Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 5 K 1163/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung der Grundsteuer durch die Beklagte für das Jahr 2020.
2Die Kläger sind seit dem 17. April 2009 Miteigentümer des Grundstücks mit der postalischen Bezeichnung C.---------straße xx in C1. (Gemarkung B. , Flur x, Flurstück xx). Mit Bescheid vom 10. Juli 2009 stellte das Finanzamt C1. -Mitte den Einheitswert im Wege der Zurechnungsfortschreibung in Höhe von 25.769,00 € fest. Unter Zugrundelegung dieses Einheitswertes setzte das Finanzamt mit Bescheid vom selben Tage den Grundsteuermessbetrag in Höhe von 67,00 € fest.
3Mit Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15,1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12 – erklärte das Bundesverfassungsgericht die §§ 19 bis 23, 27, 76, 79 Absatz 5 sowie § 93 Absatz 1 Satz 2 des Bewertungsgesetzes in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 und 3 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl. I S. 1118), soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 1. Januar 2002 für unvereinbar mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG). Dem Gesetzgeber setzte das Bundesverfassungsgericht eine Frist zur Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 2019. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als unvereinbar mit Artikel 3 Absatz 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024, angewandt werden. Für Kalenderjahre nach Ablauf der Fortgeltungsfristen dürfen auch auf bestandskräftige Bescheide, die auf den als verfassungswidrig festgestellten Bestimmungen des Bewertungsgesetzes beruhen, keine Belastungen mehr gestützt werden.
4Das Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts (Grundsteuer-Reformgesetz – GrStRefG) vom 26. November 2019 wurde am 2. Dezember 2019 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I, 1794).
5Mit Bescheid vom 24. Januar 2020 setzte die Beklagte für das Grundstück der Kläger auf der Basis des Grundsteuermessbetrags von 67,00 € und eines Hebesatzes von 645 Prozent die Grundsteuer für das Jahr 2020 in Höhe von 432,15 € fest.
6Mit Schreiben vom 28. Januar 2020 legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar 2020 ein. Zur Begründung trugen sie vor, der Bescheid sei nichtig, da es an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage fehle. Das Grundsteuergesetz sei mit Ablauf des 31. Dezember 2019 unwirksam geworden. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber in seinem Urteil vom 10. April 2018 aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2019 eine (verfassungsgemäße) Neuregelung über die von ihm beanstandeten Bewertungsvorschriften zu schaffen; andernfalls dürften diese Vorschriften nicht mehr angewandt werden. Dies sei dem Gesetzgeber nicht gelungen. Auch die neuen §§ 250 ff. BewG 2019 seien verfassungswidrig, da sie aufgrund der in Bezug auf bebaute Grundstücke stark typisierenden wertbildenden Faktoren zu erheblichen Verzerrungen zwischen Grundsteuer- und Verkehrswert und einer systematischen Unterbewertung hochwertiger Immobilien führten. Diese Typisierung sei mit dem vom Gesetzgeber gewählten Belastungsgrund einer am Verkehrswert orientierten Sollertragssteuer nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber habe den Belastungsgrund insofern nicht erkennbar und folgerichtig umgesetzt und sei damit auch nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen. Damit sei mit Ablauf des 31. Dezember 2019 jegliche Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung der Grundsteuer entfallen und der Grundsteuerbescheid der Beklagten daher rechtswidrig.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Gemeinden seien gemäß §§ 185, 351 der Abgabenordnung (AO) an den Grundsteuermessbescheid gebunden und hätten kein Prüfungsrecht hinsichtlich der Grundlagenfestsetzungen. Einwände gegen die Grundlagenfestsetzungen des Finanzamtes seien ausschließlich gegen den Grundsteuermessbescheid beim zuständigen Finanzamt zu erheben. Die Gemeinde sei gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO erst nach Aufhebung oder Änderung des Grundsteuermessbescheides verpflichtet, den Grundsteuerbescheid aufzuheben oder zu ändern.
