Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 6a K 619/16.A
Tenor
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger zu 1. und die am 00.00.0000 geborene Klägerin zu 2. sind georgische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens. Sie sind seit 00.00.0000 miteinander verheiratet. Die Klägerin zu 3. ist die Tochter der Kläger zu 1. und zu 2. Der Sohn der Kläger zu 1. und 2. befindet sich ebenfalls in Deutschland und ist Kläger des Verfahrens 6a K 3451/15.A. Der Vater, eine Schwester, ein Bruder sowie Tanten und Onkel des Klägers zu 1. leben in Georgien, ebenso die Eltern, zwei Brüder, Tanten und Onkel der Klägerin zu 2.
3Im 00.00.00 reisten die Kläger nach eigenen Angaben auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Bei der am 00.00.0000 durchgeführten Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: „Bundesamt“) gab der Kläger zu 1. an: Er sei von Beruf „K. “. Er sei beim J. tätig gewesen, beim E. für Q. . Er sei ab 2007 als Q1. für N. L. zuständig gewesen, die Rektorin der damals noch bestehenden Universität N1. in Tbilisi. Er sei für sie auch eine Vertrauensperson gewesen. Die Regierung habe diese Universität 2010 unter Druck gesetzt. Das Sonderkommando „Sodi“ sei im September 2010 in die Universität eingedrungen und habe sie durchsucht. Die Universität sei schließlich aufgelöst worden. Auch er sei im Ausschuss befragt worden. Er habe aber nichts für Frau L. preisgegeben, weil er zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen sei. Er gehe davon aus, dass die Verhöre nicht legal gewesen seien. Man habe ihn psychisch unter Druck gesetzt, ihm gedroht, man werde ihm und seiner Familie etwas antun. Er habe Frau L. im Dezember 2012 zum letzten Mal gesehen. Er wisse nur, dass sie enteignet worden sei; sie habe nichts mehr. Nach dem Regierungswechsel im Jahre 2012 habe Frau L. ihr Eigentum zurückverlangt und unter anderem ihn als Zeugen benannt. Er hätte gegen die alte Regierung aussagen müssen. Er wäre in einer Zwangslage gewesen. Er habe indes nicht ausgesagt. Am 15. Dezember 2013 sei er brutal zusammengeschlagen worden. Man habe ihn angewiesen, nicht gegen die alte Regierung auszusagen. Daran habe er sich gehalten. Er habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. Er sei auch telefonisch bedroht worden. Anzeige habe er nicht erstattet. Er habe Angst gehabt, dass ihm etwas zustoßen könnte nach dem Vorfall vom Dezember 2013. Er habe nicht gegen die alten Regierungsmitglieder aussagen wollen. Seit 2012 sei er auch arbeitslos gewesen. Die neue Regierung habe im Übrigen Häftlinge freigelassen; es könne sein, dass darunter Leute seien, die etwas gegen ihn hätten. Die Klägerin zu 2. erklärte bei ihrer Anhörung: Sie sei selbstständige Designerin. Durch die Probleme ihres Mannes werde die ganze Familie bedroht. Am 00.00.0000 sei ihr Haus durchsucht worden; ihre Tochter habe einen Schock erlitten. Der Vorfall werde immer noch untersucht.
4Mit Schreiben an das Bundesamt vom 00.00.0000 ergänzte der Prozessbevollmächtigte der Kläger deren Vortrag.
5Mit Bescheid vom 00.00.0000 – zur Post gegeben am 00.00.0000 – lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Asylantrag ab. Zudem stellte die Behörde fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuzuerkennen sei und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte die Kläger zur Ausreise binnen einer Woche auf und drohte ihnen die Abschiebung nach Georgien an. Zur Begründung führte die Behörde aus: Der Vortrag der Kläger beschränke sich hinsichtlich des Kernbereichs der Verfolgung auf gänzlich oberflächliche, pauschale und vage Angaben. Außerdem sei nicht ersichtlich, warum wesentliche Einzelheiten erst neun Monate nach der Anhörung durch die schriftliche Ergänzung ihres Prozessbevollmächtigten vorgetragen worden seien.
6Am 00.00.0000 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich auf ihren bisherigen Vortrag beziehen und ergänzend ausführen: Es sei ihnen nicht verwehrt gewesen, auch nach der Anhörung durch eine schriftliche Stellungnahme den Vortrag zu präzisieren.
