Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 624/16
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), mit dem dieses seinen Asylantrag als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angedroht hat.
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Er ist somalischer Staatsangehöriger und reiste im Jahr 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dabei war er nach den Feststellungen der Bundespolizei im Besitz eines italienischen Fremdenpasses ("Titolo di Viaggio per Stranieri") und einer Aufenthaltserlaubnis der Italienischen Republik ("Permisso di Soggiorno") mit einer Gültigkeit jeweils bis zum Ablauf des 02. Juni 2019. Letzterer lässt sich entnehmen, dass dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz bewilligt worden ist.
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Mit Bescheid vom 22. September 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab, weil dem Kläger bereits in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden sei, drohte ihm die Abschiebung nach Italien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Auf die dagegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Magdeburg den Bescheid des Bundesamts mit rechtskräftigem Urteil vom 04. Februar 2016 (8 A 77/16 MD) auf. In den Gründen stellte es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 23. Oktober 2015 – BVerwG 1 B 41.15 – Juris) fest, die vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylanträge dürften aufgrund der Übergangsregelung in Art. 51 (gemeint ist Art. 52) Unterabschnitt 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden, weil dem Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Die Beklagte habe daher aufgrund der Übergangsregelung die inhaltliche Prüfung der begehrten "Aufstockung" des bereits erlangten ausländischen subsidiären Schutzes zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nachzuholen.
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Nach Anhörung des Klägers lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 06. Dezember 2016 erneut (nunmehr gestützt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) als unzulässig ab (Ziffer 1.), weil dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Zudem stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2.9), drohte dem Kläger die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.).
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Der Kläger hat am 15. Dezember 2016 Klage erhoben, zu deren Begründung er geltend macht, der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig stehe die Rechtskraft des zwischen den Beteiligten ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg entgegen.
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Er beantragt,
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den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06. Dezember 2015 aufzuheben
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und ihm Prozesskostenhilfe für das Verfahren im ersten Rechtszug unter Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. V. zur Vertretung in diesem Verfahren zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Kammer entscheidet ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten (die Beklagte durch allgemeine Prozesserklärung vom 27. Juni 2017) hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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1. Das wörtlich auch auf Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gerichtete Klagebegehren ist sachgerecht nach § 88 VwGO als Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig auszulegen (BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 – BVerwG 1 C 39/16 – Juris Rn. 16).
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Die so verstandene Klage ist begründet, weil der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a. Der auf die Gewährung subsidiären Schutzes in Italien gestützten Ablehnung des Asylantrags als unzulässig steht die materielle Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 04. Februar 2016 (8 A 77/16 MD) entgegenstehen.
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Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. In diesem Umfang tritt damit materielle Rechtskraft ein, d.h. der durch das Urteil ausgesprochene Inhalt ist in jedem Verfahren zwischen den Beteiligten bindend. Im Verwaltungsprozess besteht die Besonderheit, dass bereits der Streitgegenstand der Gestaltungsklagen regelmäßig zweistufig ist. Im Falle der stattgebenden Anfechtungsklage wird nicht nur der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben; festgestellt ist mit dem Urteil vielmehr zugleich, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat. Das Urteil erschöpft sich nicht in der bloßen Kassation, sondern verbietet der Behörde zugleich, in derselben Sache gegenüber demselben Beteiligten erneut eine entsprechende Verfügung zu erlassen. Dies wird als Widerspruchs- und Wiederholungsverbot bezeichnet. Ein rechtskräftiges Urteil, mit dem auf die Anfechtungsklage des Betroffenen ein belastender Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, erwächst deshalb auch hinsichtlich seines tragenden Grundes in Rechtskraft (BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – BVerwG 3 B 18.18 – Juris Rn. 8 ff.).
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Mit o.g. Urteil hat das Verwaltungsgericht Magdeburg der Anfechtungsklage des Klägers gegen einen Bescheid der Beklagten stattgegeben, mit dem diese den Asylantrag des Klägers wegen des in Italien gewährten subsidiären Schutzes als unzulässig abgewiesen hat. Tragend hat es darauf abgestellt, dass der dergestalt begründeten Ablehnung des vor dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrags des Klägers Unionsrecht in der Gestalt des Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU entgegenstehe. Damit ist für die Beteiligten bindend rechtskräftig festgestellt, dass die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig wegen der Schutzgewährung in Italien mit Unionsrecht nicht vereinbar ist.
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Die Beklagte ist deshalb durch dieses Urteil – über die Kassation der angefochtenen Verfügung hinaus – am erneuten Erlass eines entsprechenden Bescheids (bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage) gehindert.
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Mit dem angegriffenen Bescheid hat sie indes den Asylantrag des Klägers erneut als unzulässig abgelehnt, weil dem Kläger in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Eine den Erlass eines solchen Bescheids rechtfertigende Änderung der Sach- oder Rechtslage ist aber nicht eingetreten sein, weil sich das Unionsrecht, auf dem das Urteils tragend beruht, nicht geändert hat.
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b. Die angefochtene Unzulässigkeitsentscheidung kann auch nicht auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG aufrechterhalten oder gemäß § 47 VwVfG in eine Entscheidung nach dieser Regelung umgedeutet werden können. Dies setzte voraus, dass es sich bei einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und einer solchen nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG um denselben Streitgegenstand handelt oder die Voraussetzungen einer Umdeutung erfüllt sind. Das ist jedoch nicht der Fall, weil die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a AsylG für den Kläger ungünstiger wären (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann allenfalls zu einer Abschiebung des Betroffenen in einen anderen "sicheren" Mitgliedstaat der Europäischen Union führen, der ihm bereits Schutz gewährt hat. Eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnende Entscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG hätte im Unterschied dazu zur Folge, dass der Betroffene nach Erlass einer entsprechenden Abschiebungsandrohung und vorbehaltlich des Bestehens eines nationalen Abschiebungsverbots in jeden zu seiner Aufnahme bereiten Staat einschließlich seines Herkunftsstaats abgeschoben werden könnte (so BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 – BVerwG 1 C 39.16 – Juris Rn. 45).
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c. Hat das Bundesamt demnach den Asylantrag zu Unrecht als unzulässig abgelehnt, ist auch für die unter Ziffern 2. bis 4. des angegriffenen Bescheids getroffenen Entscheidungen, die darauf aufbauen, kein Raum.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil der Kläger keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hat.
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Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und der Beteiligte nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse muss der Antragsteller eine Erklärung auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck abgeben (§ 117 Abs. 2 und 4 ZPO). Der durch die Prozesskostenhilfeformularverordnung vom 06. Januar 2014 (BGBl. I 2014, 34) vorgeschriebene Vordruck ist gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 4 ZPO zwingend für die Abgabe der Erklärung zu verwenden. Durch ihn werden Inhalt und Umfang der dem Antragsteller obliegenden Mitwirkungs- und Erklärungspflicht konkretisiert. Eine derartige Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Kläger seinem Prozesskostenhilfeantrag aber nicht beigefügt und entgegen der Ankündigung seines Prozessbevollmächtigten und trotz der Aufforderung des Gerichts vom 11. Januar 2019 auch nicht nachgereicht.
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Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 GKG und des Kostenverzeichnisses der Anlage 1).
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Referenzen
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