8Die Kläger haben am 24. März 2020 Klage erhoben.
9Zur Begründung wiederholen sie ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und tragen vertiefend vor: Die Klage sei zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet. Die Bestandskraft der Bescheide vom 10. Juli 2009 stehe außer Frage, aber trotz der Rechtswirkung des § 175 AO seien die Kläger nicht zunächst darauf zu verweisen, bei der Finanzverwaltung um Aufhebung der fraglichen Bescheide nachzusuchen. Denn das Bundesverfassungsgericht habe mit Gesetzeskraft ausgeführt, dass die Regeln über die Einheitsbewertung, also die Einheitswertbescheide, und damit auch die darauf aufbauenden Messbetragsbescheide nicht mehr angewandt werden, wenn der Gesetzgeber es nicht vermocht habe, ein (verfassungsgemäßes) neues Recht zu schaffen. Dies sei indes misslungen. Die Klage sei auch begründet. Der Grundsteuerbescheid sei ohne taugliche Ermächtigungsgrundlage erlassen worden, da seit dem 1. Januar 2020 kein rechtmäßiger Einheitswert für die Immobilie feststellbar sei. Das Grundsteuerreformgesetz sei verfassungswidrig und damit nichtig. Dies habe zur Folge, dass seit dem 1. Januar 2020 keine Grundsteuer mehr erhoben werden dürfe. Die Kläger stützen sich zur Untermauerung ihrer Rechtsauffassung unter anderem auf Stellungnahmen von Herrn Prof. Dr. H. L. und Frau Prof. Dr. K. I. im Gesetzgebungsverfahren sowie auf eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 17. Oktober 2019.
10Die Kläger beantragen,
11den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2020 über die Grundsteuer 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. März 2020 aufzuheben,
12die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, das neue Bewertungsrecht sei ohnehin erst seit dem 1. Januar 2022 anzuwenden. Maßgeblich sei aber darauf abzustellen, dass es sich bei dem mit dem Grundsteuer-Reformgesetz neu geschaffenen Bewertungsrecht um geltendes und die Beklagte bindendes Recht handele. Ein Prüfungs- und Verwerfungsrecht förmlicher Gesetze stehe der Beklagten nicht zu.
16Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 25. Februar 2022 und vom 1. März 2022 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
20I.
21Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2020 ist rechtmäßig, soweit darin die allein streitgegenständliche Grundsteuer in Höhe von 432,15 € festgesetzt ist, und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
221. Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Grundsteuer ist § 27 GrStG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO, § 1 Abs. 2 Nr. 4 AO. Der Grundsteuerbescheid beruht auf wirksamen Bemessungsgrundlagen auf Basis der bestandskräftigen und bindenden Grundlagenbescheide des Finanzamtes C1. -Mitte vom 10. Juli 2009 (a). Das Bundesverfassungsgericht hat die Wirkung der Fortgeltungsanordnung zudem nicht unter die Bedingung gestellt, dass das vom Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2019 neu zu schaffende Bewertungsrecht auch materiell verfassungsgemäß sein muss (b).
23a) Die Grundlagenbescheide (Einheitswert- und Grundsteuermessbescheid) vom 10. Juli 2009 sind bestandkräftig und entfalten gemäß § 351 Abs. 2 AO Bindungswirkung. Danach können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) nur durch Anfechtung dieses Bescheids und nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden.
24Das Verfahren zur Festsetzung der Grundsteuer vollzieht sich in drei Stufen. Auf der ersten Stufe stellt das Finanzamt im Einheitswertbescheid den Einheitswert für die wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes fest (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 19 Abs. 1 BewG). Auf der zweiten Stufe setzt das Finanzamt im Grundsteuermessbescheid den Steuermessbetrag durch Multiplikation der Steuermesszahl mit dem Einheitswert fest (§ 184 Abs. 1 AO, § 13 Abs. 1 GrStG). Auf der dritten Stufe schließlich setzt die Gemeinde die Grundsteuer fest, wobei sie den Grundsteuermessbetrag mit ihrem Hebesatz multipliziert (§ 27 Abs. 1 GrStG).
