Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 8 K 1888/11
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hin¬terlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Be-klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Der am 0.0.1976 in Marokko geborene Kläger begehrt die nachträgliche Befristung der Wirkungen der am 27. November 2001 verfügten Ausweisung und der am 13. Mai 2005 vollzogenen Abschiebung nach Casablanca.
2Der Kläger reiste am 1. August 1978 im Wege der Familienzusammenführung mit seiner Mutter zu seinem Vater nach G in die Bundesrepublik Deutschland ein.
3Einen Schulabschluss hat er nicht gemacht und verließ im Alter von 18 Jahren sein Elternhaus und lebte überwiegend auf der Straße. Bereits im Alter von 14 Jahren trat er strafrechtlich in Erscheinung: 1992 wurde er durch das Amtsgericht G wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung verwarnt und mit gemeinnützigen Arbeitsstunden belegt. Im Jahr 1993 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erneut verwarnt und mit Arbeitsstunden belegt. Des Weiteren erhielt er wegen gemeinschaftlichen schweren Diebstahls sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln im Jahr 1995 eine weitere Verwarnung und die Auflage, für die Dauer von drei Monaten an einem arbeitspädagogischen Projekt des Vereins Kinder- und Jugendhilfe teilzunehmen. Diese Maßnahme wurde nicht durchgeführt, da er am 9. April 1995 in Untersuchungshaft genommen wurde.
4Das Amtsgericht G verurteilte ihn am 31. August 1995 (00 Js 00000.0/95) wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Jugendstrafe mit zweijähriger Bewährungszeit. Die Bewährungszeit verlief problematisch, da er den Auflagen und Weisungen der Bewährungshelferin nicht folgte. Er verlor auch seinen Ausbildungsplatz. Am 25. November 1995 wurde der Kläger erneut festgenommen, nachdem er versucht hatte, Fahrzeuge aufzubrechen. Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht - G verurteilte den Kläger am 16. Januar 1996 (00 Js 00000.0/95-000) wegen Diebstahls sowie versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der oben genannten Straftat zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten. Die Haft verbüßte er in der Justizvollzugsanstalt S in der Zeit vom 24. Januar 1996 bis zum 25. April 1997.
5Der Kläger wurde am 9. März 1998 wegen des Verdachts des versuchten Totschlags in Untersuchungshaft genommen. Das Landgericht H verurteilte den Kläger am 7. Juli 1998 (0 Ks 0 Js 0000.0/98) wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr mit vorsätzlichem Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der Kläger sich in der Diskothek T in S von dem späteren Opfer zu Unrecht beobachtet gefühlt. Nachdem es zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen war, wollte das spätere Opfer die Diskothek verlassen. Auf dem Parkplatz der Diskothek griff der Kläger sein Opfer an und verletzte es mit einem Taschenmesser am Hals. Das verletzte Opfer wurde sofort in ein Klinikum eingeliefert und notoperiert; dabei konnte die verletzte Ader am Hals abgebunden und so das Leben des Opfers gerettet werden. Zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung litt das Opfer an Gefühlsstörungen der linken Hals- und Gesichtsseite, Hörstörungen und Schwindelgefühlen; eine entstellende Narbe am Hals ist verblieben.
6Am Tage der Urteilsverkündung wurde der Kläger aus der Untersuchungshaft entlassen. Er begab sich zur Entgiftung in das psychiatrische Krankenhaus I. Seinen Antrag auf Zurückstellung der Freiheitsstrafe lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Um die Strafe nicht antreten zu müssen, befand er sich in der Folgezeit auf der Flucht.
