Beschluss vom Verwaltungsgericht Halle (7. Kammer) - 7 B 4/19 HAL

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig beginnend ab Bekanntgabe des Beschlusses bis zum 31. Juli 2019 weiter in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg zu betreuen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2., die diese selbst tragen. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten im Verfahren über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe werden nicht erstattet.

Gründe

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Der am 31. Juli 2013 geborene Antragsteller begehrt nach seinem Umzug zum 01. Mai 2018 von Lutherstadt Wittenberg nach A-Stadt seine weitere Betreuung in der Kita "..." in Lutherstadt Wittenberg und wendet sich insoweit gegen die fristlose Kündigung des Betreuungsvertrages.

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Die Kammer fasst das Antragsbegehren bei sachgerechter Auslegung (vgl. § 88 VwGO) dahingehend auf, dass der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt begehrt,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn ab sofort weiterhin in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg zu betreuen.

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Der Antrag hat Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 924 ZPO glaubhaft zu machen.

6

Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO – wie hier jedenfalls zeitweise – die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 17. Februar 2005 - 3 M 454/04 -, Beschluss vom 14. November 2003 - 3 M 309/03 - und vom 16. Dezember 2004 - 3 M 384/04 -).

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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

8

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

9

Nach gegenwärtigem Sach- und Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf weitere Betreuung in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg hat, deren Trägerin die Antragsgegnerin ist. Denn das Betreuungsverhältnis ist durch die beiden fristlosen Kündigungen der Antragsgegnerin aller Voraussicht nach nicht beendet worden.

10

Zunächst hat die fristlose Kündigung des Betreuungsplatzes durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 26. November 2018 das Betreuungsverhältnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht beendet. Zwar bestimmt § 3 Abs. 2 Satz 1 des zwischen der Mutter des Antragstellers und der Antragsgegnerin geschlossenen Betreuungsvertrages vom 08. Mai 2017 bzw. 09. Juni 2017, dass dieser Vertrag fristlos gekündigt werden kann, wenn der Kostenbeitrag trotz angemessener Nachfrist für zwei aufeinander folgende Termine nicht gezahlt wurde oder wenn der über einen längeren Zeitraum nicht gezahlte Betrag in der Höhe zwei Kostenbeiträgen entspricht. Hier hat die Antragsgegnerin aber die mit Schreiben vom 26. November 2018 ausgesprochene fristlose Kündigung allein auf ihre "Regressrechnung" vom 02. November 2018 gestützt. Mit dieser "Regressrechnung" hat sie der Mutter des Antragstellers die Defizitkosten ab dem 01. Mai 2018 in Höhe von insgesamt 2.612,65 Euro in Rechnung gestellt, weil diese sich trotz des bestehenden Vertrages über die Betreuung des Antragstellers in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg zum 01. Mai 2018 nach A-Stadt, OT Elster, umgemeldet und den Vertrag nicht fristgerecht gekündigt habe. Diese "Regressrechnung" berechtigt nicht zur fristlosen Kündigung des Betreuungsplatzes. Denn § 3 Abs. 2 Satz 1 des Betreuungsvertrages sieht (nur) einen Grund zur fristlosen Kündigung bei Zahlungsrückständen von zwei Monatsbeiträgen vor; auf einen solchen Grund hat die Antragsgegnerin die fristlose Kündigung vom 26. November 2018 hingegen nicht gestützt. Überdies hat gemäß § 3 Abs. 1 KiFöG jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang und damit auch der Antragsteller Anspruch auf einen ganztägigen Platz in einer Tageseinrichtung. Im Hinblick auf den gesetzlich garantierten Betreuungsanspruch sind an das Recht zur fristlosen Kündigung des Betreuungsplatzes strenge Maßstäbe anzulegen. Nach Auffassung der Kammer darf deshalb ein Streit über den gemeindlichen Defizitbetrag (vgl. § 12 b KiFöG) – wie er hier vorliegt, weil weder die Antragsgegnerin noch die Beigeladene zu 1. die Defizitkosten tragen will, die nach dem Umzug des Antragstellers zum 01. Mai 2018 nach A-Stadt durch seine weitere Betreuung in Lutherstadt Wittenberg entstehen – nicht auf dem Rücken des Antragstellers bzw. seiner Mutter ausgetragen und seine Betreuung davon abhängig gemacht werden, dass die Frage, wer für den gemeindlichen Defizitbetrag aufzukommen hat, geklärt ist. Denn die Defizitkosten sind jedenfalls nicht vom Antragsteller bzw. seiner Mutter zu übernehmen, weil der Beigeladene zu 2. dem Wunsch- und Wahlrecht (vgl. § 3b KiFöG) der Mutter des Antragstellers entsprochen hat, indem er im vorläufigen Rechtsschutzverfahren mit Schriftsatz vom 08. Februar 2019 einer Betreuung des Antragstellers in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg rückwirkend zum Zeitpunkt seines Umzugs in die Stadt A-Stadt zugestimmt hat. Nach der Rechtsprechung des OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 16. September 2014 – 4 M 120/14 –, juris), der die Kammer folgt, muss kein anderer als der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl. § 3 Abs. 4 KiFöG) – das ist hier zweifelsfrei der Beigeladene zu 2. – seine Zustimmung zur Ausübung des in § 3 b Abs. 1 KiFöG vorgesehenen Wahlrechts erteilen. Damit richtet sich der Betreuungsanspruch des Antragstellers inhaltlich auf seine Betreuung in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg. Es spricht viel dafür, dass die Beigeladene zu 1. als Wohnsitzgemeinde die der Antragsgegnerin entstehenden Defizitkosten zu tragen hat (vgl. § 12 b KiFöG). Insoweit wirft die Entscheidung des Beigeladenen zu 2. zwar die Frage auf, ob er die Interessen der Beigeladenen zu 1. in den Blick genommen und geprüft hat, ob die Zustimmung zur Ausübung des Wahlrechts der Mutter des Antragstellers mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (vgl. § 3 b Abs. 2 KiFöG). Dies ist im vorliegenden Verfahren aber nicht zu entscheiden.

