Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 9 K 1359/14
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 06.11.2013 sowie Ziffer 2 der Nebenbestimmungen des Bescheides des Beklagten vom 07.02.2014 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Unterschutzstellung von Resten eines ehemaligen Kottens, die im Zuge von Arbeiten zum Neubau der A 00 zwischen S. und W. zutage getreten sind.
3Der Neubau der Autobahn wurde mit Planfeststellungsbeschluss vom 21. Februar 2007 genehmigt. Der Beschluss enthält in Abschnitt A. (Entscheidung) unter anderem Regelungen zum Denkmalschutz und in Abschnitt B. (Begründung) unter anderem Ausführungen zur Berücksichtigung denkmalpflegerischer Belange (Abschnitt A. Ziffer 5.6, Abschnitt B. Ziffer 5.3.14). Insbesondere regelt Abschnitt A. Ziffer 5.6.2 das Vorgehen bei Entdeckung von Bodendenkmälern bei Eingriffen in den Boden. Diese Regelungen entsprechen im Wesentlichen den gesetzlichen Vorschriften der §§ 15 und 16 DSchG.
4Am 28. September 2013 beobachteten ehrenamtliche Mitarbeiter des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, bauliche Reste im Anschnitt einer freigeschachteten Böschung im Bereich I. Süd/X. . Der Kläger (das Land Nordrhein-Westfalen in Gestalt des Landesbetriebs Straßenbau NRW) teilte dem LVR nach einem gemeinsamen Ortstermin am 16. Oktober 2013 mit E-Mail vom 17. Oktober 2013 mit, in dem Bereich der Funde werde bis zum Frühjahr 2014 ein Einschnitt mit ca. 5 bis 6 m Tiefe hergestellt. Aufgrund der herrschenden Witterungsbedingungen seien die Arbeiten zurzeit ruhend.
5Am 5. November 2013 wandte sich der LVR unter Bezugnahme auf eine beigefügte gutachterliche Stellungnahme vom 21. Oktober 2013 an den Beklagten (das Land Nordrhein-Westfalen in Gestalt der Bezirksregierung Düsseldorf) mit der Bitte um Erlass eines Bescheides zur vorläufigen Unterschutzstellung mit Anordnung der sofortigen Vollziehung und unter Verzicht auf eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW. Dem kam der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. November 2013 nach, mit dem er unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den vorläufigen Schutz des Bodendenkmals „Kotten I1. “ in I. -X. anordnete. Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf die gutachterliche Stellungnahme des LVR aus, bei den aufgedeckten Fundamenten handele es sich um Reste des historisch überlieferten Kotten „ I1. “. Dies sei eine kleine Hofanlage, die einem Tagelöhner gehört habe, der sich auf den umliegenden Höfen verdingt habe und sich auf seinem Kotten selbst habe versorgen können. Erhaltene Reste von solchen Kotten seien in der Regel selten. Entweder seien die Anlagen im 19./frühen 20. Jahrhundert beseitigt worden oder in moderne Bauten überführt worden. Wüst gefallene Anlagen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts seien als selten anzusehen. Die Relikte des Kotten „ I1. “ seien bedeutend für die Geschichte des Ortes und die Geschichte der Menschen, die hier gearbeitet und gelebt hätten. An der Erhaltung bestehe ein wissenschaftliches Interesse. Die in Bezug genommene gutachterliche Stellungnahme des LVR enthält über die in den Bescheid übernommenen Ausführungen hinaus eine nähere Beschreibung der Funde (Fundamente von zwei Gebäuden mit einer Innenraumbreite von je 2,2 m, Bauschutt und Reste von Baustoffen, ein Pfeifenstiel, Keramikscherben u.a.). Ferner heißt es dort, die Befunde gehörten zu Gebäuden des „Kotten I1. “, der nach historischen Quellen 1859/62 aufgegeben worden sei. Hierzu sind historische Kartenwerke beigefügt.
