Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 2 K 4428/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern der weiteren Kläger. Die Kläger zu 1, 2 und 4 reisten am 21. Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Die Klägerin zu 5 ist am 14. Februar 2016 im Bundesgebiet geboten worden. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) diesen vier Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen ab. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen (Blatt 37 ff., Heft 1 der Verwaltungsvorgänge). Die dagegen, mit dem Begehren als Flüchtlinge anerkannt zu werden, erhobene Klage, wies das erkennende Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 28. August 2017 (28 K 12862/16.A) zurück.
3Die Klägerin zu 3 ist am 3. September 2017 im Bundesgebiet geboren worden. Auch ihr erkannte das Bundesamt subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Bescheid vom 11. Oktober 2017).
4Mit Schriftsatz vom 29. November 2019 beantragten die Kläger die Ausstellung internationaler Reiseausweise gemäß § 5 AufenthV. Zur Begründung trugen sie vor, dass es ihnen unmöglich sei, ohne Vorsprache bei der syrischen Botschaft in den Besitz syrischer Reisepässe zu gelangen. Das Betreten der im Bundesgebiet gelegenen syrischen Botschaft sei jedoch mit Lebensgefahr verbunden. Sie müssten damit rechnen, aufgrund des „ausstehenden Wehrdienstes festgenommen zu werden“. Dies gelte im Rahmen der in Syrien praktizierten Sippenhaft nicht nur für den Kläger zu 1, sondern auch für die übrigen Familienmitglieder.
5Mit Bescheid vom 29. Juni 2020 lehnte der Beklagte die Ausstellung internationaler Reiseausweise gemäß § 5 AufenthV ab. Zur Begründung gab er an, die Passbeschaffung sei für die Kläger nicht unzumutbar im Sinne der vorgenannten Vorschrift. Dies gelte auch insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 1 in Syrien bereits seinen mehrjährigen Wehrdienst abgeleistet habe.
6Die Kläger haben am 29. Juli 2020 Klage erhoben.
7Zur Begründung tragen sie unter weitgehender Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens im Kern vor, dem Kläger zu 1 drohe bei einer Vorsprache in der syrischen Botschaft in Berlin eine Festnahme, weil er reservedienstpflichtig sei. Angesichts dessen habe der syrische Staat an ihm ein gesteigertes Verfolgungsinteresse. Aufgrund der beim syrischen Militär vorherrschenden Personalnot müsse auch mit der Einbeziehung lebensälterer Syrer zum Militärdienst gerechnet werden.
8Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
9den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Juni 2020 zu verpflichten, ihnen Reiseausweise gemäß § 5 AufenthV zu erteilen,
10hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 29. Juni 2020 zu verpflichten, ihren Antrag auf Ausstellung von Reiseausweisen gemäß § 5 AufenthV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
11Der Beklagte beantragt schriftlich,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung nimmt der Beklagte im Wesentlichen Bezug auf seine angegriffene Verwaltungsentscheidung.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die Kammer konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren und allein durch den Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 2 VwGO entscheiden.
17Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.
18Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ausstellung von Reiseausweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Nach Absatz 2 Nr. 1 der vorgenannten Vorschrift gilt es insbesondere als zumutbar im Sinne des Absatzes 1, derart rechtzeitig vor Ablauf der Gültigkeit eines Passes oder Passersatzes bei den zuständigen Behörden im In- und Ausland die erforderlichen Anträge für die Neuerteilung oder Verlängerung zu stellen, dass mit der Neuerteilung oder Verlängerung innerhalb der Gültigkeitsdauer des bisherigen Passes oder Passersatzes gerechnet werden kann.
19Gründe, die es für die Kläger als unzumutbar erscheinen lassen, bei der syrischen Botschaft in Berlin Pässe zu erlangen, liegen nicht vor. Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass der Kläger zu 1 reservedienstpflichtig ist, gilt Folgendes: Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich zum Reservedienst einberufen werden, könnte, sind nicht ersichtlich. Auch sonst liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger deswegen – wegen seines befürchteten Reservedienstes – in der syrischen Botschaft in Berlin festgenommen und nach Syrien zwangsweise zurückgeführt werden könnte. Der am 0.0.1976 geborene Kläger befindet sich derzeit im 46. Lebensjahr. Er hat ausweislich seiner Angaben gegenüber dem Bundesamt im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 11. August 2016 bereits drei Jahre lang in seinem Heimatland Wehrdienst geleistet (Blatt 46, Heft 1 der Verwaltungsvorgänge) und damit seine Wehrpflicht erfüllt. Er ist nach den Angaben in seinem syrischen Wehrpass am 0.0.1996 einberufen und am 0.0.1999 aus dem Militärdienst entlassen worden (Blatt 67, Heft 1 der Verwaltungsvorgänge). Seine Behauptung, „ihm sei zu Ohren gekommen“, dass er nunmehr noch Reservedienst leisten müsse (Schriftsatz vom 21. Januar 2021), ist durch nichts belegt und rein spekulativ.
