Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 2 K 7657/12
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Kläger in der Dienstgruppe C der Polizeiwache N. seit dem 11.07.2012 durch das An- und Ablegen von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen sowie durch die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln zusätzliche regelmäßige Arbeitszeit im Umfang von 15 Minuten pro Dienstschicht erbracht hat.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger steht im Polizeivollzugsdienst des beklagten Landes und ist beim Polizeipräsidium E. tätig. Er wird in der Dienstgruppe C der Polizeiwache N. als Streifenführer im Wach- und Wechseldienst eingesetzt.
3Mit Schreiben vom 10.05.2006 beantragte der Kläger, die Ankleidezeiten und die Zeiten für das Versehen mit dienstlichen Ausrüstungsgegenständen auf seine Arbeitszeit anzurechnen. Gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten legte der Kläger Widerspruch ein und erhob Untätigkeitsklage beim erkennenden Gericht (2 K 2546/08). Nachdem das Oberverwaltungsgericht NRW und das Bundesverwaltungsgericht die grundlegenden Rechtsfragen beantwortet hatten, stritten die Beteiligten weiter über die Notwendigkeit des Auf- und Abrüstens außerhalb der Dienstschichten. Außerdem vermochten sie sich nicht über den Umfang der erforderlichen Rüstzeit zu einigen. In der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2011 hob der Beklagte seinen Ablehnungsbescheid insoweit auf, als die Zeiten für das Versehen mit dienstlichen Ausrüstungsgegenständen nicht auf die Arbeitszeit angerechnet worden waren. Das Verfahren wurde diesbezüglich übereinstimmend für erledigt erklärt. Im Übrigen (hinsichtlich der Ankleidezeiten) nahm der Kläger die Klage zurück.
4Mit Schreiben vom 09.07.2012, beim Polizeipräsidium E. eingegangen am 11.07.2012, beantragte der Kläger sinngemäß, für das An- und Ablegen von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen sowie für die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln eine zusätzliche Arbeitszeit von 15 Minuten pro Dienstschicht anzurechnen. Zur Begründung führte er aus: Aufgrund der Organisation der Schichten sei er tatsächlich nicht in der Lage, diese Tätigkeiten innerhalb seiner (vorgeplanten) Dienstschicht auszuführen. Sämtliche Beamte des Polizeipräsidiums E. seien verpflichtet, vor Beginn der Schicht zu erscheinen. Andernfalls könnte der Dienstbetrieb nicht aufrechterhalten werden. Dann würde sich beim Schichtwechsel eine Deckungslücke von rund 15 Minuten ergeben, weil bei Schichtbeginn etwa sieben bis zehn Minuten für das Aufrüsten erforderlich seien und die abgelöste Schicht sich bereits vor Schichtende abrüsten müsse. In diesem Überlappungszeitraum würden keine Polizeibeamten zum Dienst bereitstehen.
5Mit Schreiben vom 13.09.2012 führte das Polizeipräsidium E. im Wesentlichen aus: Der Antrag des Klägers sei abzulehnen. Der Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 28.11.2011 – 403 - 60.01.10 – bestimme die Anrechnung von Arbeitszeit lediglich für das An- und Ablegen der dort abschließend genannten persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände, nicht aber für die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln, die nicht persönlich zugewiesen seien. Es sei dem Kläger immer möglich gewesen sei, seine persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände innerhalb der vorgeplanten Dienstschicht an- und abzulegen. Eine Verpflichtung, sich außerhalb der Schichtzeiten auf- und abzurüsten, existiere weder schriftlich noch durch sonstige Verfügung. Im Übrigen werde die Einsatzbereitschaft in der Schichtwechselzeit durch einen Frühwagen sichergestellt, der die Dienstschichten überlappe. Schließlich sei der Umfang der erforderlichen Rüstzeit mit 15 Minuten zu hoch bemessen.
