gemäß § 4 BauNVO, von einem Mischgebiet (MI) gemäß § 6 BauNVO oder von einem Dorfgebiet gemäß § 5 BauNVO auszugehen ist. Für eine geschlossene Ortslage beziehungsweise einen Bebauungszusammenhang, der Anlass für die Anwendung der Regelung des § 34 BauGB geben könnte, ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte.
72Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 2010 - 4 B 21.10 -, Juris (zu den Voraussetzungen an das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs).
73Mithin besteht für die Kläger kein erhöhter Schutzanspruch, wie er Bewohnern eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils oder eines beplanten Innenbereichs gemäß § 34 BauGB zukommen kann. Die Annahme eines Ortsteils ergibt sich insbesondere nicht aus einer rein quantitativen Betrachtung der vorhandenen Bebauung. Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Das gewisse Gewicht ist nicht für alle Gemeinden einheitlich, sondern in jedem Einzelfall nach den jeweiligen ortstypischen siedlungsstrukturellen Gegebenheiten zu bestimmen.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 4 C 56/79 -, NVwZ 1984, 434 f. und Juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, a. a. O.; auch Urteil vom 26. Juni 2006
75- 7 A 2974/05 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 3 L 142/11 -.
76Insbesondere ist aufgrund der konkreten Siedlungsstruktur in T nicht von einem unbeplanten Innenbereich gemäß § 34 BauGB auszugehen. Die vorhandenen Wohnhäuser westlich und östlich des klägerischen Grundstücks, gelegen in einer Reihe südlich der P Straße, vermögen gemeinsam mit dem klägerischen Grundstück angesichts der gesamten Besiedlung in der Gemeinde T keinen solchen Ortsteil zu begründen. Denn der gesamte Bereich um die hier betroffenen Grundstücke an der P Straße mit Ausnahme des städtischen Bereichs von T, im Süden der hier betroffenen Grundstücke gelegen, und des im Norden gelegenen Ortsteils Erle stellt sich aufgrund der typischerweise breit zersiedelten und weiträumigen Bebauungsstruktur sowie der erkennbaren vorrangigen bzw. überwiegenden land- und forstwirtschaftlichen Nutzung insgesamt als (unbeplanter) Außenbereich gemäß § 35 BauGB dar. Ein Ortsteil ist auch nicht (wie von den Klägern behauptet) bereits bei 6 vorhandenen Häusern gegeben.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1969 - IV C 38.67 -, BRS 22 Nr. 76.
78Soweit die Kläger sich auf das Vorhandensein einer Splittersiedlung berufen, vermag dies ebenfalls nicht zu einem erhöhten Schutzbedürfnis zu führen. Eine solche Splittersiedlung (beziehungsweise ein Siedlungssplitter) stellt lediglich eine Bebauung(sform) im bauplanungsrechtlichen Außenbereich dar (vgl. § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB).
79Vgl. allgemein: BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2004 - 4 B 23.04 -, Juris.
80Auf das Vorhandensein einer geschlossenen Ortslage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW,
81vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. September 2004 - 7 A 2671/03 -, Juris,
82ist hier mangels Fallrelevanz nicht weiter einzugehen.
83Die Gemeinde T hat dem Landrat des Beklagten mit Schreiben vom 26. Juni 2009 auch mitgeteilt, dass keine gemeindlichen Planungsabsichten zur Steuerung von Massentierhaltung vorlägen, die Ansiedlung eines entsprechenden Betriebes in Gewerbegebieten weder realistisch sei noch Flächen verfügbar bzw. in der Planung seien, und dass entsprechende Industriegebiete nicht vorhanden seien. Damit hat die Gemeinde dargestellt, dass bezogen auf das Neubauvorhaben der Beigeladenen dieses an einer anderen Stelle im Gemeindegebiet, insbesondere in einem beplanten oder unbeplanten Innenbereich gemäß § 30 oder § 34 BauGB, mangels dort vorhandener Flächen nicht vorgesehen sei. Das erforderliche Einvernehmen der Gemeinde T gemäß § 36 BauGB liegt ebenfalls vor.
842.
