Teilurteil vom Verwaltungsgericht Halle (5. Kammer) - 5 A 431/16

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt, den Beklagten zu verurteilen, ihm im Kalenderjahr 2014 einen höheren Familienzuschlag zu zahlen.

2

Der Kläger ist Beamter des Beklagten und bekleidete das Amt eines Oberregierungsrates.

3

Am 11. November 2014 beantragte er, ihm einen "angemessenen, verfassungsgerechten" Zuschlag für sein drittes Kind zu gewähren. Er vertrat die Ansicht, der Familienzuschlag für das dritte Kind erreiche nicht das verfassungsrechtliche Minimum.

4

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2016 zurück. Zur Begründung führte er – soweit hier von Bedeutung – im Wesentlichen aus, die Alimentation des Klägers sei hinsichtlich seines dritten Kindes amtsangemessen. Dies würden die beigefügten Berechnungen für die Jahre 2014 bis 2016 belegen. Diese berücksichtigten hinsichtlich der angemessenen Wohnkosten die Verwaltungsrichtlinie zu dem Bedarf für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 2 SGB II im Geltungsbereich der Stadt Halle/Saale. Insoweit habe er – der Beklagte – die Verhältnisse des Dienstortes zugrunde gelegt.

5

Am 22. Juli 2016 hat der Kläger beim erkennenden Gericht Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, der ihm im Jahr 2014 gewährte Familienzuschlag sei nicht verfassungskonform. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteil vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 – Maßstäbe zur Alimentation kinderreicher Familien entwickelt und zugleich die Alimentation von Beamten mit mehr als zwei Kindern als verfassungswidrig beanstandet. Das Bundesverfassungsgericht habe in dieser Entscheidung eine Regelungsanordnung dergestalt getroffen, dass ab dem 1. Januar 2000 jeder Besoldungsempfänger für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind Anspruch auf familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 % des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfes eines Kindes habe. Diese Vollstreckungsanordnung gelte noch. Der von dem Beklagten angenommene gewichtete Regelsatz sei nicht zu beanstanden. Allerdings müsse dieser um einen Zuschlag in Höhe von 20 % erhöht werden. Zusätzlich seien Leistungen zur Bildung und Teilhabe zu berücksichtigen. Dies ergebe sich u.a. aus dem Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern. Das bedeute, dass neben Sonder- und Mehrbedarfen sowie dem Versicherungsschutz für den Krankheits- und Pflegefall zusätzliche Aufwendungen im Bereich Bildung und Teilhabe anzuerkennen seien. Dies dürfe sich nicht – wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt habe – auf 10,00 EUR an Kosten zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Gemeinschaftsleben sowie 8,33 EUR monatlich als persönlicher Schulbedarf beschränken. Es müsse auch noch ein Bedarf für eintägige Schul- und Kitaausflüge, mehrtägige Klassen- und Gruppenfahrten, Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf, Schülerbeförderung, außerschulische Lernförderung und gemeinschaftlicher Mittagsverpflegung gewährt werden. Zusammengefasst würde sich folgender Bedarf ergeben:

6

 Eintägige Schul- und Kitaausflüge

        

  5,42 EUR,

 Mehrtägige Klassen- und Gruppenfahrten

        

 17,58 EUR,

 Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf

        

 8,33 EUR,

 Schülerbeförderung

        

 5,00 EUR,

 Außerschulische Lernförderung

        

 81,12 EUR,

 gemeinschaftliche Mittagsverpflegung

        

 43,00 EUR,

 Summe

        

  160,45 EUR.

7

Diese Werte seien pauschaliert anzusetzen. Auf die konkreten Aufwendungen des Klägers dürfe es nicht ankommen.