6Der Kläger hat am 07.11.2012 Klage erhoben, zu deren Begründung er ausführt: Das An- und Ablegen von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen sowie die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln hätten keinen Bezug zu seiner Freizeit, sondern seien der Dienstausübung zuzurechnen. Im Einzelnen gehe es regelmäßig um folgende Gegenstände: Pistole mit Holster, Reservemagazin mit Tasche, Handfesseln aus Stahl mit Tragevorrichtung, Reizstoffsprühgerät mit Tragevorrichtung, Tragevorrichtung für den Einsatzmehrzweckstock, Unterziehweste und Taschenlampe sowie für die Aufrüstung des Dienstautos zwei Funkgeräte, Alkoholtestgerät, Abrechnungsgerät, eine zusätzliche Taschenlampe, Diensthandy, Fotoapparat und Einsatzmehrzweckstöcke. Polizeiwachen seien personell und sachlich so auszustatten, dass das Auf- und Abrüsten während der Arbeitszeit vorgenommen werden könne. Dies werde beim Polizeipräsidium E. nicht gewährleistet. Dort bestehe die Erwartung, dass sämtliche Beschäftigte bei Schichtbeginn bereits uneingeschränkt einsatzbereit seien. Zur Kompensation der Deckungslücke beim Schichtwechsel sei der eingesetzte Frühwagen alleine nicht ausreichend. Aus den zur Gerichtsakte gereichten Streifenbelegen vom 10.07.2013 ergebe sich, dass der Dienst jeweils pünktlich zum Schichtbeginn mit Einsätzen oder Besprechungen begonnen worden sei und das Aufrüsten daher vorab stattgefunden haben müsse.
7Der Kläger beantragt,
8festzustellen, dass er in der Dienstgruppe C der Polizeiwache N. seit dem 11.07.2012 durch das An- und Ablegen von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen sowie durch die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln zusätzliche regelmäßige Arbeitszeit im Umfang von 15 Minuten pro Dienstschicht erbracht hat.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er führt aus: Die Anrechenbarkeit der Rüstzeit auf die Arbeitszeit sei unbestritten und werde auch nicht umgangen. Der Kläger könne innerhalb der vorgeplanten Dienstschicht seine persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände an- und ablegen sowie die Führungs- und Einsatzmittel übernehmen und übergeben. Es gebe weder schriftliche noch mündliche Verfügungslagen oder Weisungen, die den Streifenbeamten Rüstzeiten außerhalb der Dienstschichten abverlangten. Das Bestehen einer entsprechenden Erwartungshaltung sei dadurch widerlegt, dass für den Schichtwechsel hinreichende Vorkehrungen getroffen worden seien, um die Einsatzbereitschaft der Polizeiwache zu gewährleisten. Während der kritischen Rüstzeit von 15 Minuten stünden Früh- und Lapperwagen sowie Motorräder zur Verfügung. Notfalls könne ein Einsatz durch verfügbare Kräfte anderer Wachen wahrgenommen werden, deren Schichtwechsel zeitversetzt erfolge. Insgesamt sei die personelle Ausstattung ausreichend. Dienstbesprechungen müssten nicht zwingend, könnten aber bereits zu Schichtbeginn durchgeführt werden, wenn alle teilnehmenden Beamten zu diesem Zeitpunkt schon aufgerüstet seien. Dass viele Beamten vor dem Schichtbeginn auf den Wachen erschienen, sei dem Gebot der Pünktlichkeit und den nicht genau kalkulierbaren Anfahrtszeiten zur Dienststelle geschuldet. In diesen Fällen sei es realitätsnah, dass sich die Beamten dann bereits aufrüsteten. Dies werde jedoch nicht eingefordert, sondern geschehe freiwillig.
12Das Gericht hat Beweis erhoben über die Verfügungslage und Praxis des An- und Ablegens von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen sowie der Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln in der Polizeiwache N. durch Vernehmung des Polizeidirektors I. -K. L. -S. und des Ersten Polizeihauptkommissars V. S1. -T. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Feststellungsklage ist gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung, um möglicherweise weitergehende Ansprüche auf das Erbringen von zusätzlicher regelmäßiger Arbeitszeit stützen zu können.
15Die Klage ist begründet.
16Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass er in der Polizeiwache N. durch das Auf- und Abrüsten zusätzliche regelmäßige Arbeitszeit im Umfang von 15 Minuten pro Dienstschicht erbracht hat.
17Nach Maßgabe der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung,
18OVG NRW, Urt. v. 02.12.2010 – 6 A 1546/10 –; BVerwG, Beschl. v. 25.08.2011 – 2 B 38.11 –,
19und des Erlasses des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28.11.2011 – 403 - 60.01.10 – ist nicht nur die für das An- und Ablegen von persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenständen erforderliche Zeit, sondern auch die für die Übernahme und Übergabe von Führungs- und Einsatzmitteln benötigte Zeit auf die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 1 AZVOPol NRW anzurechnen. Denn diese Tätigkeiten haben keinen Bezug zur Freizeit des Beamten, sondern sind Teil der Dienstausübung.