6Der Kläger hat am 6. Dezember 2013 unter dem Aktenzeichen 9 K 9344/13 Klage gegen die vorläufige Unterschutzstellung erhoben.
7Nachdem in Gesprächen zwischen den Beteiligten und unter Einbeziehung des LVR keine einvernehmliche Lösung gefunden wurde, stellte der Kläger am 4. Februar 2014 – vorsorglich und unter Verwahrung gegen die Auferlegung von Kosten – einen Antrag auf Erlaubnis nach § 9 DSchG für die Beseitigung des Bodendenkmals. Diesem gab der Beklagte mit dem weiter streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Februar 2014 statt. Der Bescheid enthält unter Ziffer 2 der Nebenbestimmungen die Regelung, dass der Kläger die Kosten für die – mit Ziffer 1 der Nebenbestimmungen angeordnete – vorherige wissenschaftliche Untersuchung, Bergung von Funden und Dokumentation der Funde zu tragen hat. Zur Begründung der Kostentragungspflicht berief sich der Beklagte auf die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Satz 1 DSchG und führte aus, die Kostentragungspflicht sei auch zumutbar. Etwas anderes sei nicht vorgetragen worden und angesichts der zu erwartenden Gesamtkosten für die Baumaßnahme „Neubau der A 00“, der wirtschaftlichen Bedeutung und des angestrebten volkswirtschaftlichen Nutzens auch nicht anzunehmen, zumal der Kläger etwaige Baustillstandskosten bereits mit einer Summe von 8.100,- Euro pro Tag beziffere.
8Gegen Ziffer 2 der Nebenbestimmungen dieses Bescheides hat der Kläger am 26. Februar 2014 unter dem Aktenzeichen 9 K 1359/14 Klage erhoben.
9Der Kläger macht geltend, die Bescheide verletzten ihn in seinen Rechten aus dem Planfeststellungsbeschluss. Dieser enthalte unter Abschnitt A. Ziffer 5.6 und Abschnitt B. Ziffer 5.3.14 umfassende Interessenabwägungen und Regelungen im Hinblick auf bekannte und unbekannte Bodendenkmäler. Die Berechtigungen der Denkmalschutzbehörde seien dort abschließend geregelt. Gegenstand der Abwägung seien ausdrücklich auch Bodendenkmäler, die im Zuge von Baumaßnahmen entdeckt werden. Hinsichtlich dieser Zufallsfunde werde eine Regelung entsprechend §§ 15 und 16 DSchG getroffen. Der Zufallsfund sei von der Konzentrationswirkung umfasst. Dem in § 16 DSchG festgelegten Verfahren sei nach der Entdeckung des Bodendenkmals „Kotten I1. “ umfassend Rechnung getragen worden. Die Bauarbeiten seien gemäß § 16 Abs. 1 DSchG sofort eingestellt worden. Die Drei-Tage-Frist des § 16 Abs. 2 DSchG sei spätestens am 20. Oktober 2013 abgelaufen. Die danach erfolgte vorläufige Unterschutzstellung sei unzulässig. Infolge der Rechtswidrigkeit der Unterschutzstellung habe es keiner Erlaubnis nach § 9 DSchG bedurft. Dementsprechend sei auch die Nebenbestimmung zur Kostentragung rechtswidrig.