8

Der Beklagte habe zudem die Kosten für die Miete fehlerhaft ermittelt. Weder die angesetzte Quadratmeterzahl von 10 m² noch die Höhe der Miete unter Zugrundelegung der Verhältnisse der Stadt Halle/Saale seien richtig. Es sei vielmehr von dem bundeseinheitlichen Durchschnitt auszugehen und für das dritte Kind 11 m² zusätzlicher Wohnflächenbedarf anzusetzen. Allerdings sei fraglich, ob die vom Bundesverfassungsgericht angenommenen 11 m² noch zu halten seien. Der Existenzminimumbericht gehe von einem pauschalierten Bedarf von 12 m² je Kind aus. Das ergebe zusammenfassend für das Jahre 2014 folgenden Bedarf:

9

 a) gewichteter Regelsatz

        

 258,11 EUR

 b) 20 %iger Aufschlag

        

 51,62 EUR

 c) Bildungs- und Teilhabeleistungen

        

 160,45 EUR

 d) durchschnittliche Bruttokaltmiete

        

 85,20 EUR

 e) 20 %-iger Aufschlag

        

 17,04 EUR

10

was zu einer Zwischensumme von 572,42 EUR führe. Erhöhe man diesen Bedarf um 15 %, ergebe sich ein Gesamtbedarf von 658,28 EUR.

11

Für das Jahr 2015 ergebe sich nachfolgende Berechnung:

12

 a) gewichteter Regelsatz

        

 263,78 EUR

 b) 20 %-iger Aufschlag

        

 52,76 EUR

 c) Bildungs- und Teilhabeleistungen

        

 160,45 EUR

 d) durchschnittliche Bruttokaltmiete

        

 86,28 EUR

 e) 20 %-iger Aufschlag

        

 17,28 EUR

13

das ergebe eine Zwischensumme von 580,00 EUR. Erhöhe man diesen Bedarf um 15 %, ergebe sich ein Gesamtbedarf von 667,61 EUR.

14

Aus der obigen Rechnung ergebe sich im Jahr 2014 ein Fehlbetrag in Höhe von monatlich 230,88 EUR und im Jahr 2015 von monatlich 231,50 EUR.

15

Der Kläger mache zugleich die verfassungswidrig zu gering bemessene Alimentation auch für das Jahr 2016 und die Folgejahre geltend.

16

Der Kläger beantragt,

17

den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. Juli 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum ab 1. Januar 2014 einen amtsangemessenen Familienzuschlag für sein drittes Kind zu zahlen und die Nachzahlungsbeträge mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu verzinsen,

18

hilfsweise,

19

festzustellen, dass der Familienzuschlag für den Kläger ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig zu niedrig bemessen ist.

20

Der Beklagte beantragt,

21

die Klage abzuweisen.

22

Er verteidigt den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid.

23

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 sei zu Streitjahren ergangen, in denen der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Besoldungsrecht gehabt habe. Daher sei es nachvollziehbar, dass das Bundesverfassungsgericht bundesweite Kriterien angewandt habe. Dem sei das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in den Urteilen vom 13. Dezember 2007 gefolgt und habe entweder bundesweite Durchschnittssätze oder sogar noch Durchschnittssätze aus den alten Bundesländern herangezogen. Ausgehend von der Föderalismusreform, die am 1. September 2006 in Kraft getreten sei, habe das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen vom 5. Mai 2015 und 17. November 2015 entschieden, dass hinsichtlich der Prüfung der Amtsangemessenheit der Alimentation auf regionale Parameter zurückzugreifen sei. So sei ein Vergleich zwischen der Besoldungsentwicklung und der Tarifentwicklung im jeweiligen Land vorzunehmen. Ebenso sei der Besoldungsindex mit dem Nominallohnindex im jeweils betroffenen Land zu vergleichen. Hieraus sei zu folgern, dass das Bundesverfassungsgericht in einer erneuten Entscheidung über die Höhe des Familienzuschlages für das dritte Kind ebenfalls regionale Kriterien anwenden würde. Es fehle bisher an Rechtsprechung, ob und inwieweit bei der Berechnung zwischen dem Abstand der Beamtenfamilie mit zwei Kindern und der Beamtenfamilie mit drei Kindern auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II anzusetzen seien. Dazu habe das Bundesverfassungsgericht noch keine Ausführungen machen können, da diese Leistungen 1998 noch nicht gewährt worden seien. Aus der neueren Rechtsprechung lasse sich für diese Frage ebenfalls nichts ableiten. Da die Leistungen für Bildung und Teilhabe nur auf Antrag erfolgten und auch nicht jedem Kind gewährt würden, könne auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese Leistungen zwingend zu berücksichtigen seien. Der schulische Bedarf von 100,00 EUR jährlich könne nur bei schulpflichtigen Kindern entstehen. Er wäre möglicherweise nicht zu berücksichtigen, wenn das jüngste Kind noch nicht schulpflichtig sei. Die monatlichen Beiträge in Höhe von maximal 10,00 EUR zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft wären möglicherweise nur in Ansatz zu bringen, wenn auch das jüngste Kind des Klägers entsprechende Aufwendungen hätte.

