Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 58/17

Tatbestand

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Der Kläger, der nach seinen Angaben am 01. Januar 1991 in Mogadischu als somalischer Staatsangehöriger geboren wurde, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).

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Er reiste im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. November 2016 einen Asylantrag.

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In seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 18. Januar 2017 gab er an, er habe bis zu seiner Ausreise aus Somalia im Januar 2012 in Mogadischu im Stadtteil Bakarah gewohnt und die Schule bis zur siebten Klasse besucht, einen Beruf nicht erlernt, jedoch zuletzt als Friseur gearbeitet. Seine Mutter und seine mittlerweile verheiratete Schwester lebten weiterhin dort. Zu seinen Asylgründen gab er an, sein Vater habe den Lebensunterhalt für seine arme Familie durch den Verkauf von Lebensmitteln an die Armee verdient. Er sei von der Al-Shabaab aufgefordert worden, dies zu unterlassen, woraufhin er die Lebensmittel immer versteckt und heimlich verkauft habe. Eines Tages seien sie von Mitgliedern der Al-Shabaab zu Hause aufgesucht worden, als sein Vater nicht daheim gewesen sei, und mit Gewehrkolben geschlagen und aufgefordert worden, den Lebensmittelverkauf zu beenden. Einige Tage später die Al-Shabaab seinen Vater abgeholt und zwei Tage später seine Leiche zurückgebracht. Daraufhin habe der Kläger den Lebensmittelverkauf an die Armee fortgeführt. Da ihnen die Al-Shabaab Drohbriefe geschrieben habe, seien sie in Mogadischu umgezogen. Als er einmal zum Fußballspielen habe gehen wollen, sei er Mitgliedern der Al-Shabaab begegnet, die ihn mitgenommen und einen Monat lang in ein Gefängnis gesteckt hätten. Sie hätten ihm gedroht, wenn er nicht das Land verlasse, werde er getötet. Sie hätten ihm aber angeboten, für sie zu arbeiten. Er habe einen Sprengsatz in den Lebensmitteln für die Armee deponieren sollen. Er habe ihnen dann gesagt, er werde erst einmal weiter Lebensmittel an die Armee verkaufen und den Sprengsatz zu einem späteren Zeitpunkt deponieren. Deshalb hätten sie ihm ein Telefon gegeben, über das sie ihm dann den Auftrag hätten erteilen wollen. Da sein Bruder jedoch zu diesem Zeitpunkt durch einen Unfall verstorben sei, habe er sich nach Rücksprache mit seiner Mutter dazu entschlossen, Somalia zu verlassen.

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Mit Bescheid vom 02. Februar 2017 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen, drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach Somalia an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Klägers sei vage und unsubstantiiert und nicht plausibel. Er habe sich nicht zu der Gefahrensituation geäußert, in die er sich mit der Übernahme des Lebensmittelverkaufs an die Armee begeben habe. Es sei nicht der Eindruck entstanden, dass der Kläger gezwungen gewesen sei, diese Tätigkeit übernehmen zu müssen. Seine Darstellung, er habe in seiner letzten Tätigkeit als Friseur gearbeitet, finde sich in der Darstellung seiner Fluchtgründe nicht wieder, obwohl diese Tätigkeit zur Finanzierung des Lebensunterhalts grundsätzlich geeignet gewesen wäre und er sich damit aus dem Gefahrenkreis der Al-Shabaab hätte entziehen können. Die Darstellung zu seiner Gefangennahme durch Al-Shabaab sei nicht nachvollziehbar, da die Begegnung eher zufällig erfolgt und eine sofortige Mitnahme und Inhaftierung unplausibel sei. Zudem sei nicht plausibel, dass der Kläger sein Tätigwerden für die Al-Shabaab habe hinausschieben und seinen Lebensmittelverkauf an die Armee wieder aufnehmen dürfen. Das decke sich nicht mit den Informationen zur brutalen und skrupellosen Vorgehensweise der Al-Shabaab bei der Rekrutierung im Falle der Weigerung. Das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Klägers seien auch nicht durch willkürliche Gewalt innerhalb eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bedroht. Es sei schließlich davon auszugehen, dass der Kläger als gesunder und erwerbsfähiger Mann, der auf die Unterstützung seiner in Mogadischu lebenden Mutter und Schwester zugreifen könne, in der Lage sei, sich im Falle der Rückkehr nach Somalia durch Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, weshalb auch keine Abschiebungsverbote vorlägen.