25BFH, Urteil vom 11. November 2009 – II R 14/08 –, juris Rn. 15.
26Etwaige Einwände gegen die Rechtmäßigkeit eines Grundlagenbescheides kann der Steuerpflichtige nach der Abgabenordnung ausschließlich gegenüber dem Finanzamt und gegebenenfalls ausschließlich in einem finanzgerichtlichen Verfahren geltend machen; denn die Festsetzungen des Finanzamtes im Einheitswert- und Grundsteuermessbescheid (als sog. Grundlagenbescheide) können nicht durch Anfechtung des Grundsteuerbescheides der Gemeinde (als sog. Folgebescheid) angegriffen werden (§ 351 Abs. 2 AO). Wird ein Grundlagenbescheid – etwa infolge eines Einspruchs oder eines finanzgerichtlichen Verfahrens - aufgehoben oder geändert, ist die Gemeinde nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO von Gesetzes wegen dazu angehalten, auch ihren Grundsteuerbescheid entsprechend anzupassen.
27Vgl. VG Gelsenkirchen, Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2011 – 5 K 3140/10 –, juris Rn. 60.
28Gegen den Grundsteuerbescheid kann der Steuerpflichtige nur einwenden, dass aus dem Grundsteuermessbescheid nicht die richtigen Konsequenzen vor allem hinsichtlich der persönlichen oder sachlichen Steuerpflicht gezogen worden seien, dass der Hebesatz unrichtig oder ungültig oder die Steuer verjährt sei. Wird geltend gemacht, dass eine dem Grundlagenbescheid zugrunde gelegte Gesetzesvorschrift verfassungswidrig sei, so muss deswegen der Grundlagenbescheid angegriffen werden. Denn im Rahmen des Erlasses des Grundsteuerbescheides ist die Gemeinde an den Inhalt der Grundlagenbescheide gebunden (§ 13 Abs. 1, § 15, § 16 Abs. 1, § 25 Abs. 1 GrStG i. V. m. § 182 Abs. 1, § 184 Abs. 1 AO). Sie hat folglich hinsichtlich des Inhalts des durch das Finanzamt erlassenen Einheitswertbescheides und des Grundsteuermessbescheides weder eine Prüfungspflicht noch ein Prüfungsrecht. Die Gemeinde errechnet lediglich die konkrete Steuerschuld durch Anwendung des für das Gemeindegebiet geltenden Steuerhebesatzes auf den im Grundsteuermessbescheid ausgewiesenen Messbetrag (§ 25 Abs. 1, § 27 Abs. 1 GrStG).
29Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Februar 2009 – 1 BvR 1334/07 – , juris Rn. 7; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Februar 2021, § 351 AO Rn. 49.
30Durch das gestufte Verfahren der Grundsteuerfestsetzung entsteht dem Steuerpflichtigen auch kein unzumutbarer Nachteil. Dieser hat zum einen den Rechtsbehelf des Einspruchs gegen den Grundlagenbescheid und kann zum anderen auch nachträglich dessen Aufhebung beantragen. Wird daraufhin der Grundsteuermessbescheid nachträglich geändert, so ist nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO auch der Grundsteuerbescheid entsprechend zu ändern. Schließlich kann der Steuerpflichtige in Fällen unbilliger Härte die Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids beim Finanzamt nach § 361 Abs. 2 AO beantragen; wird dem stattgegeben, ist nach § 361 Abs. 3 AO auch die Vollziehung des Folgebescheids auszusetzen.
31Vgl. VG Ansbach, Urteil vom 12. April 2006 – AN 11 K 06.00355 –, juris Rn. 11.
32Die gegen den Folgebescheid gerichtete Klage hat hier auch nicht deswegen in der Sache Erfolg, weil mit ihr das Fehlen eines wirksamen Grundlagenbescheids geltend gemacht wird.