24

Zur Berechnung im Einzelnen sei folgendes auszuführen: Der durchschnittliche Sozialhilferegelsatz sei unstreitig und werde auch vom Kläger akzeptiert. Der Zuschlag in Höhe von 20 % des Regelsatzes könne nicht fortgeführt werden. Die einmaligen Leistungen, die damit abgebildet werden sollten, würden nicht mehr gewährt, stattdessen seien die Regelsätze deutlich angehoben worden. Damit müsse auch der Zuschlag entfallen. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg.

25

Der Bedarf für die Unterkunft müsse regionalisiert werden. Es könne nicht mehr auf die bundesweiten Verhältnisse abgestellt werden, sondern es müssten die Verhältnisse am Dienstort herangezogen werden. Das ergebe im Falle des Klägers einen niedrigeren Bedarf an zusätzlicher Wohnfläche, nämlich von 10 m² und es könnten auch nur die Kosten, die am Dienstort anfielen, berücksichtigt werden. Die antragsabhängigen gesonderten Leistungen für Bildung und Teilhabe könnten nicht berücksichtigt werden. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese im Schnitt beantragt und ausgezahlt würden. Das sehe auch der Existenzminimumbericht so. Dort würden jährlich 100,00 EUR für den Schulbedarf, monatlich 3,00 EUR für Ausflüge in Schulen und Kindertagesstätten sowie monatlich 10,00 EUR für gesellschaftliche Teilhabe berücksichtigt. Für den Schulbedarf könnten nur die 100,00 EUR jährlich berücksichtigt werden. Von einem höheren Aufwand könne nicht ausgegangen werden. Dieser sei aus dem Sozialgeld zu bestreiten, einen Anspruch nach dem SGB II gebe es nicht. Wenn überhaupt, könnten die übrigen Werte nur anhand des statistischen Durchschnitts berücksichtigt werden, weshalb man zu deutlich niedrigeren Werten als denen des Klägers kommen würde.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

27

Die zulässige Klage ist nur hinsichtlich des Hauptantrages entscheidungsreif.

28

Der Hauptantrag ist nicht begründet. Der Kläger verfügt über keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist insoweit im Ergebnis nicht zu beanstanden; er beschränkt sich auf die Ablehnung einer zusätzlichen Leistung auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung.

29

Für den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer zusätzlichen Alimentation fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Er hat – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – die vom Landesbesoldungsgesetz vorgesehene Alimentation in den Streitjahren einschließlich des Kinderzuschlages für das dritte Kind erhalten. Insoweit stehen dem Kläger keine weiteren Zahlungen zu.

30

Ein Anspruch auf die vom Kläger begehrte Zahlung folgt auch nicht aus der Vollstreckungsanordnung (Nr. 2 der Tenorierung) im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 (– 2 BvL 26/91 u. a. – BVerfGE 99, 300). Diese Vollstreckungsanordnung ermöglicht es den Gerichten, Beamten weitere Leistungen zuzusprechen, wenn der Gesetzgeber die beanstandete Rechtslage nicht bis zum 1. Januar 2000 beseitigt hat.

31

Die Vollstreckungsanordnung ist bisher nicht gegenstandslos geworden (vgl. OVG Münster, Urteil vom 7. Juni 2017 – 3 A 1058/15 – juris Rn. 27; VGH Mannheim, Urteil vom 6. Juni 2016 – 4 S 1094/15 – juris). Diese ist auch nach Überzeugung der Kammer auf die Besoldung der Jahre 2014 bis 2016, die hier in erster Linie im Streit stehen, weiterhin anzuwenden. Sie dient insoweit als eine Rechtsgrundlage, um Besoldungsleistungen einem Beamten zuzusprechen, ohne dass die Gesetzesbindung im Besoldungsrecht dem entgegensteht. Anspruchsgrundlage ist insoweit Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit der auf § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz beruhenden Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts. Dieser Teil der Entscheidungsformel enthält als normersetzende Interimsregelung einen selbständigen Ausspruch, der eine Ermächtigung zu einer gesetzesreformatorischen Judikatur der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist (vgl. OEufach0000000014, Urteil vom 13. Dezember 2007 – 1 L 137/06 – juris Rn. 25 ff.; BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 - BVerwG 2 C 34.02 - juris).