7Soweit die Klage ursprünglich auch auf die Asylanerkennung, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Feststellung subsidiären internationalen Schutzes gerichtet gewesen ist, haben die Kläger sie nach der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 00.00.0000 zurückgenommen.
8Die Kläger beantragen nunmehr,
9die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 4. und 5. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2016 zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich Georgiens besteht.
10Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung nimmt die Beklagte auf ihren Ablehnungsbescheid Bezug.
13In der mündlichen Verhandlung sind die Kläger mittels Dolmetscherin persönlich zu den Vorgängen in Georgien angehört worden.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen. Die nach § 92 Abs. 1 S.2 VwGO erforderliche Einwilligung der Beklagten liegt aufgrund der entsprechenden allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamtes vom 25. Februar 2016 vor.
17Die verbliebene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
18Die Entscheidung des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); die Kläger haben auf der Grundlage der gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG in Bezug auf Georgien.
19In Betracht kommt vorliegend allenfalls das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies lässt sich hier im Ergebnis nicht feststellen.
20a)
21Soweit die Kläger sich auf eine Bedrohung durch Personen aus dem Umfeld des früheren Regimes („Vereinigte Nationale Bewegung“) berufen, bestehen bereits durchgreifende Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit entscheidender Teile des Vortrags.
22Im Wesentlichen glaubhaft sind zwar die Schilderungen der Vorgänge bis zum Jahr 2012. Der Kläger zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung flüssig und weitgehend widerspruchsfrei von den Geschehnissen berichtet, die sich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die frühere Rektorin einer privaten Hochschule, Frau L. , ereignet haben. Für die Frage einer noch heute – drei bis vier Jahre nach dem Machtwechsel – bestehenden Gefahr durch nicht näher bekannte Personen aus dem Umfeld des früheren Regimes sind jedoch die Ereignisse nach 2012 entscheidend. Insoweit begegnet der Vortrag der Kläger durchgreifenden Bedenken.
23Zu konstatieren ist zunächst, dass die Zusammenhänge nur bedingt schlüssig erscheinen. Die massiven – mit einem Risiko auch für die Angreifer verbundenen – Übergriffe und Bedrohungen, denen die Kläger wegen der Tätigkeit des Klägers zu 1. als Q1. der Frau L. ausgesetzt gewesen sein wollen, würden aus Sicht des Gerichts nur dann einen Sinn ergeben, wenn der Kläger zu 1. im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit für Frau L. Beobachtungen gemacht hätte, welche sich ernsthaft gegen das frühere Regime verwerten ließen. Davon kann aber wohl keine Rede sein. Nach seiner ausführlichen Schilderung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zu 1. erlebt, dass die Hochschule der Frau L. zweimal und seine eigene Wohnung einmal von Kräften einer staatlichen Sondereinheit, die es nach dem Bekunden des Klägers noch heute gibt, unter Beschlagnahme von Computern und Unterlagen durchsucht worden sind. Man habe – so der Vortrag des Klägers zu 1. in der Anhörung des Bundesamtes – Frau L. und die Hochschule offenbar „legal unter Druck setzen wollen“. Bei einer der beiden Durchsuchungen der Hochschule ist Frau L. überdies mitgenommen und über einige Stunden verhört worden. Die Umstände dieses Verhörs hat der Kläger zu 1. gegenüber dem Gericht als zweifelhaft geschildert; letztlich hat er das Verhör der Frau L. aber nicht unmittelbar erlebt und kann über Form und Inhalt kaum etwas berichten. Schließlich hat der Kläger erlebt, wie man der Hochschule zwischen 2010 und 2012 sukzessive die „Akkreditierung und Autorisierung“ entzogen hat. Der Kläger zu 1., der lediglich die Aufgaben eines Personenschützers der Frau L. versehen hat, kann also letztlich nur über Geschehnisse berichten, die entweder allgemein bekannt (Schließung der Hochschule) oder für sich genommen noch nicht ungewöhnlich sind (Durchsuchung und Vernehmung durch staatliche Sicherheitsbehörden). Auch wenn manche Einzelheiten dieser Vorgänge fragwürdig erscheinen mögen, wie etwa die Einschüchterung der Klägerin zu 3. bei der Durchsuchung am 1. Oktober 2010 und die grobe Behandlung der Frau L. bei ihrem Verhör, erschließt sich dem Gericht nicht, wie man das frühere Regime mittels der Aussagen des Klägers zu 1. sollte diskreditieren können, zumal wenn die von dem Kläger zu 1. beschriebenen Sondereinheiten auch heute noch bestehen. Die Annahme, hinter den Vorgängen stehe die Mutter des früheren Staatspräsidenten T. , kann der Kläger zu 1. offenbar nur als Verdacht der Frau L. , also aus zweiter Hand wiedergeben. Dass der Kläger zu 1. sich selbst als eine Art „Kronzeugen“ gegen das frühere Regime im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Schließung der N1. Universität beschreibt, erscheint dem Gericht nach alledem schwerlich nachvollziehbar.
