Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 311/09

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Duldungsbescheid der Beklagten.

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Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung A-Stadt, Flur 1, Flurstück 69, Größe 4.984 m², eingetragen im Grundbuch von A-Stadt, Blatt 1525, mit der Lagebezeichnung {A.} 29 in A-Stadt war ursprünglich die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH.

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Mit Grundsteuermessbescheid vom 28. Mai 2002 setzte das Finanzamt {C.} den Grundsteuermessbetrag für das Grundstück gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH im Wege der Nachveranlagung auf den 1. Januar 2000 auf 1.031,99 € fest. Der Einheitswert wurde mit 128.998,00 € angegeben.

4

Mit Bescheid vom 26. November 2002 setzte die Beklagte die Grundsteuer für das Grundstück für die Jahre 2000 bis 2002 in Höhe von jährlich 3.147,57 €, insgesamt 9.442,71 €, gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH fest. Mit weiterem Bescheid vom 10. Januar 2003 setzte die Beklagte die Grundsteuer für das Grundstück für das Jahr 2003 in Höhe von 3.147,57 € gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH fest.

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Mit Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt-{D.} vom 1. September 2003 – Geschäfts-Nr.: 59 IN 301/03 – wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt Dr. {E.} aus {F.} bestellt.

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Mit Forderungsanmeldung vom 20. Oktober 2003 meldete die Beklagte die Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2003 in Höhe von 12.590,28 € zur Insolvenztabelle an.

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Mit Bescheid vom 6. April 2005 hob das Finanzamt den Grundsteuermessbescheid vom 28. Mai 2002 auf. Die Beklagte widerrief daraufhin die Grundsteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2003.

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Mit Grundsteuermessbescheid vom 6. März 2006 setzte das Finanzamt {C.} erneut den Grundsteuermessbetrag für das Grundstück im Wege der Nachveranlagung auf den 1. Januar 2000 auf 1.031,99 € fest. Der Einheitswert wurde erneut mit 128.998,00 € angegeben. Der Bescheid war an Rechtsanwalt Dr. {E.} adressiert.

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Mit Bescheid vom 20. März 2006 setzte die Beklagte die Grundsteuer für das Grundstück für die Jahre 2000 bis 2006 in Höhe von jährlich 3.147,57 €, insgesamt 20.032,99 € gegen Rechtsanwalt Dr. {E.} fest.

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Dieser zeigte mit Schreiben vom 2. Mai 2006 gegenüber der Beklagten an, dass er dem Insolvenzgericht bereits die Masselosigkeit angezeigt habe. In diesem Insolvenzverfahren könnten keinerlei Zahlungen getätigt werden. Dies gelte für die Massekosten wie die Masseverbindlichkeiten und auch die einfachen Insolvenzforderungen.

11

Am 10. Juli 2006 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt.

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Mit Bescheid vom 8. Januar 2007 setzte die Beklagte die Grundsteuer für das Jahr 2007 in Höhe von 3.147,57 € gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH fest.

13

Am 5. Februar 2007 bestimmte das Amtsgericht {C.} einen Termin zur Versteigerung des Grundstücks auf den 21. Juni 2007. Der Verkehrswert wurde mit 39.000,00 € angegeben. Der Zwangsversteigerungsvermerk war bereits am 13. Januar 2006 in das Grundbuch eingetragen worden. Die Zwangsversteigerung wurde von der Kreissparkasse {C.}-{G.} betrieben. Mit Schreiben vom 6. Juni 2007 meldete die Beklagte bei dem Amtsgericht {C.} gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bevorrechtigte Forderungen in Höhe von 26.710,03 € an. Nach Rücknahme des Antrags auf Zwangsversteigerung wurde der Zwangsversteigerungsvermerk am 17. Oktober 2007 im Grundbuch gelöscht.

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Bereits zuvor hatte die Klägerin das Grundstück mit Kaufvertrag vom 1. März 2007 von der {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH erworben. In diesem Kaufvertrag hieß es, der Grundbesitz hafte für Rückstände an öffentlichen Lasten und Abgaben; der Verkäufer versichere, dass solche nicht bestünden.

15

Mit Schreiben vom 21. Januar 2008 an die Klägerin kündigte die Beklagte an, die Zwangsversteigerung des Grundstücks betreiben zu wollen, und machte die Klägerin auf das Ablösungsrecht nach § 268 Abs. 1 BGB aufmerksam.

16

Am 30. Januar 2008 wurde die Klägerin als Eigentümerin des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen.