10Der Kläger beantragt,
11den Bescheid des Beklagten vom 06.11.2013 sowie Ziffer 2 der Nebenbestimmungen des Bescheides des Beklagten vom 07.02.2014 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er macht geltend, bei dem Denkmal handele es sich nicht mehr um einen Zufallsfund. Die Systematik des Gesetzes knüpfe den Zufallsfund an den Zeitpunkt seiner unmittelbaren Entdeckung. Es handele sich nunmehr um ein Bodendenkmal. Die gesetzlichen Regelungen über Zufallsfunde (§§ 15, 16 DSchG) schränkten die Anwendbarkeit des Denkmalschutzgesetzes im Übrigen, insbesondere die Möglichkeit einer Unterschutzstellung nach § 4 DSchG, nicht ein. Sie beträfen lediglich das Vorfeld einer etwaigen Unterschutzstellung und trügen einem kurzfristigen Sicherungsbedürfnis auch vor der Geltung des vollen denkmalrechtlichen Schutzes Rechnung. Der Eintragung hätten auch im Übrigen nicht die Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses entgegengestanden. Der Planfeststellungsbeschluss enthalte keine negative Feststellung dahingehend, dass in dem Plangebiet keine Bodendenkmäler existierten. Die Befugnis, eine solche Feststellung zu treffen, sehe das Denkmalschutzgesetz nicht vor, so dass sie auch nicht auf die Planfeststellungsbehörde übergegangen sein könne. Lediglich die Entscheidung über die Erlaubnis zur Beseitigung eines Denkmals gehe im Rahmen der Konzentrationswirkung auf die Planfeststellungsbehörde über. Der Eintragung in die Denkmalliste habe auch nicht die Genehmigungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses entgegen gestanden. Die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege könnten nur in die erforderliche Abwägung eingestellt werden, wenn bekannte, bereits eingetragene Denkmäler betroffen seien. Der Planfeststellungsbeschluss enthalte keine Feststellung, dass das Vorhaben – bezogen auf bisher unentdeckte Bodendenkmäler – mit den Belangen des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege vereinbar sei.
15Die Besonderheit der Funde beruhe darauf, dass der Kotten Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf die Fundamente beseitigt, mit Mutterboden überlagert und seitdem landwirtschaftlich als Fläche genutzt worden sei. Durch das Zuschütten der Fundamente sei die Zeitschicht gleichsam eingefroren worden. Aus der Größe der Räume und der Grundrissbeschaffenheit sei zu schließen, dass der Kotten einem Tagelöhner als Wohnsitz gedient habe. Es handele sich um eines der wenigen noch vorhandenen Exemplare solcher Gebäude.
16Der Kläger hat von der Erlaubnis zur Beseitigung des „Kotten I1. “ Gebrauch gemacht. Die Kosten für die Ausgrabung und Auswertung beziffert er mit ca. 12.000,‑ Euro. Ein Ausfallschaden wegen eines Baustopps ist nicht entstanden, weil die Ausbaumöglichkeiten aufgrund der Witterungslage im fraglichen Zeitraum ohnehin eingeschränkt waren.
17Das Gericht hat die Klagen mit Beschluss vom 23. April 2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen 9 K 1359/14 verbunden.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht hat das Rubrum von Amts wegen geändert, weil der Landesbetrieb Straßenbau NRW bzw. dessen Hauptgeschäftsführer im vorliegenden Fall nicht die Bundesrepublik Deutschland vertritt, die in der Klageschrift als Klägerin benannt war, sondern das Land Nordrhein-Westfalen. Eigentümerin des Grundstücks sowie Trägerin der Straßenbaulast für die Autobahn und damit materiell betroffen ist zwar die Bundesrepublik Deutschland. Für diese handelt im Prozess hier aber das Land Nordrhein-Westfalen in gesetzlicher Prozessstandschaft. Denn die Bundesautobahnen im Auftrag des Bundes werden von den Ländern verwaltet, Art. 90 Abs. 2 GG. Dies umfasst sowohl die Hoheitsverwaltung als auch die Vermögensverwaltung der Bundesstraßen. Hierzu zählt die Erfüllung aller Verpflichtungen, die mit der Straßenbaulast im Zusammenhang stehen. In dem durch Art. 90 Abs. 2 GG gezogenen Rahmen erfüllen die Länder zwar Bundesaufgaben; sie tun dies aber – dem Wesen der Auftragsverwaltung entsprechend – aus eigener und selbständiger Verwaltungskompetenz,
21vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2003 – 4 C 9/02 –, NVwZ-RR 2004, 84 (juris-Rn.7).
22Dieser Wahrnehmungskompetenz auf der Verwaltungsebene entspricht auf der prozessualen Ebene die Prozessstandschaft,
23vgl. zum Ganzen auch Thür. OVG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – 4 EO 677/08 –, ThürVBl 2010, 60 (juris-Rn. 4ff.).
