Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 18 L 2017/21
Tenor
Der Antrag wird einschließlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die Antragsteller ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits nicht schlüssig dargelegt und darüber hinaus nicht die nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 117 Abs. 2 ZPO vorgeschriebenen Belege betreffend ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt haben.
3Der mit anwaltlicher Hilfe in der Sache gestellte wörtliche Antrag,
4festzustellen, dass die Klage 18 K 6186/21 aufschiebende Wirkung hat, oder hilfsweise die aufschiebende Wirkung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen bzw. wiederherzustellen,
5hat keinen Erfolg.
6Das gilt für den gestellten Feststellungsantrag bereits mangels Statthaftigkeit. Insoweit ist auf Antrag des Betroffenen in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (nur dann) festzustellen, dass ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, wenn ein belastender Verwaltungsakt unter Missachtung der aufschiebenden Wirkung eines dagegen eingelegten Rechtsbehelfs vollzogen wird (sog. faktische Vollziehung).
7Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 10 B 616/08 – juris, Rn. 3 m.w.N.
8Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Vielmehr sind die Regelungen des mit der Klage angefochtenen Bescheides des Schulamtes für die Stadt N. (im Folgenden: Schulamt) vom 4. August 2021 sofort vollziehbar. Bezüglich der im ersten Tenorpunkt verfügten sogenannten Schulbesuchsanordnung hat das Schulamt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet. Die Klage gegen die in dem angefochtenen Bescheid ebenfalls enthaltene Zwangsgeldandrohung entfaltet bereits kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 112 JustG NRW).
9Der im Übrigen bzw. hilfsweise gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zwar zulässig, aber unbegründet.
10Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das diesbezügliche private Interesse der Antragstellerseite an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, ist von einem überwiegenden privaten Interesse auszugehen; erweist sich demgegenüber der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, ist in der Regel von einem überwiegenden öffentlichen Interesse auszugehen.
11Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht kein Anlass, der Klage 18 K 6186/21 aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen. Zunächst enthält die Ordnungsverfügung vom 4. August 2021 eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügende Begründung der im zweiten Tenorpunkt verfügten Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das Schulamt hat – getrennt von der sonstigen Begründung – dargelegt, aus welchen Gründen es von einem besonderen Vollziehungsinteresse ausgeht. Insbesondere der Einzelfallbezug ist (noch) ausreichend hergestellt. Im Übrigen gelten in bestimmten Fällen ausnahmsweise geringere Begründungsanforderungen. Ergibt sich etwa die Dringlichkeit aus Gründen, die aufgrund der Erlassvoraussetzungen des in Rede stehenden Verwaltungsaktes für eine Vielzahl von Fällen gelten – weil unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles nahezu ausnahmslos von der Dringlichkeit der Vollziehung des Verwaltungsakts auszugehen ist –, so genügt zur Erfüllung des Begründungserfordernisses des § 80 Abs. 3 VwGO die Angabe dieser Gründe. Dies gilt umso mehr, wenn die für die Dringlichkeit sprechenden Gründe offensichtlich sind.
12OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 6 B 1575/19 –, juris, Rn. 6.
13So liegt es hier. An der Erfüllung der Schulpflicht besteht per se ein dringendes öffentliches Interesse. Hierauf hat das Schulamt in seiner Begründung abgestellt. Es hat unter anderem darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der Schulbesuchspflicht im öffentlichen Interesse geboten sei, damit der Staat seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag durchsetzen und ihm gerecht werden könne.
14Im Rahmen der danach anzustellenden Abwägungsentscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 4. August 2021 das Suspensivinteresse der Antragsteller. Nach der im vorliegenden Verfahren durchzuführenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht das Gericht davon aus, dass die Ordnungsverfügung des Schulamtes vom 4. August 2021 offensichtlich rechtmäßig ist.
