Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 1725/12

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens wie folgt: Die Klägerin zu 1. in Höhe von 32 v.H., die Klägerin zu 2. in Höhe von 3 v.H., die Klägerin zu 3. in Höhe von 52 v.H. und die Klägerin zu 4. in Höhe von 13 v.H.; die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen tragen diese jeweils selbst.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Den Klägerinnen wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über Zinsansprüche.

2

Die Klägerinnen sind bzw. waren Eigentümerinnen mehrerer Grundstücke im Gebiet der Beklagten. Mit Bescheiden vom 21. Juli 2008 zog die Beklagte die Klägerin zu 1. für die in ihrem Stadtgebiet liegenden Grundstücke zu Kanalanschlussbeiträgen Schmutzwasser in Höhe von 126.066,64 Euro, die Klägerin zu 2. in Höhe von 11.580,01 Euro, die Klägerin zu 3. in Höhe von 207.716,94 Euro und die Klägerin zu 4. in Höhe von 49.152 Euro heran. Gegen die Bescheide legten die Klägerinnen Widerspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung.

3

Die Beteiligten einigten sich in der Folgezeit auf die Durchführung eines Musterverfahrens. Die übrigen Beitragsverfahren sollten bis zum Ausgang des Musterverfahrens ruhen. Eine Entscheidung über die von den Klägerinnen gestellten Aussetzungsanträge erfolgte nicht. Die Klägerinnen zahlten die festgesetzten Beiträge am 20. August 2008 bzw. die Klägerin zu 4. einen Teilbetrag von 5.115,27 Euro bereits am 19. August 2008 an die Beklagte.

4

Zur Sicherung der „Prozesszinsen“ schlossen die Klägerinnen zu 1., zu 2. und zu 3. mit der Beklagten, wie bereits auch in der Vergangenheit erfolgt (vgl. Zinsvereinbarung vom 19.06.2006), am 25./26. August 2008 eine Zinsvereinbarung. Unter § 2 der Vereinbarung verpflichtet sich die Beklagte zur Vermeidung von Klageverfahren in den unter § 1 genannten Beitragsverfahren zur Zahlung von Prozesszinsen an die Klägerinnen. Gemäß § 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Zinsvereinbarung setzt dies voraus, dass die Beklagte im Musterverfahren unterliegt bzw. die Klägerin zu 3. im Musterverfahren obsiegt und die Gründe für das Obsiegen im Musterverfahren den Schluss zulassen, dass auch die ruhenden Verfahren im Falle ihres streitigen Fortsetzens entsprechend entschieden würden. Die Zinsen betragen 0,5% pro Monat ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterklage bzw. ab dem Tag der Einzahlung, wenn der Tag der Einzahlung nach dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterklage liegt, bis zum Auszahlungstag nach unanfechtbarer z.B. gerichtlicher Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Zinsvereinbarung wird auf diese Bezug genommen. Die Klägerin zu 4. und die Beklagte schlossen am 25./26. August 2008 eine entsprechende Zinsvereinbarung ab.

5

Den gegen das Musterverfahren eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2008 zurück. Die Klage gegen das Musterverfahren ging beim Verwaltungsgericht Greifswald am 26. August 2008 unter dem Aktenzeichen 3 A 1279/08 ein. Noch vor Durchführung der mündlichen Verhandlung hob die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid auf. Mit gerichtlichem Beschluss vom 7. November 2011 wurde das Verfahren eingestellt.

6

Dem Ausgang des Musterverfahrens entsprechend hob die Beklagte in der Folgezeit auch die an die Klägerinnen ergangenen Beitragsbescheide auf und erstattete den Klägerinnen zu 1., zu 2. und zu 3. am 16. März 2012 und der Klägerin zu 4. am 16. Dezember 2012 die gezahlten Beiträge. Daraufhin forderten die Klägerinnen die Beklagte unter Hinweis auf die abgeschlossene Zinsvereinbarung mehrfach zur Zahlung der „Prozesszinsen“ auf. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf die Formunwirksamkeit der Vereinbarung gemäß § 38 Abs. 6 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) ab. Weder sei die Vereinbarung von dem Stellvertreter unterschrieben worden, noch sei die Vereinbarung mit einem Dienstsiegel versehen. Eine Ausnahme sei auch nicht möglich, da die in der Hauptsatzung normierte Wertgrenze überschritten worden sei.