24Die Klage ist zulässig und begründet.
25Ein unzulässiger sog. Insichprozess liegt nicht vor. Zwar steht auf beiden Seiten des Verfahrens das Land Nordrhein-Westfalen. Es besteht jedoch keine gemeinsame Entscheidungsspitze, die eine interne Einigung durch Weisung herbeiführen könnte,
26vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Mai 1992 – 10 A 279/89 – m.w.N., NVwZ-RR 1993, 132 = BRS 77 Nr. 79 (juris-Rn. 59f.) .
27Denn das Land unterliegt im Rahmen der Auftragsverwaltung den Weisungen des Bundes, Art. 85 Abs. 3 und 4 GG.
28Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.
29Die vorläufige Unterschutzstellung vom 6. November 2013 hat sich nicht dadurch erledigt, dass das Schutzobjekt von dem Kläger in Ausnutzung der Erlaubnis vom 7. Februar 2014 beseitigt worden ist. Denn die Unterschutzstellung ist Grundlage für die Erlaubnis und insbesondere auch für die hier streitgegenständliche Nebenbestimmung zur Kostentragung,
30vgl. zur Nichterledigung einer Abrissverfügung durch Ersatzvornahme OVG NRW, Urteil vom 4. November 1996 – 10 A 3363/92 – BRS 58 Nr. 213,.
31Ebenso wenig steht im Hinblick auf die Unterschutzstellung der Zulässigkeit der Anfechtungsklage die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 DSchG entgegen, wonach die Anordnung ihre Wirksamkeit verliert, wenn nicht innerhalb von sechs Monaten das Verfahren zur Eintragung in die Denkmalliste eingeleitet wird. Denn der Verlust der Wirksamkeit tritt in diesem Fall nicht ex tunc ein, sondern lediglich ex nunc,
32vgl. Memmesheimer/Upmeier/Schönstein, Denkmalrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1989, § 4 Rn. 24.
33Für die Vergangenheit bleibt die Unterschutzstellung damit wirksam und Grundlage für den Erlaubnisbescheid nach § 9 DSchG.
34Die Klage ist auch begründet.
35Die angefochtene vorläufige Unterschutzstellung ist rechtswidrig und verletzt die Bundesrepublik Deutschland in ihren Rechten, §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO.
36Der Bescheid ist zum einen in formaler Hinsicht rechtswidrig, weil der Kläger vor seinem Erlass entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW nicht angehört worden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW lagen nicht vor. Nach § 28 Abs. 2 VwVfG NRW kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist, insbesondere gemäß Nr. 1, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Dies war hier nicht der Fall. Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass in dem Fall, dass der Beklagte anstelle des angefochtenen Bescheides zunächst eine Anhörung – ggf. mit nur kurzer Stellungnahmefrist – übersandt hätte, der Kläger trotz des laufenden Verfahrens die Bauarbeiten an der betroffenen Stelle fortgesetzt und die Reste des Kottens beseitigt hätte. Dieser Fehler ist mangels Nachholung der Anhörung auch nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW geheilt worden.
37Zum anderen verletzt der Bescheid auch materielles Recht. Denn die Voraussetzungen für die vorläufige Unterschutzstellung nach § 4 Abs. 1 DSchG lagen nicht vor.
38Nach dieser Vorschrift soll, wenn damit zu rechnen ist, dass ein Denkmal in die Denkmalliste eingetragen wird, die Untere Denkmalbehörde bzw. hier, weil Eigentümerin die Bundesrepublik Deutschland ist, gemäß § 21 Abs. 3 DSchG an deren Stelle die Bezirksregierung anordnen, dass das Denkmal als vorläufig eingetragen gilt. Mit einer Eintragung zu rechnen ist dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Eintragung besteht,
39vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 1984 – 11 A 1776/83 –, NJW 1986, 1890 = BRS 42 Nr. 137.
