Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 10 K 2517/20

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage - 10 K 2516/20 - des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26.06.2020 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 28.07.2020 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 26.06.2020 anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 12 Satz 1 LVwVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Klage fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden, nachdem der streitgegenständliche Bescheid dem ehemaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen Empfangsbekenntnis am 02.07.2020 zugestellt worden ist.
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Das private Interesse des Antragstellers, bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache von einer Abschiebung nach Nigeria verschont zu bleiben, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung. Dies folgt aus der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage. Nach dieser spricht Überwiegendes dafür, dass die Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung Aussicht auf Erfolg hat.
1. Die Abschiebungsandrohung dürfte bereits in formeller Hinsicht rechtswidrig sein. Denn das Regierungspräsidium Karlsruhe dürfte nicht die für ihren Erlass zuständige Behörde sein. Nach § 71 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 1 AAZuVO ist das Regierungspräsidium Karlsruhe zwar bei vollziehbar ausreisepflichtigen sonstigen Ausländern landesweit insbesondere für den Erlass von Abschiebungsandrohungen zuständig. Bei dem Antragsteller handelt es sich jedoch voraussichtlich nicht um einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer. Es greifen vielmehr die allgemeinen Zuständigkeitsregeln nach § 71 Abs. 1 AufenthG i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 2 AAZuVO. Danach ist die untere Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts des Ausländers unter anderem für den Erlass von Abschiebungsandrohungen im Zusammenhang mit der Ablehnung von Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln zuständig. Da der Antragsteller in Lörrach seinen Wohnsitz genommen hat und er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Abkommen vom 21.06.1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (BGBl. II 2001 S. 810 - FreizügkAbk EU/Schweiz -) begehrt, ist allein die Stadt Lörrach für den Erlass einer Abschiebungsandrohung zuständig (s. zum Ganzen unter Ziff. 2.b.bb.).
2. Nach summarischer Prüfung dürfte sich die Abschiebungsandrohung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht als rechtswidrig erweisen.
a. Rechtsgrundlage der verfügten Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Dabei muss weder die Abschiebung im Sinne des § 58 Abs. 1 AufenthG selbst vollziehbar sein noch - unter Berücksichtigung der Vorgaben der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG - die Ausreisepflicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2013 - 11 S 581/13 - juris Rn. 21; Kluth, in: BeckOK AuslR, 26. Ed. 01.07.2019, AufenthG, § 59 Rn. 7 ff., insb. Rn. 10; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG, § 59 Rn. 14).
b. Der Antragsteller dürfte nicht ausreisepflichtig sein. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Vorliegend verfügt der Antragsteller zwar weder über einen Aufenthaltstitel noch über ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei. Ein Aufenthaltstitel wurde ihm in Deutschland nie erteilt. In der Vergangenheit wurde er lediglich geduldet. Er ist auch nicht vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AufenthG i. V. m. § 28 Satz 1 AufenthV befreit (aa.). Allerdings dürfte er nach überschlägiger Prüfung der Sach- und Rechtslage solange nicht ausreisepflichtig sein, wie ihm die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Rechts aus Art. 4, Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz nicht amtlich mitgeteilt wurde (bb.).
aa. Der Antragsteller ist nicht vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Var. 2 AufenthG i. V. m. § 28 Satz 1 AufenthV befreit. Nach diesen Vorschriften sind allein Staatsangehörige der Schweiz nach Maßgabe des FreizügkAbk EU/Schweiz vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. In den Genuss dieses - rein deklaratorischen - Rechts aus § 28 AufenthV kommen folglich unmittelbar nur die Ehefrau und die zwei Kinder des Antragstellers, nicht aber der Antragsteller selbst, der die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzt.
bb. Der Antragsteller dürfte allerdings solange nicht ausreisepflichtig sein, wie ihm die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund des Rechts aus Art. 4, Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz nicht amtlich mitgeteilt wurde.