7Am 6. Dezember 1999 wurde er aufgrund einer Straftat zum Nachteil seiner Schwester festgenommen. Das Landgericht G verurteilte den Kläger am 1. September 2000 (0/00 Ks 000 Js 00000. 0/99) wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Zu der Tat führt das Gericht im Wesentlichen aus: Am 6. Dezember 1999 habe sich die Schwester des Klägers in die elterliche Wohnung begeben, um dort ihre Sachen abzuholen und endgültig auszuziehen. Sie habe nach dem Abitur eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Ihr Verhalten und ihr Streben nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit habe zu Konflikten mit ihren Eltern geführt. In der elterlichen Wohnung sei sie auf den Kläger getroffen. Während sie ihre Sachen gepackt habe, hätten sich der Kläger und seine Mutter entschlossen, sie körperlich zu züchtigen, weil sie den Forderungen der Familie nicht nachgekommen sei. Weil der Schwester die Situation merkwürdig erschienen sei, habe sie die Polizei angerufen und um Hilfe gebeten, da sie befürchtete, nicht aus der Wohnung gelassen zu werden. Der Kläger habe sodann in der Wohnung seine Schwester angegriffen, sie in die rechte Körperseite getreten, sie an den Haaren hochgerissen und ihren Kopf mehrfach auf den mit Teppich ausgelegten Boden des Flures geschlagen. Danach habe er sie ins Wohnzimmer geschleift und sie angeschrieen, sie sei eine Hure, sie habe die Ehre der Familie verletzt. Auch im Wohnzimmer habe er den Kopf seiner Schwester mehrfach auf den Boden geschlagen. Schließlich habe er sich auf sie gesetzt, sie auf den Bauch gedreht und ihre Arme und Beine mit einem blauen Nylonband gefesselt, das ihm die Mutter angereicht habe. Schließlich habe er sie in einer knieenden Stellung gefesselt und begonnen, sie von hinten mit dem von ihr getragenen Schal zu drosseln, bis sie im Gesicht blau angelaufen sei und die Augen hervorquollen seien. Auch nachdem die Mutter ihn aufgefordert habe, von seiner Schwester abzulassen, da er sie sonst umbringe, habe er die Drosselung seiner Schwester in dem Vorsatz, sie zu töten, fortgesetzt, bis diese der Bewusstlosigkeit nahe gewesen sei. In diesem Moment seien Polizeibeamte in die Wohnung gestürmt und hätten die Schwester befreit. Das Gericht führte weiter an, der Kläger habe seine Schwester töten wollen; dies unterliege angesichts der mit großer Kraft und lang anhaltend durchgeführten Drosselung keinen Zweifeln. Den Hintergrund der Tat habe der Verstoß der Schwester gegen Sitten und Gebräuche sowie Ehre und Ansehen der Familie gebildet. Der Kläger habe sich als "Bruder und Wächter über die islamischen Bräuche" in seiner Familie für berechtigt gehalten, seine Schwester im Sinne der Familienehre zur Rechenschaft zu ziehen. Die Mutter des Klägers wurde zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Sie hatte die Tat des Klägers verfolgt und ihm zur Fesselung der Schwester des Klägers ein Nylonband gereicht. Zudem hatte sie, um zu verhindern, dass die Mitbewohner des Hauses die Schreie ihrer Tochter hören, ein tragbares Radiogerät laut aufgedreht. Das Gericht stellte fest, sie habe ihren Sohn verbal und nonverbal bei seinen Handlungen psychisch unterstützt.
8Der Kläger befand sich in der Folgezeit in der Justizvollzugsanstalt C in Haft.
9Mit Ordnungsverfügung des Landrats des Xkreises vom 27. November 2001 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm die Abschiebung in sein Heimatland Marokko angedroht. Grundlage der Ausweisungsverfügung war der zu diesem Zeitpunkt geltende § 47 Abs. 1 Ziffer 1 AuslG (Ausweisung wegen besonderer Gefährlichkeit). Die Ausweisungsverfügung stützte sich sowohl auf general- wie auch auf spezialpräventive Gründe.
10Im Rahmen der geplanten Abschiebung aus der Haft wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 23. Dezember 2003 an die Staatsanwaltschaft G und erklärte, mit der Abschiebung nach Marokko einverstanden zu sein. Er bedauere alle kriminellen Handlungen während seines Aufenthaltes in Deutschland. Er habe versucht, seine Schwester um Verzeihung zu bitten, was ihm aber nicht gelungen sei. Er habe nach der Auslegung des Islams, familiärer Traditionen und nach den eingetrichterten Worten seines Vaters gehandelt, die es ihm erlaubt hätten, seine Schwester zu bevormunden. Nach dem Anti - Aggressionstraining sei ihm klar geworden, dass diese Bevormundung keinen Sinn ergebe und schon gar nicht in einem Land mit anderen Lebensweisen und anderer Kultur. Desweiteren führte der Kläger am 12. September 2004 an, dass er die Abschiebung akzeptiere und auch nicht vorhabe, nach Deutschland zurückzukehren.