40Sind bei einem ortsfesten Bodendenkmal die Merkmale des Denkmalbegriffs nach § 2 DSchG erfüllt, ist es (zwingend) in die Denkmalliste einzutragen, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 DSchG. Entscheidend ist mithin, ob die Funde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Merkmale des Denkmalbegriffs erfüllten.
41Denkmäler sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 DSchG Sachen, Mehrheiten von Sachen und Teile von Sachen, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht. Ein öffentliches Interesse besteht nach Satz 2, wenn die Sachen bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen. „Bedeutend“ ist dabei nicht im Sinne von einzigartig oder hervorragend zu verstehen. Andererseits sind objektiv belanglose Sachen nicht schützenswert. Erforderlich ist, dass der Sache ein besonderer Aussagewert im Sinne einer besonderen Eignung zum Aufzeigen oder Erforschen geschichtlicher Entwicklungen zukommt. Ausgeschlossen aus dem Bereich des Denkmalschutzes sollen damit vor allem solche Gegenstände sein, die zwar ebenfalls einen historischen Bezug haben, jedoch deshalb nicht von Bedeutung sind, weil es sich z.B. um ein Massenprodukt handelt oder die Sache zu weitreichende Veränderungen erfahren hat,
42vgl. Memmesheimer/Upmeier/Schönstein, Denkmalrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1989, § 2 Rn. 31f. m.N.
43Danach war hier nicht mit einer Eintragung in die Denkmalliste zu rechnen. Dass die Voraussetzungen für eine Eintragung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorlagen, lässt sich weder der Begründung des Bescheides einschließlich der gutachterlichen Stellungnahme des LVR vom 21. Oktober 2013 entnehmen, noch ist es sonst erkennbar.
44Nach der Begründung soll der Fund bedeutend sein „für die Geschichte des Ortes und die Geschichte der Menschen, die hier arbeiteten und lebten“. Die „Geschichte des Ortes“ gehört als solche indes nicht zu den Bedeutungskategorien in § 2 Abs. 1 Satz 2 DSchG. Gemeint sein mag, dass die Bedeutung für die Geschichte des Menschen hier aus der Ortsgeschichte abzuleiten sein soll,
45vgl. dazu Memmesheimer/Upmeier/Schönstein, Denkmalrecht Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 2. Aufl. 1989, § 2 Rn. 35.
46Ferner mag mit dem Halbsatz „die hier arbeiteten und lebten“ eine Bedeutung der Funde für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse angesprochen sein. Es ist jedoch nicht erkennbar, warum und inwiefern die Funde für die Geschichte des Menschen und/oder die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse „bedeutend“ sein sollen. Der Umstand allein, dass es sich um historische Relikte handelt, genügt hierfür nicht, denn andernfalls wäre bereits jedes ältere Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Ein besonderer Aussagewert ergibt sich auch nicht aus der Vermutung, dass es sich um Reste des aufgegebenen Tagelöhner-Kottens „ I1. “ handelt. Denn eine besondere geschichtliche Relevanz der Tatsache als solcher, dass an dieser Stelle zwei kleine Gebäude standen, die eben diesen Kotten bildeten, ist nicht erkennbar. Was darüber hinaus aus den Funden – Fundamentresten, Bauschutt und Ähnlichem – ablesbar sein soll, was diese veranschaulichen oder dokumentieren sollen, bleibt offen. Die Ausführungen, wonach wüst gefallene Anlagen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts als „selten“ anzusehen seien, vermögen die Bedeutung des Fundes ebenfalls nicht zu begründen. Denn das, was selten ist, muss nicht notwendigerweise auch bedeutend sein. Ferner wird in dem Bescheid auch nicht begründet, warum bzw. inwiefern für die Erhaltung und Nutzung des Bodendenkmals wissenschaftliche Gründe vorliegen sollen. Hierzu fehlt es sowohl in dem Bescheid selbst als auch in der gutachterlichen Stellungnahme des LVR an näheren Ausführungen.