24Vor diesem Hintergrund kommt gewissen Widersprüchen im Vorbringen der einzelnen Familienmitglieder zusätzliche Bedeutung zu. Besonders gravierend sind die Widersprüche in den Aussagen des Sohnes und Bruders der Kläger, U. B. (Kläger des Verfahrens 6a K 3451/15.A). Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat er zum Beispiel erklärt, er sei im März 2013 von zwei Männern bedroht worden und diese hätten ihn seinem Vater ausrichten lassen er solle „auf seinem Platz bleiben“. In der Klagebegründung heißt es, er sei im März 2014 von drei Männern bedroht worden und habe seinem Vater ausrichten sollen, dass dieser „keinen Kontakt mehr zu der Frau an der Uni haben solle“. In der mündlichen Verhandlung schließlich hat U. B. erklärt, er habe seinem Vater ausrichten sollen, er solle „Informationen an diese Leute liefern“.
25Auch die Aussagen der Klägerin zu 2. im Laufe des Verwaltungs- und des Gerichtsverfahrens sind nicht frei von Brüchen. So hat die Klägerin zu 2. bei der Anhörung durch das Bundesamt bekundet, sie sei nur ein einziges Mal in ihrem Laden von den „Leuten“ aufgesucht und bedroht worden und es habe sich um Polizisten gehandelt. In Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. August 2015 heißt es sodann, sie sei zweimal von den Personen aufgesucht worden. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 2. ebenfalls von zwei Besuchen gesprochen; nunmehr hat sie allerdings bekundet, sie habe den Ausweis nicht lesen können und gedroht, die Polizei zu rufen, was gegenüber „Polizisten“ sonderbar erscheint.
26Auch die Ausführungen des Klägers zu 1. zu den entscheidenden Vorgängen nach 2012 sind nicht durchweg konsistent. So hat er beispielsweise in der mündlichen Verhandlung erklärt, Frau L. sei irgendwann „dran“ gewesen, einen Antrag auf Rückerstattung ihres Vermögens zu stellen, nachdem es noch in dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 24. August 2015 geheißen hatte, „der neue Präsident“ habe ihr nach dem Machtwechsel 2012 angeboten, ihre alte Stellung zurück zu erlangen, wenn sie im Gegenzug über Machenschaften der alten Regierung aussage. Abgesehen davon, dass der „neue Präsident“ erst am 27. Oktober 2013 in sein Amt gewählt worden ist (2012 fanden lediglich Parlamentswahlen statt), bekommt der gesamte Vorgang betreffend das Rückerstattungsverfahren durch diese Schilderung einen ganz anderen Anstrich. Schwer verständlich ist auch, dass der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung über Frau L. geäußert hat: „Ich denke, sie ist flüchtig“, nachdem er sie in seinem übrigen Vortrag doch stets als Opfer des alten Regimes dargestellt hat, das unter dem neuen Regime nunmehr einen Prozess auf Wiedergutmachung betreibe. Wäre sie „flüchtig“, betriebe also das Wiedergutmachungsverfahren nicht mehr, bestünde im Übrigen wohl kein Grund für das alte Regime, den Kläger zu 1. als Zeugen in einem solchen Verfahren fürchten zu müssen.
27Das Verhältnis des Klägers zu 1. zu Frau L. erscheint im Übrigen in den Schilderungen des Klägers zu 1. insgesamt undurchsichtig. Bis zu seiner Entlassung im Dezember 2012 will der Kläger zu 1. ein enges Vertrauensverhältnis zu Frau L. gehabt haben. Dass er Frau L. dann, wie er in der Anhörung durch das Bundesamt bekundet hat, nach dem Dezember 2012 kein einziges Mal mehr gesehen haben will, also auch vor dem gewaltsamen Übergriff im Dezember 2013 nicht, ist schwerlich nachvollziehbar. Wenn der Kläger ein Vertrauter der Frau L. und bis zu dem Vorfall vom 15. Dezember 2013 entschlossen war, zu ihren Gunsten auszusagen – so die Schilderung gegenüber dem Gericht –, dann ist nicht recht nachvollziehbar, warum man sich zwischen Dezember 2012 und Dezember 2013 kein einziges Mal getroffen hat. Ebenso auffällig erscheint, dass der Kläger nach dem Vorfall vom 15. Dezember 2013 keinen Kontakt mehr zu Frau L. gehabt haben will – so die Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 19. August 2016 – und er dennoch am Abend desselben Tages (19. August 2016) ohne Umschweife via Facebook den Gesprächsfaden wieder hat aufnehmen können (Schriftsatz der Kläger vom 21. August 2016). Dass der Kläger zu 1. zwischen Dezember 2013 und August 2016 keinerlei Kontakt zu Frau L. aufgenommen haben will, erscheint dem Gericht – wie bereits in der mündlichen Verhandlung durch den Einzelrichter ausgeführt – ohnehin seltsam. Da die von den Klägern geschilderte massive Bedrohungslage doch allein von dem Verfahren der Frau L. abhing, in dessen Rahmen der Kläger zu Lasten des alten Regimes hätte aussagen sollen, hätte es sich massiv aufgedrängt, sich regelmäßig über den Stand dieses Verfahrens zu informieren, zumal die Kontaktaufnahme ja offenbar problemlos möglich war und ist. Dass die Kläger auf eine entsprechende Kontaktaufnahme seit Dezember 2013 verzichtet haben, vertieft die Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihres Vortrags erheblich.
28Diese Zweifel werden schließlich auch durch die Art des Vortrags des Klägers zu 1. weiter untermauert. Während er nämlich über die Vorgänge zwischen 2010 und 2012 sowie über den Übergriff im Dezember 2013 in sehr präziser, strukturierter und flüssiger Weise berichtet hat, waren seine Antworten auf die entscheidenden Fragen des Gerichts vielfach sehr dürftig. So antwortete er auf die Frage; warum er sich wegen der Bedrohung nicht an die Polizei gewandt habe, es habe sich herausgestellt, dass „der Georgische Traum absolut inkorrekt handelte“. Abgesehen von der Frage, wie er dies schon im Dezember 2013 hat beurteilen können – der Prozess der Regierungsbildung hat nach seinen eigenen Ausführungen etwa ein Jahr gedauert (Schriftsatz vom 25. August 2015), erscheint die Bemerkung als Antwort auf die gestellte Frage ebenso wenig gehaltvoll, wie die auf die Nachfragen des Einzelrichters nachgeschobenen Erklärungsversuche. Im Vergleich mit seinem sonstigen Vortrag äußerst schmal erscheinen auch die Ausführungen auf die Frage, warum die Gefahr denn heute noch bestehen soll. Über schlichte Mutmaßungen und pauschal abwertende Bemerkungen hinsichtlich der heutigen Verhältnisse in Georgien ist der Kläger zu 1. hier kaum hinausgekommen.
29Nimmt man schließlich hinzu, dass weder die Eltern noch die Geschwister des Klägers zu 1. nach seinem Untertauchen und der Ausreise aufgesucht und nach ihm befragt worden sind, wie der Kläger zu 1. in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt hat, lässt sich die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer noch heute bestehenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers zu 1. und seiner Familie durch Personen aus dem Umfeld des früheren Regimes nicht feststellen.
30b)
31Soweit die Kläger – insbesondere mit dem jüngsten Schriftsatz vom 21. August 2016 – wohl geltend machen, eine Gefahr drohe auch von dem neuen Regime, das den Kläger zu 1. inhaftieren werde, um seine Aussage zu Lasten des alten Regimes zu erzwingen, vermag das Gericht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefahr ebenfalls nicht festzustellen. Insoweit ist zunächst zu konstatieren, dass die Kläger handfeste objektive Anhaltspunkte für eine solche Gefahr nicht benannt haben. Die via Facebook eingeholten Vermutungen der Frau L. und ihrer Tochter können insoweit ersichtlich nicht genügen.
32Im Übrigen gilt Folgendes: Es besteht weitgehend Einigkeit dass es sich bei dem Übergang der Regierungsmacht von der „Vereinigten Nationalen Bewegung“ auf den „Georgischen Traum“ (Oktober 2012) und des Präsidentschaftsamts von Micheil Saakaschwili auf Giorgi Margwelaschwili (Oktober 2013) grundsätzlich um einen friedlichen demokratischen Machtwechsel gehandelt hat.
33Vgl. etwa Bundesamt für Migration und Flüchtlinge u.a.: Georgien – Basisinformationen (Stand: 26. November 2012); Auswärtiges Amt: Länderinformationen Georgien (Internet-Angebot www.auswaertiges-amt.de, Stand: Oktober 2014); Amnesty International, Amnesty Report 2013 Georgien; Süddeutsche Zeitung vom 24. Oktober 2013, S 17.
34Allerdings ergeben sich aus den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen auch Anhaltspunkte dafür, dass Angehörige der Partei „Vereinigte Nationale Bewegung“ im Anschluss an den Regierungswechsel verhaftet worden sind und dass ein Teil dieser Verhaftungen möglicherweise auch politisch motiviert gewesen sein könnte. Derartige Maßnahmen haben sich aber offenbar im Wesentlichen auf ehemalige Regierungsmitglieder, hohe Beamte und exponierte Parteifunktionäre bezogen. So heißt es, es seien „zahlreiche hochrangige Funktionäre und Mitglieder der Partei Vereinigte Nationale Bewegung vernommen und verhaftet“ worden (Amnesty Report 2013 Georgien), Micheil Saakaschwili sei „nur der prominenteste aus einer ganzen Reihe ehemaliger Regierungsmitglieder und hoher Beamter, denen in den letzten Monaten der Prozess gemacht“ worden sei (Süddeutsche Zeitung vom 12. August 2014, S. 7), die Regierung habe bereits im Dezember 2012 50 führende Regierungsmitarbeiter („senior administration officials“) angeklagt (US-E. of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor: Georgia 2013 Human Rights Report, S. 2), es werde die Verfolgung früherer Regierungsmitglieder beklagt (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. November 2012, S. 14). In der Berichterstattung über die Vorgänge wird betont, es sei schwer auszumachen, „wo dabei der Rechtsstaat endet und politisch motivierte Verfolgung beginnt“ (Süddeutsche Zeitung vom 12. August 2014, S. 19). In diesem Kontext wird etwa der Prozess gegen den früheren Premierminister Vano Merabischwili und andere Funktionäre der früheren Regierung erwähnt. Merabischwili wird vorgeworfen, Geld aus dem Staatshaushalt in den Wahlkampf der eigenen Partei geschleust zu haben (Süddeutsche Zeitung vom 2. August 2013, S. 16). Im Zusammenhang mit derartigen Vorwürfen gegen die „Vereinigte Nationale Bewegung“ sollen 6.156 Personen von der Staatsanwaltschaft befragt worden sein (als Behauptung der Nationalen Bewegung wiedergegeben im Georgia 2013 Human Rights Report des US-E. of State, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor, S. 39). Dass über den Kreis der führenden bzw. höheren Partei- und Regierungsfunktionäre hinaus Mitglieder oder Mitarbeiter der früheren Regierungspartei aus politischen Gründen inhaftiert oder körperlich bedroht worden sind, lässt sich den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen hingegen nicht entnehmen.
35Vgl. zu alledem bereits VG Gelsenkirchen, Urteile vom 10. Februar 2015 - 6a K 1029/14.A - und vom 17. Mai 2016 - 6a K 1309/15.A - sowie Beschluss vom 30. November 2015 - 6a L 2205/15.A -, juris.
36Festzustellen ist also, dass es nach dem Regimewechsel offenbar in der Tat Bestrebungen gegeben hat, Mitgliedern der alten Regierung und ihres (gehobenen) Unterbaus den Prozess zu machen und dass es sich hierbei teilweise um politisch motivierte Prozesse gehandelt haben könnte. Inwieweit derartige Prozesse heute noch neu ins Werk gesetzt werden, mag dahin stehen. Zu konstatieren ist jedenfalls, dass eine Vielzahl von Personen im Rahmen von Ermittlungen gegen das frühere Regime von den Strafverfolgungsbehörden befragt worden sind. Dass man auch den Kläger vorgeladen hat, erscheint insoweit also durchaus nicht unplausibel. Dies allein lässt sich allerdings nicht als ernsthafte Bedrohung durch das neue Regime einstufen. Eine solche Bedrohung wäre vielmehr erst dann erkennbar, wenn die zur Vernehmung geladenen Personen regelmäßig inhaftiert worden wären, um eine dem neuen Regime genehme Aussage zu erzwingen. Davon ist in den vorliegenden Auskünften allerdings nicht die Rede und auch die Umstände des vorliegenden Falles legen eine solche Gefahr keineswegs nahe. Denn der Kläger hätte zu einem Prozess gegen hohe Funktionäre des früheren Regimes – wie oben ausgeführt – wenig beizutragen. Insbesondere vermag er die Verstrickung des früheren Präsidenten T. und seiner Mutter in die Vorgänge um die Schließung der N1. Universität nicht zu bezeugen und es dürfte auch schwerfallen, einen „Schauprozess“ gegen die genannten Personen gerade auf die Aussage eines schlichten Personenschützers zu stützen.
37c)
38Soweit der Kläger zu 1. noch geltend macht, ihm drohe nach der durch das neue Regime ausgesprochenen Amnestie eine Gefahr durch entlassene Gefangene, an deren Inhaftierung er seinerzeit in seiner Eigenschaft als Polizist beteiligt gewesen sei, vermag das Gericht ihm ebenfalls nicht zu folgen. Das entsprechende Vorbringen ist bei Weitem zu pauschal, um die Feststellung der beachtlichen Gefahr einer individuellen Bedrohung des Klägers zu 1. zu ermöglichen. Dies gilt umso mehr als der Kläger zu 1. spätestens seit 2004 nur noch als Leibwächter tätig gewesen sein will. Dass in den Jahren 2013/14 noch Gefangene inhaftiert waren, an deren Ergreifung er selbst als Polizist beteiligt gewesen ist und dass es konkrete Anhaltspunkte für Rachebestrebungen dieser Personen gibt, hätte der Kläger zu 1. konkret darlegen müssen.
39d)
40Eine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG droht auch nicht etwa wegen der allgemeinen Versorgungslage in Georgien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gefahren, denen die Bevölkerung eines Staates oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Kläger angehört, allgemein ausgesetzt ist, im Rahmen von Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt werden, der insoweit eine Sperrwirkung entfaltet. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermag eine solche allgemeine Gefahr nur zu begründen, wenn dem Betroffenen mit Blick auf den verfassungsrechtlich unabdingbar gebotenen Schutz insbesondere des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurückzukehren, weil er dort einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Die (allgemeine) Gefahr muss dabei nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich hieraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahr muss dem Betroffenen – über den oben genannten, etwa bei § 60 Abs. 1 AufenthG anwendbaren Maßstab hinausgehend – mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen und sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Nur unter den vorgenannten Voraussetzungen gebieten es die Grundrechte, dem Betroffenen trotz des Fehlens einer bei allgemeinen Gefahren grundsätzlich gebotenen politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren.
41Vgl. zu alldem nur BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, InfAuslR 2010, 458 ff., und vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 -, BVerwGE 147, 8 ff., sowie OVG NRW, Urteil vom 29. Oktober 2010 - 9 A 3642/06.A -, Juris.
42Dass die Kläger im Falle ihrer Abschiebung nach Georgien einer extremen Gefahrenlage in dem dargelegten Sinne ausgeliefert wären, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen lässt sich insgesamt entnehmen, dass trotz der Folgen der Konflikte um die Regionen Südossetien und Abchasien mit Binnenflüchtlingsströmen etc. durch das Zusammenwirken des georgischen Staates mit internationalen und nationalen Hilfsorganisationen eine Grundversorgung mit Wohnraum, Nahrung und medizinischer Unterstützung gewährleistet ist. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Extremgefahr in dem oben beschriebenen Sinne vorliegt, dass die Kläger also bei einer Rückkehr nach Georgien alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit schwersten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wären, zumal eine ganze Reihe von nahen Angehörigen der Kläger in Georgien leben. Krankheiten, die sich bei einer Rückkehr nach Georgien wegen der dortigen Verhältnisse zu verschlimmern drohen, haben die Kläger nicht dargetan.
43e)
44Die in Ziffer 5. des angefochtenen Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung beruht auf §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 S. 1 AufenthG und begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
45Die in Ziffer 6 des Bescheides enthaltene, auf § 11 Abs. 2 AufenthG gestützte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das nach § 11 Abs. 1 AufenthG entstehen kann, ist mit einer Dauer von 30 Monaten ebenfalls nicht zu beanstanden.
46Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
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