Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 18 Nc 762/09
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
2Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht gemäß § 123 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht. Der geltend gemachte Anspruch, der sich auf die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin zum Wintersemester 2009/10 an der Universität Duisburg-Essen im ersten Semester des klinischen Studienabschnitts richtet und auf Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Sozialstaatsgebot beruhen kann, besteht nach der hier allein möglichen summarischen Überprüfung nicht.
3Die Anzahl der im ersten klinischen Fachsemester an der Universität Duisburg-Essen im Studiengang Medizin - Staatsexamen - verfügbaren Studienplätze ist durch die Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen in höheren Fachsemestern an den Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen zum Studienjahr 2009/2010 vom 20. August 2009 (GV NRW, 452), Anlage 3, für das Wintersemester 2009/10 auf 139 festgesetzt worden. Diese Höchstzahl unterschreitet nicht die vorhandene Ausbildungskapazität. Es sind keine weiteren Studienplätze vorhanden.
4Rechtsgrundlage der Kapazitätsermittlung ist die Verordnung über die Kapazitätsermittlung, die Curricularnormwerte und die Festsetzung von Zulassungszahlen (Kapazitätsverordnung - KapVO -) vom 25. August 1994 (GV NRW, 732), zuletzt geändert durch die dritte Verordnung zur Änderung der Kapazitätsverordnung vom 12. August 2003 (GV NRW, 544). Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 KapVO wird die jährliche Aufnahmekapazität in zwei Verfahrensschritten ermittelt, d.h. gemäß Nr. 1 im Wege einer Berechnung aufgrund der personellen Ausstattung nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung (§ 6 bis § 13 KapVO) und gemäß Nr. 2 im Wege einer Überprüfung des Ergebnisses anhand der weiteren kapazitätsbestimmenden Kriterien nach den Vorschriften des Dritten Abschnitts der Kapazitätsverordnung (§ 14 bis § 21 KapVO).
5Das Ergebnis der Berechnung aufgrund der personellen Ausstattung nach dem Zweiten Abschnitt der Kapazitätsverordnung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KapVO für den klinischen Teil des Studiengangs Medizin anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren (§ 14 Abs. 2 Nr. 4 KapVO) zu überprüfen.
6Dazu ist in § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapVO geregelt, dass als patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität für den Studienabschnitt zwischen dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) und dem Beginn des Praktischen Jahres nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ÄAppO 15,5 vom Hundert der Gesamtzahl der tagesbelegten Betten des Klinikums anzusetzen sind.
7Soweit einige Antragsteller meinen, dass dieser Prozentsatz in bestimmtem Umfang - etwa auf 20 vom Hundert - erhöht werden müsse, ist nicht erkennbar, dass der Verordnungsgeber seinen diesbezüglich bestehenden weiten Entscheidungsspielraum überschritten und die zu berücksichtigenden tagesbelegten Betten nicht nach sachgerechten Kriterien, sondern willkürlich ermittelt hätte.
8Vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Februar 2008 - 13 C 59.08 - und vom 1. Oktober 2009 - 13 B 1185/09 -, jeweils juris.
9Entgegen der Auffassung einiger Antragsteller liegt ebenfalls die Anknüpfung an "Übernachtungspatienten" in dem hier nicht überschrittenen Einschätzungsermessen, das dem Verordnungsgeber bei der Reaktion auf die in den letzten Jahren zurückgegangenen Betten und Belegungstage in den Krankenhäusern eingeräumt ist.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2009 - 13 B 1185/09 -, juris.
11Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapVO ergibt sich für das Studienjahr 2009/10, ausgehend von 1.496,19 anzusetzenden tagesbelegten Betten (365.070 Gesamtbelegungstage, dividiert durch die 366 Tage des Jahres 2008, erhöht um 50 % aufgrund der poliklinischen Neuzugänge, § 17 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KapVO), die durch die Antragsgegnerin angegebene patientenbezogene jährliche Aufnahmekapazität von 232. Insoweit folgt aus § 9 Abs. 5 KapVO, dass - neben den Pflegetagen im Universitätsklinikum - an Pflegetagen in außeruniversitären Häusern ausschließlich diejenigen in den Fachabteilungen Psychiatrie und Orthopädie der Lehrkrankenhäuser Rheinische Kliniken Essen (Psychiatrie) und Kliniken Essen-Süd (Orthopädie) einzubeziehen sind. Nach § 9 Abs. 5 KapVO wird das Lehrangebot der Lehreinheit Klinisch-praktische Medizin um die Lehrleistungen erhöht, die von außeruniversitären Krankenanstalten vereinbarungsgemäß und auf Dauer für den Ausbildungsaufwand nach § 13 Abs. 1 KapVO erbracht werden. Auf dieser Grundlage hat die Antragsgegnerin bei ihren Berechnungen zutreffend nur die zusätzlichen Pflegetage in den genannten beiden Lehrkrankenhäusern berücksichtigt. Denn die Antragsgegnerin hat bereits in den Verfahren des Wintersemesters 2007/08 (18 L 977/07) glaubhaft dargelegt, dass sie allein mit diesen außeruniversitären Krankenanstalten entsprechende öffentlich-rechtliche Vereinbarungen zur Erbringung von Lehrleistungen für Studierende des hier betroffenen Studienabschnitts abgeschlossen habe, während sie nunmehr mitteilt, dass sich an den diesbezüglichen Verhältnissen nichts geändert habe.
12Im übrigen kann im Hinblick auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Abschluss weiterer Vereinbarungen dieser Art auch unter kapazitätsrechtlichen Gesichtspunkten zumindest bei summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht angenommen werden.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2008 - 13 C 59/08 -, juris.
14Entgegen der Auffassung einiger Antragsteller sind bei der Berechnung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KapVO die Privatpatienten nicht mitzuzählen. Der hier verwendete Begriff der "tagesbelegten Betten" kann nicht anders zu verstehen sein als der in § 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 lit. b) KapVO enthaltene gleichlautende Begriff. Für letztere Regelung, in der es um den Krankenversorgungsabzug geht, ist überwiegend anerkannt, dass sie nur solche Krankenversorgungstätigkeiten erfasst, zu denen der Stelleninhaber im Rahmen seines Hauptamtes dienst- bzw. arbeitsrechtlich verpflichtet ist. Bei den Privatpatienten der liquidationsberechtigten Ärzte handelt es sich nicht um Patienten "des Klinikums". Deren Behandlung wird von der Lehrperson als entgeltliche Nebentätigkeit i.S.d. § 7 der Hochschulnebentätigkeitsverordnung (HNtV) unter Benutzung der Einrichtung des Klinikums erbracht (vgl. § 14 Abs. 3 und Abs. 6 HNtV). Gegenüber dem Dienstherrn besteht für die liquidationsberechtigten Klinikärzte insoweit keine verpflichtende Krankenversorgungstätigkeit.
15So auch: OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Februar 2008 - 13 C 59/08 - und vom 10. April 2008 - 13 C 63/08 -; jeweils juris; vgl. ausführlich: BayVGH, Beschluss vom 10. April 1987 - 7 CE 86.12013 -, KMK-HSchR 1987, 883, 886 - 895; ferner: Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, § 17 KapVO Rdnr. 9; Zimmerling/Brehm, Hochschulkapazitätsrecht, Rdnr. 218, 292.
16Bei der Bestimmung der zur Verfügung stehenden "Gesamtzahl der tagesbelegten Betten des Klinikums" kommt es auch nicht darauf an, ob die liquidationsberechtigten Klinikärzte ihre Privatpatienten tatsächlich für Ausbildungszwecke heranziehen.
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So aber: Hamburgisches OVG, Beschluss vom 6. April 1988 - OVG Bs III 686/87 -, S. 10 des amtlichen Abdrucks.
19Denn der Bestand der für die klinische Ausbildung verfügbaren Patienten kann sich nur aus denjenigen ergeben, für die die liquidationsberechtigten Klinikärzte ihrem Dienstvorgesetzten gegenüber zur Krankenversorgung verpflichtet sind. Andernfalls hinge es vom Willen der einzelnen liquidationsberechtigten Klinikärzte ab, die Ausbildungskapazität der Hochschule zu beeinflussen. Das Kapazitätserschöpfungsgebot richtet sich nicht an die liquidationsberechtigten Klinikärzte - die als Privatpersonen persönliche ärztliche Leistungen (vgl. § 7 Abs. 1 und § 8 HNtV) erbringen - sondern ausschließlich an die Hochschule als Trägerin öffentlicher Gewalt. In dieser Eigenschaft kann die Hochschule nur im Rahmen des geltenden Arbeits- bzw. Dienstrechts von den liquidationsberechtigten Klinikärzten eine mit der Lehre verbundene Krankenversorgung der Allgemeinpatienten als hauptamtliche Aufgabe verlangen.
20Vgl. auch: BayVGH, a.a.O., KMK-HSchR 1987, 883, 893.
21Bei der hier allein möglichen summarischen Überprüfung besteht für das Gericht kein Anlass, an der Richtigkeit der von der Antragsgegnerin angegebenen und vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes NRW (MIWFT) zugrundegelegten Anzahl der tagesbelegten Betten zu zweifeln.
22Nimmt man nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 KapVO die im Hinblick auf die poliklinischen Neuzugänge maximale Erhöhung der patientenbezogenen Aufnahmekapazität um 50 % vor, so errechnet sich eine jährliche Aufnahmekapazität von 232. Das entspricht der Anzahl der von der Antragsgegnerin für das Studienjahr 2009/10 - im Winter- und Sommersemester - angebotenen Studienplätze.
23Da gemäß § 17 Abs. 2 KapVO das Berechnungsergebnis anhand der patientenbezogenen Einflussfaktoren die Festsetzung der Zulassungszahl bestimmt, wenn es niedriger ist als die Aufnahmekapazität aufgrund der personellen Ausstattung unter Berücksichtigung weiterer Überprüfungen, bedarf es keiner Überprüfung der personellen Aufnahmekapazität, die die Antragsgegnerin mit 834 errechnet hat.
24Die jährliche Aufnahmekapazität von 232 hat die Antragsgegnerin in Abstimmung mit dem MIWFT in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens auf 139 Studienplätze im Wintersemester 2009/10 und 93 Studienplätze im Sommersemester 2010 aufgeteilt. Es ist ermessensgerecht, die Zahl der Studienplätze für das erste Semester des klinischen Studienabschnitts im Wintersemester höher anzusetzen als im Sommersemester. Denn an der Universität Duisburg-Essen kann der vorklinische Studienabschnitt nur zum Wintersemester aufgenommen werden. Deshalb beginnt die Mehrzahl der Studierenden mit dem klinischen Studienabschnitt zum Wintersemester. Kapazitätsrechtlich ist es lediglich geboten, dass die Zulassungszahlen für die zwei Semester eines Studienjahres in der Gesamtheit der errechneten Jahreskapazität entsprechen.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 1989 - 7 B 82.89 -, NVwZ-RR 1990, 349.
26Der Antragsteller kann auch nichts daraus herleiten, dass von den somit im Wintersemester 2009/10 für das erste klinische Fachsemester verfügbaren 139 und für das zweite klinische Fachsemester verfügbaren 93 Studienplätzen tatsächlich nur 136 bzw. 72 durch Immatrikulation belegt sind. Unabhängig von der Frage, ob die tatsächliche Belegung der in nicht zu beanstandender Weise festgesetzten Studienplatzzahl überhaupt im vorliegenden außerkapazitären Zulassungsverfahren zu berücksichtigen ist, ist das Vorgehen der Antragsgegnerin angesichts der Regelung in § 25 Abs. 3 der Vergabeverordnung NRW vom 15. Mai 2008 (VergabeVO NRW) nach summarischer Prüfung jedenfalls nicht zu beanstanden. In dieser Vorschrift heißt es, dass, sofern die für ein höheres Fachsemester festgesetzte Zahl der Studienplätze durch die Zahl der Rückmeldungen überschritten wird, sich die Zulassungszahlen für die anderen Fachsemester, und zwar vorrangig für das jeweils höchste Fachsemester, entsprechend verringern. Hier hat die Antragsgegnerin durch Vorlage der Belegungslisten glaubhaft gemacht, dass sich zum dritten klinischen Fachsemester im Wintersemester 2009/10, für das verordnungsrechtlich 139 Studienplätze festgesetzt worden sind, 163 Studierende zurückgemeldet haben. Danach ist die im dritten klinischen Semester eingetretene Überbuchung um 24 Studierende durch eine Unterbuchung im ersten und zweiten klinischen Semester um zusammen ebenfalls 24 Studierende im Wege der Saldierung kompensiert worden. Dieses Vorgehen steht mit § 25 Abs. 3 VergabeVO NRW in Einklang. Das dort angeführte "jeweils höchste Fachsemester", in dem die Verringerung vorrangig vorzunehmen ist, bezeichnet insoweit das höchste Fachsemester unterhalb des Semesters mit der Überlast. Denn eine Überlast kann angesichts des bestehenden Rückmeldeanspruchs der diesbezüglich immatrikulierten Studierenden grundsätzlich primär nur in den darunter liegenden Semestern abgebaut werden.
27Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2009 - 13 B 1185/09 -, juris.
28Dass von den Studierenden, die auf den übersandten Belegungslisten für das erste bis dritte klinische Fachsemester geführt werden, insgesamt fünf beurlaubt sind, bedeutet bei der Saldierung nicht, dass im ersten klinischen Fachsemester noch Studienplätze in entsprechendem Umfang vorhanden wären. Denn auch beurlaubte Studierende sind im Rahmen der Überlast zu berücksichtigen. Andernfalls käme es zu einer das tatsächliche Lehrangebot übersteigenden Studierendenzahl, da jeder Beurlaubte sein Studium wieder aufnehmen kann.
29Soweit einige Antragsteller hilfsweise ihre Zulassung zum Medizinstudium in einem niedrigeren und damit vorklinischen Semester begehren, sind die dahingehenden Anträge schon unzulässig. Denn derjenige, der bereits den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung erfolgreich absolviert oder die Anerkennung einer entsprechenden ausländischen Prüfung erhalten hat, kann jedenfalls bei einem kapazitären Engpass kein schutzwürdiges Interesse an einem der knappen Studienplätze des vorklinischen Studienabschnitts haben, den er bereits abgeschlossen hat.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
31Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs.1, Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und orientiert sich an der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in Verfahren nach § 123 VwGO auf die vorläufige Zulassung zum Studium.
32Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2009 - 13 C 264/08 - und vom 16. März 2009 - 13 C 1/09 -, jeweils juris
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