32

Dass sich die Vollstreckungsanordnung mittlerweile erledigt haben soll, behauptet der Beklagte selbst nicht. Das ist auch nach Prüfung der Kammer nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat in der Zwischenzeit nicht aus eigener Kompetenz Maßstäbe gebildet und Parameter festgelegt, nach denen die Besoldung der kinderreichen Beamten und Richter bemessen worden sind (vgl. zu diesen Maßstäben OEufach0000000014 a.a.O., Rn. 30). Durch den Erlass des neuen Besoldungsgesetzes (Besoldungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Besoldungsrechts des Landes Sachsen-Anhalt (BesNeuRG LSA) vom 8. Februar 2011 (GVBl. LSA S. 68)) hat der Gesetzgeber des Beklagten keine eigenen Maßstäbe gebildet. Zwar ist der Familienzuschlag für dritte und weitere Kinder durch dieses Gesetz deutlich angehoben worden, zugleich ist aber die früher gewährte Jahressonderzahlung entfallen. Das diente ausweislich der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 5/2477 S. 232) aber ausschließlich dazu, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und der auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung ergangene Musterentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg pauschal umzusetzen, um eine Berechnung in jedem Einzelfall zu vermeiden. Eine Modifikation ist auch nicht durch die Prüfung eines Erhöhungsbedarfes im Rahmen der Schaffung der §§ 23b und 23c Besoldungsversorgungsergänzungsgesetz (Gesetz zur Änderung besoldungs- und richterrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 2015 (GVBl. LSA S. 654), Gesetz zur Änderung des Besoldungs- und Versorgungsrechtsergänzungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Dezember 2016 (GVBl. LSA S. 356)) erfolgt. Der Gesetzgeber hat mit diesen Regelungen nur eine Erhöhung der Grundgehälter und Amtszulagen vorgenommen, der Familienzuschlag ist dagegen nicht verändert worden.

33

Zur Klärung der Frage, ob eine weitere Leistung auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung zuzusprechen ist, hat die Kammer die erforderlichen Berechnungen selbst vorzunehmen. Ihr ist dabei auch in Einzelheiten eine Abweichung von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts verwehrt (OEufach0000000014, a.a.O., Rn. 33; BVerwG, a.a.O.). Soweit sich im Rechengang in der ein- oder anderen Hinsicht Zweifel an der Systemgerechtigkeit ergeben mögen, ist das unbeachtlich. Modifikationen kann insoweit nur der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht herbeiführen (vgl. BVerwG a.a.O.). Modifikationen sind aber nicht nur auf Änderungen des Besoldungsgesetzes beschränkt, sondern können auch andere Bereiche, wie das Sozialrecht, betreffen. So kann die Vollstreckungsanordnung sinnvoll weiterhin angewandt werden, obwohl am 1. Januar 2005 das Bundessozialhilfegesetz weitgehend durch das Sozialgesetzbuch 12. Buch - SGB XII - ersetzt wurde (vgl. OEufach0000000014 a.a.O., Rn. 37). Der durchschnittliche sozialhilferechtliche Gesamtbedarf eines Kindes kann ohne Abweichung von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch nach dem SGB XII berechnet werden. Der Zweck der Leistungen bleibt derselbe (vgl. hierzu OEufach0000000014, a.a.O., Rn. 37 bis 43). Allerdings sind die früheren einmaligen Leistungen nahezu vollständig in die Regelsätze eingearbeitet worden. Der vom Bundesverfassungsgericht ausgeworfene Zuschlag von 20 % zur Abgeltung einmaliger Leistungen ist durch die Neuregelung und die Schaffung höherer Regelsätze nicht weiter anzuwenden (vgl. OEufach0000000014 a.a.O., Rn. 42).

34

Aufgrund der Modifikationen im Sozialrecht ist zudem ein Bedarf für Bildung und Teilhabe zu berücksichtigen, soweit der Gesetzgeber selbst einen ganz bestimmten Betrag ausgeworfen hat. Das gilt für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf nach § 34 Abs. 3 SGB XII in Höhe von jährlich 100,00 EUR und für einen Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von 10,00 EUR monatlich nach § 34 Abs. 7 SGB XII. Diese Leistungen sind bedarfserhöhend einzuberechnen. Eine weitere Modifikation der Berechnungsmethode des Bundesverfassungsgerichts ist der Kammer verwehrt.

