Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 5 K 2289/17

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (5 K 2288/17) gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.03.2017 wird angeordnet, soweit dem Antragsteller darin die Abschiebung nach Syrien angedroht wurde.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die gerichtlichen Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst.

Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Nach den in der Antragsschrift gestellten Anträgen begehrt der Antragsteller in diesem Verfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage - 5 K 2288/17 - (allein) gegen die im Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 06.03.2017 unter Nr. IV. ausgesprochene Abschiebungsandrohung nach Syrien (1.) sowie die Erteilung einer „Aufenthaltsgestattung mit Beschäftigungserlaubnis für die voraussichtliche Dauer des Hauptsacheverfahrens“ (2.).
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO und § 12 LVwVG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung nach Syrien ist zulässig und begründet, soweit sich dieser Antrag gegen die Bestimmung des Zielstaats „Syrien“ in der Abschiebungsandrohung richtet. Im Übrigen ist er unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
1.1 Nach § 59 Abs. 2 Halbsatz 1 AufenthG „soll“ in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Grundsätzlich hängt die Rechtmäßigkeit einer solchen Bezeichnung des Abschiebezielstaats nicht von der Frage ab, ob der Abschiebungserfolg gewährleistet ist oder ob der Abschiebung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; vgl. Haedicke, in: HTK-AuslR, Stand: 07.11.2016, § 59 Abs. 2 AufenthG RdNrn. 58 ff., m.w.N.). Ausnahmsweise gilt jedoch etwas anderes und ist eine Abschiebungsandrohung hinsichtlich des konkret bezeichneten Zielstaats dann rechtswidrig, wenn zweifelsfrei feststeht, dass eine Androhung auf Vorrat den vom Gesetzgeber verfolgten Ermächtigungszweck ausnahmsweise verfehlt, weil eine zwangsweise Abschiebung und eine freiwillige Rückkehr in diesen Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich erscheinen. Unter diesen Umständen ist es weder verfahrensökonomisch noch entspricht es dem Ziel einer auf alsbaldige Durchsetzung der Ausreisepflicht gerichteten Abschiebungsandrohung, ein Gerichtsverfahren zur Klärung der praktisch bedeutungslosen, rein theoretischen Frage durchzuführen, ob eine auf unabsehbare Zeit undurchführbare Abschiebung des Ausländers in den betreffenden Zielstaat im Übrigen rechtmäßig ist. Bei einer derartigen Verfahrenskonstellation darf das Gericht vielmehr die Abschiebungsandrohung hinsichtlich des bestimmten Zielstaats als rechtswidrig aufheben (vgl. hierzu - auch in Bezug auf den Wortlaut - BVerwG, Urteil vom 10.07.2003, NVwZ 2004, 352, m.w.N.; Haedicke, a.a.O., § 59 Abs. 2 AufenthG RdNr. 62).
Ein derartiger Ausnahmefall von der „Soll“-Bestimmung des § 59 Abs. 2 Halbsatz 1 AufenthG liegt hier vor. Der Kammer ist aus zahlreichen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger bekannt, dass eine Abschiebung nach Syrien gegenwärtig und auf absehbare Zeit sowohl rechtlich unmöglich ist, weil den Betreffenden dort im Fall einer Rückkehr nach langjährigem Aufenthalt in einem europäischen Staat (zumindest) ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG und § 60 Abs. 2 AufenthG, wenn nicht gar politische Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG droht, als auch - vor allem - bereits seit Jahren tatsächlich unmöglich ist und es keine Anzeichen gibt, die zur Annahme berechtigten, dass sich dieser Umstand in absehbarer Zeit ändern könnte. Dieser Umstand, der bereits aufgrund der öffentlichen Diskussion infolge der Masseneinwanderung syrischer Flüchtlinge allgemein bekannt ist, muss auch den Ausländerbehörden des Antragsgegners bekannt sein und ist ihnen, wie das Schreiben des Regierungspräsidiums Freiburg vom 28.04.2017 belegt, auch bekannt. In diesem Schreiben wird ausgeführt, dass straffällige Syrer zwar vom Abschiebestopp grundsätzlich ausgenommen seien, dass deren Abschiebung jedoch derzeit aufgrund fehlender Flugverbindung nicht möglich sei. Eine solche Flugverbindung ist auch in absehbarer Zukunft nicht in Sicht.
1.2 Die nach den Ausführungen zu 1.1 gegebene Rechtswidrigkeit der Zielstaatsbestimmung berührt zwar nicht die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen, wie sich u. a. aus den Regelungen in § 59 Abs. 3 AufenthG ergibt (vgl. hierzu auch Haedicke, a.a.O., § 59 AufenthG RdNr. 63). Doch sieht die Kammer von einer weitergehenden Überprüfung der Abschiebungsandrohung ab, weil dem Antragsteller hierfür das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn ohne Angabe eines konkret bezeichneten Zielstaats besitzt eine Abschiebungsandrohung keinen echten Regelungscharakter, sondern stellt lediglich einen vorläufigen unverbindlichen Hinweis dar, aus dem sich keine wirklich belastenden Rechtsfolgen ergeben. Dieser Hinweis, mit dem nicht mehr erreicht werden kann als mit dem allgemeinen Hinweis auf andere aufnahmebereite Staaten, soll dem Ausländer lediglich klar machen, dass er nach späterer ausdrücklicher Bezeichnung eines Zielstaats abgeschoben werden kann. Vor einer Durchführung der Abschiebung muss der konkrete Zielstaat allerdings so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass der Ausländer gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann. Solange ein Zielstaat, hier ein Staat, in den eine Abschiebung tatsächlich oder zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit durchgeführt werden kann, nicht feststeht, kann eine Abschiebung schon aus tatsächlichen Gründen nicht erfolgen. Dementsprechend kann auch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässigerweise erst dann gestellt werden, wenn dem ausreisepflichtigen Ausländer die Abschiebung im Hinblick auf ein konkretes Ziel angedroht worden ist (so zum Ganzen u. a. VG Augsburg, Beschluss vom 10.04.2017 - Au 7 S 17.31302 -, juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 25.07.2000, NJW 2000, 3798).
2. Soweit der Antragsteller in diesem Verfahren des Weiteren - bei sachdienlicher Auslegung seines Antrags im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO - die Erteilung einer „Aufenthaltsgestattung mit Beschäftigungserlaubnis für die voraussichtliche Dauer des Hauptsacheverfahrens“ begehrt, kann der Antrag - abgesehen davon, dass eine „Aufenthaltsgestattung“ anders als ein Aufenthaltstitel kein Verwaltungsakt, sondern ein kraft Gesetzes bestehendes Aufenthaltsrecht ist und nur für Asylbewerber während der Dauer ihres Asylverfahrens gilt - schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Erteilung eines Aufenthaltstitels eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache bedeutete (vgl. hierzu Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, VwGO, § 123 RdNr. 13 ff.). Darüber hinaus verkennt der Antragsteller die Wirkungen der im angegriffenen Bescheid ausgesprochenen Ausweisung, zu denen auch gehört, dass ihm kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf (siehe § 11 Abs. 1 AufenthG). Diese Ausweisung ist ausweislich des ausdrücklich gestellten Antrags und seiner Begründung nicht Gegenstand dieses Verfahrens; im Übrigen verweist die Kammer wegen der Wirkungen der Ausweisungen auch im Fall einer evtl. Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 und § 63 Abs. 2 GKG.

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