Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - 10 K 1661/19

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.03.2019 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der am ...1996 in Idlib (Syrien) geborene ledige und kinderlose Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 28.08.2015 in das Bundesgebiet ein, wo das Bundesamt für Migration und Flüchtling (fortan: Bundesamt) seinen Asylantrag am 28.10.2015 förmlich aufnahm. Mit Bescheid vom 05.11.2015 erkannte ihm das Bundesamt – im schriftlichen Verfahren – die Flüchtlingseigenschaft zu. Diese Entscheidung beruhte im Wesentlichen darauf, dass allgemein in allen Landesteilen Syriens politische Verfolgung von Regierungsseite und von Seiten der Rebellen stattfinde.
Seit dem 29.12.2015 war der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG, die bis zum 28.12.2018 gültig war. Am 12.11.2018 beantragte er die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Zwecken „wie bisher“. Seitdem ist er im Besitz einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, da ihm eine Aufenthaltserlaubnis unter Berufung auf § 79 Abs. 2 AufenthG vorerst nicht mehr erteilt wurde. Hintergrund dieser Aussetzung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis war, dass das Landeskriminalamt Baden-Württemberg (fortan: Landeskriminalamt) im Oktober 2017 das Regierungspräsidium Freiburg (fortan: Regierungspräsidium) darüber in Kenntnis setzte, dass der Kläger im Juli 2016 als Imam das Freitagsgebet in der „...“-Moschee, die vom „... e.V.“ getragen wird, mit einer Schlussformel beendet habe, mit der er allen Mujaheddin auf der Welt wünsche, dass Gott ihnen zum Sieg verhelfe.
Von dieser Äußerung unterrichtete das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (fortan: Verfassungsschutz) auch das Polizeipräsidium ..., das die Staatsanwaltschaft ... um rechtliche Prüfung und gegebenenfalls Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bat. Mit Schreiben vom 12.04.2018 teilte diese dem Regierungspräsidium mit, dass sie das gegen den Kläger wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten geführte Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 22.08.2016 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe (Az. ...). Der „... ...“ genannte Kläger habe in seiner Funktion als Imam der „...“-Moschee in ... im Freitagsgebet um göttlichen Beistand für alle Mujaheddin gebeten. Seine Äußerungen hätten jedoch keine strafrechtliche Relevanz, insbesondere, weil sie keinen konkreten Bezug zu einzelnen Taten erkennen ließen.
Am 06.10.2016 wurde der Zeuge ... polizeilich zum Kläger und Vorkommnissen in der Flüchtlingsunterkunft in Waldkirch, in die dieser verwickelt gewesen sein soll, befragt.
Mit Bericht vom 23.08.2018 übermittelte der Verfassungsschutz dem Regierungspräsidium die folgenden näheren Erkenntnisse:
- Der Kläger sei überzeugter, strenger Salafist und Imam der salfistisch geprägten „...“-Moschee in .... Er pflege Kontakte zu Personen aus der salafistisch und jihadistisch orientierten Szene und gebe in der genannten Moschee Islamunterricht.
- Bei Freitagsgebeten, bei denen mitunter mehr als 1.000 Zuhörer anwesend seien, befürworte und verherrliche er immer wieder islamistischen Terrorismus und Jihadismus. Am Ende eines Freitagsgebet in arabischer Sprache bitte er üblicherweise um Gottes Segen für die Mujaheddin in Syrien und der islamischen Welt. Dabei gebe es Zustimmungsbekundungen aus dem Auditorium.
- Der vom Kläger genutzte Facebook-Account habe zumindest im August 2017 „Likes“ zu den Facebook-Profilen von IS-Sympathisanten und verschiedenen salafistischen Predigern aufgewiesen, unter anderem zum Facebook-Profil von Pierre Vogel.
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Konkret habe der Kläger folgende Äußerungen getätigt:
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- Am 08.07.2016 habe der Kläger im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Allah hilf (im Sinne von 'verleihe den Sieg') den Mujaheddin im Osten der Erde / auf der ganzen Welt / im Westen der Erde und zwar unseren Brüdern in Syrien, im Irak und in Afrika und Somalia.“
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- Im April 2017 habe der Kläger im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee über den „Jihad“ gesprochen und geäußert, dass der Islam als Gesellschaftsform auch die westlichen Staaten überziehen werde.
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- Am 12.05.2017 habe der Kläger vor etwa 1.000 Besuchern in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Wir sind richtige und internationale Salafisten. [...] Für einen toten Europäer heult die ganze Welt, für 200 tote Menschen in Syrien, einschließlich einem Scheich und Kindern, interessiert sich niemand.“ Darüber hinaus habe der Kläger bei dieser Rede den Salafismus als einzig wahre Religion gegenüber allen anderen Religionen positioniert, wobei er auch schiitische Muslime ausgeschlossen habe. Nach der Predigt sei der Gemeinde Zeit für Fragen an den Imam, den Kläger, zur Verfügung gestellt worden. Seine Antworten seien an der Weltsicht des Salafismus orientiert gewesen. Zur Rolle der Frau habe er beispielsweise geäußert, dass diese ihren Platz ausschließlich im Haus habe und nur vollverschleiert auftreten dürfe. Eine Frau, welche das Haus verlasse, sei den Ideen der Lehren der deutschen Gesellschaft ausgesetzt und dies sei nicht gut. Der Ehemann brauche nicht zu arbeiten und müsse sich seinen religiösen Pflichten widmen. Zu den Kindern habe er gesagt, dass diese zwingend die Moschee besuchen müssten, um sich mit dem Islam und dem Koran zu beschäftigen.
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- Am 15.06.2018 habe er in der genannten Moschee vor etwa 1.200 Zuhörern sinngemäß geäußert: „Allah beschütze die Mujaheddin in der arabischen Welt. Allah befreie die Mujaheddin aus den Gefängnissen.“
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Außerdem merkte der Verfassungsschutz an, dass die „...“-Moschee in ... hauptsächlich von Personen frequentiert werde, die aus dem arabischen, maghrebinischen und indo-pakistanischen Kulturraum stammten. Auch deutsche Konvertiten zählten zu den Besuchern. In den letzten Jahren hätten in der Moschee vermehrt Vortragsveranstaltungen mit salafistischen Predigern stattgefunden. Salafisten seien in der Moschee bereits seit Jahrzehnten präsent. Teile des Vorstandes und auch der Imam seien salafistisch geprägt.
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Laut eines Aktenvermerks des Regierungspräsidiums vom 19.09.2018 sei der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG mit dem Innenministerium Baden-Württemberg erörtert worden, das jedoch der Auffassung gewesen sei, der Fall gebe „derzeit nicht genügend“ her.
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Mit Schreiben vom 19.09.2018 hörte das Regierungspräsidium den Kläger zu einer möglichen Ausweisung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG an. Hieraufhin nahm der Kläger, nachdem dessen Prozessbevollmächtigter Akteneinsicht genommen hatte, mit Schreiben vom 16.11.2018 umfänglich Stellung.
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Am 10.10.2018 fand vor dem Bundesamt ein Gespräch über die Prüfung statt, ob ein Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahren einzuleiten sei. Dabei äußerte der Kläger unter anderem, dass er nahezu sein ganzes Leben in Idlib (Syrien) gelebt habe. Seine Eltern und vier seiner Geschwister lebten noch dort. Ein Bruder wohne im Libanon. Nur 2014–2015 habe er für ein Jahr in Homs Pharmazie studiert.
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Am 18.02.2019 wurde der Zeuge ... polizeilich zum Kläger und Vorkommnissen im Rahmen eines Integrationskurses, bei dem dieser auffällig geworden sein soll, befragt.
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Mit Bescheid vom 13.03.2019, laut Empfangsbekenntnis zugestellt am 18.03.2019, wies das Regierungspräsidium den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1) und lehnte den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 2). Gleichzeitig verpflichtete es den Kläger, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und beschränkte den Aufenthalt auf die ... ... (Ziffer 3). Die Wirkungen der Ausweisung befristete es auf fünf Jahre ab Ausreise (Ziffer 4).
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Zur Begründung führte das Regierungspräsidium aus: Nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG wiege das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn ein Ausländer zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufrufe. Hiervon sei auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirke, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet sei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachele (lit. a), Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich mache und dadurch die Menschenwürde anderer angreife (lit. b) oder Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billige oder dafür werbe (lit. c), es sei denn, der Ausländer nehme erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand. Durch seine Äußerungen erfülle der Kläger diesen Tatbestand. Er habe in öffentlichen Versammlungen in einer Weise, die geeignet sei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, sowohl Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht und dadurch die Menschenwürde anderer angegriffen als auch Verbrechen gegen den Frieden und terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht gebilligt. Entsprechend der Gesetzesbegründung solle der Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens in Deutschland durch die Einordnung der oben genannten Verhaltensweisen als besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse möglichst frühzeitig und wirkungsvoll entgegengetreten werden. Indem der Kläger öffentlich Gottes Segen für die Mujaheddin erbeten bzw. Gott gebeten habe, er möge diesen zum Sieg verhelfen, sie beschützen und aus den Gefängnissen befreien, habe er seinen Zuhörern suggeriert, dass das durch Gewalt und äußerste Brutalität gekennzeichnete Vorgehen dieser Gruppierung/en für den „Jihad“ notwendig und richtig sei. Dies sei mit westlichen Normen und insbesondere der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren. Bei den Mujaheddin handele es sich nach herrschender bzw. allgemeiner Definition um Kämpfer im „Heiligen Krieg“ gegen Ungläubige. Der Begriff Mujaheddin werde im Zusammenhang mit dem Islam verwandt und bezeichne in der Regel islamistische Kämpfer oder islamische Guerilla-Gruppierungen. Islamische Widerstandskämpfer und Terrorgruppen bezeichneten sich selbst als Mujaheddin. Je nach Herkunfts- oder Einsatzgebiet gebe es regionale (Zusatz-)Bezeichnungen (z.B. Mujaheddin in Afghanistan, im Irak, in Syrien usw.). Jihadistische Salafisten beriefen sich vornehmlich auf den „kleinen Jihad“. Sie interpretierten den „Jihad“ als einen gewalttätigen Kampf und damit als „Heiligen Krieg“ und sähen sich als „Gotteskrieger“ oder „Kämpfer für die Sache Allahs“. Für sie rechtfertige der Islam Gewalttaten oder sie würden zu einem „Befehl Allahs“ erklärt. Jihadisten riefen weltweit zum Kampf gegen die vermeintlichen Feinde des Islams auf. Gewalttäter, die bei Kampfeinsätzen getötet würden, berühmten sich als „Märtyrer“ für die Sache Gottes. Dagegen verbiete der Islam nach Auffassung religiöser Autoritäten, und anders als von Jihadisten behauptet werde, sowohl Mord als auch Selbstmord. Auch der bewaffnete Kampf (um muslimische Gebiete zu verteidigen) sei nur unter eng definierten Bedingungen zulässig. Religionsgelehrte müssten den bewaffneten Kampf zudem ausdrücklich billigen. Führende Terroristen wie einst Osama bin Laden oder der Anführer des sogenannten Islamischen Staates, Abu Bakr al-Baghdadi, seien jedoch keine Rechtsgelehrten. Deshalb seien sie (nach islamischer Auffassung) nicht befugt, einen gewaltsamen „Jihad“ auszurufen oder für ihn zu werben. Terrorismus – also die Ausübung schwerster Gewalttaten gegen Menschen und Einrichtungen – sei unter keinen Bedingungen mit den islamischen Normen vereinbar. Die Äußerungen des Klägers stünden danach auch in deutlichem Widerspruch zum Islam bzw. würden von diesem nicht gebilligt. Der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG sei aber auch durch die öffentlichen Ausführungen des Klägers zur Rolle von Mann und Frau erfüllt. Dessen hierzu geäußerte Ansichten entsprächen nicht in Ansätzen einer freiheitlichen, demokratischen und offenen Gesellschaftsstruktur, in der die Entwicklung des Einzelnen ohne Zwang und Unterdrückung möglich sei und die durch das Grundgesetz, aber auch durch das Aufenthaltsgesetz geschützt werde. Vor allem die vom Kläger geäußerte geschlechterspezifische Rollenverteilung bzw. Diskriminierung von Frauen verstoße in eklatanter Weise gegen den Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau.