11Die Staatsanwaltschaft G setzte durch Beschluss vom 16. Augst 2004 (00/000 Js 00000/99) das Strafende auf den 3. April 2008 fest und führte aus: Zweidrittel der Strafe seien am 2. Dezember 2004 verbüßt. Für den Fall der Rückkehr in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei der sofortige Vollzug der Restfreiheitsstrafe angeordnet worden, da dringende Gründe für die Annahme bestünden, dass der Strafzweck nicht erreicht und der Kläger nach wie vor nicht bereit sei, sich an Gesetze und Verfügungen deutscher Behörden zu halten. Der Kläger wurde am 13. Mai 2005 nach Casablanca abgeschoben. Am 30. Mai 2005 erließ die Staatsanwaltschaft G einen Haftbefehl über eine Restfreiheitsstrafe von 1057 Tagen.
12Die geschädigte Schwester des Klägers erwirkte am 4. Februar 2008 gegen vier Familienmitglieder eine einstweilige Verfügung des Landgerichts G (0 00 O 00/08), mit der diesen untersagt wurde, sich der Schwester des Klägers auf unter 50 Meter zu nähern, und es zu unterlassen, mit ihr Kontakt aufzunehmen. In der Antragsschrift führte sie u.a. an, ihr Vater beharre unnachgiebig auf der Einhaltung der Sitten und Gebräuche und setze diese auch mit brachialer Gewalt durch. Sie leide bis heute an den Folgen der Gewalttat. Ihre Geschwister hätten ihr auch nach der Tat nachgestellt und mit Vehemenz versucht, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Am 18. Januar 2008 habe sie Familienmitglieder vor ihrem Haus beobachtet und sofort die Flucht ergriffen. Diese hätten ihr einen Brief hinterlassen, mit dem sie ihr mitgeteilt hätten, dass sie sie wiedersehen wollten. Der Anwältin gegenüber habe der Bruder S1 erklärt, dass er Kontakt zu seiner Schwester haben wolle. Sie könne tausendmal umziehen, er werde sie immer finden. Der Bruder S1 habe den Kläger nachgerade idealisiert. Zur Glaubhaftmachung ihres Verfügungsantrags legte sie einen Bescheid des I1en Amtes für Versorgung und Soziales G vom 25. September 2007 vor. Dieser weist als Schädigungsfolge eine Posttraumatische Belastungsstörung mit Depressionen und somatischen Symptomen und einer Angststörung aus. Bei der Schwester des Klägers lag in der Zeit vom 1. Dezember 1999 bis 30.September 2003 eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit von 60 Prozent vor.
13Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 bei der Ausländerbehörde des Xkreises, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung zeitlich zu befristen. Zur Begründung führte er an, dass er nunmehr seit vier Jahren in Marokko lebe und arbeite. Er habe sich zwischenzeitlich mit der deutschen Staatsangehörigen G1, die er in Marokko kennen gelernt habe und die in E lebe, verlobt. Am 17. Februar 2009 wurde die Ehe in Marokko geschlossen. Die Hochzeitsfeierlichkeiten fanden sowohl in Deutschland als auch in Marokko statt. Der Kläger teilte zudem mit, die erste gemeinsame Ehewohnung solle in E liegen.
14Mit weiterem Schreiben vom 16. September 2009 führte der Kläger an, dass er im Verlauf der Haftzeit ein Anti - Aggressions Training absolviert und auch in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Therapeuten den Versuch unternommen habe, sich für seine Tat bei seiner älteren Schwester zu entschuldigen. Diese habe jedoch alle Versuche der Kontaktaufnahme abgelehnt und wolle mit der gesamten Familie keinen Kontakt mehr. Seit seiner Rückkehr nach Marokko und der Haftentlassung habe er beruflich solide Fuß gefasst. Er arbeite in einem Tischlereibetrieb und trage seinen Lebensunterhalt selbst. Er habe sein Leben von Grund auf geändert und plane mit seiner deutschen Ehefrau einen kompletten Neubeginn.