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Mit dem angefochtenen Duldungsbescheid vom 19. März 2008 gab die Beklagte der Klägerin auf, wegen der als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhenden Forderungen an Grundsteuer in Höhe von 25.180,56 € die Zwangsvollstreckung in das Grundstück zu dulden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2008 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2007 sei ordnungsgemäß festgesetzt worden. Sie ruhe als öffentliche Last auf dem Grundstück. Der Eigentümer habe wegen dieser öffentlichen Last die Vollstreckung in das Grundstück zu dulden. Wer verpflichtet sei, die Vollstreckung zu dulden, könne mit Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Eine Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners sei ohne Aussicht auf Erfolg gewesen. Diese werde durch die Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse belegt. Eine Geltendmachung des Absonderungsrechts sei wegen der Einstellung des Insolvenzverfahrens kurz nach Erlass des Grundsteuerbescheides nicht möglich gewesen. Auch habe ein Zwangsversteigerungsverfahren gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH vor Eigentumsübergang nicht mehr rechtzeitig eingeleitet werden können. Die Eintragung einer Zwangssicherungshypothek sei nicht angezeigt gewesen, da die Grundsteuer gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG bevorrechtigt gewesen sei. Ein Anspruch gegen den Insolvenzverwalter nach § 61 InsO bestehe nicht, da die Grundsteuer nicht durch eine Rechtshandlung begründet worden sei., Die Klägerin hätte sich vor dem Kauf des Grundstücks, etwa durch die Einsichtnahme in die Akten des Zwangsversteigerungsverfahrens, nach rückständigen Grundsteuern erkundigen können.

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Mit Grundsteuermessbescheid vom 12. Mai 2009 setzte das Finanzamt {C.} den Grundsteuermessbetrag für das Grundstück im Wege der Neuveranlagung auf den 1. Januar 2005 auf 598,41 € fest. Der Einheitswert wurde mit 74.802,00 € angegeben. Der Bescheid war an die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH adressiert. Ein gleichlautender Bescheid vom 12. Mai 2009 wurde der Klägerin bekannt gegeben.

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Mit Grundsteuerbescheid vom 8. Juni 2009 setzte die Beklagte die Grundsteuer für das Grundstück für die Jahre 2005 bis 2007 gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH neu auf jährlich 1.825,15 € fest. Hiermit ergab sich für diesen Zeitraum eine Grundsteuer von 5.475,45 €, die um 3.967,26 € unter der ursprünglich festgesetzten Grundsteuer von 9.442,71 € lag.

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Mit Bescheid vom 12. Juni 2009 widerrief die Beklagte den Duldungsbescheid vom 19. März 2008, soweit darin ein Betrag von mehr als 21.213,30 € gefordert werde. Hierbei berücksichtigte sie die aufgrund der Änderung des Grundsteuermessbetrages zum 1. Januar 2005 geminderte Grundsteuerforderung gegenüber der {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH.

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Bereits am 15. Juli 2008 hat die Klägerin beim erkennenden Gericht Klage erhoben.

22

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt, soweit die Beklagte den Duldungsbescheid vom 19. März 2008 mit Bescheid vom 12. Juni 2009 teilweise widerrufen hat.

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Die Klägerin trägt vor, der Duldungsbescheid sei im Hinblick auf die Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2003 rechtswidrig, da die Steuer für diesen Zeitraum nicht wirksam festgesetzt sei. Die Festsetzung gegenüber dem Insolvenzverwalter betreffe insoweit Insolvenzforderungen und sei unwirksam. Im Übrigen sei der Duldungsbescheid ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hätte berücksichtigen müssen, dass der Einheitswert zu hoch angesetzt worden sei. Dies zeige die mit dem Bescheid vom 12. Mai 2009 vorgenommene Verminderung des Einheitswertes zum 1. Januar 2005. Der Grundsteuermessbetrag und damit die Grundsteuer seien daher für die Jahre 2000 bis 2004 zu hoch festgesetzt worden. Auch habe die Beklagte den subsidiären Charakter des Duldungsanspruchs nicht hinreichend beachtet. Sie hätte ihre Forderung auch während des Insolvenzverfahrens im Wege der Zwangsversteigerung gegenüber dem Steuerschuldner durchsetzen können und müssen. Soweit es sich bei der Grundsteuer um Masseverbindlichkeiten gehandelt habe, bestehe zudem gemäß § 61 InsO ein Anspruch gegen den Insolvenzverwalter.

24

Die Klägerin beantragt,

25

den Duldungsbescheid der Beklagten vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 und in der Fassung des Teilwiderrufsbescheides vom 12. Juni 2009 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

28

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid sowie den Widerspruchsbescheid in der Fassung des Teilwiderrufsbescheides vom 19. März 2009.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die Kammer kann durch den Einzelrichter entscheiden, denn der Rechtsstreit wurde gemäß § 6 VwGO mit Beschluss der Kammer vom 18. November 2009 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

31

Das Verfahren war entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt haben.