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Der Kläger hat am 10. Februar 2017 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf seinen Vortrag vor dem Bundesamt.

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Er beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung der entgegenstehenden Regelungen des Bescheids des Bundesamts vom 02. Februar 2017

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1. ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

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2. hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,

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3. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Somalias vorliegen,

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weiter hilfsweise das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6. des Bescheids des Bundesamts vom 02. Februar 2017 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat teilweise Erfolg.

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Der Kläger hat in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes (dazu 1.). Der dies ablehnende Bescheid des Bundesamts ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dagegen hat die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Recht versagt, da der Kläger einen solchen Anspruch nicht besitzt (dazu 2.).

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1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

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Nach den §§ 4 Abs. 3, 3c AsylG kann die die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Dabei beinhaltet „erwiesenermaßen" keine Übertragung der Beweislast auf den Antragsteller, sondern bedeutet lediglich, dass es dem Antragsteller obliegt, die allgemein bekannten oder in seiner Sphäre liegenden Tatsachen und Fakten aufzuzeigen, aus denen sich die Schutzunwilligkeit der genannten Akteure ergibt.

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Gemäß §§ 4 Abs. 3, 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht gewährt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder er Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (interner Schutz).

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Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht, wenn dem Ausländer ein solcher aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dieser Prüfungsmaßstab folgt aus dem Tatbestandsmerkmal „…tatsächlich Gefahr liefe …“ in Art. 2 Buchstabe f der Richtlinie 2011/95/EU (vormals Art. 2 Buchstabe e der Richtlinie 2004/83/EG). Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser stellt bei einer Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – BVerwG 10 C 5.09 – Juris Rn.18 ff., Urteil vom 17. November 2011 – BVerwG 10 C 13/10 – Juris Rn 20, jeweils mit Verweis auf EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – Nr. 37201/06, Saadi/Italien – NVwZ 2008, 1330).

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Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für die Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für einen ernsthaften Schaden gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit eines ernsthaften Schadens nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die „reale Möglichkeit“ eines ernsthaften Schadens, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für einen ernsthaften Schaden besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer ein drohender ernsthafter Schaden erscheint, desto unmittelbarer steht er bevor. Je schwerer der befürchtete Schaden ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht.

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Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit – wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt – eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.

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Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG vorliegt. Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – BVerwG 10 C 5.09 – Juris Rn. 23 zu Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG).

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Es obliegt dem Asylbewerber, die Gründe für das Verlassen seiner Heimat schlüssig darzulegen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung ein ernsthafter Schaden droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinem persönlichen Schicksal eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann (BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – BVerwG 9 B 405.89 – Juris Rn. 8; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A – Juris Rn. 33).

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Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

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Die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685; im Folgenden: EMRK) zu orientieren (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – Juris Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.).

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Diese Norm bestimmt, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Eine Behandlung ist unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives psychisches oder physisches Leid verursacht hat. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./Belgien und Griechenland) – NVwZ 2011, 413 Rn. 220). In beiden Fällen muss die Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie in einigen Fällen auch vom Geschlecht, dem Alter und dem Gesundheitszustand der betroffenen Person ab (EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) – NVwZ 2011, 413 Rn. 219, und vom 28. Juni 2011 – 8319/07 u.a. (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich) – NVwZ 2012, 681, Rn. 213).