15Soweit die formelle Rechtmäßigkeit betroffen ist, kann mit Blick auf § 28 VwVfG NRW offenbleiben, ob in dem Schreiben des Schulamtes vom 21. Mai 2021, das mit dem Betreff „Anhörung gemäß § 55 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) i.V.m. dem Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG)“ versehen ist, lediglich eine Anhörung betreffend eine mögliche Ordnungswidrigkeit zu sehen ist oder dieses Schreiben auch eine Anhörung betreffend eine Maßnahme nach dem Schulgesetz NRW darstellt. Ebenso bedarf keiner Entscheidung, ob eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG NRW entbehrlich war. Denn selbst eine unterlassene Anhörung rechtfertigt nicht die Zuerkennung vorläufigen Rechtsschutzes. Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW ist die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die – wie hier – nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG NRW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Diesbezüglich gibt es keinen Grundsatz, dass allein die formelle Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes die Aussetzung der Vollziehung gebietet, auch wenn absehbar ist, dass der Verwaltungsakt im Ergebnis nicht aufzuheben sein wird, weil der formelle Fehler geheilt werden oder unbeachtlich bleiben (vgl. § 46 VwVfG NRW) wird.
16OVG NRW, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 16 B 718/13 – juris, Rn. 4.
17Die mit der Klage 18 K 6186/21 angefochtene Ordnungsverfügung des Schulamtes vom 4. August 2021 erweist sich unter Anlegung des im hiesigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes relevanten Prüfungsmaßstabs ferner als materiell rechtmäßig.
18Rechtsgrundlage ist § 41 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 SchulG NRW. Nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW sind die Eltern dafür verantwortlich, dass ihr schulpflichtiges Kind am Unterricht und an den sonstigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt. Zur Erfüllung dieser Pflicht können die Eltern nach § 41 Abs. 5 SchulG NRW von der Schulaufsichtsbehörde durch Zwangsmittel gemäß §§ 55 bis 65 VwVG NRW angehalten werden. Aus diesen Vorschriften ergibt sich nicht nur die Befugnis zur Verhängung von Zwangsmitteln, sondern auch die Ermächtigung zum Erlass von Verfügungen, mit denen Eltern Handlungspflichten zur Durchsetzung der Schulpflicht auferlegt werden.
19VG Münster, Beschluss vom 17. Juni 2016 – 1 L 180/16 –, juris, Rn. 11 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung.
20Diese Regelungen sind – entgegen der zum Teil von den Antragstellern vertretenen Ansicht – zunächst mit höherrangigem Recht vereinbar.
21Gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung zu § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW: vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Dezember 2020 – 19 B 1756/19 –, juris, Rn. 13 ff., vom 7. September 2018 – 19 A 33/18 –, juris, Rn. 4 und vom 24. August 2016 – 19 B 760/16, 19 E 555/16 –, juris, Rn. 2 ff.
22Soweit die Antragsteller unter anderem anführen, Art. 8 Abs. 2 LVerf NRW sei nicht geeignet, den in Art. 8 Abs. 1 LVerf NRW normierten Grundsatz in sein Gegenteil zu verkehren, und könne insbesondere den Grundsatz des „natürlichen Rechts der Eltern“ nicht wirksam beschränken, ferner stehe der Aufforderung in dem angefochtenen Bescheid neben der eigenen Entscheidung zu einer gewaltlosen Erziehung auch bereits der Anspruch ihres Sohnes auf gewaltfreie Erziehung aus § 1631 Abs. 2 BGB entgegen, hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 23. Dezember 2020 – 19 B 1756/19 –, juris, Rn. 15 ff., mit Blick auf die entsprechenden Vorschriften des Grundgesetzes ausgeführt:
23„Pflege und Erziehung der Kinder sind nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur das natürliche Recht der Eltern, sondern auch „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Diese Pflicht kann der Landesgesetzgeber auch als öffentlich-rechtliche, also dem Staat gegenüber bestehende Pflicht ausgestalten, unter dessen „besondere[m] Schutze“ Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen. Außerdem obliegt den Eltern die Pflicht aus Abs. 2 Satz 1 nur „zuvörderst“, aber nicht ausschließlich, und haben sie nach Art. 7 Abs. 1 GG insbesondere die verfassungsrechtlich unbedenkliche allgemeine Schulpflicht hinzunehmen. Solange diese andauert, ist ihr Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, unmittelbar in eigener Person und in pädagogischer Alleinverantwortung auf ihre Kinder einzuwirken, auf den außerschulischen Bereich beschränkt.
24BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. August 2015 - 1 BvR 2388/11 -, NVwZ-RR 2016, 281, juris, Rn. 17 f.; BVerwG, Urteil vom 11. September 2013 - 6 C 12.12 -, NJW 2014, 804, juris, Rn. 21; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 6 B 27.09 -, NVwZ 2010, 525, juris, Rn. 3 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2016, a. a. O., Rn. 6.
25Soweit die Antragsteller geltend machen, es sei „anerkannt, dass es ein Kindeswohl gegen den Kindeswillen nicht geben kann“, offenbaren sie damit, dass sie ihre erzieherische Pflicht und Verantwortung vernachlässigen, indem sie das Kindeswohl dem Kindeswillen bedingungslos unterordnen. Richtigerweise gilt, insbesondere auch im Sorgerechtsverfahren, dass der Wille des Kindes nur insoweit zu berücksichtigen ist, als er dem Kindeswohl entspricht, und dass insbesondere ein Kindeswille unbeachtlich sein kann, wenn er durch Elternteile maßgeblich beeinflusst ist.
26BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 27. Juni 2008 - 1 BvR 311/08 -, FamRZ 2008, 1737, juris, Rn. 30, und vom 26. September 2006 - 1 BvR 1827/06 -, NJW 2007, 1266, juris, Rn. 14; BGH, Beschluss vom 28. April 2010 - XII ZB 81/09 -, BGHZ 185, 272, juris, Rn. 31.
27Daraus folgt, dass bei einer bestehenden Kindeswohlgefährdung nötigenfalls auch Entscheidungen gegen den Willen des Kindes zu treffen sind, wenn der Gefährdung nicht anders abzuhelfen ist.
28Vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 4 UF 228/10 -, juris, Rn. 17; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 10 UF 176/09 -, juris, Rn. 30.
29Diesen Erwägungen, die die diesbezüglichen Argumente der Antragsteller aufgreifen und entkräften und die nach summarischer Prüfung auf die Vorgaben der Landesverfassung NRW übertragbar sind, schließt sich das Gericht an.
30Auch im Weiteren hat das Schulamt als gemäß § 41 Abs. 5 SchulG NRW zuständige Behörde die Antragsteller in rechtlich nicht zu beanstandender Weise im ersten Tenorpunkt der angefochtenen Ordnungsverfügung aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass ihr minderjähriger und schulpflichtiger Sohn S. am Unterricht der Schule J. C. teilnimmt.
31Zunächst ist der Sohn der Antragsteller gemäß §§ 34 Abs. 1 und 2, 35, 37 Abs. 1 SchulG NRW schulpflichtig. Die Schulpflicht ruht auch nicht gemäß § 40 SchulG NRW. Dieser bestehenden Schulpflicht kommt der Sohn der Antragsteller (unstreitig) jedenfalls seit dem Beginn des laufenden Schuljahres 2021/2022 nicht nach.