47Auch unter Berücksichtigung des sonstigen Akteninhalts und des Vorbringens des Beklagten in der mündlichen Verhandlung lässt sich nicht feststellen, dass die Merkmale des Denkmalbegriffs mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfüllt waren. Die Ausführungen des Beklagten dazu, dass die Besonderheit der Funde daran bestehe, dass der Zustand von Mitte des 19. Jahrhunderts gleichsam eingefroren worden sei, vermögen den die erforderliche Bedeutung nicht zu begründen.
48Für eine Denkmaleigenschaft bestehen auch nicht zumindest Anhaltspunkte, die eine weitere Aufklärung erforderlich machen würden. Davon abgesehen wäre das Gericht auch nicht gehalten, bei Vorliegen solcher Anhaltspunkte den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären und eigenständige Ermittlungen hinsichtlich der Denkmaleigenschaft anzustellen. Dies ist vielmehr Sache der Behörde.
49Der sachgerechten und vollständigen Ermittlung und Bewertung des entscheidungserheblichen Sachverhalts kommt bei der denkmalrechtlichen Unterschutzstellung besondere Bedeutung zu. Denn § 2 Abs. 1 Satz 2 DSchG stellt in Verbindung mit anderen Vorschriften des nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes eine Regelung über Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Sie ist als solche zulässig, insbesondere führt sie bei verfassungskonformer Anwendung nicht zu Ergebnissen, die nicht mehr mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar sind. Wegen der grundrechtlichen Bedeutung der behördlichen Entscheidung ist aber namentlich eine sorgfältige Aufklärung des Sachverhalts geboten,
50vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1987 – 4 B 146.87 –, NJW 1988, 505 = BRS 47 Nr. 123 (juris-Rn. 4ff.).
51Diesem Zweck dienen auch die Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften des Denkmalschutzgesetzes (§§ 20ff.), die insbesondere durch die vorgeschriebene Mitwirkung der fachkundigen Denkmalpflegeämter der Landschaftsverbände das sorgältige Ermitteln und Bewerten des denkmalrechtlichen Sachverhaltes gewährleisten sollen.
52Für die Sachverhaltsermittlung bei der vorläufigen Unterschutzstellung gilt im Grundsatz nichts anderes. Zwar handelt es sich dabei (nur) um eine Prognoseentscheidung, die nicht voraussetzt, dass die Denkmaleigenschaft bereits mit Sicherheit und in allen Einzelheiten feststeht,
53vgl. OVG Münster, Urteil vom 10. Juni 1985 – 11 A 960/84 –, BRS 44 Nr. 123.
54Im Rahmen dessen, was nach den Umständen, insbesondere in der zur Verfügung stehenden Zeit, möglich und angemessen ist, hat die Behörde den Sachverhalt jedoch mit derselben Sorgfalt zu ermitteln und zu bewerten wie bei der endgültigen Eintragung. Denn mit der vorläufigen Unterschutzstellung gilt das Objekt des vorläufigen Schutzes als eingetragen und unterliegt somit denselben Rechtsfolgen als wäre es bereits in die Denkmalliste eingetragen. Des weiteren ist auch die vorläufige Unterschutzstellung auch nicht von der Verpflichtung zur Beteiligung des Landschaftsverbandes gemäß § 21 Abs. 4 DSchG ausgenommen.
55Was den Umstand betrifft, dass Eigentümerin hier die Bundesrepublik Deutschland ist, die sich nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen kann, so führt dies nicht zu herabgesetzten Anforderungen an die behördliche Ermittlungspflicht. Zum einen ist schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und wegen der Möglichkeit des Eigentümerwechsels die Geltung eines einheitlichen Maßstabes geboten. Zum anderen besteht im vorliegenden Fall zwar keine Grundrechtsbetroffenheit; betroffen ist aber die Wahrnehmung der dem Bund obliegenden öffentlichen Aufgaben im Zusammenhang mit der Straßenbaulast, §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 FStrG, konkret die Durchführung des Neubaus der Autobahn A 00. Dieses öffentliche Interesse rechtfertigt die Anlegung eines nicht minder strengen Maßstabes an die Ermittlungspflicht.
56Kommt die Behörde diesen Anforderungen nicht nach, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die gebotenen Ermittlungen nachzuholen.
57Denn die Unterschutzstellung von (Bau-)Denkmälern nach dem DSchG NW betrifft im Regelfall im Hinblick auf das Eigentumsrecht der Betroffenen, wie dargelegt, einen grundrechtlich empfindlichen Bereich. Wenn der Sachverhalt in wesentlicher Beziehung nicht aufgeklärt und bewertet worden ist, wird das Verwaltungsverfahren der durch Art. 14 Abs. 1 GG geforderten Schutzfunktion nicht gerecht,
58OVG NRW, Urteil vom 13. Oktober 1988 – 11 A 2734/86 –, NVwZ-RR 1989, 614 = BRS 48 Nr. 116 (juris-Rn. 15).
59Fehlt es hier auch an der Betroffenheit von Art. 14 Abs. 1 GG, so gelten doch ähnliche Erwägungen vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses an der Erfüllung der Aufgaben des Trägers der Straßenbaulast, konkret der Verwirklichung des Planfeststellungsbeschlusses.
60Gegen die Sanktionslosigkeit von Aufklärungsmängeln bei der vorläufigen oder endgültigen denkmalrechtlichen Unterschutzstellung spricht darüber hinaus, dass die Gerichte, wollten sie die Sachverhaltsermittlung und -bewertung nachholen, de facto Verwaltungsfunktionen übernehmen würden. Dies erscheint wegen der Besonderheiten der denkmalrechtlichen Begrifflichkeiten und Sachverhalte und der gebotenen wissenschaftlichen Beurteilung bedenklich. Würden die Gerichte in Fällen der vorliegenden Art die unterlassene Aufklärung nachholen und anstelle der zuständigen Denkmalbehörde eine Entscheidung darüber treffen, ob und ggfls. mit welcher Begründung (!) ein Denkmal vorläufig unter Schutz gestellt werden soll, würden sie de facto Aufgaben wahrnehmen, die der vollziehenden Gewalt obliegen und für die diese – anders als die Gerichte – auch entsprechend organisiert und ausgestattet sind,
61vgl. wiederum OVG NRW, Urteil vom 13. Oktober 1988 – 11 A 2734/86 –, NVwZ-RR 1989, 614 = BRS 48 Nr. 116 (juris-Rn. 16).
62Es mag dahinstehen, ob die vorstehenden Überlegungen auch bei einer endgültigen Eintragung zu gelten hätten, eine denkmalrechtliche Unterschutzstellung mithin ohne Verstoß gegen § 46 VwVfG NW allein schon deshalb aufgehoben werden könnte, weil sie unter Verletzung des behördlichen Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NW) und/oder weiterer Verfahrensvorschriften, namentlich der Anhörungspflicht (§ 28 Abs. 1 VwVfG NW) und/oder des Begründungserfordernisses (§ 39 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwVfG NW ergangen ist. Dies mag zweifelhaft erscheinen, weil es sich bei der endgültigen Eintragung um eine gebundene Entscheidung handelt,
63krit. daher OVG NRW, Urteil vom 23. August 1995 – 7 A 3702/93 –, BRS 77 Nr. 49 (juris-Rn. 30).
64Bei der vorläufigen Unterschutzstellung nach § 4 Abs. 1 DschG ist dies jedoch nicht der Fall. Die vorläufige Unterschutzstellung steht vielmehr im Ermessen der Denkmalbehörde,
65vgl. OVG Münster, Urteil vom 10. Juni 1985 – 11 A 960/84 –, BRS 44 Nr. 123,
66wenn auch in Form eines durch die Formulierung „soll“ eingeschränkten Ermessens. Es handelt sich dabei um ein intendiertes Ermessen ähnlich wie im Falle der bauordnungsrechtlichen Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW. Aus diesem Grunde sind Verfahrensfehler jedenfalls bei der vorläufigen Unterschutzstellung nicht nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Denn nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, „wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat“. Diese Voraussetzungen sind bei Ermessensentscheidungen nicht gegeben, es sei denn, es liegt eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Ermittelt die Behörde den Sachverhalt nicht hinreichend, liegt im Übrigen darüber hinaus auch ein Ermessensfehler vor, §§ 40 VwVfG NRW, 114 VwGO.