32

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 und in der Fassung des Teilwiderrufsbescheides vom 12. Juni 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin ein Betrag von mehr als 8.623,02 € gefordert wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (dazu 1). Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig (dazu 2).

33

1. Der angefochtene Duldungsbescheid vom 19. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 und in der Fassung des Teilwiderrufsbescheides vom 12. Juni 2009 ist rechtswidrig, soweit hierin für die Jahre 2000 bis 2003 eine Grundsteuer in Höhe von 12.590,28 € (4 x 3.147,57 €) gefordert wird. Dem Duldungsbescheid steht insoweit der Grundsatz der Akzessorietät der Duldungspflicht entgegen.

34

Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 191 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AO. Nach dieser Vorschrift kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 hat der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden wegen einer Steuer, die als öffentliche Last auf Grundbesitz ruht. Gemäß § 12 GrStG ruht die Grundsteuer auf dem Steuergegenstand als öffentliche Last. Diese Duldungspflicht ist akzessorisch. Sie setzt das Bestehen einer Steuerschuld voraus. Die Steuerschuld muss entstanden sein und darf nicht wieder untergegangen sein. Der materielle Duldungsanspruch darf durch Duldungsbescheid erst geltend gemacht werden, wenn der zugrundeliegende Steueranspruch festgesetzt, fällig und vollstreckbar ist. Ein Duldungsbescheid, der unter Verstoß gegen diesen die öffentliche Last kennzeichnenden Grundsatz der Akzessorietät („keine dingliche Haftung ohne persönliche Schuld“) ergangen ist, ist fehlerhaft (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 1985 – BVerwG 8 C 107.83 – juris Rn. 23 und vom 13. Februar 1987 – BVerwG 8 C 25.85 – juris Rn. 22).

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Nach diesen Grundsätzen fehlt es für die Jahre 2000 bis 2003 an den Voraussetzungen für den Erlass eines Duldungsbescheides, denn insoweit liegt keine wirksame Festsetzung der Grundsteuer vor. Der Grundsteuerbescheid vom 20. März 2006 ist unwirksam, soweit hierin die Grundsteuer für die Kalenderjahre 2000 bis 2003 festgesetzt wird. Die Befugnis der Gemeinde zum Erlass von Grundsteuerbescheiden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners für ein in seinem Eigentum stehendes Grundstück ist eingeschränkt. Steuerbescheide dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht mehr ergehen (Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, § 251 Rn. 29). Der Steuergläubiger ist gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach den Maßgaben des Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden. Hierdurch wird gemäß § 171 Abs. 13 AO die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist bewirkt. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (BFH, Urteile vom 2. Juli 1997 – I R 11/97 – juris Rn. 10 und vom 10. Dezember 2008 – I R 41/07 – juris Rn. 7; FG Brandenburg, Urteil vom 14. September 2006 – 3 K 2728/03 – juris Rn. 15; Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 251 Rn. 44). Die Erhebung der Grundsteuer durch Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn es sich dabei um eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO und nicht um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt (OVG LSA, Beschluss vom 5. November 2009 – 4 L 243/08 – juris Rn. 15). Die gemäß § 9 Abs. 2 GrStG mit dem Beginn des Kalenderjahres entstehende Grundsteuer ist bei Insolvenzeröffnung mit dem gesamten Jahresbetrag Insolvenzforderung (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Dezember 2005 – 9 B 23.05 – juris Rn. 25).

36

Hiernach war die Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2003 bei Insolvenzeröffnung eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO. Die Forderung war daher zur Tabelle anzumelden. Der an den Insolvenzverwalter gerichtete Grundsteuerbescheid vom 20. März 2006 war insoweit unwirksam. Damit fehlt es an einer wirksamen Festsetzung der Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2003 als Voraussetzung für den Erlass eines Duldungsbescheides.

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Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheides vom 19. März 2008 war die Grundsteuer für die Jahre 2000 bis 2003 auch nicht durch die Grundsteuerbescheide vom 26. November 2002 und 10. Januar 2003 festgesetzt, denn nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung waren diese Bescheide widerrufen worden, nachdem das Finanzamt den ursprünglichen Grundsteuermessbescheid vom 28. Mai 2002 aufgehoben hatte.