32Ferner ist nicht ersichtlich, dass der Sohn der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen gehindert wäre, die Schule zu besuchen. Entsprechende ärztliche Bescheinigungen haben die Antragsteller nicht vorgelegt. Aus der psychotherapeutischen Empfehlung der Dr. H. vom 17. April 2021 ergibt sich lediglich ein fehlender Wille des Sohnes der Antragsteller, die Schule zu besuchen. J. Weiteren ist ein Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs zwar formell eingeleitet worden, konnte mangels Schulbesuchs des Sohnes der Antragsteller jedoch nicht fortgeführt werden. Lediglich ergänzend und ohne dass es in entscheidungserheblicher Weise darauf ankommt, merkt das Gericht an, dass sich aus den im Rahmen dieses Verfahrens dokumentierten Beobachtungen zudem das besonders dringende Erfordernis ergibt, die für den Antragsteller bestehende Schulpflicht durchzusetzen, um die etwa in Art. 7 LVerf NRW genannten Erziehungsziele zu erreichen. Denn selbst in der geringen Zeit, die der Sohn der Antragsteller an der Gemeinschaftsgrundschule J. C. – meist in Anwesenheit seiner Mutter – verbracht hat, sind erhebliche Defizite, etwa im Arbeitsverhalten, zu Tage getreten. In dem Bericht der genannten Schule zur Antragstellung betreffend ein Verfahren zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung wird ausgeführt, die Bereitschaft des Sohnes der Antragsteller, sich auf den Unterricht einzulassen, sei kaum bis gar nicht gegeben. Würden seine Bedürfnisse nicht umgehend aufgegriffen, beginne er den Unterricht massiv zu stören. Bei organisatorischen Unterrichtshandlungen wirke er unselbstständig und unsicher. Ferner falle es ihm sehr schwer, mit den an ihn gestellten Anforderungen umzugehen. Aus den Beobachtungen der genannten Schule an den wenigen Schultagen im Mai 2020 ergibt sich ferner, dass der Sohn der Antragsteller nur mit Unterstützung der Antragstellerin zu 1. überhaupt ansatzweise in der Lage war, an der Arbeit im Unterricht teilzunehmen.
33Die gegenüber den Antragstellern erlassene Schulbesuchsanordnung erweist sich auch als geeignet. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsteller geltend machen, von ihnen werde etwas Unmögliches verlangt, weil sie sich für eine gewaltlose Erziehung entschieden hätten, ihren Sohn daher nicht zwangsweise zu Schule verbringen könnten und ihr Sohn ferner seinerseits einen Anspruch auf gewaltfreie Erziehung habe.
34Mit Blick auf die Anforderungen, die an die Geeignetheit einer Anordnung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW zu stellen sind, ist es ausreichend, dass eine derartige Anordnung für die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks förderlich ist. Davon ist bei Erziehungsberechtigten, die mit dem betreffenden Schüler in häuslicher Wohngemeinschaft leben, regelmäßig schon deshalb auszugehen, weil sie über ständige und unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten verfügen. Ob die in Ausschöpfung dieser Möglichkeiten ergriffenen Maßnahmen erfolgreich sind, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit nicht relevant. Darüber hinaus wird von den Adressaten einer Schulbesuchsanordnung nicht verlangt, dass sie sich mit nicht legalen oder rechtlich fragwürdigen Mitteln für eine regelmäßige Teilnahme des schulpflichtigen Kindes am Unterricht und den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen einsetzen.
35Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2018 – 19 A 33/18 –, juris, Rn. 8.
36Allerdings können sich Eltern nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei mit ihren Erziehungszielen nicht vereinbar, einen entgegenstehenden Willen ihres Kindes zu beugen. Denn das Grundgesetz selbst setzt die Bevormundung von Kindern notwendigerweise voraus.
37VG Minden, Beschluss vom 3. Dezember 2019 – 8 L 747/19 –, juris, Rn. 15 unter Berufung auf BVerfG, Beschluss vom 5. September 1986 – 1 BvR 794/86 –, NJW 1987, S. 180.