15Der Kläger legte der Beklagten am 5. November 2009 einen Strafregisterauszug aus dem Strafregister O vom 14. Oktober 2009 vor, aus dem zu entnehmen ist, dass er den Beruf des Tischlers ausübt und gegen ihn keine Strafverfahren anhängig sind.
16Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 10. November 2009 mit, sie sei nicht in der Lage, die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf absehbare Zeit zu befristen. Zum einen müssten die Abschiebungskosten beglichen werden. Zum anderen bestehe noch ein Schadensersatzanspruch des Landes I1 aus der Opferentschädigung in Höhe von 24.707,28 €. Der Xkreis teilte der Beklagten am 5. Oktober 2010 mit, die Ehefrau des Klägers habe die Abschiebekosten in Höhe von 4252,89 Euro vollständig beglichen.
17Mit Schreiben vom 12. Januar 2011 legte der Kläger einen weiteren Auszug aus dem Strafregister O vom 3. Dezember 2010 vor, in dem keine Straftaten eingetragen sind.
18Mit Ordnungsverfügung vom 11. Februar 2011 befristete die Beklagte die Wirkungen der gegen den Kläger am 27. November 2001 von der Ausländerbehörde des Xkreises verfügten Ausweisung und der am 13. Mai 2005 erfolgten Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nachträglich auf den 13. Mai 2018. Zur Begründung führte die Beklagte an: Der Kläger sei während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er sei zuletzt wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren verurteilt worden. Nach Nummer 11.1.4.6.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz sei die Frist vorbehaltlich einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles bei Ausweisungen nach § 53 AufenthG auf zehn Jahre festzusetzen. Zudem sei eine Verlängerung der regelmäßigen Frist um weitere drei Jahre bis zum 13. Mai 2018 erfolgt. Zu seiner letzten Straftat sei anzuführen, dass die Tat ihre Ursache zwar wesentlich auf der Beziehungsebene zwischen Täter und Opfer habe, andererseits die Tat aber zeige, dass der Kläger sich mit Wertvorstellungen, die mit der deutschen Rechts- und Werteordnung nicht vereinbar seien, stark identifiziere. Eine nachhaltige Abkehr von solchen Wertvorstellungen, die den Täter auch in die Lage versetze, familiärem oder anderem Gruppendruck zu widerstehen, könne nicht allein aufgrund einer Änderung der Lebensweise oder der bloßen Behauptung eines Sinneswandels angenommen werden. Vielmehr müsse die tiefgreifende Läuterung durch psychologische Gutachten nachvollziehbar belegt sein. In der Gesamtbetrachtung des damaligen Tatverhaltens und des heutigen Sachvortrages werde deutlich, dass die vorgetragene Abkehr von solchen Wertvorstellungen in seinem Fall nicht erfolgt sei. Er habe sich nicht intensiv mit der Tat auseinandergesetzt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass er auch vor dem Angriff auf seine Schwester einen Menschen angegriffen habe und dieser habe es nur dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Halsschlagader nur um wenige Zentimeter verfehlt worden und er am Leben geblieben sei. Der Kläger habe seine Taten mit besonderer Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Skrupellosigkeit begangen. In beiden Fällen habe er gezeigt, dass ihm an einem Menschenleben nicht viel liege, wenn es um die Durchsetzung seiner Vorteile oder Wertvorstellungen gehe. Insoweit stelle er auch heute noch eine Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Auch stehe der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG nicht entgegen. Die Ehe sei in Kenntnis der Ausweisung geschlossen worden.
19Der Kläger hat am 16. März 2011 die vorliegende Klage erhoben. Zu deren Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Die Bemessung der Frist sei ermessensfehlerhaft erfolgt. Ihm sei klar, dass er die von ihm verübten Straftaten nicht ungeschehen machen könne und es auch keine guten Gründe für entsprechende Gewalttaten geben könne, allerdings sei es auch nicht ausreichend für eine Zukunftsprognose, zu behaupten, er sei auch weiterhin in veralteten, falschen Wertvorstellungen verhaftet. Er habe nachgewiesen dass er straffrei lebe und ein geordnetes Leben führe. Er sei auch durchaus bereit, sich einer sachverständigen Begutachtung zu unterziehen.