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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung begründen. Das ist aber grundsätzlich nur in ganz außergewöhnlichen Fällen möglich, wenn die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung „zwingend" sind. Soweit die schlechte humanitäre Lage nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen, sondern überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückzuführen ist, ist allerdings zudem Fähigkeit der betroffenen Person zu berücksichtigen, für ihre Grundbedürfnisse – Nahrung, Hygiene, Unterkunft – zu sorgen, sowie ihre Anfälligkeit für Misshandlungen und ihre Aussicht, dass sich ihre Lage in angemessener Zeit bessert (EGMR, Urteile vom 27. Mai 2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334, Rn. 42 ff., und vom 28. Juni 2011 – 8319/07 u.a. – NVwZ 2012, 681, Rn. 278 ff.; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – Juris Rn. 25).

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Nach diesen Maßgaben droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in seine Herkunftsregion Mogadischu wegen der vorherrschenden schlechten humanitären Verhältnisse eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG. Zum einen ist die schlechte humanitäre Lage überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückzuführen bzw. geht von Akteuren im Sinne von § 3c AsylG aus (dazu a.). Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in der Lage sein wird, für seine Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu sorgen (dazu b.).

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a. Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich in das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- bzw. Zentralsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete befinden sich teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon seit längerer Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 4 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 12 ff., 17 ff.; amnesty international, Unsustainable returns of refugees to Somalia, 2017, S. 9 ff.). Zudem kontrolliert Al Shabaab weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht. Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert Al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen. AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS (United Nations Support Office in Somalia) aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind. Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 18 f.).

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Diese Konflikte haben einen nachhaltigen negativen Einfluss auf die humanitäre Situation, wobei sich die Versorgungslage in Somalia auch so schon als dramatisch darstellt.

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Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia seit Jahrzehnten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe. Das Land ist also in hohem Grade von Hilfe abhängig. 43% der somalischen Bevölkerung leben in extremer Armut von weniger als einem US-Dollar pro Tag (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 117). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht gewährleistet. Es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 19). Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsmittelknappheit, von Kindersterblichkeit und Unterernährung betroffen. Rund 60% des Viehbestands wurde vernichtet, wobei die Viehzucht das Haupteinkommen großer Bevölkerungsteile darstellt. Die Versorgungslage ist durch geringe Ernteerträge und Trockenperioden anhaltend schlecht. Aufgrund der schwierigen Sicherheitslage und Einschränkungen durch die Aktivitäten diverser Milizen, ist es für humanitäre Organisationen eine Herausforderung, benachteiligte Bevölkerungsteile zu erreichen. Zu Beginn des Jahres 2017 hatte sich die humanitäre Lage in Somalia nochmals mit alarmierender Geschwindigkeit verschlechtert. Der somalische Präsident hat am 28. Februar 2017 den nationalen Notstand ausgerufen und um verstärkte Hilfe der internationalen Gemeinschaft gebeten. Am 02. Februar 2017 wurde für Somalia eine Alarm-Erklärung hinsichtlich einer bevorstehenden Hungersnot („pre-famine alert“) ausgegeben. Zuletzt hat am 05. Dezember 2017 die Regierung von Puntland den Notstand ausgerufen und um Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen gebeten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 121 f.).

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Besonders prekär ist die Lage der Binnenvertriebene (IPDs) in Somalia, die zu Jahresbeginn 2017 ca. 1,1 Millionen betrug, davon schätzungsweise 400.000 Menschen in Mogadischu allein. Durch die Folgen der schweren aktuellen Dürre soll sich die Gesamtzahl der IDPs seitdem auf ca. 2,1 Mio. erhöht haben. Die Vertriebenen sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen, aber auch staatlichen Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkungen und Diskriminierung aufgrund von Clan- Zugehörigkeiten sind an der Tagesordnung. Rechtswidrige Zwangsräumungen, die Binnenvertriebene und die arme Stadtbevölkerung betrafen, sind nach wie vor ein großes Problem, insbesondere in Mogadischu, wo allein seit November 2016 mehr als 60.000 Menschen betroffen waren. Die Mehrheit der Vertriebenen zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 19; amnesty international, Unsustainable returns of refugees to Somalia, 2017, S. 12).