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Nach Art. 4 FreizügkAbk EU/Schweiz wird das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit vorbehaltlich des Artikels 10 nach Maßgabe des Anhangs I eingeräumt. Nach Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz, Art. 1 Abs. 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz ist dabei nicht nur den Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien, sondern unter anderem auch deren Familienangehörigen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit die Einreise in ihr Hoheitsgebiet gegen Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses gestatten. Nach Art. 2 Abs. 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz haben die Staatsangehörigen einer Vertragspartei unbeschadet der für die Übergangszeit gemäß Art. 10 FreizügkAbk EU/Schweiz und Kapitel VII des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz geltenden Bestimmungen das Recht, sich nach Maßgabe der Kapitel II bis IV im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei aufzuhalten und dort eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Zum Nachweis dieses Rechts wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt oder eine Sonderbescheinigung für Grenzgänger ausgestellt. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Nach Art. 3 Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz dürfen die Vertragsparteien für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige eines Staatsangehörigen einer Vertragspartei nur die dort ausdrücklich unter Buchst. a) bis c) genannten Unterlagen verlangen.
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Offen bleiben kann vorliegend, ob dem Antragsteller nach diesen Maßgaben ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zusteht. So ist er zwar im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz Familienangehöriger von schweizerischen Staatsangehörigen. Seine schweizerische Ehefrau und seine zwei minderjährigen schweizerischen Kinder sind auch in die Bundesrepublik Deutschland gezogen. Ferner hat der Antragsteller gemeinsam mit ihnen in Lörrach Wohnung genommen. Da seine Ehefrau - weiterhin - in der Schweiz einer abhängigen Beschäftigung nachgeht, dürfte sie entweder - jedenfalls formal - eine abhängig beschäftigte Grenzgängerin im Sinne des Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz sein, die gemäß Abs. 2 Satz 1 der genannten Vorschrift keine Aufenthaltserlaubnis benötigt, oder sie ist eine Person, die keine Erwerbstätigkeit im Aufenthaltsstaat ausübt im Sinne des Art. 24. Abs. 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz. Nur in letzterem Falle würde die Ehefrau des Antragstellers der ausgestellten Aufenthaltserlaubnis (VAS 83 f.) bedürfen. Auch dürfte der Antragsteller die nach Art. 3 Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz erforderlichen Unterlagen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgelegt haben (VAS 9-23).
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Allerdings könnte fraglich sein, ob sich der Antragsteller überhaupt auf das Einreise- und Aufenthaltsrecht nach dem FreizügkAbk EU/Schweiz berufen kann. Gegen die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des FreizügkAbk EU/Schweiz könnte der Sinn und Zweck des FreizügkAbk EU/Schweiz sprechen, demnach Freizügigkeit für EU-Bürger in der Schweiz und für Schweizer Bürger in den Mitgliedstaaten der EU hergestellt werden soll (vgl. Hailbronner, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand: 49. EL November 2019, D.I. Grundregeln Rn. 22). Sinn und Zweck des FreizügkAbk EU/Schweiz dürfte es demgegenüber nicht sein, dass der Antragsteller durch dessen Anwendung bessergestellt ist, als er stünde, wenn er mit seiner schweizerischen Familie weiterhin in der Schweiz wohnen würde (vgl. zu den Zielen des FreizügkAbk