67Selbst wenn man die Vorschrift des § 4 Abs. 1 DSchG so verstehen wollte, dass der Denkmalbehörde ein Ermessen nur bei Vorliegen eines atypischen Falles eingeräumt ist und ansonsten eine gebundene Entscheidung gegeben ist,
68vgl. allgemein zu Soll-Vorschriften Kopp/Ramsauer, VwVfG,13. Aufl. 2012, § 40 Rn. 44 m.N.,
69würde dies hier zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn hier läge jedenfalls ein atypischer Fall vor, weil das Vorliegen eines Planfeststellungsbeschlusses für den Bau einer Autobahn an der Stelle des ggf. vorläufig unter Schutz zu stellenden Objektes nicht mehr zu den vom Gesetzgeber als „Normalfall“ angesehenen Konstellationen für die vorläufige Unterschutzstellung zählt,
70vgl. auch Rothe, DSchG NRW, Kommentar, 1981, § 4 Rn. 2 zum Konflikt einer Unterschutzstellung mit einer gemeindlicher Entwicklungsplanung.
71Auch bei Zugrundelegung des strengeren Verständnisses des § 4 Abs. 1 DSchG hätte der Beklagte daher im konkreten Fall einen Ermessensspielraum gehabt, in dessen Rahmen etwa zu prüfen gewesen wäre, ob die mit der Vorschrift des § 16 Abs. 4 DSchG unabhängig von einer Unterschutzstellung (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 4 DSchG) eingeräumten Möglichkeiten zur Bergung, Auswertung und wissenschaftlichen Erforschung der Funde nicht ausreichend gewesen wären. Der Bescheid wäre damit, wenn es nicht ohnehin schon an den Tatbestandsvoraussetzungen fehlen würde, auch wegen Ermessensausfalls rechtswidrig, weil der Beklagte erkennbar davon ausgegangen ist, dass ihm kein Ermessen eingeräumt ist.
72Auf die Frage, ob der Planfeststellungsbeschluss der Unterschutzstellung entgegen stand, kommt es nach alledem nicht mehr an.
73Auch die Nebenbestimmung zu 2. des Bescheides vom 7. Februar 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Bundesrepublik Deutschland in ihren Rechten. Sie kann nicht auf § 29 Abs. 1 Satz 1 DSchG gestützt werden.
74Nach dieser Vorschrift hat die vorherige wissenschaftliche Untersuchung, die Bergung von Funden und die Dokumentation der Befunde sicherzustellen und die dafür anfallenden Kosten im Rahmen des Zumutbaren zu tragen, wer einer Erlaubnis nach § 9 Abs. 1 oder einer Entscheidung nach § 9 Abs. 3 bedarf oder in anderer Weise ein eingetragenes Denkmal oder ein eingetragenes oder vermutetes Bodendenkmal verändert oder beseitigt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Infolge der Aufhebung der vorläufigen Unterschutzstellung, die auf den Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides zurückwirkt, unterlag die Beseitigung der Reste des Kottens mangels Denkmaleigenschaft nicht der Erlaubnispflicht des § 9 DSchG. Auch die sonstigen Tatbestandsalternativen sind nicht einschlägig. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Beseitigung eines vermuteten Bodendenkmals in anderer (nicht erlaubnispflichtiger) Weise. Denn für einen Rückgriff auf eine Qualifizierung als „vermutetes“ Bodendenkmal besteht kein Raum mehr, wenn die Denkmalbehörde den Weg einer vorläufigen Unterschutzstellung beschritten hat.
75Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.
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