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2. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig, soweit hierin für die Jahre 2004 bis 2007 eine Grundsteuer in Höhe von 8.623,02 € (3 x 1.825,15 € + 3.147,57 €) gefordert wird. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Duldungsbescheides liegen insoweit vor. Die Steuer entstand gemäß § 9 Abs. 2 GrStG jeweils mit Beginn des Kalenderjahres und ruht gemäß § 12 GrStG auf dem Grundstück als öffentliche Last. Die Grundsteuer für die Jahre 2004 bis 2007 wurde auch wirksam festgesetzt. Bei der Grundsteuer für die Jahre 2004 bis 2006 handelte es sich um eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, deren Festsetzung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Insolvenzverwalter zulässig war (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. November 2009 – 4 L 243/08 – a.a.O.). Die Grundsteuer für das Jahr 2007 wurde nach Einstellung des Insolvenzverfahrens ordnungsgemäß gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH festgesetzt. Die Neufestsetzung der Grundsteuer für die Jahre 2005 bis 2007 erfolgte mit Bescheid vom 8. Juni 2009 zu Recht ebenfalls gegen die {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH.

39

Die Beklagte hat das ihr beim Erlass des Duldungsbescheides zustehende Ermessen im Hinblick auf die Grundsteuer für die Jahre 2004 bis 2007 auch fehlerfrei ausgeübt. Bei der Ermessensausübung in Anwendung des § 191 AO ist dem subsidiären Charakter des Duldungsanspruches Rechnung zu tragen (OVG Koblenz, Beschluss vom 11. Januar 1989 – 6 B 79/88 – NJW 1989, 1878). Die Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen kommt regelmäßig ermessensfehlerfrei erst in Betracht, wenn erkennbar wird, dass der Steuerschuldner zur Erfüllung seiner Schuld nicht willens oder nicht in der Lage ist (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1987 – BVerwG 8 C 25.85 – a.a.O. Rn. 24; OVG Lüneburg, Urteil vom 31. August 2009 – 9 LA 419/07 – juris Rn. 9). Dies wurde hier beachtet, denn nach Einstellung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH mangels Masse am 10. Juli 2006 war eine Realisierung der Grundsteuerforderung gegenüber dem Steuerschuldner nicht mehr zu erwarten.

40

Der Erlass des Duldungsbescheides ist im Hinblick auf die Grundsteuer für die Jahre 2004 bis 2007 auch nicht aus anderen Gründen ermessensfehlerhaft. Zwar kann die Ermessensausübung nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann fehlerhaft sein, wenn sich die Inanspruchnahme des Duldungspflichtigen mit Rücksicht auf das vorausgegangene Verhalten des Steuergläubigers als treuwidrig darstellt, sei es, dass der Steuergläubiger den Sachverhalt, auf den er die Inanspruchnahme stützt, treuwidrig herbeigeführt hat, oder sei es, dass sein vorangegangenes Verhalten die Annahme der Verwirkung des Duldungsanspruchs rechtfertigt (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1987 – BVerwG 8 C 25.85 – a.a.O. Rn. 25). Das kann der Fall sein, wenn eine vorsätzliche oder besonders grob fahrlässige Pflichtverletzung der zuständigen Behörde die Beitreibung der Steuer verhindert hat. Entscheidend ist, ob die Behörde mit ausreichendem Nachdruck und ohne vorwerfbare pflichtwidrige Verzögerung die Verwirklichung des Anspruchs gegen den Steuerschuldner betrieben hat (VGH Kassel, Urteil vom 4. Juni 1980 – V OE 20/79 – NJW 1981, 476; VGH München, Beschluss vom 12. November 2001 – 23 ZS 01.1658 – juris Rn. 6; OVG Lüneburg, Urteil vom 31. August 2009 – 9 LA 419/07 – a.a.O. Rn. 10; VG Augsburg, Urteil vom 15. Januar 2008 – Au 1 K 07.818 – juris Rn. 41).

41

Eine derartige vorsätzliche oder besonders grob fahrlässige Pflichtverletzung der Beklagten bei der Beitreibung der Steuer gegenüber der {B.} Kunststoffverarbeitung GmbH kann hier im Hinblick auf die Grundsteuer für die Jahre 2004 bis 2007 nicht festgestellt werden. Eine Realisierung der Grundsteuer während des Insolvenzverfahrens im Wege der abgesonderten Befriedigung gemäß § 49 InsO war aus Zeitgründen nicht möglich, da das Insolvenzverfahren bereits am 10. Juli 2006 und damit kurz nach Erlass des Grundsteuerbescheides vom 20. März 2006 eingestellt wurde. Ein früherer Erlass des Grundsteuerbescheides gegen den Insolvenzverwalter war nicht möglich, da das Finanzamt die Festsetzung des Grundsteuermessbetrages für das Grundstück vom 28. Mai 2002 am 6. April 2005 aufgehoben und den Grundsteuermessbetrag erst mit Bescheid vom 6. März 2006 erneut festgesetzt hatte.