7

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2012 beantragten die Klägerinnen bei der Beklagten, die Zinsvereinbarung durch die Stadtvertretung genehmigen zu lassen. Der Bürgermeister der Beklagten wies darauf hin, dass eine nachträgliche Genehmigung der Zinsvereinbarung durch die Stadtvertretung voraussichtlich nicht erfolgen werde. Eine Genehmigung ist bisher nicht erteilt worden.

8

Die Klägerinnen haben am 28. Dezember 2012 Klage erhoben. Sie sind der Ansicht, dass ein Zinsanspruch aus der Zinsvereinbarung bestehe, da die Voraussetzungen vorliegen würden. Die Zinsvereinbarung sei nicht formunwirksam. Dies gelte insbesondere für den Zinsanspruch der Klägerin zu 2., der lediglich 2.425,50 Euro betrage und damit unter der Wertgrenze von 5.000 Euro liege. Die Zinsvereinbarung sei auch dann nicht nichtig, wenn sie nicht den Formerfordernissen des § 38 Abs. 6 KV M-V genüge. Denn bei der Norm handele es sich nicht um eine Formvorschrift nach § 125 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern um eine materielle Vorschrift zur Beschränkung der Außenvollmacht. Aus der Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung gemäß § 38 Abs. 6 Satz 5 KV M-V gehe hervor, dass ein Verstoß keine Nichtigkeit zur Folge habe.

9

Darüber hinaus sei die Beklagte nach Treu und Glauben gehindert, sich auf einen etwaigen Formverstoß zu berufen. Die Beklagte habe solche Zinsvereinbarungen – auch in der Vergangenheit – mehrfach abgeschlossen, um die Durchführung von Musterverfahren zu ermöglichen. Sie habe durch die Vereinbarung über Jahre hinweg Vorteile erhalten, sei nicht mit einer Klagewelle überzogen wurden und habe erhebliche Verfahrenskosten im Unterliegensfalle vermeiden können. Die Klägerinnen hätten auf diese Vereinbarung vertraut und auf weitere Klagen verzichtet. Im Übrigen hätten die Klägerinnen aus Treu und Glauben einen Anspruch auf Genehmigung der Zinsvereinbarung durch die Stadtvertretung der Beklagten.

10

Sollte die Zinsvereinbarung unwirksam sein und auch kein Anspruch auf Genehmigung bestehen, dann ergebe sich der Zinsanspruch aus dem Schadensersatzrecht. Die Ansprüche würden sich aus den Grundsätzen der culpa in contrahendo entsprechend § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 280 BGB ergeben.

11

Die Klägerinnen beantragen,

12

an die Klägerin zu 1. den Betrag von 26.470,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

13

an die Klägerin zu 2. den Betrag von 2.425,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

14

an die Klägerin zu 3. den Betrag von 43.617,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit

15

und an die Klägerin zu 4. den Betrag von 10.813,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

16

hilfsweise

17

die Beklagte zu verpflichten, den zwischen ihr und den Klägerinnen zu 1., 2. und 3. geschlossene Zinsvereinbarung vom 25./26.08.2008 sowie die zwischen ihr und der Klägerin zu 4. geschlossene Zinsvereinbarung vom 25./26.08.2008 durch die Stadtvertretung zu genehmigen

18

und nach erfolgter Genehmigung

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an die an die Klägerin zu 1. den Betrag von 26.470,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

20

an die Klägerin zu 2. den Betrag von 2.425,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit,

21

an die Klägerin zu 3. den Betrag von 43.617,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit

22

und an die Klägerin zu 4. den Betrag von 10.813,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