35

So kann die Kammer keine Leistungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten, Schülerbeförderung, eine ergänzte Lernförderung oder die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung auswerfen. Solche Leistungen sind zwar nach § 34 SGB XII Leistungen, die auf Antrag neben dem Regelsatz erbracht werden. Das Gesetz sieht aber keine Leistung in einer bestimmten Höhe vor, sondern bindet sie an die tatsächlichen Aufwendungen. In welchem Umfange diese Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, kann allenfalls über statistische Erhebungen ermittelt werden. Dazu ist das Gericht aber bei der Anwendung der Vollstreckungsanordnung nicht berechtigt. Jede Berücksichtigung solcher Ansprüche würde eine Modifikation der Berechnungsmethode ergeben, ohne dass diese auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückzuführen ist. Die vom Kläger geforderte Modifikation ist auch nicht in der Vollstreckungsanordnung selbst angelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat keine Regelung getroffen, nach welchen Maßstäben oder auf welcher statistischer Grundlage solche zusätzlichen Leistungen alimentationserhöhend zu berücksichtigen sind. Die Berücksichtigung von Systemänderungen, die zur Deckung anderer Bedarfslagen führen, ist in der Vollstreckungsanordnung nicht angelegt. Es gibt im Übrigen auch kein zwingendes System, wie die nach dem SGB XII erstattbaren Aufwendungen pauschal einzuberechnen sind. Immerhin sind die Aufwendungen stark unterschiedlich, je nach Wohnsituation und den gesetzlichen Regelungen über die Schulpflicht und den Schulbesuch.

36

Der gesetzlich ausgewiesene Schulbedarf und der Bedarf für die Teilhabe (§ 34 Abs. 3 und 7 SGB XII) sind in ihrem Umfang vom Gesetzgeber festgelegt und daher auch berechenbar aufzunehmen. Er ist auch in vollem Umfange als Teil der Berechnung der Mindesthöhe des Familienzuschlages für das dritte Kind zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann eine Beschränkung auf schulpflichtige Kinder und eine dementsprechende teilweise Berücksichtigung nicht erfolgen. Die Alimentation eines Beamten ist nämlich zur Deckung des gegenwärtigen Bedarfes bestimmt. Zu berücksichtigen ist dabei allein der Bedarf des Beamten im aktuellen Zeitraum. Ist das Kind in diesem Zeitraum schulpflichtig, so besteht dieser Bedarf. Er ist dann auch vollständig zu decken. Ein Ansparen aus früheren Bezügen ist systemfremd. Der Familienzuschlag für das dritte Kind muss deshalb solange diesen Schulbedarf mit abdecken, als es keine Differenzierung des Familienzuschlags zwischen schulpflichtigen und nicht schulpflichtigen Kindern gibt.

37

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die Berechnung der Wohnkosten vollumfänglich anhand der Vollstreckungsanordnung durchzuführen. Das Gericht hat – wie oben ausgeführt – den Berechnungsweg des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfange anzuwenden. Deshalb ist von den vom Bundesverfassungsgericht angesetzten 11 m² zusätzlicher Wohnfläche auszugehen. Eine Erhöhung kommt aus den gleichen Gründen ebenfalls nicht in Betracht. Zugrunde zu legen sind auch die durchschnittlichen Mietkosten. Diese sind pauschal um 20 % für die Heizkosten zu erhöhen. Eine Regionalisierung kommt nicht in Betracht. Das wäre eine Abweichung von der Vollstreckungsanordnung, die nur dem Gesetzgeber auf dem oben aufgezeigten Weg oder dem Bundesverfassungsgericht zukommt.