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Die schlechten humanitären Bedingungen in Somalia sind nicht nur oder überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen – wie der Dürre – umzugehen, zurückzuführen. Insofern hat der EGMR im Urteil vom 28. Juni 2011 (– 8319/07 u.a. – NVwZ 2012, 681, Rn. 282) ausgeführt:

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"Es ist aber eindeutig, dass die Trockenheit zwar zu der humanitären Krise beigetragen hat, sie aber überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgeht. Die Berichte weisen darauf hin, dass alle Konfliktparteien rücksichtslose Methoden der Kriegsführung in dicht besiedelten ländlichen Gebieten ohne Rücksicht auf die Sicherheit der Zivilbevölkerung angewendet haben (…). Das allein hat die verbreitete Vertreibung und den Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur zur Folge gehabt. Außerdem hat die Weigerung von al-Shabaab, internationale Hilfsorganisationen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle tätig werden zu lassen, obwohl zwischen einem Drittel und der Hälfte der Somalier in großer Entbehrung leben, die Lage erheblich verschlechtert [...]".

35

Dass sich die diesbezügliche Lage zwischenzeitlich geändert hat, ist den Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen. Vielmehr heißt es im Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 07. März 2018 – Stand: Januar 2018 (S. 7), dass internationale Menschenrechtsorganisationen derzeit keine Vertreter dauerhaft nach Somalia entsandt haben, sondern ihre Vertreter nur gelegentlich und unter großem individuellem Sicherheitsrisiko dorthin reisten. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten würden sie zwar möglicherweise politisch gebilligt und gefördert, sähen sich aber in aller Regel gleichwohl Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agierten, ausgesetzt. In den anderen Gebieten sei eine Arbeit von Menschenrechtsorganisationen nicht möglich. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich führt im Länderinformationsblatt Somalia vom 12. Januar 2018 (S. 123) aus, dass Al-Shabaab zwar (anders als im Jahr 2011) diesmal – auch zu Propagandazwecken – selbst Hilfsgüter verteilt habe, jedoch humanitäre Hilfe von außen auch diesmal behindert oder blockiert, die Einhebung von Steuern verstärkt, humanitäre Bedienstete entführt und Hilfslieferungen an Straßensperren besteuert würden. Auch Behörden hätten die Arbeit humanitärer Kräfte auf unterschiedliche Art behindert.

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Die prekären humanitären Verhältnisse sind mithin nicht nur auf Dürreperioden zurückzuführen, sondern werden maßgeblich kausal und zum Teil auch zielgerichtet von den Konfliktparteien verursacht und ausgenutzt.

37

Eine darüber hinausgehende Zielgerichtetheit des Verhaltens ist für die Zurechenbarkeit der humanitären Verhältnisse zu einem oder mehreren Akteuren im Sinne von § 3c AsylG nicht erforderlich. Insbesondere lässt sich dies nicht der Rechtsprechung des EuGH entnehmen. Soweit er entschieden hat, dass allein mangelnde Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Abschiebezielstaat nicht den subsidiären Schutz auslösten, solange die Behandlung nicht absichtlich verweigert werde, hat er lediglich klargestellt, dass allgemeine Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems des Herkunftslands keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes begründen könnten, da solche Schäden nicht durch das Verhalten eines Dritten verursacht würden (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 – C-542/13 – Juris Rn. 32 ff.). Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil vom 24. April 2018 (C-353/16, Juris), in dem der EuGH ausgeführt hat, dass auch im Falle, dass der Gesundheitszustand des zu Überstellenden auf behördliches Verhalten des Herkunftsstaats zurückzuführen sei, subsidiärer Schutz ausscheide, wenn die Gefahr einer erheblichen Verschlechterung nicht auf ein absichtliches Vorenthalten der angemessenen Behandlung zurückgehe. Damit hat der EuGH vielmehr lediglich erneut betont, dass allgemeine Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems nicht ausreichend seien (a.A. VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Oktober 2018 – A 14 K 4941/16 – Juris Rn. 31 ff.; zu Afghanistan VGH BW, Urteil vom 11. April 2018 – A 11 S 1729/17 – Juris Rn 43 ff.).