20Ferner trägt der Kläger mit Schriftsatz vom 15. November 2012 vor, dass er seine Ehefrau kennengelernt habe, als diese in den Schulferien 2008 in Marokko gewesen sei. Diese habe einen geeigneten Zeitpunkt abgewartet, um ihren Eltern den Hochzeitswunsch mitzuteilen. Nachdem die Eltern seiner Ehefrau einverstanden gewesen seien, seien seine Eltern nach Deutschland gereist und es sei zu einem ersten Treffen der Familien gekommen. Die Hochzeitsfeier in Deutschland habe ohne ihn am 27. Juni 2009 mit 280 geladenen Gästen stattgefunden. Anschließend sei im Haus seiner Eltern in Marokko die Hochzeit gefeiert worden. Dort habe erneut ein Henna-Abend stattgefunden. In den vergangenen Jahren sei seine Ehefrau in der Regel zweimal jährlich nach Marokko gereist, um mit ihm dort gemeinsam zu leben. Er sei seit mehreren Jahren als Schreiner und Tischler in Marokko tätig und könne damit seinen Lebensunterhalt sicherstellen.
21Der Kläger beantragt,
22die Beklagte unter Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 11. Februar 2011 zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung auf den Tag der mündlichen Verhandlung zu befristen,
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft G 0 Ks 0 Js 0000.0/ 98; 0 / 00 Ks 000 Js 00000.0/99 und des Landgerichts G 0-00 O 00/08 Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die zulässige Klage ist nicht begründet.
28Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 11. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf dreizehn Jahre ist nicht zu beanstanden.
29Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage für die Prüfung der Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.
30Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 22. März 2012 - 1 C 5/11 - und vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -.
31Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.
32Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet.
33Vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7/11 -, Rn. 28 und Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -, Rn. 31.
34§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch.
35BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -, Rn. 34.
36Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG).
37Zur Frage der Anwendbarkeit der sog. Rückführungsrichtlinie siehe OVG NRW, Urteil vom 22. März 2012 – 18 A 951/09 -.
38Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr (...) zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte und Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.
39BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -, Rn. 42.
40In Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte mit Ordnungsverfügung vom 11. Februar 2011 die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf dreizehn Jahre befristet. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Die Höchstfrist von fünf Jahren ist vorliegend gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ohne Bedeutung, da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. März 2012 – 18 A 951/09 -.
42Ob von dem Kläger (auch) eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht, kann deshalb dahinstehen.
43Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -, Rn. 43.
44Dies ist mit der Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) vereinbar, denn Ausländer, die – wie der Kläger – infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, unterfallen nicht deren Anwendungsbereich.
45OVG NRW, Urteil vom 22. März 2012 – 18 A 951/09 -, Rn. 90.
46Vor diesem Hintergrund folgt das erkennende Gericht nicht der Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg und des VG Oldenburg, die die in Nr. 11.1.4.6.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AVwV) vorgesehenen Fristen, die im Regelfall – vorbehaltlich einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls – drei Jahre bei Ausweisungen nach § 55, sieben Jahre bei Ausweisungen nach § 54 und zehn Jahre bei Ausweisungen nach § 53 betragen, unter Berücksichtigung der nunmehr geltenden normativen Vorgaben als nicht mehr anwendbar bzw. als zu lang erachten.
47OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Dezember 2011 – OVG 12 B 19/11 -; VG Oldenburg, Urteil vom 4. Juni 2012 – 11 A 2509/12 -.
48Das erkennende Gericht hält eine Orientierung an diesen Fristen im Interesse einheitlicher Rechtsanwendung im Ansatz nach wie vor für rechtmäßig.
49So nun auch die 7. Kammer des erkennenden Gerichts, Urteil von 26. November 2012 – 7 K 1203/11-.