38

Bei der Berechnung, ob die notwendige Höhe des Familienzuschlages für das dritte Kind erreicht ist, kann von der unstreitigen Einkommensdifferenz und den ebenfalls unstreitig gewordenen gewichteten Regelsätzen ausgegangen werden. Der Schulbedarf nach § 34 Abs. 3 SGB XII beträgt im Jahr 100,00 EUR und ist deshalb pro Monat mit 8,33 EUR anzusetzen. Der Anspruch nach § 34 Abs. 7 SGB XII beträgt monatlich 10,00 EUR. Die Durchschnittsmiete betrug im Jahr 2014 7,10 EUR/m2. Das ergibt sich aus den Eckwerten der Bestandsmiete, wiedergegeben im Wohngeld- und Mietenbericht 2014 (BT-Drs 18/6540, S. 10, genaue Berechnung S. 24). Diese Durchschnittsmiete erhöht sich im Jahre 2015 auf 7,19 EUR und im Jahre 2016 auf 7,28 EUR pro m². Dies ergibt sich aus den vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Verbraucherpreisindizes für Deutschland, Jahresbericht für das Jahr 2016, erschienen am 18. Januar 2017. Danach betrug der Verbraucherpreisindex für die Wohnungsmiete einschließlich Mietwert von Eigentümerwohnungen im Jahr 2014 als Jahresdurchschnitt 105,4 auf der Basis 2010 = 100 (S. 43). Dieser Index stieg im Jahr 2015 auf 106,7 und im Jahr 2016 auf 108,0 (S. 44). Hieraus ergibt sich folgende Tabelle:

39
        

2014   

2015   

2016   

Einkommensdifferenz

427,40

436,11

442,21

                                   

Sozialhilfe

                          

gewichteter Regelsatz

258,11

263,78

267,00

Schulbedarf § 34 Abs. 3 SGB XII

8,33   

8,33   

8,33   

§ 34 Abs. 7 SGB XII

10,00 

10,00 

10,00 

Unterkunft

                          

Miete für 11 m2

78,10 

79,06 

80,03 

Heizkosten pauschal 20%

15,62 

15,81 

16,01 

                                   

Summe 

370,16

376,99

381,37

115%   

425,69

433,54

438,57

                                   

Überschuss

1,71   

2,57   

3,64   

40

Hieraus ergibt sich wiederum, dass die Alimentation des Klägers im Jahr 2014 um monatlich 1,71 EUR, im Jahr 2015 2,57 EUR und 2016 3,64 EUR über dem sich aus der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Betrag lag, weshalb ihm kein Zahlungsanspruch zusteht.

41

Der in der mündlichen Verhandlung erstmals ausdrücklich gestellte Hilfsantrag ist nicht entscheidungsreif. Es kann offen bleiben, ob es sich um eine Klageänderung oder eine Klageerweiterung handelt. Denn auch eine Klageänderung wäre sachdienlich, weil hierdurch der Streit der Beteiligten darüber, ob der Familienzuschlag für Dritte und weitere Kinder verfassungskonform oder verfassungswidrig zu niedrig ist, geklärt werden kann.

42

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Frage, ob die Alimentation amtsangemessen ist, nur im Wege der Feststellungsklage geklärt werden kann. Der Kläger hat das nach § 54 BeamtStG erforderliche Widerspruchsverfahren durchlaufen. Zwar hat er dort keinen Feststellungsantrag gestellt, sondern die Auszahlung eines höheren Familienzuschlages für sein drittes Kind begehrt. Er hat aber in der Begründung ausgeführt, gemessen an den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts sei der Familienzuschlag verfassungswidrig zu niedrig bemessen und damit diese Frage zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemacht. Das genügt.

43

Der Widerspruchsbescheid verhält sich zu den hier aufgeworfenen Fragen nicht, sondern berechnet den Familienzuschlag auf der Grundlage einer abgewandelten Vollstreckungsanordnung. Selbst wenn man das anders sehen würde, ist er auch nicht teilweise bestandskräftig geworden, da der Kläger die Aufhebung des Widerspruchsbescheides in vollem Umfange mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage verfolgte.

44

Ob die Feststellungsklage begründet ist, bedarf noch weiterer Prüfung und voraussichtlich zusätzlicher Ermittlungen. Die Kammer hat dabei zu prüfen, ob durch die Fortentwicklung des Sozialrechts – auch in seiner tatsächlichen Gestaltung – eine Situation eingetreten ist, nach der ein aufgrund der Vollstreckungsanordnung nicht zu erhöhender Familienzuschlag für dritte und weitere Kinder im Ergebnis das verfassungsrechtlich vorgegebene Minimum nicht erreicht.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen