Beschluss vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 1 L 227/22
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag,
3dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Antragstellerin zum deutsch-französischen Grundschullehrkräfteaustausch – Élysée-Prim-Programm – zuzulassen und sie unter Fortzahlung der Bezüge für die Teilnahme am deutsch-französischen Grundschullehrkräfteaustausch – Élysée-Prim-Programm – zu beurlauben,
4hat keinen Erfolg.
5I.
6Dabei legt die Kammer den Antrag unter Berücksichtigung des nach §§ 122 Abs. 1, 88 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) allein maßgeblichen tatsächlichen Antragsbegehrens sachdienlich dahingehend aus, dass nicht die Teilnahme an dem Austauschprogramm an sich, sondern nur die – insoweit für die Teilnahme unabdingbare – Beurlaubung begehrt wird. Denn über die Teilnahme am Austauschprogramm entscheidet nicht der Antragsgegner, sondern ausweislich der dem Gericht vorliegenden Informationen eine Verteilerkommission, die sich aus Vertretern der deutschen Ministerien, des französischen Erziehungsministeriums und des das Austauschprogramm koordinierenden deutsch-französischen Jugendwerks (DFJW) zusammensetzt. Von daher hat sich der Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid auch nur mit der Beurlaubung auseinandergesetzt. Insoweit versteht das Gericht die im Antrag wörtlich begehrte „Teilnahme“ als allgemeines Ziel, für dessen Erreichen zunächst die Beurlaubung erforderlich ist, die hier im Wege vorläufigen Rechtsschutzes allein begehrt wird.
7II.
8Der so verstandene Antrag ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands bezüglich eines streitigen Rechtsverhältnisses erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen. Dabei obliegt es gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) dem jeweiligen Antragsteller, diejenigen Tatsachen glaubhaft zu machen, die nicht nur den vorgetragenen Anspruch auf die Anordnung (Anordnungsanspruch), sondern auch die eine einstweilige Anordnung rechtfertigende Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) zu tragen imstande sind.
9Die Antragstellerin hat bereits keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die die Kammer von dem hinreichend wahrscheinlichen Bestehen des vorgetragenen Anspruches auf Beurlaubung unter Fortzahlung der Besoldung ausgehen lassen. Dabei hat das Gericht auch zu berücksichtigen, dass vorliegend unter Berücksichtigung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache erhöhte Anforderungen an den in Bezug auf den Anordnungsanspruch geltenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu stellen sind. Denn Einschränkungen im Hinblick auf das Erreichbare ergeben sich im Rahmen der Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO gerade aus der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes. Das Gericht darf im Wege der einstweiligen Anordnung insoweit nicht schon das gewähren, was erst im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann. Da § 123 Abs. 1 VwGO nur von einer „einstweiligen“ Anordnung bzw. der Regelung eines „vorläufigen“ Zustandes spricht, verbietet sich grundsätzlich eine Vorwegnahme der Hauptsache, also das einstweilige bzw. vorläufige Gewähren des in der Hauptsache Begehrten. Eine Vorwegname der Hauptsache im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ist aus Gründen effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), aber ausnahmsweise dann zulässig, wenn das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller unzumutbare und nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Hinzutreten muss dann aber gerade auch, dass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der verfolgte Anspruch begründet ist.
10Ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, juris, Rn. 22; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2016 - 1 B 1194/16 -, juris, Rn. 9.
11Dies ist hier nicht der Fall. Der Antrag ist vorliegend auf eine unzulässige und damit nicht zu gewährende Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist hier anzunehmen, weil die Antragstellerin im Falle ihres Obsiegens – wenn auch nur vorübergehend – genau das erreichen würde, was dem Begehren der Hauptsache entspricht.
12Vgl. zu einem solchen Fall der vorläufigen Vorwegnahme der Hauptsache OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Januar 2008 - 6 B 1763/07 -, juris, Rn. 4, und vom 11. Juli 1995 - 25 B 1788/95 -, juris, Rn. 2; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123 Rn. 102 f. m.w.N.
13Nach dieser Maßgabe ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht mit dem erforderlichen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit gegeben.
14Insoweit kann das beschließende Gericht auch offen lassen, ob hier überhaupt eine den Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs (§ 55a Abs. 3 VwGO) genügende Glaubhaftmachung in Gestalt der eidesstattlichen Versicherung vorliegt.
15Vgl. zu der Problematik Mantz/Windau, Die eidesstattliche Versicherung per beA übermitteln: wie es gelingt, in: Anwaltsblatt-Online 2022, 11 (12); Müller, jurisPK-ERV, Stand: Februar 2022, § 55a VwGO, Rn. 68 f.
16Denn selbst die Formwirksamkeit der hier erfolgten eidesstattlichen Versicherung unterstellt ergäbe sich bereits kein Anspruch der Antragstellerin auf die beantragte Beurlaubung.
17Als Anspruchsgrundlage kommt bei einer hier allein möglichen, aber auch erforderlichen summarischen Prüfung nur die Vorschrift des § 34 Abs. 1 der Freistellungs- und Urlaubsverordnung NRW (FrUrlV NRW) in Betracht. Zwar liegt eine gewisse thematische Nähe zu § 34 Abs. 3 FrUrlV NRW vor, wonach eine Beurlaubung unter anderem für den Auslandsschuldienst bewilligt werden kann. Anders als § 34 Abs. 1 FrUrlV NRW handelt es sich bei der Beurlaubungsbewilligung nach § 34 Abs. 3 FrUrlV NRW um eine reine Ermessensentscheidung, die – anders als § 34 Abs. 1 FrUrlV NRW – insbesondere nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig ist.
18Vgl. noch offen lassend VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 1 L 593/12 -, juris, Rn. 5.
19Bei der hier streitbetroffenen Teilnahme am Austauschprogramm handelt es sich aber gerade nicht um eine Tätigkeit im Auslandsschuldienst im Sinne dieser Vorschrift. Zwar würde die Antragstellerin im Falle ihrer Teilnahme am Élysée-Prim-Programm im Ausland, genauer: in Frankreich, unterrichten. Dies fällt aber bereits nicht unter den Begriff des Auslandsschuldienstes, der allein die Lehrtätigkeiten an Deutschen, Europäischen und Bundeswehrschulen im Ausland umfasst. Auch eine Gleichstellung der Teilnahme am Austauschprogramm mit der Tätigkeit am Auslandsschuldienst ist wegen des Zwecks des § 34 Abs. 3 FrUrlV NRW nicht angezeigt. Denn dass Beurlaubungen bei Auslandsschuldiensttätigkeiten gesondert geregelt und dabei nicht von dem Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes abhängig gemacht werden, ergibt sich gerade aus dem Wesen und der Bedeutung von Auslandsschulen. Nach dem Gesetz über die Förderung Deutscher Auslandsschulen vom 26. August 2013 (ASchulG) handelt es sich bei Deutschen Auslandsschulen um im erheblichen Bundesinteresse liegende Schulen (§ 2 Abs. 1 ASchulG), die zu fördern sowohl der Bund als auch die Länder sich verpflichten, indem sie etwa Lehrkräfte dorthin vermitteln (§ 11 ASchulG). Von daher erscheint es sachdienlich, die Beurlaubung für eine Tätigkeit an Auslandsschulen abweichend von den übrigen Beurlaubungsvorschriften zu regeln, um dem Förderauftrag für diese Schulen gezielt nachkommen zu können, und daher hierbei gerade nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig zu machen, weil ein solcher angesichts der besonderen Förderpflicht sowie der hinter den Auslandsschulen stehenden besonderen Interessen ohnehin schon bestehen dürfte. Eine solche besondere Wertung dürfte hingegen nicht für das hier in Rede stehende Élysée-Prim-Programm gelten. Denn dieses umfasst im Gegensatz zum Auslandschuldienst lediglich die Tätigkeit an einer französischen Schule. Insoweit stehen hier jedenfalls nicht in gleicher Weise Förderauftrag oder anderweitige Bundesinteressen hinter der Tätigkeit. Daher erscheint es auch nicht gerechtfertigt, die Teilnahme am Élysée-Prim-Programm dem Auslandsschuldienst gleichzusetzen und eine entsprechende Beurlaubungsbewilligung dem § 34 Abs. 3 FrUrlV NRW zu unterwerfen.