23

Die Beklagte beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

25

Zur Begründung führt sie an, dass die Zinsvereinbarung nicht wirksam zustande gekommen sei. Der Einwand von Treu und Glauben überzeuge nicht. Denn gerade aus der vergleichsweise herangezogenen Zinsvereinbarung aus dem Jahr 2006 ergebe sich Inhalt und Form einer solchen Vereinbarung, so dass diese zumindest den Klägerinnen zu 1. und zu 2. bekannt gewesen sein dürften. Beide Vertragsparteien hätten auf die Einhaltung der Form zu achten. Es könne auch nicht auf die Reihenfolge der Unterschriften ankommen. Die Klägerinnen seien verpflichtet gewesen, sich nach Erhalt eines ausgefertigten Exemplars von deren Richtigkeit und Wirksamkeit zu überzeugen, wobei davon ausgegangen werde, dass bekannt sei, dass eine solche Vereinbarung sowohl förmliche als auch inhaltliche Erfordernisse einzuhalten habe.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

27

Streitgegenständlich sind vorliegend nur Ansprüche für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass die Klägerinnen keine Amtshaftungsansprüche aus Art. 34 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 839 BGB geltend machen, an deren Prüfung das erkennende Gericht gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. Art. 34 Satz 3 GG gehindert ist. Eine Abtrennung und Verweisung ist daher entbehrlich.

II.

28

Die zulässige Klage hat weder mit dem Hauptantrag (dazu 1.) noch mit dem Hilfsantrag (dazu 2.) Erfolg.

29

1. Den Klägerinnen steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von insgesamt 83.326,00 Euro zu.

30

a) Der Anspruch folgt nicht aus den zwischen den Beteiligten geschlossenen Zinsvereinbarungen vom 25./26. August 2008. Denn diese Vereinbarungen sind derzeit (noch) nicht wirksam, § 38 Abs. 6 Satz 2 und Satz 5 KV M-V. Nach § 38 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 KV M-V bedürfen Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, der Schriftform und sie sind vom Bürgermeister sowie einem seiner Stellvertreter handschriftlich zu unterzeichnen und mit dem Dienstsiegel zu versehen. Fehlen diese Voraussetzungen, ist die Erklärung nicht „rechtsverbindlich“ und sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch die Gemeindevertretung, § 38 Abs. 6 Satz 5 KV M-V.

31

Das trifft vorliegend zu. Die Vereinbarungen sind nicht rechtsverbindlich. Bei den streitgegenständlichen „Zinsvereinbarungen“ handelt es sich um öffentlich-rechtliche Verträge, mit denen die Beklagte verpflichtet wird, in Anlehnung an die §§ 236, 238 Abgabenordnung (AO) im Falle des Unterliegens im Musterverfahren in den anderen, bei ihr noch anhängigen Widerspruchsverfahren gegen die erlassenen Beitragsbescheide Zinsen auf die gezahlten und nunmehr zu erstattenden Kanalanschlussbeiträge zu zahlen.

32

Die streitgegenständlichen Zinsvereinbarungen genügen nicht den Maßgaben des § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V, da sie weder von der damaligen Bürgermeisterin Bredemeier unterzeichnet wurden noch mit einem Dienstsiegel versehen sind. Unterzeichnet wurden sie ausweislich der Vereinbarungen nur von der stellvertretenden Bürgermeisterin ( „i.V. J. Voss“).

33

Die Vereinbarungen sind – wie die Klägerinnen zutreffend anführen – aufgrund des Verstoßes gegen § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V nicht nichtig, sondern schwebend unwirksam, da bisher eine Genehmigung durch die Gemeindevertretung der Beklagten nicht erfolgt ist. Dies gilt nach Ansicht des Gerichtes unabhängig von der Frage, ob die genannte Vorschrift des § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V als Regelung der Vertretungsbefugnis (so vgl. BGH, Urt. v. 10. Mai 2001 – III ZR 111/99 -, juris Rn. 6) oder als Formvorschrift (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 17. Dezember 1997 – 8 A 12998/96-, juris Rn. 24, soweit die verpflichtenden Erklärungen öffentlich-rechtlicher Natur sind; ebenso OVG Lüneburg, Urt. v. 28. April 2005 – 1 LB 270/02 -, juris Rn. 27) einzuordnen ist. Denn in beiden Fällen ist keine Genehmigung – entweder nach § 177 BGB oder nach § 38 Abs. 6 Satz 5 KV M-V – erfolgt.