50Hierfür gelten folgende Erwägungen:
51Zunächst steht § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG einer Orientierung an den Verwaltungsvorschriften nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen. Dies steht in Übereinstimmung mit Nr. 11.1.4.6.1 Satz 4 AVwV, wonach im Interesse einer einheitlichen Ermessensausübung die Frist im Regelfall – vorbehaltlich einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls – drei Jahre bei Ausweisungen nach § 55, sieben Jahre bei Ausweisungen nach § 54 und zehn Jahre bei Ausweisungen nach § 53 festgesetzt werden soll. Zudem kann die einmal gesetzte Frist nachträglich aufgrund einer Änderung der für die ursprüngliche Bemessung erheblichen Umstände verlängert oder verkürzt werden. Auch ist gemäß Nr. 11.1.4.6.2 Satz 2 AVwV den besonderen Umständen des Einzelfalles durch Verkürzung oder Verlängerung der regelmäßigen Frist um bis zu drei Jahre Rechnung zu tragen.
52Ein Verstoß gegen die Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) liegt ebenfalls nicht vor. Soweit bei Ausweisungen nach §§ 53, 54 AufenthG die in den Verwaltungsvorschriften vorgesehene Frist im Regelfall zehn bzw. sieben Jahre beträgt, ist zu beachten, dass diese Ausweisungen infolge einer strafrechtlichen Sanktion erfolgen und in aller Regel von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht, so dass die Rückführungsrichtlinie und damit die in ihr enthaltene Höchstfrist von fünf Jahren keine Anwendung findet. Soweit hingegen eine Ausweisung nach § 55 AufenthG im Raum steht, bleibt die Regelfrist von drei Jahren deutlich unter der in der Richtlinie vorgesehenen Höchstfrist von fünf Jahren.
53Schließlich stehen die Wertungen in den Verwaltungsvorschriften nach Auffassung der Kammer auch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nr. 11.1.4.6.1 AVwV bestimmt: Für die Bestimmung der Dauer der Frist ist maßgebend, ob und ggf. wann der mit der Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung verfolgte Zweck durch die vorübergehende Fernhaltung des Ausländers aus dem Bundesgebiet erreicht ist. Hierbei ist auch das Verhalten des Betroffenen nach der Ausweisung zu würdigen und im Wege einer Prognose auf der Grundlage einer aktualisierten Tatsachenbasis die (Höchst-)Frist nach dem mutmaßlichen Eintritt der Zweckerreichung zu bemessen. Dabei ist grundsätzlich auf den der Ausweisung zugrunde liegenden Tatbestand abzustellen, dessen Gewicht der Gesetzgeber bereits durch die Abstufung in Ermessens-, Regel- und Ist-Ausweisung berücksichtigt hat.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11 -.
55Nach diesen Maßgaben hält auch das Gericht im Wege der erforderlichen prognostischen Einschätzung im Einzelfall die von der Beklagten vorgenommene Befristung auf dreizehn Jahre für angemessen. Dabei ist – wie dargelegt – nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im Ansatz zunächst von der in Nr. 11.1.4.6.1 AVwV genannten Frist von zehn Jahren ausgegangen ist. Diese Frist stellt den Regelfall für Ausweisungen nach § 53 AufenthG dar, nach dem der mit der Ausweisung verfolgte Zweck durch die vorübergehende Fernhaltung des Ausländers aus dem Bundesgebiet erreicht ist.
56Vorliegend hat sie darüber hinaus zutreffend in Anlehnung an Nr. 11.1.4.6.2 Satz 2 AVwV eine Verlängerung dieser Frist um weitere drei Jahre vorgenommen, um den besonderen Umständen des Einzelfalles auf aktueller Tatsachenbasis Rechnung zu tragen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten erheblichen Wiederholungsgefahr erachtet auch die Kammer unter Einbeziehung der familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von 13 Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können.
57Die über Jahre hinweg begangenen zahlreichen und sich steigernden Straftaten des Klägers aus den Bereichen Körperverletzung, Raub und räuberische Erpressung sowie der Betäubungsmitteldelikte sprechen gewichtig für das öffentliche Interesse der Bevölkerung in Deutschland, vor gefährlichen Tätern geschützt zu werden. Diese Gefahr beseht nach Auffassung des Gerichts fort, da aufgrund des Vorbringens des Klägers und der Aussagen der Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung eine nachhaltige Änderung seines Lebenswandels nicht festgestellt werden konnte.