20Hinzu kommt, dass auch sonst keine Gründe dafür vorliegen, dass der syrische Staat ein besonderes Verfolgungsinteresse an dem Kläger zu 1 haben könnte. Der Kläger ist in seinem Heimatland niemals persönlich bedroht worden, hatte zu keinem Zeitpunkt Probleme mit der Polizei beziehungsweise anderen staatlichen Institutionen und ist auch nicht politisch aktiv gewesen (Blatt 47, Heft 1 der Verwaltungsvorgänge). Zudem ist sein einziger in Syrien verbliebener Verwandter – sein Bruder N. N1. – für das syrische Militär tätig. Dass die Kläger als Regimegegner angesehenen werden könnten, ist nach alledem nicht ersichtlich.
21Selbst wenn der Kläger zu 1 zum Reservedienst eingezogen werden sollte, gibt es jedenfalls keinen Anhalt dafür, dass dies über eine Festnahme in der syrischen Botschaft in Berlin realisiert werden könnte. Die bereits mit Schriftsatz vom 29. November 2019 vorgetragene Befürchtung, ein Betreten der syrischen Botschaft sei mit einer „Lebensgefahr“ verbunden, ist haltlos. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass sie dort festgenommen werden könnten. In diesen Zusammenhang fügt sich, dass die Kläger ihre Annahme auch durch nichts untermauern konnten. Auch liegen selbst der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, dass sich die vom Kläger geäußerten Befürchtungen bei einer Vorsprache vor der syrischen Botschaft in Berlin realisieren könnten.
22Vgl. Drucksache 19/31566, Antwort der Bundesregierung vom 15. Juli 2021 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Filiz Polat, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 19/31283).
23Ohne Erfolg berufen sich die Kläger schließlich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 4. Dezember 2019 (5 K 7317/18). Dort wurde ausgeführt, dass es im Einzelfall auch einem subsidiär Schutzberechtigten unzumutbar sein kann, bei der Botschaft seines Herkunftsstaates zur Beantragung eines Reiseausweises nach § 5 Abs. 1 AufenthV vorzusprechen. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn die verfolgungsrechtliche Situation des subsidiär Schutzberechtigten bei einer wertenden Betrachtung im materiellen Kern und vom Ergebnis her mit der eines Flüchtlings vergleichbar ist. Die tragenden Gründe dieser Entscheidung sind bereits deswegen nicht auf den Streitfall zu übertragen, weil der dortige Kläger - im Unterschied zum Kläger zu 1. - bereits seinen Wehrdienst im Heimatland nicht geleistet hat.
24Nach alledem ist es den Klägern zumutbar, zwecks Ausstellung von Ausweisdokumenten bei der syrischen Botschaft in Berlin vorzusprechen.
25Aus den vorgenannten Gründen bleibt auch dem Hilfsantrag der Erfolg versagt. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Neubescheidung ihres Antrages auf Ausstellung von Reiseausweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), weil der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 29. Juni 2020 Rechtsfehler nicht aufweist.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
27Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
28Rechtsmittelbelehrung:
29Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
30Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.
31Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
32Die Berufung ist nur zuzulassen,
331. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
342. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
353. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
364. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
375. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
38Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen.
39Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
40Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
41Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
42Beschluss:
43Der Streitwert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.
44Gründe:
45Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt. Dabei hat der Berichterstatter für jeden der insgesamt fünf Kläger den Auffangwert in Ansatz gebracht.
46Rechtsmittelbelehrung:
47Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
48Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
49Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
50Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
51Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
52War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
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Referenzen
- 5 K 7317/18 1x (nicht zugeordnet)
- AufenthV § 5 Allgemeine Voraussetzungen der Ausstellung des Reiseausweises für Ausländer 2x
- 28 K 12862/16 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 67 1x