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Der Kläger gehöre als Flüchtling zu der nach § 53 Abs. 3 AufenthG (a.F., nunmehr Abs. 3a) privilegierten Personengruppe, an deren Ausweisung erhöhte Anforderungen zu stellen seien. Auch fordere Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie – der den Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 3 AufenthG konkretisiere – das Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung für die Rechtfertigung einer Ausweisung, die als Widerruf im Sinne der genannten Vorschrift zu verstehen sei. Zwingende Gründe seien dabei Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufwiesen. Die öffentliche Sicherheit meine sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Der Begriff der öffentlichen Ordnung bezeichne eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Einschränkungen der Rechtsstellung des Flüchtlings seien nur nach Maßgabe des Kapitels VII der Qualifikationsrichtlinie zulässig. Solche zwingenden Gründe seien hier gegeben. Der Kläger habe sich seinen Zuhörern gegenüber in radikaler Weise geäußert, indem er durch fundamentalistische, die westliche Wertordnung ablehnende und verächtlich machende Reden Feindschaft gegen die nichtmuslimische Bevölkerung und die Werteordnung in der Bundesrepublik geschürt habe. Darüber hinaus verherrliche er durch das öffentliche Erbitten des Segens und der Unterstützung Allahs für die Mujaheddin die Gewaltanwendung einer nach herrschender Meinung in weiten Teilen des Nahen Ostens, aber auch weltweit agierenden Gruppierung, deren vorrangiges Ziel der mit terroristischen Mitteln geführte Kampf gegen (vorgeblich) westliche Invasoren und die Unterdrückung weiter Teile der (eigenen) ortsansässigen Bevölkerung sei. Als Imam bzw. Prediger habe der Kläger mit seinen Reden eine Vielzahl von Gläubigern erreicht. Von ihm gehe daher eine erhebliche Gefahr aus, dass er diese Personengruppen durch öffentliche Verbreitung radikal islamistischer Ansichten indoktriniere und beeinflusse. Dabei handele es sich auch nicht um einmalige Entgleisungen, sondern um kontinuierlich wiederkehrende Reden, die nur als Billigung und Verherrlichung terroristischer Taten und Herabsetzung westlicher Werte verstanden werden könnten. Die vorliegenden Erkenntnisse ließen ein persönliches Verhalten erkennen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle und die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung erwarten ließe.
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Als Bleibeinteresse bewertet werde die vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat und den Innenministerien der Länder gemäß § 60a Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG angeordnete Aussetzung von Abschiebungen nach Syrien. Diesem Interesse werde Rechnung getragen, indem keine Abschiebungsandrohung ergehe und der Kläger nicht aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen müsse. Allerdings verringere sich in den Fällen der inlandsbezogenen Ausweisung das Bleibeinteresse. Es sei dann lediglich ein Interesse an einem legalen Aufenthalt zu berücksichtigen. Es sei dem Kläger zuzumuten, nach der Ausweisung einen geringeren Aufenthaltsstatus zu besitzen, voraussichtlich zunächst eine Duldung gemäß § 60a AufenthG. Weder schutzwürdige persönliche, familiäre, wirtschaftliche oder sonstige Bindungen an die Bundesrepublik seien vorgetragen oder ersichtlich.
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Ausgehend von dem gezeigten Verhalten, demnach der Kläger nicht bereit sei, in der Bundesrepublik geltendes Recht zu beachten, und angesichts der vom Kläger wegen der Art und Schwere der Taten ausgehenden Gefahr erweise sich die Ausweisung als verhältnismäßig. Dem öffentlichen Interesse am Schutz der Bevölkerung vor dem Handeln des Klägers komme eine überragende Bedeutung zu. Dieses Interesse überwiege dessen Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben. Der Allgemeinheit könne es nicht zugemutet werden, die mit der weiteren Entwicklung des Klägers verbundene konkrete Gefahr (hier: Aufruf zum Hass gegen Teile der Bevölkerung) hinzunehmen. Im Übrigen seien auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger von dem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen habe. Angesichts der Schwere des Fehlverhaltens und der bestehenden Wiederholungsgefahr für hochrangige Rechtsgüter komme ein milderes Mittel, etwa eine Verwarnung, nicht in Betracht.
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Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei bereits aufgrund der Sperrwirkung der Ausweisung zwingend zu versagen (§ 11 Abs. 1 AufenthG). Auch unter Ermessensgesichtspunkten sei die Verlängerung nicht statthaft, da nach § 5 Abs. 4 AufenthG die Erteilung zu versagen sei, wenn – wie hier – ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehe.
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Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestehe eine gesetzliche Meldepflicht für Ausländer, gegen die eine Ausweisungsverfügung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG erlassen worden sei. Maßnahmen nach § 56 AufenthG dienten unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts (§ 56 Abs. 2 AufenthG) und die wöchentliche Meldepflicht seien auch angemessen. Letztere sei zudem geeignet, gegebenenfalls frühzeitig geeignete Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Meldungen in größeren Zeitabständen erfüllten diesen Zweck nicht ausreichend. Besondere Umstände, von der Meldepflicht und der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts abzusehen, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Voraussetzungen des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, die zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG führten, oder gar ein Absehen von der Ausweisung geböten, lägen nicht vor. Aufgrund der kraft Gesetzes sofortigen Vollziehbarkeit der Versagung eines weiteren Aufenthaltstitels (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sei der Kläger im Übrigen unabhängig von der verfügten Ausweisung vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Bei der Bemessung der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbot seien insbesondere auch die in § 53 Abs. 2 und § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Dem inlandsbezogenen Charakter der Ausweisung sei bei der Befristungsentscheidung Rechnung zu tragen, da diese regelmäßig weiter in die Zukunft reiche als bei normalen Ausweisungen. Danach seien fünf Jahre erforderlich und angemessen, um dem Gefahrenpotenzial in der Person des Klägers, der über keine schutzwürdigen Belange in der Bundesrepublik verfüge, Rechnung zu tragen.
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Am 04.07.2019 verfügte das Bundesamt die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens, da die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AsylG vorlägen.
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Mit Bescheid vom 22.11.2019 widerrief das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und stellte ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Syriens nach § 60 Abs. 5 AufenthG fest. Der Kläger beteilige sich an Handlungen, die sich gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen richteten (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Für eine Beteiligung in sonstiger Weise bedürfe es keiner räumlich-organisatorischen Nähe innerhalb der Organisation zur Ausführung terroristischer Taten oder deren Rechtfertigung in der Öffentlichkeit. Der ideologisch-propagandistische Beitrag zu terroristischen Taten erscheine bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht minder gewichtig als der von unmittelbar Tatbeteiligten. Zur Begründung verwies das Bundesamt im Wesentlichen auf dieselben Erwägungen, die auch dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde liegen. Ergänzend führte es aus, dass in der „...“-Moschee in den letzten Jahren vermehrt Vortragsveranstaltungen mit salafistischen Predigern stattgefunden hätten, darunter Pierre Vogel, Abdel Hadime Kamouss, Hassan Dabbagh, Neil Bin Radhan und Amen Ben Ali Dali. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes seien Teile des Vorstands und auch der Imam salafistisch geprägt. Das Freitagsgebet werde mitunter von 500–800 Personen aufgesucht. In der Presse werde immer wieder von radikalisierten jungen Männern berichtet, die Bezug zur Moschee hätten, beispielsweise von dem im September 2017 in Karlsruhe wegen Terrorverdachts festgenommenen Dasbar W., von einem 29-jährigen Deutschen, der im September 2018 in Freiburg wegen des Verdachts, sich dem sogenannten Islamischen Staat sowie weiteren Terrorgruppen in Syrien angeschlossen zu haben, festgenommen wurde sowie von drei im September 2018 wegen Terrorverdachts festgenommenen Männern.
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Am 18.12.2019 hat der Kläger gegen den Bescheid des Bundesamts vom 22.11.2019 Klage zum hiesigen Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist (A 7 K 4946/19).
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Der Kläger hat bereits am 15.04.2019 Klage gegen den Bescheid vom 13.03.2019 erhoben. Er trägt vor: Es sei bereits unklar, auf welche Informationen sich das Regierungspräsidium stütze. Die Ausweisung erscheine insoweit willkürlich. Die ihm zugeschriebenen Äußerungen seien zudem auf Hocharabisch erfolgt. Das Regierungspräsidium stelle diese hingegen in deutscher Sprache dar. Eine „richtige“ Übersetzung gebe es jedoch nicht. Die Übersetzungen und die Interpretation der Äußerungen variierten vielmehr je nach Herkunft des Hörers und dessen Dialekt. Entgegen den Feststellungen des Regierungspräsidiums handele es sich bei ihm auch weder um einen Imam noch um einen Salafisten. Er kenne sich lediglich im Koran aus und gehöre einer konservativen Strömung des Islams an. Jedenfalls sei den Ausführungen des Regierungspräsidiums ein undifferenzierter Generalverdacht gegenüber dem – in der Bundesrepublik in weiten Teilen friedlich koexistierenden – Salafismus zu entnehmen und es werde ihm jeweils die ungünstigste Auslegung der ihm unterstellten Äußerungen vorgeworfen.
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In Bezug auf den Abschluss des Freitagsgebets am 08.07.2016 bestreite er, die Hilfe Allahs für die Mujaheddin erbeten zu haben. Im Übrigen könne der Begriff „Mujaheddin“ auch allgemein – und nicht negativ konnotiert – einen Verteidiger seines Glaubens bezeichnen. Hinsichtlich der Predigt im April 2017, in der er geäußert haben solle, dass der Islam als Gesellschaftsform die westlichen Staaten überziehen werde, bliebe schon unklar, wann dieser Satz genau gefallen sei. Die Äußerung werde in jedem Fall bestritten. In der Freitagspredigt vom 28.04.2017, die auf Hocharabisch gehalten worden sei und in deutscher Übersetzung vorgelegt werde, sei er jedenfalls nicht enthalten. Darüber hinaus sei anzumerken, dass der Begriff des „Jihad“ auch als tägliche Aufgabe eines jeden Muslims verstanden werden könne, der in der westlichen Welt lebe und durch sie leicht zum Verstoß gegen die Regeln des Islams „verführt“ werden könne. Auch die ihm zugeschriebenen Äußerungen am 12.05.2017 habe er jedenfalls so nicht von sich gegeben. Er habe allein sinngemäß im Zusammenhang mit den Bombardements in Syrien kritisiert, dass in Europa weit weniger gravierende Vorfälle für größeres Aufsehen sorgten als die Geschehnisse in Syrien. Da Tötungen mit dem Islam nicht vereinbar seien, stellten für ihn auch lediglich jene Schiiten keine Muslime dar, die Sunniten aufgrund ihres „falschen“ Glaubens umbrächten. Der Salafismus sei lediglich eine Strömung innerhalb des Islams. Angelehnt an diese Weltsicht habe er auch Fragen nach der Ansprache beantwortet. Weiterhin bestreite er, geäußert zu haben, dass Männer nicht arbeiten, Kinder zwingend in die Moschee gehen und Frauen vollverschleiert sein müssten und sich nur zu Hause aufhalten dürften. Er sei der Ansicht, die Rolle der Frau ergebe sich aus dem Koran. Auch wolle er selbst studieren und arbeiten, sodass die Äußerungen seiner eigenen Lebensvorstellung widersprächen. Im Hinblick auf die Predigt am 15.06.2018 werde auf die vorgenannte und von ihm auch insofern zugrunde gelegte Begriffsdefinition der „Mujaheddin“ verwiesen. Dabei erfüllten weder das Erbitten von Hilfe für die Anhänger seiner Religion, womit er primär die Gegner der syrischen Regierung meine, noch die Thematisierung des „Jihads“ oder die Äußerungen zu Bombardement Syriens und dessen Rezeption in der Berichterstattung eine der Handlungsalternativen des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Gleiches gelte für die Aussage zu Schiiten, die Sunniten töteten. Seine Äußerungen seien von der Religionsfreiheit gedeckt. Andere Religionen, wie etwa das Christentum, führten ebenfalls zu Konflikten. Auch bestreite er, dass er der Strömung des Salafismus angehöre. Im Übrigen seien Fragen zu Ehe und Familie einschließlich der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau von der Religionsfreiheit umfasst. Er habe zu keinem Zeitpunkt den Terrorismus oder Jihadismus verherrlicht und die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdet. Die im August 2017 auf seinem Facebook-Profil vorhandenen „Likes“ ließen keine Rückschlüsse auf seine innere Überzeugung zu. Er abonniere diverse Facebook-Seiten verschiedener Strömungen. Die „Likes“ seien hier nicht als Kundgabe von Sympathie zu verstehen. Sie belegten vielmehr, worüber er sich informieren wolle. Er akzeptiere die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland. Seit den gegen ihn eingeleiteten Maßnahmen habe er sich noch stärker um eine Integration in die Gesellschaft bemüht als zuvor. Er könne sich bereits gut in Deutsch mitteilen, habe seit einigen Monaten eine deutsche Freundin und von der Tätigkeit in der ... Moschee Abstand genommen. Diese Tätigkeit sei vormals von Gemeindemitgliedern an ihn herangetragen worden, weil die Moschee zwischen 2016 und 2018 keinen fest angestellten Imam gehabt habe. Er habe daraufhin vereinzelt auf Anfrage Gebete gehalten – „ein oder zweimal die Freitagspredigt“ – und kurze Gespräche im kleinen Kreis über den Islam geführt. Der Zutrag dieser Aufgabe habe ihm, nicht zuletzt aufgrund seines jungen Alters, geschmeichelt. Durch einen früheren Hinweis der Behörden wäre ihm gewahr geworden, dass Äußerungen, die in Syrien treffend und möglich seien, in der jetzigen Situation in Deutschland untunlich seien. Jedenfalls befürworte er, um Unklarheiten zu vermeiden, Predigten in der Moschee auf Deutsch abzuhalten. Die ... Moschee und der Vorstand seien insoweit ebenfalls offen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.03.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
37 