38Gemessen daran ist die streitgegenständliche Anordnung als geeignet anzusehen, weil die Antragsteller über entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten verfügen und – anders als sie geltend machen – nicht ersichtlich ist, dass diese ausgeschöpft sind. Insoweit haben sie zwar vorgetragen, die Durchsetzung des Schulbesuchs sei entgegen dem klar artikulierten und zu berücksichtigenden Willen ihres Sohnes nicht möglich, ferner hätten sie alles ihnen Mögliche getan, um die Entscheidung ihres Sohnes gegen den Schulbesuch zu analysieren und darauf gewaltfreien Einfluss zu nehmen, und wären sie die glücklichsten Eltern, wenn sie in der Lage wären, ihren Sohn glücklich und zufrieden jeden Tag zu einer Schule zu bringen. Diese Darlegungen führen indes nicht zur Annahme der Ungeeignetheit der mit der Klage angefochtenen Schulbesuchsanordnung.
39Soweit der nach Ansicht der Antragsteller zu berücksichtigende Wille ihres Sohnes betroffen ist, wird auf die oben zitierten Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein Westfalen in seinem Beschluss vom 23. Dezember 2020 – 19 B 1756/19 –sowie die genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Bezug genommen. Danach ist der Kindeswille nicht in jedem Fall maßgeblich. Dies gilt auch hier, soweit er dem Kindeswohl, namentlich dem mit der Schulpflicht durchzusetzenden staatlich verbürgten Anspruch auf Erziehung und Bildung, entgegensteht. Insofern ist es eine Fehlvorstellung von der elterlichen Erziehungspflicht anzunehmen, Eltern dürften in der Erziehung nur das durchsetzen, was ihr Kind wolle. Vielmehr verletzen Eltern ihre Pflicht, für den Unterrichtsbesuch ihres Kindes zu sorgen, auch dann, wenn sie den Schulbesuch zwar nicht aktiv unterbinden, diesen aber in das Belieben und die Entscheidung allein des Kindes stellen.
40Vgl. VG Minden, Urteil vom 4. April 2021 – 8 K 2103/19 –, juris, Rn. 35.
41Dass die Antragsteller ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf ihren Sohn noch nicht ausgeschöpft haben, ergibt sich ferner aus der von ihnen selbst vorgelegten psychotherapeutischen Empfehlung der Dr. H. vom 17. April 2021. Danach wolle der Sohn der Antragsteller auf keinen Fall mehr in die Schule gehen und sei seine Erleichterung groß gewesen, als seine Eltern – die Antragsteller – sich entschlossen hätten, ihn in seinem Wunsch, nicht mehr zur Schule zu gehen, ernst zu nehmen und ihn der wahrnehmbaren Belastungssituation nicht mehr auszusetzen. Hieraus wird deutlich, dass die Antragsteller ihre Einwirkungen auf ihren Sohn betreffend einen Schulbesuch eingestellt haben und gerade nicht mehr versuchen, ihn zu einem Schulbesuch zu bewegen, geschweige denn gegen seinen Willen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wahrnehmung der Schulpflicht zu ermöglichen. Dafür, dass die Antragsteller nicht alles ihnen Mögliche getan haben, den Schulbesuch ihres Sohnes dauerhaft herbeizuführen, sprechen auch die Äußerungen der Antragstellerin zu 1., die sie während der kurzfristigen Anwesenheit ihres Sohnes im Mai 2020 in der Gemeinschaftsgrundschule J. C. getätigt hat. So hat sie auf entsprechende Nachfrage der Schule angegeben, ihren Sohn nicht auf seinen ersten Schultag an einer Regelschule und die damit verbundenen Strukturen, Abläufe etc. vorbereitet zu haben. Auch haben die kurzen Besuchssequenzen an der Schule gezeigt, dass die Antragstellerin zu 1. ihren Sohn auch im Übrigen ausschließlich nach dessen Willen agieren lässt.