20Der Kläger war gehalten, für das Aufrüsten vor und das Abrüsten nach jeder Dienstschicht insgesamt 15 Minuten seiner Freizeit aufzubringen. Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Danach ist zwar anzunehmen, dass es eine entsprechende ausdrückliche Weisung in der Polizeiwache N. nicht gab; einer derartigen Anweisung zum Befolgen einer Regel bedarf es allerdings auch nicht, wenn sich ohnehin alle Adressaten konform verhalten. In diesem Fall lässt sich die Verbindlichkeit einer Regel daran messen, ob im Falle eines Verstoßes eine Weisung der Dienstvorgesetzten zum Befolgen der Regel zu erwarten ist.
21Der Zeuge L. -S. hat bekundet, es sei für ihn selbstverständlich, dass ein Polizeibeamter bei Dienstbeginn vollständig aufgerüstet bereitstehe. Der Zeuge S1. -T. hat ausgesagt, es bestehe in der Polizeiwache N. die „gewohnheitsrechtlich“ verfestigte Praxis, dass die Beamten sich bereits vor Dienstbeginn aufrüsteten. Dies sei zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Dienststelle notwendig, da unmittelbar zu Schichtbeginn bereits Dienstbesprechungen stattfänden oder Einsätze gefahren werden müssten. In der Vergangenheit hätten insbesondere während des Schichtwechsels in der Mittagszeit häufig nicht genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gestanden, obwohl die Beamten bei Dienstbeginn bereits aufgerüstet seien und sich erst nach Dienstende abrüsteten.
22Welche Folgen eine Verhaltensänderung der Beamten für den Dienstbetrieb hätte, ob etwa – wie der Zeuge L. -S. gemeint hat – die Einsatzfähigkeit der Polizei gleichwohl gewährleistet wäre, wenn sich alle Beamten erst nach Schichtbeginn auf- und vor Schichtende abrüsteten, kann dahinstehen. Denn für die Frage, ob der Kläger gezwungen war, sich außerhalb der Dienstschichten auf- und abzurüsten, kommt es entscheidend auf die Folgen an, die er persönlich im Falle abweichenden Verhaltens zu erwarten hätte. Diesbezüglich hat der Zeuge S1. -T. die Einschätzung bekundet, dass der unmittelbare Vorgesetzte einen bei Schichtbeginn noch nicht aufgerüsteten Beamten anweisen würde, seinen Dienst in Zukunft bereits vollständig aufgerüstet anzutreten. Dies entspreche auch seiner persönlichen Erwartungshaltung, wenn er zu Dienstbesprechungen einlade.
23Die vom Kläger für das Auf- und Abrüsten erbrachte zusätzliche regelmäßige Arbeitszeit ist wie beantragt – und von dem Beklagten nicht substantiiert bestritten – mit 15 Minuten pro Dienstschicht zu bemessen. Für das Anlegen der persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände sowie für die Übernahme der Führungs- und Einsatzmitteln hat der Zeuge S1. -T. unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten der Polizeiwache N. circa 10 bis 15 Minuten veranschlagt. Der umgekehrte Vorgang, also das Ablegen der persönlich zugewiesenen Ausrüstungsgegenstände sowie die Übergabe der Führungs- und Einsatzmittel dauere etwas kürzer. Insgesamt sei ein Zeitbedarf von maximal 20 Minuten in Ansatz zu bringen.
24Ein über das Begehren der Feststellung von 15 Minuten zusätzlich erbrachter Arbeitszeit hinausgehender Ausspruch des Gerichts kommt gemäß § 88 VwGO nicht in Betracht.
25Mit der Beschränkung des Klageantrags auf die Zeit ab dem 11.07.2012 hat der Kläger dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Geltendmachung erst ab dem Tag des Eingangs des hier streitgegenständlichen Antrags bei der Behörde in Betracht kommen dürfte.
26Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 2 C 32.10 –, Rn. 19; OVG NRW, Urt. v. 08.06.2009 – 1 A 3143/08 –, Rn. 12-16 (jeweils zitiert nach juris).
27Das Schreiben des Beklagten vom 13.09.2012, mit dem die Anerkennung der Rüstzeiten abgelehnt wurde, musste nicht aufgehoben werden, weil es mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt darstellt und nicht in Bestandskraft erwachsen kann. Bei Dienstzeitregelungen im Polizeidienst handelt es sich vielmehr um behördeninterne Organisationsmaßnahmen, denen eine Außenwirkung nicht zukommt.
28VG E. , Urt. v. 21.03.2006 – 2 K 7479/04 –, Rn. 21; VG Köln, Urt. v. 21.09.2012 – 19 K 2090/10 –, Rn. 28 (jeweils zitiert nach juris).
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
30Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
31Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
32BESCHLUSS
33Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
34Gründe:
35Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.
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Referenzen
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