58Der Kläger war schon vor seiner Abschiebung nach Marokko nicht in das Leben in der Bundesrepublik Deutschland integriert. Er hat keinen Schulabschluss in Deutschland gemacht und keinen Beruf ausgeübt. Eine nachhaltige Änderung seiner Lebensumstände ist nicht festzustellen. Nach seiner Abschiebung nach Marokko hat er keine Ausbildung gemacht oder für eine eigene gesicherte wirtschaftliche Grundlage gesorgt. Vielmehr lebt er im Haus seiner Eltern und wird von seiner Ehefrau und seiner Familie finanziell unterstützt. Zwar arbeitet er nach Angaben seiner Ehefrau ab und zu in einer Tischlerfabrik, diese Arbeit ist jedoch nicht geeignet, ihn von Zuwendungen seiner Familie und seiner Ehefrau unabhängig zu machen. Damit hat er sich bis heute keine eigene und nachhaltige Lebensgrundlage geschaffen.
59Zudem hat er sich erkennbar auch nicht mit seinen Taten auseinandergesetzt. Er hat nach der Aussage seiner Ehefrau geäußert, dass er unreif gewesen sei und Flausen im Kopf gehabt habe. Angesichts der Schwere der von ihm begangenen Taten, die Messerattacke auf den Hals eines Opfers, das beinahe verblutet wäre, und der massive Angriff auf seine Schwester, der ohne das Eingreifen der Polizei zu ihrem Tod geführt hätte, zeigt diese Erklärung, dass der Kläger sich mit der Schwere der Taten, seinem eigenen Versagen und seiner Schuld nicht tiefgreifend auseinandergesetzt hat.
60Dabei hat die Tat des Klägers bis heute nachhaltige Auswirkungen auf das Leben seiner Schwester. Sie war über eine lange Zeit nur vermindert erwerbsfähig und befindet sich in psychiatrischer Behandlung. Entgegen den Angaben des Klägers respektiert die Familie bis heute auch nicht, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie haben will. Denn Mitglieder der Familie haben versucht, mit der Schwester Kontakt aufzunehmen und trotz behördlicher Informationssperren ihren Aufenthaltsort zu ermitteln, wie das Verfahren vor dem Landgericht G zeigt. Noch im Jahr 2008, also fast zehn Jahre nach der Tat, hat die Familie damit versucht, den Aufenthaltsort der Schwester ausfindig zu machen. Die Schwester fürchtet weiterhin um ihr Leben, wie aus ihrem Schriftsatz an das Landgericht G im einstweiligen Verfügungsverfahren deutlich wird. Sie hat weiterhin Angst, dass aufgrund der vorherrschenden patriarchalischen Strukturen und der herkömmlichen Wertvorstellungen die Sanktionen gegen sie aus der Familie fortgeführt und zu Ende geführt werden müssen.
61Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sich von dem Verhalten seiner Familie nicht hinreichend distanziert hat. Denn er hält weiterhin engen Kontakt zu seiner Familie und insbesondere auch zu seinem Vater. Das folgt aus den Angaben seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung. Die Familie kümmert sich um den Kläger und unterstützt ihn durch finanzielle Zuwendungen und Besuche in Marokko. Damit hat der Kläger sich nicht aus dem Umfeld gelöst, das ihn zu der Tat aus Gründen der Familienehre gegen seine Schwester bewogen hat. Vor diesem Hintergrund ist auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch davon auszugehen, dass eine erhebliche Wiederholungsgefahr für eine Tat aus Gründen der Familienehre besteht.
62Die persönliche Bindung des Klägers an das Bundesgebiet führt nicht zu einer Verkürzung der Frist. Seine Ehe steht zwar unter dem Schutz des Artikel 6 GG. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sie in der Kenntnis geschlossen worden ist, dass der Kläger noch für längere Zeit nicht in das Bundesgebiet einreisen darf und nach einer Einreise noch etwa drei Jahre in Haft verbringen muss, so dass schon bei Schließung der Ehe feststand, dass ein Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland auf absehbare Zeit nicht möglich sein würde.
63Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Beziehung des Klägers zu seiner Ehefrau eine durchgreifende Verhaltensänderung bewirkt hat. Die Eheleute haben zwar regelmäßigen Kontakt zueinander, leben aber nicht zusammen. Die Ehefrau hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass sie einen ganz anderen Menschen kennengelernt habe und sich die Taten gar nicht vorstellen könne. Sie hat zwar erläutert, dass sie zunächst schockiert gewesen sei, als sie vom Vorleben ihres Mannes erfahren habe, aber in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass sie die Vergangenheit ihres Mannes als abgeschlossen betrachte, er jetzt gereift sei und sich vollständig geändert habe. Sie führte aus: "Es sind einfach zwei völlig verschiedene Menschen, der aus der Akte und der, den ich kennengelernt und geheiratet habe." Als Ehefrau hat sie ersichtlich die schweren Taten ihres Mannes verdrängt und sich auch nicht vertieft damit auseinandergesetzt, sondern hat sie verharmlost, was auch in dem Ausdruck "mein Mann hat viel Mist gebaut" zum Ausdruck gekommen ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die Ehefrau des Klägers, die die Vergangenheit des Klägers als abgeschlossen betrachtet und davon ausgeht, ihr Ehemann wisse, was richtig und falsch ist, so maßgeblich auf ihn einwirken kann und wird, dass der Zweck der Ausweisung zu einem früheren Zeitpunkt erreicht sein wird. Sie hat auch, als die Sprache auf die Schwester des Klägers kam, nicht geäußert, dass sie deren Situation bedauere oder sie die Tat als solche nicht nachvollziehen könne. Während sie einerseits darauf hinwies, dass sie trotz des Kopftuchtragens eine moderne Frau sei, hat sie sich andererseits nicht von dem Verhalten der Schwiegerfamilie gegenüber der Schwester des Klägers distanziert. Sie hat auf Nachfrage lediglich angegeben, die jüngeren Geschwister hätten ihre Schwester noch nicht gesehen. Ein ernsthaftes Bedauern über die Situation der Schwester des Klägers hat sie nicht geäußert. Da sie als Ehefrau ersichtlich auch in den Familienverband des Klägers integriert ist und keine Distanz gezeigt hat, ist nicht ersichtlich, dass sie überhaupt auf die Vorstellungen des Klägers in Bezug auf die Familienehre Einfluss nehmen kann und will. So hat sie geäußert, ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter zu haben, die bei der Tat des Klägers anwesend war und ihm noch ein Nylonband für die Fesselung ihrer Tochter angereicht hat. Sie hat zwar betont, dass es nicht richtig sei, Probleme mit Gewalt zu lösen. Sie hat aber in diesem Zusammenhang nicht den Eindruck vermittelt, dass sie oder die Familie des Klägers oder ihre eigene Familie die gegen die Schwester verübte Gewalttat aus Gründen der Familienehre aufgearbeitet hat. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass ihre Beziehung zu dem Kläger bei diesem einen Gesinnungswandel herbeigeführt haben könnte.
64Soweit der Kläger anführt, in Marokko straffrei zu leben und zu arbeiten, kann dies keine Auswirkungen auf die Länge der Sperrfrist haben, denn damit erfüllt er nur die Anforderungen, die an jedes Mitglied der Gesellschaft zu stellen sind.
65Das Gericht hatte schließlich auch keinen Anlass, für die Wirkungen der Abschiebung eine kürzere Frist festzusetzen. Dies ist weder gemeinschaftsrechtlich nach der Rückführungsrichtlinie noch nach nationalem Recht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG geboten, da – wie bereits dargelegt – der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen wurde. Im übrigen würde eine kürzere Frist von der Befristung der Wirkungen der Ausweisung überlagert.
66Die Beklagte hat mithin die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung des Klägers rechtmäßig auf 13 Jahre befristet.
67Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
68Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711.
69Das Gericht lässt gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung zu, weil die Rechtssache hinsichtlich der Maßstäbe der Befristungsentscheidung grundsätzliche Bedeutung hat.
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