42

Auch das Absehen von einer Zwangsversteigerung des Grundstücks zur Realisierung der Grundsteuerforderung nach Einstellung des Insolvenzverfahrens kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden. Sie beabsichtigte vielmehr, im Rahmen des von der Kreissparkasse {C.}-{G.} durchgeführten Zwangsversteigerungsverfahrens ihr Vorrecht aus § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG geltend zu machen. Von dem Verkauf des Grundstücks erfuhr sie offenbar erst nach Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens. Bevor sie selbst die Zwangsversteigerung durchführen konnte, war das Eigentum an dem Grundstück bereits auf die Klägerin übergegangen. Hiernach kam nur noch der Erlass eines Duldungsbescheides in Frage. Bei dieser zeitlichen Abfolge wäre es Sache der Klägerin gewesen, sich gegen eine Inanspruchnahme aus der öffentlichen Last nach § 12 GrStG durch eine entsprechende Zurückbehaltung des Kaufpreises abzusichern (vgl. VGH München, Beschluss vom 12. November 2001 – 23 ZS 01.1658 – a.a.O.).

43

Ein Anspruch gegen den Insolvenzverwalter nach § 61 InsO besteht nicht, denn die Grundsteuer ist nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden.

44

Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die Klägerin wegen der Grundsteuer für die Jahre ab 2004 in Anspruch genommen wird. Ein neuer Grundstückseigentümer muss die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück auch dann wegen rückständiger Grundsteuern dulden, wenn die Erhebungszeiträume mehr als zwei Jahre vor dem Grundstückserwerb liegen (OVG Bautzen, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 5 A 168/08 – juris Rn. 9).

45

Die Beklagte musste bei ihrer Ermessensentscheidung auch nicht berücksichtigen, dass die Festsetzung des Einheitswertes und damit auch die Festsetzung des Grundsteuermessbetrages zum 1. Januar 2000 möglicherweise fehlerhaft gewesen ist. Gemäß § 182 Abs. 2 Satz 1 AO wirkt ein Feststellungsbescheid über einen Einheitswert auch gegenüber dem Rechtsnachfolger, auf den der Gegenstand der Feststellung nach dem Feststellungszeitpunkt mit steuerlicher Wirkung übergeht. Ist der Bescheid über die Feststellung des Einheitswertes gegenüber dem Rechtsvorgänger bestandskräftig geworden, steht dem Rechtsnachfolger keine Anfechtungsbefugnis zu. Der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz des Rechtsnachfolgers wird dadurch gewahrt, dass er eine Wertfortschreibung (§ 22 Abs. 1 BewG) und eine Fortschreibung zur Fehlerbeseitigung (§ 22 Abs. 3 BewG) beantragen kann (BFH, Beschluss vom 4. August 2005 – II B 40/05 – juris Rn. 10). Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb bei dem Erlass eines Duldungsbescheides nach § 191 Abs. 1 AO, anders als bei dem Erlass von Grundsteuerbescheiden gegen den Rechtsnachfolger, entgegen dem in § 182 Abs. 2 Satz 1 AO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken keine Bindung, sondern eine Pflicht zur inzidenten Überprüfung der Festsetzung des Einheitswertes im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 191 Abs. 1 AO bestehen soll. In gleicher Weise wirkt gemäß § 184 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 182 Abs. 2 AO die Festsetzung des Grundsteuermessbetrages gegen den Rechtsnachfolger (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 6. April 2009 – 5 B 107/07 – juris Rn. 4). Vor diesem Hintergrund setzte eine fehlerfreie Ermessensausübung bei dem Erlass eines Duldungsbescheides keine inzidente Überprüfung der Festsetzung des Einheitswertes oder des Grundsteuermessbetrages voraus.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Im Rahmen des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO entsprach es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens wegen des widerrufenen Teils des Duldungsbescheides der Klägerin aufzuerlegen, da ihre Klage insoweit bis zum Erlass des Grundsteuermessbescheides vom 12. Mai 2009 wegen der aus § 184 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 182 Abs. 2 AO folgenden Bindungswirkung unbegründet war. Im Rahmen des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO waren die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, weil das Ausmaß des Obsiegens und Unterliegens auf beiden Seiten gleich war. Die Klägerin obsiegt im Hinblick auf die Jahre 2000 bis 2003 und unterliegt im Hinblick auf die Jahre 2004 bis 2007.

47

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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