42Vor diesem Hintergrund ist mit Blick auf die Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden, dass sich das Schulamt zum Erlass einer Schulbesuchsanordnung entschlossen hat. Seine diesbezüglichen Ermessenserwägungen sind sachgerecht. Eine abweichende Einschätzung ist auch nicht vor dem Hintergrund des Beschlusses des Amtsgerichts N. vom 20. Mai 2021 – 00 XXx - 000 Xx 0000/00-000/00 – geboten, mit dem ein gegen die Antragsteller wegen des Fernbleibens des Sohnes der Antragsteller von der Schule eingeleitetes Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt wurde. Ungeachtet des Umstandes, dass das erkennende Gericht an die diesbezügliche Begründung bzw. die Überlegungen des Amtsgerichts nicht gebunden ist, hat das Amtsgericht die Einstellung unter anderem darauf gestützt, dass die Bußgeldbescheide nur einen überschaubaren Zeitraum von ca. einem Monat betreffen. J. Übrigen hat selbst das Amtsgericht ausgeführt, dass, sollte der Sohn der Antragsteller die Schule über einen längeren Zeitraum weiter nicht besuchen – was nunmehr der Fall ist –, sicherlich eine Verurteilung (in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren) notwendig würde und zudem weitere Verwaltungsmaßnahmen wie die zwangsweise Zuführung seitens der Verwaltungsbehörde zu prüfen seien.
43Schließlich ist unbedenklich, dass die im ersten Tenorpunkt der angefochtenen Ordnungsverfügung auferlegte Verpflichtung auf die Teilnahme am Unterricht der Schule J. C. konkretisiert worden ist. Denn (nur) zu dieser Schule besteht derzeit ein Schulverhältnis. Das Recht des Sohnes der Antragsteller, seine Schulpflicht im Anschluss an eine entsprechende Ummeldung an einer anderen Schule zu erfüllen, bleibt davon unberührt.
44Soweit das Schulamt in der mit der Klage angefochtenen Ordnungsverfügung auch eine Zwangsgeldandrohung erlassen hat, begegnet diese ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 41 Abs. 5 SchulG NRW i.V.m. §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW. Insoweit hat das Schulamt den Antragstellern insbesondere eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung gesetzt (§ 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW), die mit Blick auf das verfolgte Ziel (Durchsetzung der Schulpflicht) auch nicht unangemessen kurz scheint. Ebenso ist die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (vgl. § 60 Abs. 1 VwVG NRW) unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt Ziffern 1.5 und 1.7.2 der Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
46Rechtsmittelbelehrung:
47(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
48Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
49Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
50Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
51Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
52Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
53(2) Prozesskostenhilfe bewilligende Beschlüsse sind für die Beteiligten unanfechtbar. Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sind für die Beteiligten unanfechtbar, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint. Im Übrigen kann gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich, als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. Insoweit ist die Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts oder eines Rechtslehrers an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt im Beschwerdeverfahren nicht erforderlich.
54Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
55(3) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
56Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
57Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
58Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
59Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
60War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 18 K 6186/21 3x (nicht zugeordnet)
- 4 UF 228/10 1x (nicht zugeordnet)
- § 112 JustG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 3x
- § 40 SchulG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 55 bis 65 VwVG 11x (nicht zugeordnet)
- § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 28 Anhörung Beteiligter 2x
- § 41 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 SchulG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 8 K 2103/19 1x (nicht zugeordnet)
- XII ZB 81/09 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge 1x
- § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 794/86 1x (nicht zugeordnet)
- 16 B 718/13 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 34 Abs. 1 und 2, 35, 37 Abs. 1 SchulG 4x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 46 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern 1x
- 19 A 33/18 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG 4x (nicht zugeordnet)
- 1 L 180/16 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 760/16 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 67 1x
- §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 000 Xx 0000/00 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1827/06 1x (nicht zugeordnet)
- 10 UF 176/09 1x (nicht zugeordnet)
- § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 311/08 1x (nicht zugeordnet)
- 19 E 555/16 1x (nicht zugeordnet)
- 10 B 616/08 1x (nicht zugeordnet)
- 19 B 1756/19 3x (nicht zugeordnet)
- 8 L 747/19 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 1575/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2388/11 1x (nicht zugeordnet)
- § 41 Abs. 5 SchulG 3x (nicht zugeordnet)