34

Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist die Einhaltung der in § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V vorgeschriebenen Form nicht entbehrlich. Dies gilt insbesondere für die Zinsansprüche der Klägerin zu 2. in Höhe von 2.425,50 Euro. § 38 Abs. 3 Satz 2 KV M-V findet vorliegend keine Anwendung. Bei dem Abschluss der Zinsvereinbarungen handelt es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne der Norm, bei dem der Bürgermeister alleinvertretungsberechtigt ist. Zu den Geschäften der laufenden Verwaltung zählen nur solche, die in mehr oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang der Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind (Darsow in: Darsow/Genter/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentar des Landes Mecklenburg-Vorpommern 3. Auflg., § 38 Rn. 18). Diese Voraussetzungen sind für den Abschluss einer Zinsvereinbarung zur Vermeidung von gerichtlichen Verfahren im größeren Umfang – wie vorliegend bei einer Beitragsveranlagung von insgesamt ca. 400.000,00 Euro der Fall – nicht gegeben.

35

Die Vereinbarungen werden auch nicht von der Regelung des § 38 Abs. 6 Satz 3 KV M-V erfasst. Nach dieser Norm kann die Hauptsatzung Wertgrenzen bestimmen, bis zu denen es dieser Formvorschrift ganz oder teilweise nicht bedarf. Letztlich soll damit die Verwaltungsarbeit bei Verpflichtungserklärungen, die kein zu großes finanzielles Risiko für die Gemeinde bedeuten, erleichtert werden. Erfasst werden daher nach Ansicht der Kammer nur Erklärungen, bei denen der Wert zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung feststeht. Denn nur dann ist sichergestellt, dass die in der Hauptsatzung vorgeschriebenen Wertgrenzen eingehalten werden. Ist der endgültige Wert der Verpflichtung jedoch zunächst nicht bekannt – wie vorliegend der Fall –, findet die Ausnahmeregelung ebenso wenig Anwendung wie in den Fällen, in denen die Erklärungen auf ein nicht mit Geld bewertbares Handeln der Gemeinde gerichtet sind (vgl. Darsow in: Darsow/Genter/Glaser/Meyer, a.a.O., § 38 Rn. 11).

36

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist die Beklagte nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) daran gehindert, sich auf die Nichtigkeit der Verträge zu berufen. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Regelung des § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V als Formvorschrift anzusehen ist, als auch für den Fall, dass die Vorschrift eine Gesamtvertretung normiert. Denn in beiden Fällen dient die Norm dem Schutz der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und ihrer Mitglieder (Darsow in: Darsow/Genter/Glaser/Meyer, a.a.O., § 38 Rn. 10). Im Hinblick auf diese Schutzfunktion kann sich der Vertragspartner einer öffentlich-recht-lichen Körperschaft – entgegen der Ansicht der Klägerinnen – nur unter besonderen Umständen nach § 242 BGB darauf berufen, der Einwand der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, ihre Verpflichtungserklärung sei wegen eines Verstoßes gegen die Formvorschrift der Kommunalverfassung unwirksam, verstoße gegen den Grundsatz der unzulässigen Rechtsausübung.