Er trägt ergänzend zu seinen Ausführungen im angefochtenen Bescheid vor: Die Ausweisung sei nicht willkürlich. Im Rahmen der Anhörung sei dem Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht gewährt worden. Hierdurch könne von dem Kläger unzweifelhaft nachvollzogen werden, auf welche Informationen sich die angefochtene Entscheidung stütze und aus welcher Quelle diese stammten. Es könne auch offenbleiben, ob der Kläger die offizielle Stellung eines Imams inne habe. Neben der Abhaltung von Predigten habe dieser jedenfalls auch Islamunterricht erteilt und die Funktion eines Seelsorgers ausgeübt. Seit mindestens Juli 2016 sei er für die Besucher der Moschee zweifelsfrei als „der Imam“ sowie Repräsentant der Einrichtung zu erkennen gewesen und habe in diesem Zeitraum mindestens sieben Freitagsveranstaltungen als Imam geleitet. Auch habe er die Funktion eines Seelsorgers wahrgenommen und die Beziehung zu einer Gruppe junger Männer vertieft, die seine Nähe gesucht hätten. Insoweit habe er in der Moschee als religiöse Autorität in herausgehobener Position verfassungsfeindliche Äußerungen von sich gegeben. Diese Moschee sei nach den Einschätzungen des Verfassungsschutzes salafistisch geprägt. Dieser gehe davon aus, dass der Salafismus eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islams darstelle, die unvereinbar mit den Prinzipien des Grundgesetzes und Hintergrund fast aller identifizierten terroristischen Netzwerke und Einzelpersonen sei. Die von allen Salafisten angestrebte göttliche Ordnung sei mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Konkret bezogen auf die vom Kläger abgegebenen Äußerungen werde nicht in Abrede gestellt, dass der Begriff „Mujaheddin“ allgemein auch als ein Verteidiger seines Glaubens zu verstehen sei. In die deutsche Sprache übersetzt bezeichne er jedoch – negativ belastet – „jemanden, der Jihad betreibt“. Der Begriff des „Jihad“ als „Heiliger Krieg“ bezeichne im Koran seinerseits primär dem „kleinen Jihad“, der den militärischen auf Expansion gerichteten Kampf bezeichne. Jedenfalls in dem Kontext, der den gegenständlichen Äußerungen zugrundeliege, sei auszuschließen, dass er von dem „großen Jihad“ spreche, der täglich mit sich selbst ausgetragen werde. Dies gelte im Übrigen und vor dem Hintergrund des klaren Bezugsrahmens auch im Hinblick auf die Übersetzungsproblematik, die auch hier nur graduelle Bedeutungsunterschiede bedinge. Es stehe mithin fest, dass die kontinuierlich wiederkehrenden Äußerungen des Klägers eine Gefährdung des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens sowohl der Religionen als auch der Geschlechter darstellten. Denn der Kläger lege den Koran derart aus, dass der Mann eine rechtliche Bevorzugung gegenüber der Frau erfahre. Indem er den islamischen Terrorismus wiederholt verherrlicht und insofern Gläubige indoktriniert habe, habe er die Sicherheit der Bundesrepublik und die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdet. Denn vor dem Hintergrund des typischen Radikalisierungsprozesses islamischer Extremisten stellten bereits die Predigten des Klägers eine Gefahr für die innere Sicherheit dar. Im Hinblick auf die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft sei schließlich anzumerken, dass der Kläger sich bereits seit 2015 in der Bundesrepublik aufhalte, ohne bislang beruflich und/oder gesellschaftlich Fuß gefasst zu haben. Vielmehr sei er in einer Flüchtlingsunterkunft in Waldkirch 2016 durch übertriebene Religiosität und Missionierungsbestrebungen sowie im Rahmen eines Integrationskurses durch radikale Hetzparolen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und das Judentum aufgefallen. In der Folge habe sich eine weibliche Lehrkraft mangels ihr gegenüber gezollten Respektes geweigert, den Kläger weiter zu unterrichten. Bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung habe der Kläger zudem oft eine Gebetskappe, Kaftan und einen Bart entsprechend muslimischer Vorgaben getragen. Noch im Juni 2020 habe der Facebook-Account des Klägers eindeutig extremistische Bezüge in das salafistische Spektrum aufgewiesen, unter anderem zu sieben salafistischen Predigern.
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Mit Beweisbeschluss vom 24.06.2020 hat die Kammer Beweis erhoben durch Beiziehung der den Kläger betreffenden „rosa“ Akten des Regierungspräsidiums Freiburg und der ihn betreffenden Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Mit Schreiben vom 21.12.2020 hat der Verfassungsschutz die Akten sowie eine diesbezügliche Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgelegt.
39 
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten (zwei Bände), die Akten des Regierungspräsidiums (zwei Bände), die Ausländerakte der Stadt Freiburg (drei Bände), einen Auszug der Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zum Ermittlungsverfahren 530 Js 26058/16 sowie die Akten zum Verfahren A 7 K 4946/19 (je ein Band Gerichtsakten und Bundesamtsakten) Bezug genommen. Die Kammer hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört und Beweis erhoben durch die Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes. Wegen der Ergebnisse wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
I.
40 
Die als Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 und 2 VwGO) statthafte Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet. Sie ist insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO).
II.
41 
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.03.2019 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris Rn. 34, m.w.N.) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; vielmehr hat dieser einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, nicht jedoch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
42 
1. Die in Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums vom 13.03.2019 verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland ist rechtswidrig.
43 
a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung kommt hier § 53 Abs. 1 und 3a AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG in Betracht. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung setzt auf der Tatbestandsseite eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschl. v. 20.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 36); ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 01.01.2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht nicht mehr eingeräumt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris Rn. 37, m.w.N.).
44 
b) Offenbleiben kann, ob der Kläger als Flüchtling (noch) den besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG genießt. Diese Vorschrift ergänzt den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, indem er erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge festlegt. Danach darf unter anderem ein Ausländer, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
45 
Allerdings hat das Bundesamt mit Bescheid vom 22.11.2019 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers widerrufen. Die von diesem am 18.12.2019 hiergegen erhobene Klage hat auch keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), da der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylG bzw. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG gestützt wurde. Einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat der Kläger nicht gestellt. Durch Zustellung der Verwaltungsentscheidung wurde der Widerruf wirksam (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris), sodass der Kläger (derzeit) grundsätzlich nicht als anerkannter Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG anzusehen sein dürfte (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; VG Bremen, Beschl. v. 13.07.2020 - 2 V 199/20 -, juris Rn. 34 f.; VG München, Urt. v. 11.07.2006 - M 4 K 05.3011 -, juris; Seeger, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 01.01.2021, § 75 AsylG, Rn. 5). Ob der vollziehbare Widerruf der Flüchtlingsanerkennung somit dazu geführt hat, dass § 53 Abs. 3a AufenthG hier aufgrund der durch den Widerruf erfolgten Beseitigung der Rechtsstellung als anerkannter Flüchtling keine Anwendung findet oder ob unter Berücksichtigung der Wertung des § 73 Abs. 2c AsylG die Bindungswirkung der konstitutiven asylrechtlichen Statusentscheidung erst mit Eintritt der Bestandskraft der Widerrufsentscheidung entfällt (vgl. hierzu ausf. OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; Bayer. VGH, Beschl. v. 23.02.2016 - 10 B 13.1446 -, juris m.w.N.), wofür jedenfalls im Bereich des Ausweisungsrechts auch § 53 Abs. 4 AufenthG sprechen könnte, kann letztlich dahingestellt bleiben, da sich die Ausweisung bereits unter bloßer Anwendung des allgemeinen Maßstabs des § 53 Abs. 1 AufenthG als rechtswidrig erweist. Damit kann auch offenbleiben, ob der Kläger aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG genießt (zur Möglichkeit einer „inlandsbezogenen“ Ausweisung in diesen Fällen allgemein vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 47 f.; krit. unlängst EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris; a.A. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris).
46 
c) Die Ausweisung ist formell rechtmäßig, da unerheblich ist, dass die Anhörung zu einer auf Grundlage von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verfügenden Ausweisung erfolgt ist. Denn eine unzutreffend angegebene Rechtsnorm, gegen die der Betroffene verstoßen haben soll, macht die Anhörung erst dann fehlerhaft, wenn die bezeichnete Rechtsnorm dem Fall eine grundsätzlich andere rechtliche und/oder tatsächliche Bedeutung verleiht (vgl. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 41 m.w.N.), was hier nicht der Fall ist. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Verwaltungsverfahren Akteneinsicht genommen und entsprechend vorgetragen.
47 
d) Hinsichtlich des Klägers konnte zur Überzeugung der Kammer allerdings kein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG festgestellt werden (vgl. § 108 VwGO). Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dann besonders schwer, wenn ein Ausländer zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist (insbesondere) auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt (lit. a), Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift (lit. b) oder Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt (lit. c), es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
48 
aa) Die Bestimmung des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG – bzw. dessen Vorgängervorschrift § 55 Abs. 2 Nr. 8 lit. a und b AufenthG a.F. (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053, 1055) – schafft nach dem gesetzgeberischen Willen eine Grundlage, sogenannte Hassprediger auszuweisen und damit „geistigen Brandstiftern“ möglichst frühzeitig und wirkungsvoll entgegenzutreten. Mit dieser Vorschrift sollen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Äußerungen und Handlungen erfasst werden, die das friedliche Zusammenleben im Bundesgebiet gefährden (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 51). Die Störung muss aktuell sein, das heißt einen Bezug zur Gegenwart haben (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 19.03.2012 - OVG 3 B 2.11 -, juris Rn. 25; VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris Rn. 65).
49 
Wegen der einschneidenden Folgen, die die Bejahung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses aus § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nach sich zieht, dürfen die entsprechenden Feststellungen nur auf einer fundierten und belastbaren Tatsachengrundlage getroffen werden; es bedarf einer trennscharfen Zuordnung von Fakten zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen (zum Ganzen, BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 48 ff.; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 22; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG, Rn. 66, m.w.N.; Hoppe, in: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 260; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 12, m.w.N.).
50 
Keine Anknüpfungspunkte einer Ausweisung können von vorneherein solche Äußerungen sein, die durch die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK verbürgte Meinungsfreiheit (bzw. auch durch die Bekenntnisfreiheit im Sinne des Art. 4 GG) geschützt sind. Meinungen verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden, selbst wenn sie grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage stellen (BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 - 1 BvR 369/04, u.a. -, juris Rn. 27; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 67). Die Äußerung ist auszulegen und die damit zum Ausdruck gebrachte Meinung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Der für die Bewertung einer Äußerung als tatbestandsmäßig maßgebliche Erklärungswert richtet sich nicht allein nach dem Wortlaut einer Aussage, sondern auch nach dem Äußerungszusammenhang, nach der konkreten zeitgeschichtlich-politischen und gesellschaftlichen Situation und nach dem Empfängerhorizont der Adressaten. Äußert sich der Ausländer in einer Fremdsprache und lässt die Übersetzung mehrere Interpretationen zu, so kann eine Ausweisung nicht allein darauf gestützt werden, dass die fragliche Äußerung von den Zuhörern möglicherweise entsprechend verstanden werden konnte. Das gilt insbesondere, wenn lediglich assoziative Bezüge hergestellt werden können. Einer besonders eingehenden Begründung bedarf die Annahme, dass sich bei mehrdeutigen oder versteckten Äußerungen hinter der gewählten sprachlichen Fassung eine Einwirkung i.S. des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG verbirgt. Die Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Grenze stets dann, wenn die Äußerung einer Meinung die Menschenwürde eines anderen antastet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 48; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 22; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 50 ff.; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1072; Hailbronner, in: ders., AuslR, Mai 2021, § 54 AufenthG, Rn. 96).
51 
bb) Hass ist eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung. Der Aufruf ist durch ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel gekennzeichnet, in diesen den Entschluss zu einem bestimmten Verhalten hervorzurufen (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 15.01.2013 - 1 A 202/06 -, BeckRS 2013, 47076; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 2021, § 55 Rn. 122 f.). Er kann mündlich oder schriftlich über alle denkbaren Medien, insbesondere auch das Internet, erfolgen. Vor dem Hintergrund, dass die Norm des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG das friedliche Zusammenleben im Bundesgebiet schützen will, muss – mit Ausnahme von § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG, der insoweit regelungssystematisch missglückt erscheint – eine in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppe betroffen sein, die sich etwa nach ethnischen oder religiösen, sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Merkmalen von der übrigen Bevölkerung unterscheiden lässt und zahlenmäßig so erheblich ist, dass sie individuell nicht mehr überschaubar ist. Zielt die Äußerung auf Gruppen im Ausland, so kommt es darauf an, ob damit zugleich eine entsprechende Gruppe im Inland betroffen ist. Hetze gegen eine einzelne Person erfüllt den Tatbestand nicht, es sei denn, diese Person steht symbolisch für eine bestimmte Gruppe. Staaten, Regierungen und sonstige Institutionen als solche bilden keine Bevölkerungsteile und sind somit keine tauglichen Angriffsobjekte (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG, Rn. 62, m.w.N.; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 45; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1181 ff.).