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Des Weiteren hat die von der Antragsgegnerin in der bei dem Gericht am 10. Januar 2019 eingegangenen Antragserwiderung vom 09. Januar 2019 ausgesprochene fristlose Kündigung des Betreuungsplatzes wegen Zahlungsrückständen von drei Monatsbeiträgen (September bis November 2018) das Betreuungsverhältnis vermutlich nicht beendet. Im Hinblick auf den gesetzlich garantierten Betreuungsanspruch (§ 3 Abs. 1 KiFöG) hält die Kammer die zweite fristlose Kündigung für nicht gerechtfertigt, weil der Beigeladene zu 2. bereits zuvor, nämlich mit Bescheid vom 27. Dezember 2018, die Elternbeiträge für die Monate September bis November 2018 vollständig übernommen hat. Dass ausweislich des Bescheides die übernommenen Beiträge erst mit der nächsten Auszahlung im Februar 2019 an den Träger der Kindertageseinrichtung bzw. den kommunalen Eigenbetrieb überwiesen werden, dürfte haushaltsrechtliche Gründe haben und kann nicht zu Lasten des Antragstellers bzw. seiner Mutter gehen.

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Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

13

Ohne die einstweilige Anordnung kann er seinen bestehenden Betreuungsanspruch nicht realisieren. Dabei hat die Kammer den zuzuerkennenden Anspruch im Rahmen der ihr nach § 123 Abs. 1 VwGO zustehenden Ermessens zeitlich begrenzt und insoweit einen Zeitraum von einem knappen halben Jahr bis zum 31. Juli 2019 für angemessen erachtet. Insoweit ist den Beteiligten die Gelegenheit gegeben, sich im Hinblick auf die in der Vergangenheit teilweise sehr geringfügige Inanspruchnahme des Betreuungsplatzes durch den Antragsteller zu vergewissern, dass er tatsächlich weiterhin in der Kindertageseinrichtung "..." in Lutherstadt Wittenberg betreut werden soll.

14

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil das Verfahren gerichtskostenfrei ist (vgl. § 188 Satz 2 VwGO) und der Antragsteller die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht beantragt hat (vgl. § 121 VwGO).

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil diese keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostentragungsrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

16

Die außergerichtlichen Kosten im Verfahren über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe werden nicht erstattet. Soweit Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, beruht die Kostenentscheidung auf den §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 3 Abs. 2 GKG, § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.


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