37

Grundsätzlich führen Mängel in der Form des Vertrages dazu, dass dieser nicht erfüllt werden muss. Eine Ausnahme gilt – wie im Zivilrecht – nur für den Fall, dass es nach Maßgabe der Beziehung der Beteiligten zueinander und aller Umstände des Einzellfalls nicht bloß unbefriedigend, sondern nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB schlechterdings unvertretbar wäre, den Vertrag an dem bloßen Formmangel scheitern zu lassen (BGH, Urt. v. 20. Februar 1979 – VI ZR 256/77 -, juris Rn. 41; Urt. v. 20. Januar 1994 – VII ZR 174/92, juris Rn. 11; LG Stuttgart, Urt. v. 27. Mai 1981 – 15 O 11/81 -, NVwZ 1982, 57, 59). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragsgegner zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würden und ein notwendiger Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist (vgl. BGH, Urt. v. 13. Oktober 1983 – III ZR 158/82 -, juris Rn. 26) oder wenn Kenntnis der Formnichtigkeit oder Arglist seitens des Leistungspflichtigen bestand bzw. wenn diesem ein anderer, besonders schwerer Treueverstoß anzulasten ist.

38

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Dass die von den Klägerinnen gezahlten Beiträge nicht verzinst werden, führt nicht zu schlechthin untragbaren Ergebnissen. Derartige Umstände – wie eine Existenzbedrohung (vgl. BGH, Urt. v. 20. September 1984 – III ZR 47/83, juris Rn. 31) - sind von den Klägerinnen nicht dargelegt worden und auch nicht ersichtlich. Der Beklagten ist auch kein besonders schwerer Treueverstoß anzulasten, der es rechtfertigen würde, sie an dem Vertrag festzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte arglistig bzw. vorsätzlich gehandelt hat, bestehen nicht und wurden auch von den Klägerinnen nicht aufgezeigt. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte nunmehr auf die Unwirksamkeit des Vertrages aufgrund formaler Mängel beruft, ist für die Annahme treuewidrigen Verhaltens im Sinne von § 242 BGB nicht ausreichend. Die bloße Vertragsreue ist nicht vorwerfbar.

39

Geht man von einem Mangel in der Vertretungsberechtigung aus, gilt darüber hinaus, dass derjenige, der zu einer Gemeinde in Geschäftsbeziehungen eintritt, die Pflicht hat, sich über Vertretungsregelungen der jeweiligen Gemeindeordnung zu informieren und sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Gemeinde dem Gesetz entsprechend vertreten ist (vgl. BGH, Urt. v. 2. März 1972 – VII ZR 143/70, juris Rn. 26). Die im öffentlichen Interesse zum Schutz öffentlich-rechtlicher Körperschaften und ihrer Mitglieder geschaffenen gesetzlichen Regelungen über die Vertretungsmacht der jeweils zuständigen Organe können somit auch hier nicht ohne Weiteres durch Berufung auf Treu und Glauben außer Kraft gesetzt werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn – wie auch die Klägerinnen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OVG Koblenz vom 17. Mai 1988 (- 7 A 2/87 -, NVwZ 1988, 947 f.) anführen – der mit der Formvorschrift bezweckte Schutz deshalb bedeutungslos geworden ist, weil das nach der Gemeindeordnung für die Willensbildung zuständige Organ der öffentlich-rechtlichen Körperschaft den Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts gebilligt hat (BGH, Urt. v. 20. Januar 1994 – VII ZR 174/92 -, juris Rn. 12 m.w.N.) bzw. alle zuständigen Organe der Körperschaft mit den betreffenden Verpflichtungserklärungen in der Sache einverstanden waren bzw. dass die Verpflichtungserklärungen von der Körperschaft mehrfach in anderer Weise schriftlich oder mündlich anerkannt wurden. Von einem derartigen Fall kann hier nicht ausgegangen werden. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Gemeindevertretung - das für die Willensbildung der Gemeinde maßgebende Organ – bereits beim Abschluss der Zinsvereinbarung mitgewirkt und dieser zugestimmt hat. Gegenteiliges haben auch die Klägerinnen nicht vorgetragen. Schließlich können die Vereinbarungen auch nach den Regeln der Anscheins- und Duldungsvollmacht nicht als gültig behandelt werden (vgl. BGH, Urt. v. 13. Oktober 1983 – III ZR 158/82 -, NJW 1984, 606).