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b. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Somalia nicht für seine Grundbedürfnisse sorgen und sein Existenzminimum sicherstellen könnte.

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Allerdings wurde 2015 ein Wirtschaftsaufschwung am Hafen Mogadischus registriert und wird Mogadischu im ostafrikanischen Raum – trotz aller Gefahren und Armutsrisiken – mittlerweile als „Boomtown“ angesehen (SpiegelOnline, Warlord City - The Business of Fear in Boomtown Mogadischu, 27.10.2017; The Guardian, Three tales of Mogadishu: violence, a booming economy … an now famine, 15.5.2017, jeweils zitiert nach Nds.OVG, Urteil vom 05. Dezember 2017 – 4 LB 50/16 – Juris Rn. 61). Dank der reduzierten Bedrohung durch Piraterie und die dadurch verbesserte Sicherheitslage interessieren sich immer mehr Investoren für Mogadischu. Es kann angenommen werden, dass es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, als an anderen Orten Somalias. Der ökonomische Wiederaufbau verlangt sowohl nach erfahrenen, ausgebildeten Arbeitskräften, als auch nach jungen Menschen ohne Bildung und Arbeitserfahrung. In der Stadt gibt es eine steigende Nachfrage an Hilfsarbeitern. Früher hatten die nicht Ausgebildeten größere Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Mit der steigenden Kaufkraft der Bevölkerung steigt aber auch die Nachfrage nach Dienstleistungen, z.B. nach Reinigungskräften oder anderer Hausarbeit (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 118 f.).

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Gleichwohl ist es für Somalier fast unmöglich, ohne ein familiäres Netzwerk ihre Grundbedürfnisse zu sichern. Dies gilt insbesondere für unfreiwillige Rückkehrer. Zwar zählen Unterstützung durch (Groß-) Familie und Clan weiterhin zu den wichtigsten Faktoren für Akzeptanz in der Gemeinschaft, Sicherheit und Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Unterkunft und Nahrung. Dabei gilt als allgemeine Regel, dass Somalier auch entfernte Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen unterstützen. Soweit Unterkunft und Nahrung betroffen sind, ist jedoch nicht der Clan, sondern die Familie der erste Ansprechpartner. Allerdings leistet die Groß- oder Kernfamilie in der Regel nur für einige Tage Unterstützung und kann nicht als langfristige Lösung für Lebensunterhalt oder Unterkunft angesehen werden. Nur wenn eine Person in einem Gebiet weder über enge Familienangehörige noch über andere Verwandte verfügt, kann der Clan um Hilfe gebeten werden. Allerdings wurde das Konzept der Clansolidarität in Süd-/Zentralsomalia angesichts der Dauer des dort herrschenden Konflikts überdehnt. Dementsprechend sehen sich viele Familien- und Clannetzwerke heute nicht mehr in der Lage, vertriebenen Verwandten zu helfen. Ohne familiäre Unterstützung laufen Rückkehrer daher Gefahr, sich in einem Lager für Binnenvertriebene wiederzufinden (EASO, Süd- und Zentralsomalia: Länderüberblick, August 2014, S. 126; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 128 f.; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central Somalia (Update I), Mai 2016, S. 9).

41

Der Kläger stammt zwar aus Mogadischu und ist mit den dortigen Verhältnissen vertraut. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass er über hinreichende familiäre oder sonstige Vernetzungen verfügt. Zwar leben nach seinem Vorbringen seine Mutter und seine Schwester noch in Mogadischu, jedoch ist von diesen eine Unterstützung nicht zu erwarten, da sie sich mittlerweile in einem Flüchtlingslager aufhalten. Soweit der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt im Januar 2017 noch angegeben hatte, dass seine Schwester jetzt geheiratet habe und seine Mutter versorge, hat er in der mündlichen Verhandlung dargetan, dass dies nunmehr jedenfalls nicht mehr der Fall sei, sondern seine Schwester und seine Mutter in einer Hütte im Flüchtlingscamp untergekommen seien. Diese Informationen habe er von seiner Schwester erhalten, mit der er über WhatsApp in Kontakt stehe. Anhaltspunkte dafür, dass der Vortrag nicht den Tatsachen entspricht, liegen nicht vor. Das gilt auch hinsichtlich der Angaben, sein Vater und sein Bruder seien bereits vor seiner Ausreise aus Somalia verstorben und dass er über keine ihm bekannte weitere Verwandtschaft in Somalia verfüge. Der Clan Karanle und der Sub-Clan Sahowle, denen der Kläger angehört, gehören zwar zur Clanfamilie der Hawiye, die in Mogadischu vertreten ist. Allein dieser Umstand bietet aber keine hinreichende Gewähr zur Deckung der Grundbedürfnisse des Klägers. Zum einen unterstützen in Mogadischu die Clans ihre Mitglieder nicht mehr in wirtschaftlichen Fragen bzw. in Fragen des Lebensunterhalts. Dieser Verpflichtung kommt nur noch die Kernfamilie nach (EASO, Süd- und Zentralsomalia: Länderüberblick, August 2014, S. 60). Zum anderen funktioniert der Schutz durch den Clan nur auf einer sehr niedrigen Ebene in der Clan-Hierarchie (Sub-Sub-Clan). Demensprechend garantiert die Zugehörigkeit zu den Hawiye noch keinen Schutz durch den Clan in Mogadischu (EASO, Süd- und Zentralsomalia: Länderüberblick, August 2014, S. 58 ff.). Die traditionell dominierenden Clans in Mogadischu der Hawiye-Familie sind aber die Abgal, die Habr Gedir und die Murosade (EASO, Somalia Security Situation, Dezember 2017, S. 78). Der Clan bzw. der Sub-Clan des Klägers ist dagegen nach seinen Angaben in Mogadischu nicht präsent. Gegenteiliges lässt sich weder den Erkenntnismitteln entnehmen noch bestehen dafür sonstige Anhaltspunkte. Da zudem nicht ersichtlich ist, dass der Kläger auf Vermögen oder Rimessen zugreifen kann, ist bei lebensnaher Betrachtungsweise nicht zu erwarten, dass er in der Lage wäre, sich eine das Existenzminimum sichernde Lebensgrundlage selbst erwirtschaften zu können und seine Grundbedürfnisse in ausreichender Weise zu befriedigen.

42

Eine interne Fluchtalternative (§§ 4 Abs. 3, 3e AsylG) besteht angesichts der beschriebenen Situation ebenfalls nicht.

43

2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft liegen dagegen nicht vor.

44

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer dann internationaler Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Form der Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b AsylG).

45

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.

46

Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

47

Dahin stehen kann, ob der Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus Somalia von Verfolgung durch die Al-Shabaab bedroht gewesen ist. Er hat in der mündlichen Verhandlung insofern angegeben, er sei nach dem Tode seines Vaters von der Al-Shabaab aufgefordert worden, für sie zu arbeiten und einen Sprengsatz in einer Dose in einen AMISOM-Stützpunkt zu schmuggeln, den er mit Lebensmitteln belieferte und zu dem er freien Zugang gehabt habe. Nachdem er zunächst zugestimmt, aber später nicht zur Verfügung gestanden, sondern sich in einem anderen Bezirk Mogadischus versteckt habe, sei er von Al-Shabaab als Abtrünniger bezeichnet und bedroht worden, weshalb er das Land etwa 11 Tage nach dem Tod seines Vaters verlassen habe. Dieser Vortrag weicht teils erheblich von seinem Vorbringen im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt im Januar 2017 ab, als er u.a. anführte, er sei nach dem Tod seines Vaters und dem von ihm weitergeführten Verkauf an die Armee von der Al- Shabaab bedroht und nach einem Umzug innerhalb Mogadischus gefangen genommen und erst nach einer einmonatigen Inhaftierung freigelassen worden, wobei Al-Shabaab ihm angedroht habe, ihn umzubringen, wenn er nicht das Land verlasse bzw. ihm angeboten habe, für sie zu arbeiten und einen Sprengsatz in den Lebensmitteln zu deponieren, die er an die Armee verkauft habe, woraufhin er gesagt habe, er werde erst einmal weiterhin Lebensmittel verkaufen und zu einem späteren Zeitpunkt einen Sprengsatz deponieren.