20Nach § 34 Abs. 1 FrUrlV NRW kann Urlaub ohne Besoldung bewilligt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Sofern die Antragstellerin – sinngemäß – einwendet, die Anwendbarkeit dieser Anspruchsgrundlage scheitere daran, dass ausweislich der veröffentlichten Informationsmaterialien zu dem Austauschprogramm stets von der „Beurlaubung unter Fortzahlung der Dienstbezüge“ die Rede sei, kann dem nicht gefolgt werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Frage der Fortzahlung der Besoldung trotz Beurlaubung sich erst im Anschluss an eine bereits bewilligte Beurlaubung stellt. Dies folgt bereits daraus, dass nach der insofern allein einschlägigen Rechtsgrundlage des § 34 Abs. 4 FrUrlV NRW, (erst) bei bereits bewilligtem Urlaub die Fortzahlung der Besoldung – ausnahmsweise – zugelassen werden kann. Von daher mag die Teilnahme an dem Austauschprogramm – bei entsprechender Beurlaubung – zwar entgegen der Ansicht des Antragsgegners unter Fortzahlung der Besoldung erfolgen, wofür auch vieles spricht, weil es sich aus den benannten Gründen allein um ein Landesprogramm handelt, das nicht den Direktiven des Auslandsschuldienstes unterliegt. Auswirkungen auf die Anwendbarkeit der Rechtsgrundlage für die vorrangige Entscheidung, ob die Beurlaubung für die Teilnahme an dem Programm gewährt wird, haben die Besoldungsmodalitäten jedoch nicht.
21Ein Anspruch auf Beurlaubung nach der danach einschlägigen Anspruchsgrundlage des § 34 Abs. 1 FrUrlV NRW ist bei summarischer Prüfung nicht gegeben, weil die Antragstellerin keine Tatsachen vorgetragen hat, die das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Teilnahme am Élysée-Prim-Programm rechtfertigen.
22Die Frage, ob diese tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung von Sonderurlaub anzunehmen ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung. Wie alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes haben Beamte die ihnen obliegenden Verpflichtungen zur Dienstleistung grundsätzlich voll zu erfüllen. Da eine Beurlaubung aus wichtigem Grund die Erfüllung der Dienstpflichten eines Beamten tangiert, kann sie nicht schon dann in Betracht gezogen werden, wenn der Beamte seine Belange selbst für wichtig hält, sondern nur, wenn sie bei objektiver Betrachtung gewichtig und schutzwürdig sind. Je länger der Sonderurlaub dauern soll, umso stärker wird das öffentliche Interesse an der vollen Dienstleistung berührt und umso höhere Anforderungen sind demgemäß an die Gewichtigkeit und Schutzwürdigkeit des geltend gemachten Urlaubsgrundes zu stellen.
23Vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 5. Oktober 2017 - 6 B 1041/17 -, juris, Rn. 5 ff., und vom 25. Februar 2005 - 6 B 2127/04 -, juris, Rn. 10, jeweils m.w.N.
24Demgemäß kann die Kammer das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Teilnahme am Élysée-Prim-Programm nicht erkennen. Die Antragstellerin führt insoweit lediglich aus, die Teilnahme sei ihr besonders wichtig. Das vermag aus den besagten Gründen nicht auszureichen. Angesichts der vom Antragsgegner substantiiert dargelegten Personalsituation an der Grundschule, an der die Antragstellerin tätig ist, sind anderweitige, objektiv gewichtige Gründe nicht ersichtlich, die das öffentliche Interesse an der vollen Dienstleistung überwiegen könnten.
25III.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
27IV.
28Die Streitwertfestsetzung ergeht auf Grundlage des § 53 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Mit Blick auf die mit dem Antrag begehrte Vorwegnahme der Hauptsache wird von einer Halbierung des anzusetzenden Streitwerts abgesehen.
29Rechtsmittelbelehrung:
30Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.
31Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
32Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
33Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
34Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
35Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
36Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des
37elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen
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