40

b) Ein Anspruch auf Zahlung der Zinsen ergibt sich nicht aus den Grundsätzen über eine Haftung bei Vertragsschluss – sog. culpa in contrahendo (c.i.c.) – gemäß §§ 311 Abs. 2 BGB i.V.m. 280 Abs. 1, 284 BGB. Dieses auch im öffentlichen Recht anwendbare Rechtsinstitut gewährt einen Ersatz vergeblicher Aufwendungen aus einem vorvertraglichen Rechtsverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht und die Beteiligten zu loyalem und redlichem Verhalten verpflichtet. Voraussetzung ist, dass der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung verletzt haben muss. Dabei erwachsen aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis keine primären Leistungspflichten, sondern nur Pflichten zur Rücksicht auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Grundsätzlich unterliegen dabei auch öffentlich-rechtliche Körperschaften einer solchen Haftung für ein Fehlverhalten ihrer Organe. Die Beklagte muss für das Fehlverhalten verhandlungsberechtigter Personen einstehen und kann auf Ersatz des Vertrauensinteresses in Anspruch genommen werden (BGH, Urt. v. 20. Juni 1952 - V ZR 34/51 -, juris Rn. 26; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20. Dezember 2012 – I-5 U 50/12 -, 5 U 50/12 -, juris Rn. 25).

41

Die Voraussetzungen sind nicht gegeben, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Norm des § 38 Abs. 6 Satz 2 KV M-V um eine Gesamtvertretungsregelung oder um eine Formvorschrift handelt. Denn in beiden Fällen liegt schon keine vorvertragliche Pflichtverletzung der Beklagten vor. Eine Pflichtverletzung kann hier nur darin gesehen werden, dass die Beklagte, hätte sie die Nichtigkeit des Vertrages aufgrund der unzureichenden Vertretung bzw. Form gekannt oder kennen müssen, entweder für das Einhalten der gesetzlichen Bestimmungen hätte sorgen müssen oder die Klägerinnen durch einen rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Hinweis auf das Wirksamkeitshindernis vor Schaden hätte bewahren müssen. Da grundsätzlich kein Anspruch auf Abschluss eines formwirksamen Vertrages besteht, kommt allein eine Verletzung der Hinweispflicht in Betracht. Eine solche liegt nach Auffassung der Kammer nicht vor, da die Beklagte insoweit über kein überragendes, nur ihr zugängliches Wissen verfügte (vgl. BGH, Urt. v. 20. Mai 2003 – XI ZR 248/02 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Denn dass für öffentliche Körperschaften im Allgemeininteresse besondere Form- und Vertretungsregelungen gelten, ist bekannt und ergibt sich aus der für die Gemeinden jeweils geltenden Kommunalverfassung (vgl. BGH, Urt. v. 2. März 1972, a.a.O., Rn. 26). Den Klägerinnen als Formkaufleuten (§ 6 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG) hätte dies bekannt sein müssen; insbesondere den Klägerinnen zu 1. und zu 2., die mit der Beklagten bereits im Jahr 2006 eine – formwirksame – Zinsvereinbarung abgeschlossen hatten. Den Klägerinnen hätte sich daher eine rechtliche Überprüfung der Vereinbarung hinsichtlich Form und Vertretungsbefugnis in gleichem Maße aufdrängen müssen wie der Beklagten. Dies war den Klägerinnen auch möglich, da ihnen jeweils ein Exemplar der Vereinbarung übersandt wurde. Dass die Beklagte darüber hinaus eine vorvertragliche Pflicht verletzt hat, wie etwa falsche Auskunftserteilung über die Formwirksamkeit des Vertrages, geht aus den dem Gericht vorliegenden Akten nicht hervor und wurde auch von den Klägerinnen nicht vorgetragen.