85Jedoch bestehen bezogen auf den für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Genehmigungsbescheids ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben der Beigeladenen unzulässige Geruchsimmissionen verursacht; damit verstößt es gegen die drittschützende Betreiberpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG, wonach genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Dass die Kläger in erheblicher Weise betroffen sind, ergibt sich im Wesentlichen aus dem Bericht des LANUV NRW vom 31. Mai 2011 in Verbindung mit den mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen H1 im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. April 2012 (sowie in Zusammenhang mit den ergänzenden Stellungnahmen des LANUV NRW vom 31. August 2011 und vom 31. Januar 2012). Demnach geht der Genehmigungsbescheid von einer zu niedrigen und daher unzutreffenden Gesamtgeruchsvorbelastung in der Umgebung des Wohnhauses der Kläger sowie fälschlicherweise von einer unterhalb des Irrelevanzkriteriums liegenden Zusatzbelastung durch das Vorhaben der Beigeladenen aus.
86Am Wohnhaus der Kläger (Analysepunkt ANP 2) treten nämlich Belastungen durch Geruchsimmissionen auf, die über den zulässigen Grenzwerten der GIRL liegen. Denn bei Heranziehung eines Wertes von GE 60 hinsichtlich der vorhandenen Gesamtgeruchsvorbelastung in der Umgebung und von GE 180 (zeitreihenbezogen) betreffend die von der Anlage der Beigeladenen ausgehenden Geruchsemissionen ergibt sich eine Geruchszusatzbelastung von 0,03 bzw. 0,04 (bei 35 Masttagen) gleich 3% bzw. 4% der Jahresgeruchsstunden. Aufgrund der Gesamtvorbelastung durch alle bereits vorhandenen Emissionsquellen von 0,29 bzw. 0,30 gleich 29% bzw. 30% der Jahresgeruchsstunden ist der in einem Außenbereich im Einzelfall höchstens zulässige Grenzwert von 0,25 (also 25% der Jahresgeruchsstunden) gemäß Nr. 3.1 Begründung und Auslegungshinweise zur GIRL deutlich überschritten. Die Zusatzbelastung liegt über dem Irrelevanzkriterium gemäß Nr. 3.3 GIRL (0,02 gleich 2% der Jahresgeruchsstunden) mit der Folge, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht als irrelevant einzustufen ist. Die schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen H1 vom LANUV NRW sind verständlich, nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchsfrei. Die zu Grunde gelegten GE-Werte sowie die Methode ihrer Ermittlung begegnen keinen Bedenken. Der Sachverständige hat zum einen verständlich und anschaulich ausgeführt, dass bei der Ermittlung der Geruchszusatzbelastung ein (zeitreihenbezogener) GE-Wert von 180 inzwischen als sachgerechte Größe jedenfalls in Nordrhein-Westfalen allgemein anerkannt ist und zu Grunde gelegt wird und dass entgegenstehende Erkenntnisse (auch aus anderen Bundesländern) nicht vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund ist die vom LANUV NRW durchgeführte Art und Weise der Ermittlung und Berechnung als aktuelle wissenschaftliche Praxis und sachgerechte Methode nicht zu beanstanden. Dies wird von den Beteiligten im Übrigen auch nicht bestritten. Der Sachverständige hat zum anderen nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Erfassung der vorhandenen Geruchsbelastung ein Wert von GE 60 als mittlerer Emissionsfaktor auf der Grundlage der VDI-Richtlinie 3894 aus September 2011 anzusetzen ist (vgl. Tabelle 22 (Geruchsstoffemissionsfaktoren – Konventionswerte für verschiedene Tierarten, Produktionsrichtungen und Haltungsverfahren) auf Seite 62). Denn diese Richtlinie stelle erstmalig eine bundesweit gültige einheitliche Empfehlung betreffend die Ermittlung von Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen dar, wie es sie zuvor noch nicht gegeben habe. Es sei auch nicht zu beanstanden und stehe nicht in Widerspruch zueinander, dass die modellierte Zusatzbelastung unter Heranziehung eines (zeitreihenbezogenen) GE-Wertes von 180 ermittelt werde, währenddessen bei der vorhandenen Belastung ein Wert von GE 60 angesetzt werde (vgl. Bericht des LANUV vom 31. Mai 2011, Tabellen 1 und 2 auf Seite 8). Bei der Gesamtgeruchsvorbelastung ist es für die Beurteilung der Geruchszusatzbelastung letztlich ohne Bedeutung, ob von einem einzuhaltenden Grenzwert von IW gleich 0,15 für Dorfgebiete (Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL), von bis zu 0,20 am Rand von Dorfgebieten oder von bis zu 0,25 im Außenbereich (zu Nr. 3.1 der Begründung und Auslegungshinweise) auszugehen ist.
87Bei der Beurteilung der Erheblichkeit von Geruchsbelastungen ist die nordrhein-westfälische GIRL in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 anzuwenden. Ihre grundsätzliche Anwendbarkeit ist durch die aktuelle Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen (und in Niedersachsen) anerkannt und wird auch von den Beteiligten nicht in Frage gestellt.
88Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. Mai 2010 - 8 B 992/09 -, Juris; Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, a. a. O.; Beschluss vom 23. März 2009 - 10 B 259/09 -, Juris; so auch VG Oldenburg, Urteil vom 10. März 2010 - 5 A 1375/09 -, Juris; im Ergebnis auch VG Schleswig, Urteil vom 4. April 2011 - 6 A 60/10 -, Juris; zu weiteren Einzelheiten, insbesondere zu Geruchshäufigkeit und Geruchsprognose vgl. ebenfalls o. g. Entscheidung des OVG NRW vom 14. Januar 2010; VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 3 L 142/11 -; VG Arnsberg, Urteil vom 7. April 2011
89- 7 K 2487/10 , Juris.
90Dabei kommt der GIRL kein Rechtsnormcharakter zu; ebenso wenig stellen technische Regeln wie DIN-Normen oder VDI-Richtlinien rechtsverbindliche und verpflichtend anzuwendende Normen dar. Sie sind allerdings geeignet, Gerichten als Anhaltspunkte für ihre Entscheidung zu dienen und können insoweit berücksichtigt werden.
91Vgl. nur BVerwG in gefestigter ständiger Rechtsprechung zu DIN-Normen und VDI-Richtlinien: Urteil vom 28. Februar 2002 - 4 CN 5.01 -, Beschlüsse vom 2. August 2008 - 4 B 41.05 -, vom 8. Juli 1998 - 4 B 38/98 - und vom 27. Januar 1994 - 4 B 16.94 -, allesamt Juris.
92(Spezial)gesetzliche Rechtsvorschriften betreffend die verbindliche Ermittlung und Berücksichtigung von schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geruchsimmissionen bestehen nicht. Die TA Luft enthält ebenfalls keine entsprechenden Schutznormen. Die dort in Nr. 5.4.7.1 für die Errichtung von Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Nutztieren geregelten Mindestabstände bedeuten nicht, dass ein Betreiber seine Schutzpflicht nicht erfüllt, wenn die Mindestabstände nicht eingehalten sein sollten. Im Übrigen finden die genannten Mindestabstände auch nur Anwendung auf eine vorhandene oder in einem Bebauungsplan festgesetzte Wohnbebauung, nicht auf außerhalb eines Bebauungszusammenhangs in einem Außenbereich gemäß § 35 BauGB belegene Einzelhäuser.
93Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 3 L 142/11 -.
94Auch der NRW-Abstandserlass 2007 vom 6. Juni 2007 ist auf Anlagen zur Haltung von Tieren (Massentierhaltung) nicht anwendbar (vgl. S. 48 Ziffer 2.2 Anhang 2 "Ergänzende Hinweise zum Abstandserlass: Immissionsschutzrelevante Anlagen, die nicht in die Abstandsliste aufgenommen worden sind", Hinweise zu Nr. 7.1 (Spalten 1 und 2 der 4. BImSchV)).
95Nach der GIRL (Seite 4) sind für die Ermittlung der Geruchsbelastung die VDI-Richtlinie 3940 oder eine Geruchsausbreitungsberechnung und für die Ermittlung der zu erwartenden Zusatzbelastung die VDI-Richtlinie 3788 anzuwenden. Nicht genannt sind beispielsweise die KTBL-Schriften 333 bzw. 446, die VDI-Richtlinie 3472 (als Vorgängerin der VDI-Richtlinie 3894),
96vgl. zur VDI-Richtlinie 3472: BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2002 - 4 CN 5.01 -, DVBl. 2002, 1121 ff. und Juris,
97beziehungsweise die in diesen konkret aufgeführten mittleren Geruchsemissionswerte (GE-Werte); unabhängig davon konkret zu Grunde zu legende GE-Werte oder die genaue Art und Weise ihrer Ermittlung (zum Beispiel durch Heranziehung eines durchschnittlichen Jahresmittelwertes oder nach Durchführung von Messreihen bezogen auf die jeweilige Tierart und die Umstände ihrer Haltung) werden nicht genannt und vorgegeben; insbesondere ist weder ein zu Grunde zu legender GE-Wert von (mindestens) 50 bzw. 60 noch von (maximal) 180 aufgeführt. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es verwehrt sein soll, auf die vom LANUV NRW als anerkannte unabhängige und sachverständige Einrichtung zur Ermittlung entsprechender Geruchsemissionen verwendeten Methoden und Ergebnisse abzustellen. Die GE-Werte werden vom LANUV NRW als mittlere (Geruchsstoffs)Emissionsfaktoren (dargestellt als Konventionswerte für mittlere Jahresemissionen oder aufgrund von Einzelmessungen) pro Sekunde mal Großvieheinheit (s*GV) bezeichnet. Der Geruchsstoffstrom einer Anlage ist das Produkt der mittleren Tiermasse in den Ställen und dem spezifischen Emissionsfaktor. Er ist im Tages- und Jahresverlauf (tagsüber / nachts, im Sommer / Winter) sehr variabel (vgl. S. 82, 3. und 4. Absatz, KTBL-Schrift 446). Der einzuhaltende Grenzwert (Immissionswert IW) für die Geruchsbelastung, der die relative Häufigkeit der Geruchsstunden pro Jahr ausdrückt, beträgt nach der GIRL gemäß Nr. 3.1, Tabelle 1 (S. 5) 0,15 für Dorfgebiete im Sinne von § 5 BauNVO. Damit sind dort Gerüche in einem Umfang von (bis zu) 15% der Jahresgeruchsstunden zulässig. Der gleiche Wert gilt für Gewerbe-/Industriegebiete (§ 8, § 9 BauNVO). Für Wohn-/Mischgebiete (§ 4 / § 6 BauNVO) ist dagegen ein zu Gunsten der Betroffenen strengerer Wert von 0,10 vorgeschrieben. Ein zu beachtender Immissionswert IW für den Außenbereich gemäß § 35 BauGB ist in der GIRL nicht ausdrücklich geregelt. Gemäß der Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 (S. 33) der GIRL ist es allerdings "möglich", weil das Wohnen im Außenbereich mit einem geringeren Schutzanspruch verbunden ist, "unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalles bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich einen Wert bis zu 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche heranzuziehen."
98Diese allerdings in jedem Einzelfall konkret zu begründende Erweiterungsmöglichkeit auf (höchstens) 0,25 stellt die (absolut zulässige) Obergrenze für hinzunehmende Geruchsimmissionen dar, die nicht überschritten werden darf.
99Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. März 2009 - 7 D 129/07.NE -, ZfBR 2009, 482 ff. und Juris (Leitsatz und Rn. 127, 128); zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung bei Geruchsbelästigungen oberhalb des Wertes von 0,15: VG Schleswig, Urteil vom 4. April 2011 - 6 A 60/10 -, a. a. O.
100Zwar bezieht sich die vorgenannte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf den Umfang einer planerischen Abwägung in einem Bebauungsplan; das Oberverwaltungsgericht lässt indes deutlich erkennen, dass es eine Begrenzung wie erfolgt als Obergrenze zum Schutz betroffener Nachbarn auch darüberhinaus anzuerkennen bereit ist. Zu berücksichtigen ist im konkreten Fall zudem, dass die gesamte Geruchsvorbelastung am Haus der Kläger (ANP 2) gemäß der Feststellungen des LANUV NRW vom 31. August 2011 bereits 0,29 bzw. 0,30 – gemäß der Feststellungen im Bericht vom 31. Mai 2011 sogar 0,33 – beträgt und damit bei 35 Masttagen für sich bereits deutlich über der zulässigen Höchstgrenze von 0,25 liegt.
101Auf das Einhalten des Irrelevanzkriteriums kommt es deshalb hier nicht entscheidend an. Zwar bestimmt Nr. 3.3 GIRL, dass eine Genehmigung nicht zu versagen ist, wenn der Immissionsbeitrag "auf keiner Beurteilungsfläche, auf der sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten ..., den Wert 0,02 überschreitet." Grundsätzlich ist zunächst anerkannt, dass auf die Irrelevanz von Zusatzbelastungen und damit auf Bagatellgrenzen abgestellt werden darf.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 ff. und Juris (bezogen auf den Anteil von Nanopartikeln in der Luft unter Berücksichtigung der TA Luft; nicht bezogen auf die GIRL); zur Irrelevanzregelung: Mohr, Die Bewertung von Geruch im Immissionsschutzrecht, 2010, S. 313 ff.
103Die Begründung und Auslegungshinweise zur GIRL enthalten hinsichtlich des Irrelevanzkriteriums weitere Vorgaben (vgl. zu Nr. 3.3, S. 34 - 36). Bei einer Kumulation von Geruchsimmissionen wird dabei von der GIRL selbst die Anwendung eines veränderten Faktors (berechnete Geruchshäufigkeit) von 0,004 vorgeschlagen bzw. die Prüfung, ob auch ein zusätzlicher Beitrag von 0,02 toleriert werden könne (S. 35, 36). Danach sei "es durchaus möglich, dass ... der zweiten irrelevanten Anlage die Genehmigung versagt wird."
104Ist allerdings die tatsächliche vom LANUV NRW ermittelte Vorbelastung der Umgebung für einen Nachbarn bereits nicht (mehr) zumutbar, ist auch eine weitere die Irrelevanzgrenze nicht erreichende Zusatzbelastung unzulässig.
105Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2009 - 10 B 259/09 -, a. a. O.
106Gegen den Grundsatz, dass bei Drittanfechtungsklagen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses hier des angefochtenen Genehmigungsbescheids vom 2. September 2009 abzustellen ist, wird durch die Ermittlung der Geruchsvor- und der Geruchszusatzbelastung auf der Basis der GE–Werte von 60 / 180 (zeitreihenbezogen) nicht verstoßen. Diese aktuellen und vom LANUV NRW in seinem Bericht vom 31. Mai 2011 herangezogenen GE-Werte als dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft entsprechende Ermittlungs- und Messmethoden betreffen nämlich weder die objektiv zu beurteilende Sachlage noch erkennbar die Rechtslage. Es handelt sich vielmehr um eine im Laufe der Zeit veränderte und verfeinerte Methode zur sachgerechten Ermittlung von Geruchsemissionen, wobei die Geruchsbelastungen objektiv auch zuvor vorhanden waren, aber nunmehr zum Schutz von Mensch und Umwelt genauer ermittelt werden können. Mithin geht es allein um die Messbarkeit von tatsächlichen Gegebenheiten.
107Vor diesem Hintergrund war nicht auf die sich bei Verwendung eines Wertes von GE 50 ergebenden Geruchsbelastungen abzustellen, der ausweislich der ergänzenden Stellungnahme des LANUV NRW vom 31. August 2011 zu einer Geruchszusatzbelastung am Wohnhaus der Kläger von 0,0 geführt hätte. Denn zur Überzeugung des Gerichts spricht einiges dafür, dass ein solcher Ansatz bereits bei Erlass des Genehmigungsbescheids vom 2. September 2009 nicht mehr sachgerecht war, obwohl auch das LANUV NRW zu diesem Zeitpunkt in seinen Bewertungen noch von einen Wert von GE 50 ausging. Denn damals wurde bereits in verschiedenen Publikationen ein Wert von GE 60 angesetzt. Diesbezüglich verweist das Gericht auszugsweise lediglich auf die KTBL-Schrift 446 "Nationaler Bewertungsrahmen Tierhaltungsverfahren – Methode zur Bewertung von Tierhaltungsanlagen hinsichtlich Umwelteinwirkungen und Tiergerechtheit" aus dem Jahr 2006, die Ausführungen des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aus dem Jahr 2009 sowie den Entwurf der VDI-Richtlinie 3894 aus Oktober 2009. Aber selbst bei Heranziehung eines Werts von GE 50 oder auch GE 60 würde sich im Ergebnis durch das Vorhaben der Beigeladenen eine für die Kläger unzumutbare Geruchsemissionsbelastung ergeben. Dies lässt sich den ergänzenden Stellungnahmen des LANUV NRW vom 31. August 2011 und vom 31. Januar 2012 in Verbindung mit den Erläuterungen des Sachverständigen H1 im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24. April 2012 entnehmen. Ausgehend von der tatsächlichen deutlich über dem Höchstwert von 0,25 liegenden Gesamtgeruchsvorbelastung von 0,29 bzw. von 0,30 ergibt sich eine Geruchszusatzbelastung von 0,04 gleich 0,4% bei GE 50 und von 0,06 gleich 0,6% bei GE 60 (vgl. Tabelle 1 der Stellungnahme des LANUV NRW vom 31. Januar 2012). Eine solche (zusätzliche) Erhöhung der Gesamtvorbelastung in diesem Umfang ist nicht hinzunehmen. Das Irrelevanzkriterium von 0,02 gleich 2% der Jahresgeruchsstunden (vgl. Nr. 3.3 der GIRL) wird zwar nicht erreicht, ist aber wegen der bereits vorhandenen Vorbelastung nicht anzuwenden. Denn die messbare und damit riechbare Zusatzbelastung erhöht den ohnehin schon überschrittenen Höchstwert von 0,25 noch einmal.
108Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. März 2009 - 10 B 259/09 -, a. a. O.
109In diesem Zusammenhang kann sich der Beklagte wegen dieser Geruchsvorbelastung auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass dies bei einer lediglich einmaligen Erhöhung durch ein neues Vorhaben zulässig sei. Denn der Höchstwert von 0,25 ist zum Schutz von Betroffenen als absolute Höchstgrenze zu sehen. Auch aus der Begründung der GIRL selbst ergibt sich im Ergebnis, dass eine "Salamitaktik" im Sinne einer schrittweisen Erhöhung der Geruchsbelastung jeweils unterhalb des Irrelevanzkriteriums für nicht zulässig erachtet wird.
110Schließlich begegnet die Praxis des LANUV NRW, tatsächliche Messwerte unter 0,5 auf 0 bei einer bereits überschrittenen Höchstgrenze abzurunden (vgl. Tabelle 1 dessen Stellungnahme vom 31. Januar 2012), nicht unerheblichen Bedenken, da bereits eine zusätzliche Geruchsbelastung von 0,04 gleich 0,4% der Jahresgeruchsstunden messbar und nicht zu vernachlässigen ist.
1113.
112Der Vollständigkeit halber sei abschließend darauf hingewiesen, dass der durch die Kläger demnach unter dem Aspekt "Geruch" erfolgreich angegriffene Genehmigungsbescheid unter den Gesichtspunkten "Staub", "Bioaerosole" und "Desinfektionsmittel" frei von Rechtsfehlern zu ihrem Nachteil ist.
113Nach dem Bericht des LANUV NRW vom 31. Mai 2011 ist die Staubbelastung irrelevant, da der Staubemissionsmassenstrom des Vorhabens der Beigeladenen unterhalb des Bagatellmassenstroms der TA Luft liegt.
114Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 -, BVerwGE 114, 342 ff. und Juris (20 mg/cbm).
115Hinsichtlich der Bioaerosole bestehen ebenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte für Gefahren für die menschliche Gesundheit.
116Zu den unterschiedlichen Begriffen Stäube, Aerosole pp. vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, u. a. BVerwGE 131, 352 ff. und Juris (Staub, Bioaerosole, Ammoniak); OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 8 B 1015/09 -, a. a. O. (Stäube, Mikroorganismen (z. B. Pilzsporen) und Endotoxine: ungewiss, ob mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist; Bioaerosole und biologische Agenzien: nicht den Vorsorgeanforderungen gemäß § 5 BImSchG zuzuordnen); VG Münster, Beschluss vom 16. November 2009 - 10 L 436/09 -, Juris (Bioaerosole - luftgetragene Mikroorganismen, insbesondere Pilze, Bakterien, Viren und Endotoxine); VG Oldenburg, Urteil vom 10. März 2010 5 A 1375/09 , a. a. O. (Sporen, Pilze, Bakterien, Mikroorganismen, Stäube, Endotoxine); VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 3 L 142/11 -.
117Nämliches gilt nach dem vorgenannten Bericht des LANUV NRW bezüglich des verwendeten Desinfektionsmittels Intersteril (Peressigsäure).
118III.
119Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.
120Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
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