52 
cc) Zur weiteren Konkretisierung des vergleichsweise offenen Grundtatbestands des „Aufrufens zum Hass gegen Teile der Bevölkerung“ enthält § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 AufenthG eine Aufzählung von Handlungen, deren Vorliegen die eine Art unwiderlegliche Vermutung begründen, dass von einem „Hasspredigen“ auszugehen ist (vgl. Neidhardt, in: HTK-AuslR, 18.11.2016, § 54 AufenthG, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 3). Insoweit dürfte es sich gewissermaßen um Regelbeispiele handeln, die den Grundtatbestand des Halbsatz 1 nicht abschließend konkretisieren. Das hier normierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse orientiert sich ersichtlich an Straftatbeständen des § 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung) und der Verleumdung nach § 187 StGB, wobei allerdings zu beachten ist, dass anstelle des Begriffs des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 1 StGB der weit unterhalb dieser Schwelle liegende Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verwendet wird. § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG knüpft zudem an den Straftatbestand der Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) an. Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der entsprechenden Handlungsalternativen des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kann danach jeweils auf die zu den entsprechenden Straftatbeständen entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden, obgleich eine Verurteilung nicht vorausgesetzt wird (OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 21; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris; VG Berlin, Urt. v. 22.4.2008, - 35 A 397.07 -, juris; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 2021, § 55 Rn. 119; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 8 ff., m.w.N.; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1177 f.).
53 
dd) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO) mit dem ihm zugeschriebenen Äußerungen keine der in § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG niedergelegten Handlungsvarianten verwirklicht.
54 
(1) Die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums stützt sich vor allem auf den Bericht des Verfassungsschutzes vom 23.08.2018. Danach sei der Kläger überzeugter, strenger Salafist und Imam der salafistisch geprägten „...“-Moschee in .... Er pflege Kontakte zu Personen aus der salafistisch und jihadistisch orientierten Szene und gebe in der genannten Moschee Islamunterricht. Bei Freitagsgebeten, bei denen mitunter mehr als 1.000 Zuhörer anwesend seien, befürworte und verherrliche er immer wieder islamistischen Terrorismus und Jihadismus. Am Ende eines Freitagsgebets in arabischer Sprache bitte er üblicherweise um Gottes Segen für die Mujaheddin in Syrien und der islamischen Welt. Dabei gebe es Zustimmungsbekundungen aus dem Auditorium. Der vom Kläger genutzte Facebook-Account habe zumindest im August 2017 „Likes“ zu den Facebook-Profilen von IS-Sympathisanten und verschiedenen salafistischen Predigern aufgewiesen, unter anderem zum Facebook-Profil von Pierre Vogel. Konkret habe der Kläger am 08.07.2016 im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Allah hilf (im Sinne von 'verleihe den Sieg') den Mujaheddin im Osten der Erde / auf der ganzen Welt / im Westen der Erde und zwar unseren Brüdern in Syrien, im Irak und in Afrika und Somalia.“ Im April 2017 habe er im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee über den „Jihad“ gesprochen und geäußert, dass der Islam als Gesellschaftsform auch die westlichen Staaten überziehen werde. Am 12.05.2017 habe er vor etwa 1.000 Besuchern in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Wir sind richtige und internationale Salafisten. [...] Für einen toten Europäer heult die ganze Welt, für 200 tote Menschen in Syrien, einschließlich einem Scheich und Kindern, interessiert sich niemand.“ Darüber hinaus habe er bei dieser Rede den Salafismus als einzig wahre Religion gegenüber allen anderen Religionen positioniert, wobei er auch schiitischen Muslime ausgeschlossen habe. Nach der Predigt sei der Gemeinde Zeit für Fragen an den Imam, den Kläger, zur Verfügung gestellt worden. Seine Antworten seien an der Weltsicht des Salafismus orientiert gewesen. Zur Rolle der Frau habe er beispielsweise geäußert, dass diese ihren Platz ausschließlich im Haus habe und nur vollverschleiert auftreten dürfe. Eine Frau, welche das Haus verlasse, sei den Ideen der Lehren der deutschen Gesellschaft ausgesetzt und dies sei nicht gut. Der Ehemann brauche nicht zu arbeiten und müsse sich seinen religiösen Pflichten widmen. Zu den Kindern habe er gesagt, dass diese zwingend die Moschee besuchen müssten, um sich mit dem Islam und dem Koran zu beschäftigen. Am 15.06.2018 habe er in der genannten Moschee vor etwa 1.200 Zuhörern sinngemäß geäußert: „Allah beschütze die Mujaheddin in der arabischen Welt. Allah befreie die Mujaheddin aus den Gefängnissen.“
55 
Den in den Akten befindlichen polizeilichen Befragungen vom 06.10.2016 und vom 18.02.2019 lassen sich keine konkreten Äußerungen des Klägers entnehmen. Zwar geht aus diesen hervor, dass dieser zumindest eine gewisse Zeit über und zumindest faktisch die Funktion eines Imams in der Moschee ausgeübt hat. Außerdem sei er in der Flüchtlingsunterkunft durch seine strenge Religionsausübung aufgefallen. Mehr lässt sich den Aussageprotokollen aber nicht entnehmen. Einer der Zeugen hat zudem allgemein geäußert, dass der Kläger mit „der Propaganda“ nichts zu tun gehabt und auch nicht radikal gepredigt habe.
56 
Nähere Erkenntnisse über die vorgelegten Tatsachen konnten auch durch die Vernehmung des Zeugens des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung, der allenfalls als Zeuge vom Hörensagen eingestuft werden kann (zum Beweiswert vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, juris Rn. 50), nicht gewonnen werden. Dieser gab zwar an, dass die (zuverlässige) Quelle, wie der Kläger, „Hocharabisch“ spreche und regelmäßig für den Verfassungsschutz berichte. Allerdings konnte er sich weder an einzelne Treffen mit der Quelle, denen er unter Umständen beigewohnt hat, erinnern noch konnte bzw. durfte er irgendwelche Angaben zum Erkenntnisweg der maßgeblichen Äußerungen machen.
57 
(2) Vor dem Hintergrund der Erkenntnislage bestehen für die Kammer keine Zweifel, dass der Kläger sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr religiös in der „...“ Moschee (aus Sicht der Besucher der Moschee als „Imam“) engagiert hat. Insoweit dürfte er sich – wovon auch der Verfassungsschutz und das Regierungspräsidium nachvollziehbarerweise ausgehen – jedenfalls im Sinne des Salafismus in der Moschee und bei Gesprächen geäußert haben, auch wenn er dies (pauschal) bestreitet. Für die Kammer waren auch die Darstellungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft, sondern stellten sich vielmehr als nachträgliche Schutzbehauptungen dar, mit denen dieser versuchte – möglicherweise auch vor dem Eindruck der Ausweisung oder weil er seine eigene Position mittlerweile verändert hat –, die von ihm eingenommene Rolle zu relativieren. Bereits sein in der mündlichen Verhandlung erstmalig erfolgter Vortrag, wie es – nach einer urlaubsbedingten Ausreise des ursprünglichen Imams kurzfristig – zu seiner Einbindung in die Moschee gekommen sei, war vor dem Hintergrund der Größe der dortigen Glaubensgemeinschaft und der Bedeutung des Amtes nicht nachvollziehbar. Auch erscheint es fernliegend, dass er eineinhalb Jahre in der Moschee das Freitagsgebet gehalten habe, indem er Predigten aus dem Internet (vor-)gelesen haben will, ohne sich über deren Inhalt Gedanken gemacht zu haben. Gleiches gilt für die im Nachgang zur Predigt stattfindenden Gesprächsrunden. Die von ihm damit behauptete gleichgültige Haltung gegenüber den Glaubensinhalten passt auch nicht zur übrigen Persönlichkeit des Klägers. Nachfragen der Kammer und des Beklagten hierzu beantwortete er ausweichend und ausgesprochen knapp. Seine Darstellungen waren daher ungleichgewichtig, da konkreten Erinnerungen immer wieder große Erinnerungslücken entgegenstanden. Insoweit erscheint es daher ohne Weiteres plausibel, dass er sich zumindest integrationshinderlich bzw. segregationsfördernd geäußert haben könnte. Auch hat der Kläger etwa selbst angegeben, nach seiner Einreise „Hass“ gegen die Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung in Syrien verspürt zu haben.
58 
(3) Allerdings lässt sich die nach den oben aufgestellten Grundsätzen erforderliche fundierte und belastbare Tatsachengrundlage für eine Ausweisung nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht feststellen. Ausgangspunkt der Bewertung können lediglich konkrete Äußerungen des Klägers (Tatsachen) sein, die ausgehend vom jeweiligen Sinnzusammenhang trennscharf zugeordnet werden können, und nicht bloße allgemeine Einordnungen. Andernfalls könnten auch Unschärfen bei der Übersetzung nicht berücksichtigt werden. Nur auf einer solchen Grundlage kann sichergestellte werden, dass dieser Ausweisungsgrund nicht zum „Gesinnungstatbestand“ und der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit ausreichend Rechnung getragen wird.
59 
Die offengelegten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden beinhalten hier weder ein Transkript der inkriminierten Predigten in Originalsprache oder eine Übersetzung noch Angaben zu den unmittelbaren Zeugen, den Übersetzern oder sonstige Hinweise, die eine objektive Bewertung der mitgeteilten Informationen zuließen. So ist bereits unklar, in welcher Sprache der Kläger sich im Einzelnen geäußert hat und wie die Zitate genau übermittelt wurden. Belastbare schriftliche Aufzeichnungen hat das Regierungspräsidium – trotz gerichtlicher Aufforderung – nicht vorgelegt. Dabei hätte es gerade aufgrund der Schärfe der damit verbundenen Folgen nahegelegen, im Falle einer geplanten Ausweisung, gegebenenfalls unter Ausnutzung etwaiger technischer Möglichkeiten, eine umfassendere Tatsachengrundlage zu legen. Wenn der Zeuge des Verfassungsschutzes sich in der mündlichen Verhandlung insoweit (pauschal) auf den erforderlichen „Quellenschutz“ berufen hat, ohne auf die örtlichen oder situativen Besonderheiten einzugehen, so ist dies zwar nachvollziehbar, allerdings insgesamt zu allgemein. Selbst wenn jedoch eine – wie auch immer geartete – Aufzeichnung der vom Kläger gehaltenen Predigten wegen der Gefahr einer Enttarnung der Quelle nicht möglich gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass auf dieser Grundlage eine Beurteilung der vorgelegten Tatsachen durch die Kammer nicht möglich ist.
60 
Lediglich drei aus dem Zusammenhang gerissene Wortzitate sind in dem Bericht des Verfassungsschutzes enthalten, der sich vor allem auf eine äußerst knappe Skizzierung der offensichtlich als relevant erachteten Redeinhalte beschränkt. Somit fehlt hier weitestgehend der Äußerungszusammenhang, sodass eine konkrete einzelfallbezogene Bewertung insoweit nicht durchführbar ist. Im Übrigen werden Einordnungen der Aussagen des Klägers vorgenommen, ohne dass eine konkrete Tatsachengrundlage hierfür dargelegt wird. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Abgleich der Predigtinhalte mit den vom Kläger jeweils vorgelegten Predigten – die sich deutlich unterscheiden – nicht durchführbar, sodass offen ist, welche Predigt dieser gehalten hat.
61 
(4) Soweit der Kläger nach dem Bericht des Verfassungsschutzes möglicherweise eine von liberalen Muslimen abweichende Meinung geäußert hat, ist dies für sich genommen kein Anknüpfungspunkt für die Annahme eines „Aufrufs zu Hass“ im Sinne einer der Tatbestandsalternativen des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Dies gilt insbesondere für die auf den April 2017 datierte und dem Kläger zugeschriebene Äußerung, dass der Islam als Gesellschaftsform „die Welt überziehen“ werde. Denn eine konkrete feindselige Haltung – etwa gegenüber dem Bevölkerungsteil der Nichtmuslime – kommt darin nicht zum Ausdruck, selbst wenn der Kläger damit hat ausdrücken wollen, dass er Muslime als gegenüber anderen Religionsangehörigen überlegen ansieht (vgl. OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 35 und 45).
62 
Weiterhin fehlen belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Begriff des „Jihad“ als aktuelles Mittel der Auseinandersetzung in Sinne eines gewaltsamen Kampfs gegen Andersgläubige befürwortet hat. Insoweit liegen bereits keine genauen Äußerungen vor. Auch die Facebook-„Likes“ des Klägers, die wohl bereits kaum als Meinungskundgabe gewertet werden können, rufen offensichtlich nicht zu Hass gegen Teile der Bevölkerung auf, selbst wenn unter den „geliketen“ Personen salafistische Prediger sind. Nachweise für konkrete Posts oder geteilte Beiträge, die zum Hass aufrufen und die zur Grundlage einer Ausweisungsentscheidung gemacht werden könnten, liegen nicht vor.
63 
Wenn der Kläger sich im Rahmen von Gesprächen am 12.05.2017 zur Rolle der Frau dahingehend geäußert haben soll, dass diese ihren Platz ausschließlich im Haus habe und nur vollverschleiert auftreten dürfe, so lässt sich dieser Zusammenfassung nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnehmen, dass der Kläger damit dem grundrechtlich geschützten Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) in der erforderlichen eklatanten Weise widersprochen hätte (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. b AufenthG). Vielmehr erscheint es hiernach denkbar, dass er (nur) ein veraltetes Geschlechterverständnis propagiert hat. Die Aussage des Klägers, die dieser im Rahmen eines nach einer Predigt stattgefunden Gesprächs geäußert haben soll, liegt bereits nur in indirekter Rede vor. Auch lässt sich der Äußerung, wonach es „nicht gut“ sei, wenn die Frau das Haus verlasse, kein Hinweis darauf entnehmen, dass der Kläger eine irgendwie geartete zwangsweise Durchsetzung gegen einen eventuell entgegenstehenden Willen einer Frau gefordert oder auch nur befürwortet hätte.
64 
(5) Lediglich drei Ereignisse werden in dem Bericht taggenau datiert und im Wortlaut wiedergegeben. Diese rechtfertigen – unabhängig davon, ob der Kläger sie entsprechend geäußert hat und losgelöst von ihrem im Einzelnen umstrittenen Bedeutungsgehalt – die Annahme eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht. Im Einzelnen handelt sich um folgende Aussagen:
65 
08.07.2016: „Allah hilf (im Sinne von 'verleihe den Sieg') den Mujaheddin im Osten der Erde / auf der ganzen Welt / im Westen der Erde und zwar unseren Brüdern in Syrien, im Irak und in Afrika und Somalia.“
66 
12.05.2017: „Wir sind richtige und internationale Salafisten. [...] Für einen toten Europäer heult die ganze Welt, für 200 tote Menschen in Syrien, einschließlich einem Scheich und Kindern, interessiert sich niemand.“
67 
15.06.2018: „Allah beschütze die Mujaheddin in der arabischen Welt. Allah befreie die Mujaheddin aus den Gefängnissen.“
68 
(a) Der Aussage vom 12.05.2017 kann unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit kein Sinngehalt zugeordnet werden, der nach den oben aufgestellten Maßstäben eine Ausweisung rechtfertigen könnte. Ein Bekenntnis zum Salafismus allgemein vermag den Ausweisungstatbestand nicht zu erfüllen. Soweit der Kläger in seiner Predigt damit zum Ausdruck gebracht haben sollte, dass die weltweite Anteilnahme ungleich verteilt sei, ist nicht ersichtlich, dass diese Äußerung nicht von der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist.
69 
(b) Die beiden Aussagen vom 08.07.2016 und 15.06.2018 drücken vor allem Sympathien für die Mujaheddin aus. Allerdings wird auch hierdurch der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG nicht erfüllt.
70 
Zwar ist eine (konkrete) Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland für die Erfüllung dieses Tatbestands nicht erforderlich; vielmehr ist ausreichend, wenn durch das Werben für oder das Billigen von Verbrechen das politische Klima in Deutschland aufgeheizt wird bzw. ein die Begehung gleichartiger Taten begünstigendes Klima geschaffen wird (vgl. zu § 55 Abs. 2 Nr. 8 a AufenthG a.F., VG München, Urt. v. 09.09.2008 - M 4 K 08.2158 -, juris Rn. 167; VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris). Allerdings geht die Kammer davon aus, dass § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG einschränkend auszulegen ist, da der Bezug zu den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik aufgrund der fehlenden Verbindung zur hiesigen Bevölkerung nur ein loser ist. Daher müssen gerade die „terroristischen Taten“ konkret bzw. auf irgendeine Art und Weise eingrenzbar sein (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 22.01.2015 - OVG 3 B 16.09 -, juris Rn. 49; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 63).
71 
Zunächst werden durch die Äußerung des Klägers nicht konkrete „terroristische Taten [im Ausland]“, die sich anders als die anderen Tatbestandsalternativen nicht auf inländische Bevölkerungsteile beziehen müssen, gebilligt. Denn es ist nicht erkennbar, welche genauen Taten von den Äußerungen des Klägers in Bezug genommen werden. Eine Konkretisierung kann auch weder über den Sinnzusammenhang hergestellt werden, da ein solcher fehlt, noch über eine regionale Zuordnung. Auch wenn der Kläger einzelne Staaten genannt haben sollte – wie etwa Somalia, wo es zu terroristischen Taten von Islamisten kommt –, ermöglicht dies keine hinreichende Konkretisierung.
72 
Auch ein Werben für solche Taten liegt nicht vor.
73 
„Werben“ ist eine mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Tat gerichtet ist, wobei unerheblich ist, ob ein Werbeerfolg eintritt oder ob das Handeln auch nur zu dessen Herbeiführung geeignet ist. Allerdings bedarf es eines tiefen Eindrucks. Das Werben ist – anders als das Billigen – auf die Unterstützung einer in der Zukunft liegenden, nicht notwendigerweise gleichermaßen konkretisierten Tat gerichtet, wobei erforderlich ist, dass die Darstellung zur gegenwärtigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Deutschland geeignet ist (VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris Rn. 65; Hailbronner, in: ders., AuslR, Mai 2021, § 54 AufenthG, Rn. 96).
74 
Vor allem könnte der Predigt vom 08.07.2016 eine Andeutung hierauf entnommen werden, weil insoweit (ohne etwa die Bundesrepublik zu erwähnen) ein Werben für einen weltweiten religiösen Kampf im Sinne von terroristischen Taten gesehen werden könnte. Davon kann jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgegangen werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger durch seine im Vordergrund stehenden Beistandsbitten bzw. Sympathiebekundungen überhaupt für „terroristische Taten“ geworben hat. Denn es lassen sich allenfalls assoziative Bezüge zu „terroristischen Taten“ herstellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053, 1055). Die Äußerung des Klägers ist mehrdeutig. Gerade hinsichtlich des im Zentrum dieser Predigt stehenden Begriffs des „Mujaheddin“ erscheinen – wie auch das Regierungspräsidium eingeräumt hat – andere Auslegungen jedenfalls möglich, die den Begriff nicht als gewalttätigen Kämpfer verstehen. Wie der Kläger den Begriff verwendet hat, erschließt sich nicht eindeutig, da jeder aggressiv-kriegerische Zusammenhang fehlt (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 19.03.2012 - OVG 3 B 2.11 -, juris) bzw. ein solcher nur assoziativ herzustellen ist. Auch wird dadurch nicht ausreichend deutlich, dass der Kläger für die Methoden der Mujaheddin, wie möglicherweise Selbstmordattentate wirbt (vgl. für einen solchen Fall, OVG Bremen, Beschl. v. 20.06.2005 - 1 B 128/05 -, juris Rn. 26). Aufgrund des fehlenden Sinnzusammenhangs lässt sich auch nicht (zweifelsfrei) feststellen, ob ein eindeutiger Zusammenhang mit zur Zeit der Predigt maßgeblichen Krisengebieten und Zentren terroristischer Anschläge bestand bzw. zu dortigen Taten.
75 
(6) Soweit das Regierungspräsidium in der mündlichen Verhandlung zudem auf die Äußerung des Klägers in der von diesem vorgelegten Freitagspredigt vom 28.04.2017 – zu der keine Erkenntnisse des Verfassungsschutzes vorliegen – abgestellt hat, vermag diese ein Ausweisungsinteresse ebenfalls nicht zu begründen. Laut der vorgelegten Übersetzung lautet der aus Sicht des Regierungspräsidiums erhebliche Predigtauszug:
76 
„Wir bitten Allahs, uns auf dem richtigen Weg zu beweisen, er ist diesbezüglich der Hüter und fähig dazu. Möge Allah den Islam und Muslime verehren und Polytheismus und Polytheisten demütigen. Oh Allah verteidige deine Anbeter und dein Buch und die Sunna deines Propheten und monotheistischen Anbeters. Oh Allah leite uns und lass uns nicht irreführen.“
77 
Insoweit hat der Verfassungsschutz in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Predigt salafistisch sei. „Polytheisten“ seien in der Dogmatik der Salafisten – und damit im Kontext dieser Predigt – Menschen, die Allah etwas bzw. jemanden „beigesellen“ und ihn daher nicht als höchste Instanz anerkennen. Sie stellten das grundlegende Konzept des „Tauhid“ (Einheit und Einzigartigkeit Gottes) in Frage. Auch Demokraten seien daher Polytheisten.
78 
Diese Äußerung könnte nach Auffassung der Kammer nur unter § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. b AufenthG gefasst werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger durch die Äußerung Teile der Bevölkerung – hier gegebenenfalls Nicht-Salafisten bzw. Demokraten – böswillig verächtlich gemacht und sie dadurch in ihrer Menschenwürde angegriffen hätte. Verächtlichmachung ist die Herabwürdigung, die böswillig mit der Absicht der Hasserzeugung erfolgt. Sie ist gegen die Menschenwürde anderer gerichtet, wenn sie deren Persönlichkeitskern angreift, ihnen das Menschsein oder das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abspricht und sie als minderwertige Wesen einstuft. Die Äußerung muss einen Angriff auf die Menschenwürde anderer enthalten. Darin liegt eine maßgebliche tatbestandliche Einschränkung. Das Tatbestandsmerkmal stellt sicher, dass nur besonders massive Diskriminierungen und Diffamierungen als ausreichend angesehen werden. Erforderlich hierfür ist, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird. Das ist etwa der Fall, wenn sie in einem wichtigen Bereich in ihrer Persönlichkeitsentfaltung behindert oder unter Missachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als minderwertige Person behandelt werden soll oder wenn ihr ungeschmälertes Lebensrecht in der Gemeinschaft in Frage gestellt oder relativiert wird. Mithin muss der Äußernde das „Menschentum“ der Angegriffenen bestreiten oder relativieren (zum Ganzen, BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 130 Rn. 46 ff., m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 130 StGB, Rn. 7, m.w.N.).
79 
Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass die obige Äußerung diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn man die knappe Auslegung des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung für zutreffend hält, ist die Forderung nach einer „Demütigung“ durch Allah auch für das angesprochene Publikum in der Moschee zu vieldeutig, um eine Ausweisung zu tragen. So ist der genaue Bezugspunkt letztlich unklar und bezieht sich die religiöse Verwünschung, die damit zum Ausdruck kommt, möglicherweise nur auf ein „schlechte[re]s Lebensschicksal“. Dass diese Äußerung, die im Kerngehalt allenfalls eine Abwertung für den „falschen Glauben“ zum Ausdruck bringt, verdeckt eine zusätzliche Aussage enthält, drängt sich der Kammer als Schlussfolgerung nicht auf.
80 
e) Andere Ausweisungsinteressen sind keine ersichtlich. Insbesondere liegt ein Fall des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor, da weder eine hinreichend konkrete Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden kann (lts. 1) noch ein Bezug zu einer insoweit in Bezug genommenen Vereinigung erkennbar ist (lts. 2). Dies hat auch das Regierungspräsidium nicht (mehr) geltend gemacht.
81 
2. Da nach alledem die Ausweisung rechtswidrig ist, hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
82 
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG hat der Kläger derzeit allerdings nicht, da die Kammer davon ausgeht, dass er aufgrund des von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Widerrufs seiner Flüchtlingseigenschaft (vgl. § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) jedenfalls für das Aufenthaltstitelerteilungsverfahren (derzeit) nicht als Flüchtling angesehen werden kann; einen (erfolgreichen) Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat er nicht gestellt (vgl. zum Ganzen OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 26.02.2019 - 18 A 44/15 -, juris Rn. 36 f.; Bayer. VGH, Beschl. v. 23.02.2016 - 10 B 13.1446 -, juris Rn. 3; OVG Saarland, Beschl. v. 10.11.2010 - 2 B 290/10 -, juris Rn. 18 m.w.N.; VG Bremen, Beschl. v. 13.07.2020 - 2 V 199/20 -, juris Rn. 34 f.; VG München, Urt. v. 11.07.2006 - M 4 K 05.3011 -, juris; Seeger, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 01.01.2021, § 75 AsylG, Rn. 5).
83 
Insoweit ist die Klage abzuweisen, da der Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG kein bloßes Aliud darstellt, wie sich sowohl unmittelbar aus den Erteilungsvoraussetzungen als auch aus den Wirkungen der Erteilung ergibt (vgl. etwa § 26 Abs. 1 AufenthG).
84 
b) Allerdings legt die Kammer den Verlängerungsantrag des Klägers (§ 81 Abs. 1 AufenthG) dahingehend aus (Samel, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 81 Rn. 7), dass er gewissermaßen als Minus einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG mitumfasst, weil er sich ersichtlich auf den im Asylverfahren zuerkannten humanitären Schutzstatus richtet. Da damit ein Wechsel des Erteilungsgrundes (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufentG) nicht vorliegt, hat die Berufung auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen jedenfalls in dieser Konstellation zur Folge, dass ein Erteilungsanspruch nach jeder für den vorgetragenen Aufenthaltszweck in Betracht kommenden Vorschrift des 5. Abschnitts zu prüfen ist, sodass das aufenthaltsrechtliche Trennungsprinzip der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hier nicht entgegensteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, NVwZ 2006, 1418; Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 -, juris; strenger VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.04.2008 - 11 S 683/08 -, juris).
85 
Die weiteren Voraussetzungen (insbesondere) des § 25 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegen vor. Hinsichtlich der Frage, ob sich der Kläger Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder ob er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, wird auf die obigen Ausführungen, wonach entsprechende Feststellungen bezüglich des Klägers derzeit nicht getroffen werden können, Bezug genommen.
86 
Auch finden weder die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, da Ziffer 4 des Bescheids aufzuheben war, noch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 4 AufenthG Anwendung. Über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entscheidet gemäß § 6 Abs. 2 AAZuVO auch der Beklagte durch das ihn vertretende Regierungspräsidium und nicht etwa die Stadt ....
87 
3. Ferner sind die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach § 56 Abs. 1 und 2 AufenthG angesichts des fehlenden Ausweisungsinteresses aus § 54 Abs. 1 Nr. 2–5 AufenthG rechtswidrig.
88 
4. Schließlich ist auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aufzuheben, nachdem der Kläger nicht ausgewiesen werden durfte.
III.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Insoweit bewertet die Kammer das Teilunterliegen des Klägers hinsichtlich der Erteilung einer weniger gehaltvollen Aufenthaltserlaubnis als geringfügig.
IV.
90 
Gründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht nach § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.
91 
Beschluss vom 12.07.2021
92 
Der Streitwert wird gemäß § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 10.000,- EUR festgesetzt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris).

Gründe

 
I.
40 
Die als Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 und 2 VwGO) statthafte Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet. Sie ist insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO).
II.
41 
Der Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.03.2019 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, juris Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris Rn. 34, m.w.N.) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; vielmehr hat dieser einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, nicht jedoch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
42 
1. Die in Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums vom 13.03.2019 verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland ist rechtswidrig.
43 
a) Als Rechtsgrundlage für die Ausweisung kommt hier § 53 Abs. 1 und 3a AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG in Betracht. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Ausweisung setzt auf der Tatbestandsseite eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschl. v. 20.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris Rn. 36); ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 01.01.2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht nicht mehr eingeräumt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris Rn. 37, m.w.N.).
44 
b) Offenbleiben kann, ob der Kläger als Flüchtling (noch) den besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG genießt. Diese Vorschrift ergänzt den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, indem er erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge festlegt. Danach darf unter anderem ein Ausländer, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen ist oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
45 
Allerdings hat das Bundesamt mit Bescheid vom 22.11.2019 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Klägers widerrufen. Die von diesem am 18.12.2019 hiergegen erhobene Klage hat auch keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), da der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylG bzw. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG gestützt wurde. Einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat der Kläger nicht gestellt. Durch Zustellung der Verwaltungsentscheidung wurde der Widerruf wirksam (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris), sodass der Kläger (derzeit) grundsätzlich nicht als anerkannter Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 1 AufenthG anzusehen sein dürfte (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; VG Bremen, Beschl. v. 13.07.2020 - 2 V 199/20 -, juris Rn. 34 f.; VG München, Urt. v. 11.07.2006 - M 4 K 05.3011 -, juris; Seeger, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 01.01.2021, § 75 AsylG, Rn. 5). Ob der vollziehbare Widerruf der Flüchtlingsanerkennung somit dazu geführt hat, dass § 53 Abs. 3a AufenthG hier aufgrund der durch den Widerruf erfolgten Beseitigung der Rechtsstellung als anerkannter Flüchtling keine Anwendung findet oder ob unter Berücksichtigung der Wertung des § 73 Abs. 2c AsylG die Bindungswirkung der konstitutiven asylrechtlichen Statusentscheidung erst mit Eintritt der Bestandskraft der Widerrufsentscheidung entfällt (vgl. hierzu ausf. OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; Bayer. VGH, Beschl. v. 23.02.2016 - 10 B 13.1446 -, juris m.w.N.), wofür jedenfalls im Bereich des Ausweisungsrechts auch § 53 Abs. 4 AufenthG sprechen könnte, kann letztlich dahingestellt bleiben, da sich die Ausweisung bereits unter bloßer Anwendung des allgemeinen Maßstabs des § 53 Abs. 1 AufenthG als rechtswidrig erweist. Damit kann auch offenbleiben, ob der Kläger aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3a AufenthG genießt (zur Möglichkeit einer „inlandsbezogenen“ Ausweisung in diesen Fällen allgemein vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 47 f.; krit. unlängst EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris; a.A. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris).
46 
c) Die Ausweisung ist formell rechtmäßig, da unerheblich ist, dass die Anhörung zu einer auf Grundlage von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu verfügenden Ausweisung erfolgt ist. Denn eine unzutreffend angegebene Rechtsnorm, gegen die der Betroffene verstoßen haben soll, macht die Anhörung erst dann fehlerhaft, wenn die bezeichnete Rechtsnorm dem Fall eine grundsätzlich andere rechtliche und/oder tatsächliche Bedeutung verleiht (vgl. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 41 m.w.N.), was hier nicht der Fall ist. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Verwaltungsverfahren Akteneinsicht genommen und entsprechend vorgetragen.
47 
d) Hinsichtlich des Klägers konnte zur Überzeugung der Kammer allerdings kein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG festgestellt werden (vgl. § 108 VwGO). Nach dieser Vorschrift wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG dann besonders schwer, wenn ein Ausländer zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist (insbesondere) auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt (lit. a), Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift (lit. b) oder Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt (lit. c), es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
48 
aa) Die Bestimmung des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG – bzw. dessen Vorgängervorschrift § 55 Abs. 2 Nr. 8 lit. a und b AufenthG a.F. (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053, 1055) – schafft nach dem gesetzgeberischen Willen eine Grundlage, sogenannte Hassprediger auszuweisen und damit „geistigen Brandstiftern“ möglichst frühzeitig und wirkungsvoll entgegenzutreten. Mit dieser Vorschrift sollen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Äußerungen und Handlungen erfasst werden, die das friedliche Zusammenleben im Bundesgebiet gefährden (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 51). Die Störung muss aktuell sein, das heißt einen Bezug zur Gegenwart haben (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 19.03.2012 - OVG 3 B 2.11 -, juris Rn. 25; VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris Rn. 65).
49 
Wegen der einschneidenden Folgen, die die Bejahung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses aus § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nach sich zieht, dürfen die entsprechenden Feststellungen nur auf einer fundierten und belastbaren Tatsachengrundlage getroffen werden; es bedarf einer trennscharfen Zuordnung von Fakten zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen (zum Ganzen, BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 48 ff.; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 22; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG, Rn. 66, m.w.N.; Hoppe, in: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, S. 260; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 12, m.w.N.).
50 
Keine Anknüpfungspunkte einer Ausweisung können von vorneherein solche Äußerungen sein, die durch die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EMRK verbürgte Meinungsfreiheit (bzw. auch durch die Bekenntnisfreiheit im Sinne des Art. 4 GG) geschützt sind. Meinungen verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden, selbst wenn sie grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage stellen (BVerfG, Beschl. v. 04.02.2010 - 1 BvR 369/04, u.a. -, juris Rn. 27; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 67). Die Äußerung ist auszulegen und die damit zum Ausdruck gebrachte Meinung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Der für die Bewertung einer Äußerung als tatbestandsmäßig maßgebliche Erklärungswert richtet sich nicht allein nach dem Wortlaut einer Aussage, sondern auch nach dem Äußerungszusammenhang, nach der konkreten zeitgeschichtlich-politischen und gesellschaftlichen Situation und nach dem Empfängerhorizont der Adressaten. Äußert sich der Ausländer in einer Fremdsprache und lässt die Übersetzung mehrere Interpretationen zu, so kann eine Ausweisung nicht allein darauf gestützt werden, dass die fragliche Äußerung von den Zuhörern möglicherweise entsprechend verstanden werden konnte. Das gilt insbesondere, wenn lediglich assoziative Bezüge hergestellt werden können. Einer besonders eingehenden Begründung bedarf die Annahme, dass sich bei mehrdeutigen oder versteckten Äußerungen hinter der gewählten sprachlichen Fassung eine Einwirkung i.S. des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG verbirgt. Die Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Grenze stets dann, wenn die Äußerung einer Meinung die Menschenwürde eines anderen antastet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 48; OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 22; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 50 ff.; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1072; Hailbronner, in: ders., AuslR, Mai 2021, § 54 AufenthG, Rn. 96).
51 
bb) Hass ist eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung. Der Aufruf ist durch ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel gekennzeichnet, in diesen den Entschluss zu einem bestimmten Verhalten hervorzurufen (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 15.01.2013 - 1 A 202/06 -, BeckRS 2013, 47076; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 2021, § 55 Rn. 122 f.). Er kann mündlich oder schriftlich über alle denkbaren Medien, insbesondere auch das Internet, erfolgen. Vor dem Hintergrund, dass die Norm des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG das friedliche Zusammenleben im Bundesgebiet schützen will, muss – mit Ausnahme von § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG, der insoweit regelungssystematisch missglückt erscheint – eine in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppe betroffen sein, die sich etwa nach ethnischen oder religiösen, sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Merkmalen von der übrigen Bevölkerung unterscheiden lässt und zahlenmäßig so erheblich ist, dass sie individuell nicht mehr überschaubar ist. Zielt die Äußerung auf Gruppen im Ausland, so kommt es darauf an, ob damit zugleich eine entsprechende Gruppe im Inland betroffen ist. Hetze gegen eine einzelne Person erfüllt den Tatbestand nicht, es sei denn, diese Person steht symbolisch für eine bestimmte Gruppe. Staaten, Regierungen und sonstige Institutionen als solche bilden keine Bevölkerungsteile und sind somit keine tauglichen Angriffsobjekte (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 54 AufenthG, Rn. 62, m.w.N.; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris Rn. 45; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1181 ff.).
52 
cc) Zur weiteren Konkretisierung des vergleichsweise offenen Grundtatbestands des „Aufrufens zum Hass gegen Teile der Bevölkerung“ enthält § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 AufenthG eine Aufzählung von Handlungen, deren Vorliegen die eine Art unwiderlegliche Vermutung begründen, dass von einem „Hasspredigen“ auszugehen ist (vgl. Neidhardt, in: HTK-AuslR, 18.11.2016, § 54 AufenthG, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 3). Insoweit dürfte es sich gewissermaßen um Regelbeispiele handeln, die den Grundtatbestand des Halbsatz 1 nicht abschließend konkretisieren. Das hier normierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse orientiert sich ersichtlich an Straftatbeständen des § 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung) und der Verleumdung nach § 187 StGB, wobei allerdings zu beachten ist, dass anstelle des Begriffs des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 1 StGB der weit unterhalb dieser Schwelle liegende Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verwendet wird. § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG knüpft zudem an den Straftatbestand der Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) an. Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der entsprechenden Handlungsalternativen des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kann danach jeweils auf die zu den entsprechenden Straftatbeständen entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden, obgleich eine Verurteilung nicht vorausgesetzt wird (OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 21; Hess. VGH, Urt. v. 16.11.2011 - 6 A 907/11 -, juris; VG Berlin, Urt. v. 22.4.2008, - 35 A 397.07 -, juris; Fleuß, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 29. Ed. 2021, § 55 Rn. 119; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 8 ff., m.w.N.; Discher, in: Fritz/Vormeier, GK-AufenthG, Juli 2009, § 55 Rn. 1177 f.).
53 
dd) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer (vgl. § 108 Abs. 1 VwGO) mit dem ihm zugeschriebenen Äußerungen keine der in § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG niedergelegten Handlungsvarianten verwirklicht.