EU/Schweiz Zeitler, HTK-AuslR / EU-Recht / Freizügigkeitsabkommen EU/Schweiz, Stand: 18.11.2016, Rn. 5). Dies folgt aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 2 FreizügkAbk EU/Schweiz, das allein eine Schlechterstellung des Staatsangehörigen einer Vertragspartei in dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei verbietet. Im Hinblick auf den Familienangehörigen, der sein Einreise- und Aufenthaltsrecht von dem Staatsangehörigen einer Vertragspartei ableitet, kann nichts Anderes gelten. Ist danach aber gerade die Ausübung der Freizügigkeit Sinn und Zweck des FreizügkAbk EU/Schweiz, dürfte von ihr wohl auch in materieller Hinsicht Gebrauch gemacht werden müssen. Vorliegend bestehen Zweifel, ob die Ehefrau des Antragstellers und - von ihr abgeleitet - der Antragsteller von ihrem Recht auf Freizügigkeit in materieller Hinsicht Gebrauch gemacht haben. Denn nach Aktenlage haben sie mit ihren Kindern in der Bundesrepublik Deutschland Wohnsitz genommen, unmittelbar nachdem die schweizerische Niederlassungsbewilligung des Antragstellers wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten mit Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 26.08.2018 rechtskräftig widerrufen und der Antragsteller rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen wurde. Auch hat die Ehefrau des Antragstellers weder eine Erwerbstätigkeit in Deutschland ergriffen - sie arbeitet vielmehr weiterhin in der Schweiz - noch sind sonstige Gründe vorgetragen oder ersichtlich, die die Familie zu einem Umzug in die Bundesrepublik Deutschland bewogen haben könnten. Folglich erscheint es jedenfalls nicht fernliegend, dass die gesamte Familie ihren Wohnsitz nur deshalb in die Bundesrepublik verlegt hat, um einer Vollstreckung der ausländerrechtlichen Maßnahmen gegen den Antragsteller in der Schweiz zu entgehen. In solch einer Konstellation, in der einiges dafürspricht, dass das Freizügigkeitsrecht zu freizügigkeitsfremden Zwecken in Anspruch genommen wird, könnte ein Rechtsmissbrauch in Form der Zweckverfehlung des Freizügigkeitsrechts zu erwägen sein (vgl. Art. 35 der Richtlinie 2004/38/EG und § 2 Abs. 7 FreizügG/EU; vgl. weiter EuGH, Urteile vom 14.12.2000 - C-110/99 - juris Rn. 52 f. und vom 09.03.1999 - C-212/97 - juris Rn. 25; Hailbronner, AuslR, 100. Akt. März 2017, § 2 FreizügG/EU Rn. 142 ff. m. w. N.). Im Ergebnis kann hier jedoch dahinstehen, ob sich der Antragsteller dem Grunde nach auf ein Einreise- und Aufenthaltsrecht nach Art. 4, Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz berufen kann.
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Spätestens nachdem der Antragsteller nach telefonischer Auskunft der Stadt Lörrach (s. den Aktenvermerk der Berichterstatterin vom 25.09.2020, GAS 75) unter dem 28.02.2020 einen - nicht fristgebundenen - Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt hat, dürfte ihm die Entscheidung über die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis zwingend gemäß Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz, Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 7 Satz 1 der Richtlinie 64/221/EWG (vgl. Art. 30 und 31 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 bzw. Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG) amtlich mitzuteilen sein. Denn in Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz wird ausdrücklich auf die Richtlinie 64/221/EWG [ABl. L 56 S. 850] Bezug genommen, die wiederum in ihrem Art. 7 Satz 1 ausdrücklich eine amtliche Mitteilung der Entscheidung über die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis fordert. Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG [ABl. L 158 S.77] aufgehoben wurde. Denn das FreizügkAbk EU/Schweiz bedient sich einer statischen Verweisungstechnik (vgl. auch Art. 16 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz).