42

Aber auch wenn man den vorstehenden Ausführungen nicht folgt und eine Pflichtverletzung der Beklagten annimmt, wäre diese nicht kausal für den eingetretenen Schaden. Nach Ansicht der Kammer ist die vorliegende Fallgestaltung vergleichbar mit der Verletzung von Aufklärungspflichten. Wer vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, ist grundsätzlich beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre. Es besteht die Vermutung, dass sich der Geschädigte „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, Kommentar, 68. Auflage 2009, § 280 Rn. 39). Diese Kausalitätsvermutung bei Aufklärungspflichten setzt allerdings voraus, dass es nur eine bestimmte Möglichkeit „aufklärungsrichtigen“ Verhaltens gibt. Hingegen ist die Vermutung nicht begründet, wenn eine gehörige Aufklärung beim Vertragspartner einen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte, weil es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 2004 – XI ZR 178/03 –, juris, Rn. 28 m.w.N.; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 280 Rn. 39). Der Geschädigte hat dann den vollen Beweis zu erbringen, dass er sich aufklärungsrichtig Verhalten hätte und der Schaden bei pflichtgemäßen Verhalten nicht eingetreten wäre.

43

Vorliegend spricht für die Kausalität keine tatsächliche Vermutung, weil eine gehörige Aufklärung der Klägerinnen über die Unwirksamkeit der Verträge bei diesen einen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte. Denn es gab vernünftigerweise nicht nur eine, sondern mehrere Reaktionsmöglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens. Die Klageerhebung wäre nicht die einzig vernünftige Möglichkeit gewesen, da diese auch für die Klägerinnen bei dem zugrunde liegenden Streitwert mit einem erheblichen Kostenrisiko verbunden gewesen wäre. Ob die Klägerinnen dieses allein wegen der im Falle des Obsiegens zu erwartenden Prozesszinsen in Kauf genommen hätten, erscheint fraglich. Nach Ansicht der Kammer ist vielmehr davon auszugehen, dass die Klägerinnen aufgrund des bestehenden Kostenrisikos im Falle der Klagen sich Handlungsalternativen überlegt hätten. Dafür spricht eine E-Mail der Klägerinnen an die Beklagte vom 18. August 2008, die von dem Geschäftsführer der Klägerinnen zu 1., zu 2. und zu 3. – Herr A. X. – unterzeichnet ist und – wie die Absenderadresse zeigt – in Absprache mit der notariell Generalbevollmächtigten der Klägerin zu 4., Frau G. X., erfolgte. In dieser führen sie aus, dass sie den Klageweg wegen des finanziellen Risikos für alle Beteiligten keinesfalls „favorisieren“ würden und bitten die Beklagte nachdrücklich, den Abschluss der Zinsvereinbarung in der bisherigen Fassung herbeizuführen. Denkbar ist daher zum einen, dass die Klägerinnen trotz Zahlung der Beiträge die Entscheidung im Musterverfahren abgewartet hätten, um sich keinem weiteren finanziellen Risiko durch entstehende Verfahrenskosten auszusetzen. Zum anderen bestand die Möglichkeit, auf der Bescheidung ihrer einstweiligen Rechtsschutzanträge durch die Beklagte zu bestehen bzw. einen einstweiligen Rechtsschutzantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht zu stellen. Damit hätten die Klägerinnen die Bezahlung der Beiträge einstweilen verhindern können und wären im Erfolgsfalle zunächst nur zur Zahlung von Aussetzungszinsen verpflichtet gewesen. Auch diese wären im Falle des Obsiegens im Klageverfahren entfallen bzw. ihnen erstattet worden.

44

Gilt die Kausalitätsvermutung somit nicht, hat der Geschädigte den vollen Beweis zu erbringen, dass er sich aufklärungsrichtig verhalten hätte und der Schaden bei pflichtgemäßen Verhalten nicht eingetreten wäre. Hierfür haben die Klägerinnen keinen Beweis angetreten.

45

2. Der hilfsweise geltend gemachten Antrag auf Genehmigung der Zinsvereinbarung ist unbegründet, da die Beklagte für diesen Anspruch nicht passivlegitimiert ist. Zudem besteht – wie dargelegt – kein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages.

46

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

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