54 
(1) Die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums stützt sich vor allem auf den Bericht des Verfassungsschutzes vom 23.08.2018. Danach sei der Kläger überzeugter, strenger Salafist und Imam der salafistisch geprägten „...“-Moschee in .... Er pflege Kontakte zu Personen aus der salafistisch und jihadistisch orientierten Szene und gebe in der genannten Moschee Islamunterricht. Bei Freitagsgebeten, bei denen mitunter mehr als 1.000 Zuhörer anwesend seien, befürworte und verherrliche er immer wieder islamistischen Terrorismus und Jihadismus. Am Ende eines Freitagsgebets in arabischer Sprache bitte er üblicherweise um Gottes Segen für die Mujaheddin in Syrien und der islamischen Welt. Dabei gebe es Zustimmungsbekundungen aus dem Auditorium. Der vom Kläger genutzte Facebook-Account habe zumindest im August 2017 „Likes“ zu den Facebook-Profilen von IS-Sympathisanten und verschiedenen salafistischen Predigern aufgewiesen, unter anderem zum Facebook-Profil von Pierre Vogel. Konkret habe der Kläger am 08.07.2016 im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Allah hilf (im Sinne von 'verleihe den Sieg') den Mujaheddin im Osten der Erde / auf der ganzen Welt / im Westen der Erde und zwar unseren Brüdern in Syrien, im Irak und in Afrika und Somalia.“ Im April 2017 habe er im Rahmen seiner Predigt in der genannten Moschee über den „Jihad“ gesprochen und geäußert, dass der Islam als Gesellschaftsform auch die westlichen Staaten überziehen werde. Am 12.05.2017 habe er vor etwa 1.000 Besuchern in der genannten Moschee sinngemäß geäußert: „Wir sind richtige und internationale Salafisten. [...] Für einen toten Europäer heult die ganze Welt, für 200 tote Menschen in Syrien, einschließlich einem Scheich und Kindern, interessiert sich niemand.“ Darüber hinaus habe er bei dieser Rede den Salafismus als einzig wahre Religion gegenüber allen anderen Religionen positioniert, wobei er auch schiitischen Muslime ausgeschlossen habe. Nach der Predigt sei der Gemeinde Zeit für Fragen an den Imam, den Kläger, zur Verfügung gestellt worden. Seine Antworten seien an der Weltsicht des Salafismus orientiert gewesen. Zur Rolle der Frau habe er beispielsweise geäußert, dass diese ihren Platz ausschließlich im Haus habe und nur vollverschleiert auftreten dürfe. Eine Frau, welche das Haus verlasse, sei den Ideen der Lehren der deutschen Gesellschaft ausgesetzt und dies sei nicht gut. Der Ehemann brauche nicht zu arbeiten und müsse sich seinen religiösen Pflichten widmen. Zu den Kindern habe er gesagt, dass diese zwingend die Moschee besuchen müssten, um sich mit dem Islam und dem Koran zu beschäftigen. Am 15.06.2018 habe er in der genannten Moschee vor etwa 1.200 Zuhörern sinngemäß geäußert: „Allah beschütze die Mujaheddin in der arabischen Welt. Allah befreie die Mujaheddin aus den Gefängnissen.“
55 
Den in den Akten befindlichen polizeilichen Befragungen vom 06.10.2016 und vom 18.02.2019 lassen sich keine konkreten Äußerungen des Klägers entnehmen. Zwar geht aus diesen hervor, dass dieser zumindest eine gewisse Zeit über und zumindest faktisch die Funktion eines Imams in der Moschee ausgeübt hat. Außerdem sei er in der Flüchtlingsunterkunft durch seine strenge Religionsausübung aufgefallen. Mehr lässt sich den Aussageprotokollen aber nicht entnehmen. Einer der Zeugen hat zudem allgemein geäußert, dass der Kläger mit „der Propaganda“ nichts zu tun gehabt und auch nicht radikal gepredigt habe.
56 
Nähere Erkenntnisse über die vorgelegten Tatsachen konnten auch durch die Vernehmung des Zeugens des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung, der allenfalls als Zeuge vom Hörensagen eingestuft werden kann (zum Beweiswert vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, juris Rn. 50), nicht gewonnen werden. Dieser gab zwar an, dass die (zuverlässige) Quelle, wie der Kläger, „Hocharabisch“ spreche und regelmäßig für den Verfassungsschutz berichte. Allerdings konnte er sich weder an einzelne Treffen mit der Quelle, denen er unter Umständen beigewohnt hat, erinnern noch konnte bzw. durfte er irgendwelche Angaben zum Erkenntnisweg der maßgeblichen Äußerungen machen.
57 
(2) Vor dem Hintergrund der Erkenntnislage bestehen für die Kammer keine Zweifel, dass der Kläger sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr religiös in der „...“ Moschee (aus Sicht der Besucher der Moschee als „Imam“) engagiert hat. Insoweit dürfte er sich – wovon auch der Verfassungsschutz und das Regierungspräsidium nachvollziehbarerweise ausgehen – jedenfalls im Sinne des Salafismus in der Moschee und bei Gesprächen geäußert haben, auch wenn er dies (pauschal) bestreitet. Für die Kammer waren auch die Darstellungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft, sondern stellten sich vielmehr als nachträgliche Schutzbehauptungen dar, mit denen dieser versuchte – möglicherweise auch vor dem Eindruck der Ausweisung oder weil er seine eigene Position mittlerweile verändert hat –, die von ihm eingenommene Rolle zu relativieren. Bereits sein in der mündlichen Verhandlung erstmalig erfolgter Vortrag, wie es – nach einer urlaubsbedingten Ausreise des ursprünglichen Imams kurzfristig – zu seiner Einbindung in die Moschee gekommen sei, war vor dem Hintergrund der Größe der dortigen Glaubensgemeinschaft und der Bedeutung des Amtes nicht nachvollziehbar. Auch erscheint es fernliegend, dass er eineinhalb Jahre in der Moschee das Freitagsgebet gehalten habe, indem er Predigten aus dem Internet (vor-)gelesen haben will, ohne sich über deren Inhalt Gedanken gemacht zu haben. Gleiches gilt für die im Nachgang zur Predigt stattfindenden Gesprächsrunden. Die von ihm damit behauptete gleichgültige Haltung gegenüber den Glaubensinhalten passt auch nicht zur übrigen Persönlichkeit des Klägers. Nachfragen der Kammer und des Beklagten hierzu beantwortete er ausweichend und ausgesprochen knapp. Seine Darstellungen waren daher ungleichgewichtig, da konkreten Erinnerungen immer wieder große Erinnerungslücken entgegenstanden. Insoweit erscheint es daher ohne Weiteres plausibel, dass er sich zumindest integrationshinderlich bzw. segregationsfördernd geäußert haben könnte. Auch hat der Kläger etwa selbst angegeben, nach seiner Einreise „Hass“ gegen die Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung in Syrien verspürt zu haben.
58 
(3) Allerdings lässt sich die nach den oben aufgestellten Grundsätzen erforderliche fundierte und belastbare Tatsachengrundlage für eine Ausweisung nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht feststellen. Ausgangspunkt der Bewertung können lediglich konkrete Äußerungen des Klägers (Tatsachen) sein, die ausgehend vom jeweiligen Sinnzusammenhang trennscharf zugeordnet werden können, und nicht bloße allgemeine Einordnungen. Andernfalls könnten auch Unschärfen bei der Übersetzung nicht berücksichtigt werden. Nur auf einer solchen Grundlage kann sichergestellte werden, dass dieser Ausweisungsgrund nicht zum „Gesinnungstatbestand“ und der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit ausreichend Rechnung getragen wird.
59 
Die offengelegten Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden beinhalten hier weder ein Transkript der inkriminierten Predigten in Originalsprache oder eine Übersetzung noch Angaben zu den unmittelbaren Zeugen, den Übersetzern oder sonstige Hinweise, die eine objektive Bewertung der mitgeteilten Informationen zuließen. So ist bereits unklar, in welcher Sprache der Kläger sich im Einzelnen geäußert hat und wie die Zitate genau übermittelt wurden. Belastbare schriftliche Aufzeichnungen hat das Regierungspräsidium – trotz gerichtlicher Aufforderung – nicht vorgelegt. Dabei hätte es gerade aufgrund der Schärfe der damit verbundenen Folgen nahegelegen, im Falle einer geplanten Ausweisung, gegebenenfalls unter Ausnutzung etwaiger technischer Möglichkeiten, eine umfassendere Tatsachengrundlage zu legen. Wenn der Zeuge des Verfassungsschutzes sich in der mündlichen Verhandlung insoweit (pauschal) auf den erforderlichen „Quellenschutz“ berufen hat, ohne auf die örtlichen oder situativen Besonderheiten einzugehen, so ist dies zwar nachvollziehbar, allerdings insgesamt zu allgemein. Selbst wenn jedoch eine – wie auch immer geartete – Aufzeichnung der vom Kläger gehaltenen Predigten wegen der Gefahr einer Enttarnung der Quelle nicht möglich gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass auf dieser Grundlage eine Beurteilung der vorgelegten Tatsachen durch die Kammer nicht möglich ist.
60 
Lediglich drei aus dem Zusammenhang gerissene Wortzitate sind in dem Bericht des Verfassungsschutzes enthalten, der sich vor allem auf eine äußerst knappe Skizzierung der offensichtlich als relevant erachteten Redeinhalte beschränkt. Somit fehlt hier weitestgehend der Äußerungszusammenhang, sodass eine konkrete einzelfallbezogene Bewertung insoweit nicht durchführbar ist. Im Übrigen werden Einordnungen der Aussagen des Klägers vorgenommen, ohne dass eine konkrete Tatsachengrundlage hierfür dargelegt wird. Vor diesem Hintergrund ist auch ein Abgleich der Predigtinhalte mit den vom Kläger jeweils vorgelegten Predigten – die sich deutlich unterscheiden – nicht durchführbar, sodass offen ist, welche Predigt dieser gehalten hat.
61 
(4) Soweit der Kläger nach dem Bericht des Verfassungsschutzes möglicherweise eine von liberalen Muslimen abweichende Meinung geäußert hat, ist dies für sich genommen kein Anknüpfungspunkt für die Annahme eines „Aufrufs zu Hass“ im Sinne einer der Tatbestandsalternativen des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Dies gilt insbesondere für die auf den April 2017 datierte und dem Kläger zugeschriebene Äußerung, dass der Islam als Gesellschaftsform „die Welt überziehen“ werde. Denn eine konkrete feindselige Haltung – etwa gegenüber dem Bevölkerungsteil der Nichtmuslime – kommt darin nicht zum Ausdruck, selbst wenn der Kläger damit hat ausdrücken wollen, dass er Muslime als gegenüber anderen Religionsangehörigen überlegen ansieht (vgl. OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 20.05.2021 - 2 M 25/21 -, juris Rn. 35 und 45).
62 
Weiterhin fehlen belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Begriff des „Jihad“ als aktuelles Mittel der Auseinandersetzung in Sinne eines gewaltsamen Kampfs gegen Andersgläubige befürwortet hat. Insoweit liegen bereits keine genauen Äußerungen vor. Auch die Facebook-„Likes“ des Klägers, die wohl bereits kaum als Meinungskundgabe gewertet werden können, rufen offensichtlich nicht zu Hass gegen Teile der Bevölkerung auf, selbst wenn unter den „geliketen“ Personen salafistische Prediger sind. Nachweise für konkrete Posts oder geteilte Beiträge, die zum Hass aufrufen und die zur Grundlage einer Ausweisungsentscheidung gemacht werden könnten, liegen nicht vor.
63 
Wenn der Kläger sich im Rahmen von Gesprächen am 12.05.2017 zur Rolle der Frau dahingehend geäußert haben soll, dass diese ihren Platz ausschließlich im Haus habe und nur vollverschleiert auftreten dürfe, so lässt sich dieser Zusammenfassung nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnehmen, dass der Kläger damit dem grundrechtlich geschützten Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) in der erforderlichen eklatanten Weise widersprochen hätte (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. b AufenthG). Vielmehr erscheint es hiernach denkbar, dass er (nur) ein veraltetes Geschlechterverständnis propagiert hat. Die Aussage des Klägers, die dieser im Rahmen eines nach einer Predigt stattgefunden Gesprächs geäußert haben soll, liegt bereits nur in indirekter Rede vor. Auch lässt sich der Äußerung, wonach es „nicht gut“ sei, wenn die Frau das Haus verlasse, kein Hinweis darauf entnehmen, dass der Kläger eine irgendwie geartete zwangsweise Durchsetzung gegen einen eventuell entgegenstehenden Willen einer Frau gefordert oder auch nur befürwortet hätte.
64 
(5) Lediglich drei Ereignisse werden in dem Bericht taggenau datiert und im Wortlaut wiedergegeben. Diese rechtfertigen – unabhängig davon, ob der Kläger sie entsprechend geäußert hat und losgelöst von ihrem im Einzelnen umstrittenen Bedeutungsgehalt – die Annahme eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG nicht. Im Einzelnen handelt sich um folgende Aussagen:
65 
08.07.2016: „Allah hilf (im Sinne von 'verleihe den Sieg') den Mujaheddin im Osten der Erde / auf der ganzen Welt / im Westen der Erde und zwar unseren Brüdern in Syrien, im Irak und in Afrika und Somalia.“
66 
12.05.2017: „Wir sind richtige und internationale Salafisten. [...] Für einen toten Europäer heult die ganze Welt, für 200 tote Menschen in Syrien, einschließlich einem Scheich und Kindern, interessiert sich niemand.“
67 
15.06.2018: „Allah beschütze die Mujaheddin in der arabischen Welt. Allah befreie die Mujaheddin aus den Gefängnissen.“
68 
(a) Der Aussage vom 12.05.2017 kann unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit kein Sinngehalt zugeordnet werden, der nach den oben aufgestellten Maßstäben eine Ausweisung rechtfertigen könnte. Ein Bekenntnis zum Salafismus allgemein vermag den Ausweisungstatbestand nicht zu erfüllen. Soweit der Kläger in seiner Predigt damit zum Ausdruck gebracht haben sollte, dass die weltweite Anteilnahme ungleich verteilt sei, ist nicht ersichtlich, dass diese Äußerung nicht von der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit gedeckt ist.
69 
(b) Die beiden Aussagen vom 08.07.2016 und 15.06.2018 drücken vor allem Sympathien für die Mujaheddin aus. Allerdings wird auch hierdurch der Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG nicht erfüllt.
70 
Zwar ist eine (konkrete) Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland für die Erfüllung dieses Tatbestands nicht erforderlich; vielmehr ist ausreichend, wenn durch das Werben für oder das Billigen von Verbrechen das politische Klima in Deutschland aufgeheizt wird bzw. ein die Begehung gleichartiger Taten begünstigendes Klima geschaffen wird (vgl. zu § 55 Abs. 2 Nr. 8 a AufenthG a.F., VG München, Urt. v. 09.09.2008 - M 4 K 08.2158 -, juris Rn. 167; VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris). Allerdings geht die Kammer davon aus, dass § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. c AufenthG einschränkend auszulegen ist, da der Bezug zu den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik aufgrund der fehlenden Verbindung zur hiesigen Bevölkerung nur ein loser ist. Daher müssen gerade die „terroristischen Taten“ konkret bzw. auf irgendeine Art und Weise eingrenzbar sein (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 22.01.2015 - OVG 3 B 16.09 -, juris Rn. 49; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, 18.11.2016, Abs. 1 Nr. 5, Rn. 63).
71 
Zunächst werden durch die Äußerung des Klägers nicht konkrete „terroristische Taten [im Ausland]“, die sich anders als die anderen Tatbestandsalternativen nicht auf inländische Bevölkerungsteile beziehen müssen, gebilligt. Denn es ist nicht erkennbar, welche genauen Taten von den Äußerungen des Klägers in Bezug genommen werden. Eine Konkretisierung kann auch weder über den Sinnzusammenhang hergestellt werden, da ein solcher fehlt, noch über eine regionale Zuordnung. Auch wenn der Kläger einzelne Staaten genannt haben sollte – wie etwa Somalia, wo es zu terroristischen Taten von Islamisten kommt –, ermöglicht dies keine hinreichende Konkretisierung.
72 
Auch ein Werben für solche Taten liegt nicht vor.
73 
„Werben“ ist eine mit Mitteln der Propaganda betriebene Tätigkeit, die auf Weckung oder Stärkung der Bereitschaft Dritter zur Förderung einer bestimmten Tat gerichtet ist, wobei unerheblich ist, ob ein Werbeerfolg eintritt oder ob das Handeln auch nur zu dessen Herbeiführung geeignet ist. Allerdings bedarf es eines tiefen Eindrucks. Das Werben ist – anders als das Billigen – auf die Unterstützung einer in der Zukunft liegenden, nicht notwendigerweise gleichermaßen konkretisierten Tat gerichtet, wobei erforderlich ist, dass die Darstellung zur gegenwärtigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Deutschland geeignet ist (VG Berlin, Urt. v. 22.04.2008 - 35 A 397.07 -, juris Rn. 65; Hailbronner, in: ders., AuslR, Mai 2021, § 54 AufenthG, Rn. 96).
74 
Vor allem könnte der Predigt vom 08.07.2016 eine Andeutung hierauf entnommen werden, weil insoweit (ohne etwa die Bundesrepublik zu erwähnen) ein Werben für einen weltweiten religiösen Kampf im Sinne von terroristischen Taten gesehen werden könnte. Davon kann jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgegangen werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger durch seine im Vordergrund stehenden Beistandsbitten bzw. Sympathiebekundungen überhaupt für „terroristische Taten“ geworben hat. Denn es lassen sich allenfalls assoziative Bezüge zu „terroristischen Taten“ herstellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.06.2005 - 2 BvR 485/05 -, NVwZ 2005, 1053, 1055). Die Äußerung des Klägers ist mehrdeutig. Gerade hinsichtlich des im Zentrum dieser Predigt stehenden Begriffs des „Mujaheddin“ erscheinen – wie auch das Regierungspräsidium eingeräumt hat – andere Auslegungen jedenfalls möglich, die den Begriff nicht als gewalttätigen Kämpfer verstehen. Wie der Kläger den Begriff verwendet hat, erschließt sich nicht eindeutig, da jeder aggressiv-kriegerische Zusammenhang fehlt (vgl. OVG Berl.-Brandenbg., Urt. v. 19.03.2012 - OVG 3 B 2.11 -, juris) bzw. ein solcher nur assoziativ herzustellen ist. Auch wird dadurch nicht ausreichend deutlich, dass der Kläger für die Methoden der Mujaheddin, wie möglicherweise Selbstmordattentate wirbt (vgl. für einen solchen Fall, OVG Bremen, Beschl. v. 20.06.2005 - 1 B 128/05 -, juris Rn. 26). Aufgrund des fehlenden Sinnzusammenhangs lässt sich auch nicht (zweifelsfrei) feststellen, ob ein eindeutiger Zusammenhang mit zur Zeit der Predigt maßgeblichen Krisengebieten und Zentren terroristischer Anschläge bestand bzw. zu dortigen Taten.
75 
(6) Soweit das Regierungspräsidium in der mündlichen Verhandlung zudem auf die Äußerung des Klägers in der von diesem vorgelegten Freitagspredigt vom 28.04.2017 – zu der keine Erkenntnisse des Verfassungsschutzes vorliegen – abgestellt hat, vermag diese ein Ausweisungsinteresse ebenfalls nicht zu begründen. Laut der vorgelegten Übersetzung lautet der aus Sicht des Regierungspräsidiums erhebliche Predigtauszug:
76 
„Wir bitten Allahs, uns auf dem richtigen Weg zu beweisen, er ist diesbezüglich der Hüter und fähig dazu. Möge Allah den Islam und Muslime verehren und Polytheismus und Polytheisten demütigen. Oh Allah verteidige deine Anbeter und dein Buch und die Sunna deines Propheten und monotheistischen Anbeters. Oh Allah leite uns und lass uns nicht irreführen.“
77 
Insoweit hat der Verfassungsschutz in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Predigt salafistisch sei. „Polytheisten“ seien in der Dogmatik der Salafisten – und damit im Kontext dieser Predigt – Menschen, die Allah etwas bzw. jemanden „beigesellen“ und ihn daher nicht als höchste Instanz anerkennen. Sie stellten das grundlegende Konzept des „Tauhid“ (Einheit und Einzigartigkeit Gottes) in Frage. Auch Demokraten seien daher Polytheisten.
78 
Diese Äußerung könnte nach Auffassung der Kammer nur unter § 54 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 Alt. 2 lit. b AufenthG gefasst werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger durch die Äußerung Teile der Bevölkerung – hier gegebenenfalls Nicht-Salafisten bzw. Demokraten – böswillig verächtlich gemacht und sie dadurch in ihrer Menschenwürde angegriffen hätte. Verächtlichmachung ist die Herabwürdigung, die böswillig mit der Absicht der Hasserzeugung erfolgt. Sie ist gegen die Menschenwürde anderer gerichtet, wenn sie deren Persönlichkeitskern angreift, ihnen das Menschsein oder das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abspricht und sie als minderwertige Wesen einstuft. Die Äußerung muss einen Angriff auf die Menschenwürde anderer enthalten. Darin liegt eine maßgebliche tatbestandliche Einschränkung. Das Tatbestandsmerkmal stellt sicher, dass nur besonders massive Diskriminierungen und Diffamierungen als ausreichend angesehen werden. Erforderlich hierfür ist, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behandelt wird. Das ist etwa der Fall, wenn sie in einem wichtigen Bereich in ihrer Persönlichkeitsentfaltung behindert oder unter Missachtung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als minderwertige Person behandelt werden soll oder wenn ihr ungeschmälertes Lebensrecht in der Gemeinschaft in Frage gestellt oder relativiert wird. Mithin muss der Äußernde das „Menschentum“ der Angegriffenen bestreiten oder relativieren (zum Ganzen, BVerfG, Beschl. v. 25.03.2008 - 1 BvR 1753/03 -, NJW 2008, 2907; Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2009, § 130 Rn. 46 ff., m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 130 StGB, Rn. 7, m.w.N.).
79 
Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass die obige Äußerung diese Voraussetzungen erfüllt. Selbst wenn man die knappe Auslegung des Verfassungsschutzes in der mündlichen Verhandlung für zutreffend hält, ist die Forderung nach einer „Demütigung“ durch Allah auch für das angesprochene Publikum in der Moschee zu vieldeutig, um eine Ausweisung zu tragen. So ist der genaue Bezugspunkt letztlich unklar und bezieht sich die religiöse Verwünschung, die damit zum Ausdruck kommt, möglicherweise nur auf ein „schlechte[re]s Lebensschicksal“. Dass diese Äußerung, die im Kerngehalt allenfalls eine Abwertung für den „falschen Glauben“ zum Ausdruck bringt, verdeckt eine zusätzliche Aussage enthält, drängt sich der Kammer als Schlussfolgerung nicht auf.
80 
e) Andere Ausweisungsinteressen sind keine ersichtlich. Insbesondere liegt ein Fall des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor, da weder eine hinreichend konkrete Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden kann (lts. 1) noch ein Bezug zu einer insoweit in Bezug genommenen Vereinigung erkennbar ist (lts. 2). Dies hat auch das Regierungspräsidium nicht (mehr) geltend gemacht.
81 
2. Da nach alledem die Ausweisung rechtswidrig ist, hat der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.
82 
a) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG hat der Kläger derzeit allerdings nicht, da die Kammer davon ausgeht, dass er aufgrund des von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren Widerrufs seiner Flüchtlingseigenschaft (vgl. § 75 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG) jedenfalls für das Aufenthaltstitelerteilungsverfahren (derzeit) nicht als Flüchtling angesehen werden kann; einen (erfolgreichen) Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat er nicht gestellt (vgl. zum Ganzen OVG Bremen, Beschl. v. 09.12.2020 - 2 B 240/20 -, juris Rn. 10 ff.; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 26.02.2019 - 18 A 44/15 -, juris Rn. 36 f.; Bayer. VGH, Beschl. v. 23.02.2016 - 10 B 13.1446 -, juris Rn. 3; OVG Saarland, Beschl. v. 10.11.2010 - 2 B 290/10 -, juris Rn. 18 m.w.N.; VG Bremen, Beschl. v. 13.07.2020 - 2 V 199/20 -, juris Rn. 34 f.; VG München, Urt. v. 11.07.2006 - M 4 K 05.3011 -, juris; Seeger, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 01.01.2021, § 75 AsylG, Rn. 5).
83 
Insoweit ist die Klage abzuweisen, da der Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG kein bloßes Aliud darstellt, wie sich sowohl unmittelbar aus den Erteilungsvoraussetzungen als auch aus den Wirkungen der Erteilung ergibt (vgl. etwa § 26 Abs. 1 AufenthG).
84 
b) Allerdings legt die Kammer den Verlängerungsantrag des Klägers (§ 81 Abs. 1 AufenthG) dahingehend aus (Samel, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 81 Rn. 7), dass er gewissermaßen als Minus einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG mitumfasst, weil er sich ersichtlich auf den im Asylverfahren zuerkannten humanitären Schutzstatus richtet. Da damit ein Wechsel des Erteilungsgrundes (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufentG) nicht vorliegt, hat die Berufung auf eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen jedenfalls in dieser Konstellation zur Folge, dass ein Erteilungsanspruch nach jeder für den vorgetragenen Aufenthaltszweck in Betracht kommenden Vorschrift des 5. Abschnitts zu prüfen ist, sodass das aufenthaltsrechtliche Trennungsprinzip der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis hier nicht entgegensteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, NVwZ 2006, 1418; Urt. v. 04.09.2007 - 1 C 43.06 -, juris; strenger VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.04.2008 - 11 S 683/08 -, juris).
85 
Die weiteren Voraussetzungen (insbesondere) des § 25 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegen vor. Hinsichtlich der Frage, ob sich der Kläger Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder ob er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt, wird auf die obigen Ausführungen, wonach entsprechende Feststellungen bezüglich des Klägers derzeit nicht getroffen werden können, Bezug genommen.
86 
Auch finden weder die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, da Ziffer 4 des Bescheids aufzuheben war, noch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 4 AufenthG Anwendung. Über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis entscheidet gemäß § 6 Abs. 2 AAZuVO auch der Beklagte durch das ihn vertretende Regierungspräsidium und nicht etwa die Stadt ....
87 
3. Ferner sind die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung des Aufenthalts nach § 56 Abs. 1 und 2 AufenthG angesichts des fehlenden Ausweisungsinteresses aus § 54 Abs. 1 Nr. 2–5 AufenthG rechtswidrig.
88 
4. Schließlich ist auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aufzuheben, nachdem der Kläger nicht ausgewiesen werden durfte.
III.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Insoweit bewertet die Kammer das Teilunterliegen des Klägers hinsichtlich der Erteilung einer weniger gehaltvollen Aufenthaltserlaubnis als geringfügig.
IV.
90 
Gründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht nach § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.
91 
Beschluss vom 12.07.2021
92 
Der Streitwert wird gemäß § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 8.1 und 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 10.000,- EUR festgesetzt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.01.2020 - 11 S 3477/19 -, juris).

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