33Vgl. BFH, Urteil vom 9. November 2005 – I R 10/05 –, juris Rn. 15, wonach eine gegen einen Folgebescheid gerichtete Klage in einem solchen Fall allgemein für zulässig erachtet wird.
34Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 u.a. – mit Gesetzeskraft bestimmt (vgl. Tenor zu 3, Rn. 179), dass für Kalenderjahre nach Ablauf der Fortgeltungsfristen (also grundsätzlich ab dem 1. Januar 2025) auch auf bestandskräftige Bescheide, die auf den als verfassungswidrig festgestellten Bestimmungen des Bewertungsgesetztes beruhen, keine Belastungen mehr gestützt werden dürfen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Bindungswirkung der Grundlagenbescheide aufgehoben und den hierauf beruhenden Grundsteuerbescheiden der Gemeinden die Grundlage entzogen. Diese Rechtsfolge greift jedoch gerade nicht – wie von den Klägern wohl angenommen – bereits ab dem 1. Januar 2020. Die Bestandskraft und Bindungswirkung der Grundlagenbescheide vom 10. Juli 2009 ist für den Zeitpunkt der Festsetzung der Grundsteuer mit Bescheid vom 24. Januar 2020 nicht aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aufgehoben gewesen. Die Fortgeltungsanordnung und damit auch die Bestandskraft der Grundlagenbescheide gilt bis zum 31. Dezember 2024.
35b) Die Wirkung der Fortgeltungsanordnung – und damit die Aufhebung der Bestandskraft der Grundlagenbescheide erst nach dem 31. Dezember 2024 – ist auch nicht durch die etwaige Verfassungswidrigkeit der neuen Bewertungsvorschriften aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Wirkung der Fortgeltungsanordnung (Tenor zu 2, 3; Rn. 169, 179) nicht unter die Bedingung gestellt, dass das vom Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2019 neu zu schaffende Bewertungsrecht auch materiell verfassungsgemäß sein muss. Auf die Verfassungsmäßigkeit der §§ 250 ff. BewG kommt es nicht an.
36Für eine derartige – von den Klägern vorgetragene – Bedingung bestehen bereits dem Wortlaut nach keine Anhaltspunkte. So hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Dezember 2019 zu treffen und dass die beanstandeten Regelungen bis zu diesem Zeitpunkt sowie nach Verkündung einer Neuregelung für weitere fünf Jahre ab Verkündung, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024 angewandt werden dürfen (Tenor zu 2, Rn. 169). Das Bundesverfassungsgericht hat dabei nicht festgehalten, dass die Neuregelung auch materiell verfassungsgemäß sein muss. Die wörtliche Anknüpfung an die Verkündung legt vielmehr nahe, dass es dem Bundesverfassungsgericht gerade nur auf eine formell verfassungsgemäß zustande gekommene Neuregelung ankam.
37Eine Anknüpfung der Fortgeltungsanordnung und der Bestandskraft an eine materielle Verfassungsgemäßheit der Neuregelung des Bewertungsrechts würde auch den Sinn und Zweck der Fortgeltungsanordnung untergraben und zu erheblichen rechtlichen Unsicherheiten führen. So hat das Bundesverfassungsgericht die Fortgeltung der in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte „aus besonderem Grund, namentlich im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs“ (Rn. 170) und unter Verweis auf den enormen Verwaltungsauffand angeordnet. Ferner hat es zur Ermöglichung neuer Einheitswertbescheide und der weiteren Erhebung der Grundsteuer aufgrund bestandskräftiger Bescheide die Fortgeltung der Bewertungsregeln auch für die Zukunft angeordnet, „weil ansonsten die ernsthafte Gefahr bestünde, dass viele Gemeinden ohne die Einnahmen aus der Grundsteuer in gravierende Haushaltsprobleme gerieten“ (Rn. 173). Die zweite Fortgeltungsfrist bis zum 31. Dezember 2024 hat das Bundesverfassungsgericht hingegen unter Bezugnahme auf einen „außergewöhnlichen Umsetzungsaufwand im Hinblick auf Zeit und Personal“ (Rn. 178) angeordnet.