48

Inwiefern die teils unterschiedliche Darstellung des Geschehenen Zweifel an einer Vorverfolgung des Klägers begründet, kann im Ergebnis offen bleiben. Denn selbst unter der Annahme, dass eine Vorverfolgung vorliegt, droht dem Kläger unter Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU bei einer unterstellten Rückkehr nach Somalia nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung, da stichhaltige Gründe dagegen sprechen. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Mogadischu erneut eine Zwangsrekrutierung bzw. eine Verfolgung wegen seiner Weigerung, mit der Al-Shabaab zusammenzuarbeiten, aufgrund einer ihm von der Al-Shabaab zumindest zugeschriebenen politischen Überzeugung droht.

49

Al-Shabaab zog sich nämlich im August 2011 aus Mogadischu zurück und verlor gegen Ende 2011 weiter an Einfluss. Mogadischu steht seitdem unter Kontrolle der Regierung und AMISOM. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Al-Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der Al-Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Die Al-Shabaab verfügt zwar über eine Präsenz in Mogadischu. Diese ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte. Auch wenn Al-Shabaab die Kapazitäten besitzt, menschliche Ziele auch in Mogadischu aufzuspüren und asymmetrische Kriegsführung (hit-and-run-Angriffe, Sprengstoffanschläge, gezielte Attentate) zu betreiben, ist unklar, für welche Personen sie bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S 18, 31 ff., 105 ff.).

50

Den Erkenntnismitteln zufolge zählen zu den Anschlagszielen der Al-Shabaab Personen, die die Miliz der Spionage für die oder der Zusammenarbeit mit der Regierung verdächtigt, Regierungsmitglieder, hochrangige Politiker, Clan-Führer, die die Regierung unterstützen, AMISOM und somalisches Militär, unter Umständen auch niedrigere Angestellte in Regierungs- und AMISOM-Gebäuden, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Nichtregierungsorganisationen, Geschäftsleute, die die Regierung unterstützen oder mit ihr zusammenarbeiten, Wahldelegierte und ehemalige Al-Shabaab-Mitglieder, da letztere sensible Informationen über die Miliz haben könnten (Danish Immigration Service, South and Central Somalia; Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, 1/2017, S.17 ff.; Departement of State, Human Rights Report Somalia 2017, 20. April 2018, S. 3; ACCORD, ecoi.net-Themendossier zu Somalia: Sicherheitslage, 26. April 2018).

51

Den Erkenntnismitteln lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass zu den Anschlagszielen der Al-Shabaab Personen zählen, die die Zusammenarbeit mit der Miliz verweigert haben. Insbesondere würde die Verfolgung von Personen, die sich nicht zur Zusammenarbeit mit der Al-Shabaab bereit erklären, keine Einzelfälle betreffen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass bei einem solchem Verfolgungsziel der Al-Shabaab auch entsprechende Hinweise vorhanden wären.

52

Eine Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr nach Mogadischu aus anderen Gründen ist ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich.

53

Allein die Tatsache, dass der Kläger aus dem Ausland nach Somalia zurückkehren würde, begründet auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung. Zwar sieht die Al-Shabaab Rückkehrer aus westlichen Ländern möglicherweise als Spione der Regierungstruppen an (EASO, Somalia Security Situation, Dezember 2017, S. 40); da sie aber in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Gebieten nicht mehr frei agieren kann und angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen – vor allem auch Binnenvertriebenen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 114) – ergibt sich daraus jedoch nicht für jeden Rückkehrer ohne Weiteres eine Verfolgungsgefahr. Es gibt keine Berichte, wonach die Al-Shabaab Rückkehrer aus dem Westen systematisch angreifen würde (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12. Januar 2018, S. 111 ff.).

54

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. zur Kostenquote BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2009 – BVerwG 10 B 60/08 (10 C 11/09) – Juris Rn. 9). Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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