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Fehlt es an solch einer amtlich mitgeteilten Entscheidung dürfte die Ausreisepflicht gemäß Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz, Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 64/221/EWG vorläufig nicht bestehen. Denn hiernach kann sich der Familienangehörige, der nicht die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt, bis zur Entscheidung über die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis vorläufig im Hoheitsgebiet aufhalten. Dass derzeit keine Ausreisepflicht besteht, dürfte aufgrund des in Art. 2 FreizügkAbk EU/Schweiz verankerten Nichtdiskriminierungsgrundsatzes und der in Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz statuierten Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht auch aus dem als Auslegungshilfe heranziehbaren § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU folgen. Denn nach Art. 2 FreizügkAbk EU/Schweiz werden Staatsangehörige einer Vertragspartei, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, bei der Anwendung dieses Abkommens gemäß den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert. Im Hinblick auf die Entwicklung dieses Freizügigkeitsrechts ist in Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz festgehalten, dass die Vertragsparteien alle erforderlichen Maßnahmen treffen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden. Folglich wird den Schweizer Bürgern ein im Wesentlichen dem EU-Freizügigkeitsrecht entsprechendes Recht auf Einreise und Aufenthalt eingeräumt. Damit dürfte es aber einer in einem förmlichen Verfahren ergangenen Feststellung des Nichtbestehens bzw. der Verweigerung des Rechts auf Aufenthalt nach Art. 4, Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz bedürfen (vgl. Hailbronner, AuslR, 100. Akt. März 2017, § 7 FreizügG/EU Rn. 4, 14; VG Bayreuth, Beschluss vom 14.02.2019 - B 6 S 19.74 - juris Rn. 26 jew. m. w. N.). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Stadt Lörrach hat der Kammer auf eine entsprechende Nachfrage mitgeteilt, über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bislang nicht entschieden zu haben.
15 
Dass der Antragsteller für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland kein Einreisevisum besaß - welches nach Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzen, verlangt werden darf -, dürfte nicht dazu führen, dass eine Feststellung des Nichtbestehens bzw. der Verweigerung des Aufenthaltsrechts entbehrlich wäre. Denn das Erfordernis einer amtlichen Mitteilung gemäß Art. 16 Abs. 1 FreizügkAbk EU/Schweiz, Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 7 Satz 1 der Richtlinie 64/221/EWG gilt dem Wortlaut und Telos nach einschränkungslos für jede Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis. Dies dürfte ungeachtet des Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz gelten, wonach die betreffende Vertragspartei diesen Personen alle Erleichterungen für die Beschaffung der gegebenenfalls benötigten Visa gewähren. Im Übrigen dürfte die Legalität der Einreise für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Wortlaut der Art. 4, Art. 7 Buchst. d) FreizügkAbk EU/Schweiz i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 des Anhangs I FreizügkAbk EU/Schweiz wohl keine Voraussetzung sein.
16 
Über das Erfordernis einer förmlichen Nichtbestehens- bzw. Verweigerungsentscheidung dürfte schließlich wohl ebenfalls nicht hinweghelfen, dass der Antragsteller von der Schweiz am 13.12.2018 nach Art. 24 VO EG Nr. 1987/2006 (SIS II-VO) im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung in den Schengenraum ausgeschrieben wurde (VAS 119 ff.). Denn auch insofern dürfte das soeben Gesagte Geltung beanspruchen. Daneben dürften die auf den Einzelfall bezogenen Ausführungen des Antragsgegners, wonach im Falle des Antragstellers auch in der Bundesrepublik Deutschland das Ausweisungsinteresse schwer wiege, keine weitere Bewandtnis haben. Dies dürfte umso mehr gelten, als der Antragsgegner nicht - wie gemeinschaftsrechtlich gefordert - dargelegt hat, dass von der Anwesenheit des Antragstellers in seinem Hoheitsgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgehe (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 31.01.2006 - C-503/03 - juris Rn. 52 ff.; Hailbronner, AuslR, 100. Akt. März 2017, § 2 FreizügG/EU Rn. 99).
II.
17 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
18 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei war der Streitwert auf die Hälfte zu reduzieren, weil dem Antragsteller nicht bereits zuvor legal eine längere Aufenthaltsperspektive eröffnet worden war (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 19.07.2019 - 11 S 1812/19 - juris Rn. 5 f. und vom 24.09.2007 - 11 S 561/07 - juris Rn. 11).

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