38Diese tragenden Erwägungen bestehen unabhängig von der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung fort. Es ist nicht ersichtlich ist, dass das Bundesverfassungsgericht etwaige schwerwiegende Folgen für die Gemeinden, die aus der materiellen Verfassungswidrigkeit der neuen Bewertungsregeln nach klägerischem Vortrag folgen würden, in Kauf genommen hätte, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen und zu begründen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber trotz Kenntnis der Schwierigkeit der Umsetzung und damit des Risikos einer verfassungswidrigen Neuregelung einen umfassenden Umsetzungsspielraum bei der Neuregelung des Bewertungsrechts eingeräumt hat. Die klägerische Interpretation der Fortgeltungsanordnung widerspricht auch dem Grundsatz der Gewaltenteilung, da danach die Gemeinden vor Erhebung der Grundsteuer nach Verkündung des neuen Bewertungsgesetzes entgegen dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts selbst verpflichtet wären, die Verfassungsmäßigkeit der neuen Bewertungsregeln zu beurteilen. Ferner wiederspricht die Rechtsauffassung der Kläger auch der Wertung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO, wonach eine Steuer vorläufig festgesetzt werden kann, wenn das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist. Schließlich widerspricht die Ansicht der Kläger dem Konzept der Bindungswirkung von Grundlagenbescheiden im Steuerrecht. Nach dem klägerischen Vortrag wären im Kern wieder Einwände gegen Grundlagenbescheide (bzw. die festgestellte Verfassungswidrigkeit ihrer gesetzlichen Grundlagen im Bewertungsgesetz) Prüfungsmaßstab im Verfahren gegen den Folgebescheid, und zwar aufgrund der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit erst künftig ab 2022 anzuwendender neuer Bewertungsregeln. Dies überzeugt nicht.
39Entscheidend ist jedoch vor allem, dass das Bundesverfassungsgericht als Ausgleich „in Anbetracht der außergewöhnlich langen Fortgeltungsanordnung“ nur für Kalenderjahre nach dem 31. Dezember 2024 die Bestandskraft der Grundlagenbescheide aufgehoben hat (Rn. 179). Aus dem eindeutigen Wortlaut folgt, dass es für die Bindungswirkung der Grundlagenbescheide entscheidend auf das Zeitmoment unabhängig von der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung ankommt. Für eine Durchbrechung der Bestandskraft entgegen § 79 Abs. 2 BVerfGG bzw. §§ 172 ff. AO und über den eindeutigen Wortlaut der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinaus besteht kein Raum.
40c) Mangels Vorgreiflichkeit der Frage, ob die neuen §§ 250 ff. BewG verfassungsmäßig sind, besteht auch für eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG kein Anlass.
412. Der Grundsteuerbescheid vom 24. Januar 2020 ist auch sonst formell und materiell rechtmäßig. Die Beklagte hat die Grundsteuer der Höhe nach zutreffend durch die Multiplikation des einschlägigen Hebesatz mit dem mitgeteilten Steuermessbetrag festgesetzt und mit den Klägern die richtigen Adressaten für die Grundsteuerfestsetzung gewählt (§ 10 Abs. 1 GrStG). Sonstige Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind nicht ersichtlich und von den Klägern auch ausdrücklich nicht geltend gemacht worden.
42II.
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO i.V.m. 100 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Wegen der Klageabweisung war über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht zu entscheiden.
44Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
45Rechtsmittelbelehrung:
46Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
471. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
482. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
493. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
504. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
515. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
52Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
53Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
54Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
55Beschluss:
56Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 432,15 € festgesetzt.
57Rechtsmittelbelehrung:
58Gegen diesen Beschluss findet Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
59Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Über die Beschwerde entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
60Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
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