Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (9. Kammer) - 9 K 908/16

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens, in welchem ihm die tierärztliche Behandlung mit Chlordioxid untersagt worden war.

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Der Kläger betreibt eine Tierarztpraxis in …. Die Beklagte erließ unter dem 25. Juli 2014 eine Ordnungsverfügung gegenüber dem Kläger, mit der u.a. angeordnet wurde, dass er den Erwerb, die Herstellung und die Abgabe von Chlordioxid zu unterlassen und die tierärztliche Behandlung mit Chlordioxid einzustellen habe. Diese Verfügung wurde ihm am 2. August 2014 zugestellt. Am 7. September 2014 legte der Kläger per E-Mail Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück, da dieser entgegen § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO weder frist- noch formgerecht erhoben worden sei.

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Mit Schreiben vom 30. September 2014 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten, dass er hinsichtlich der Ordnungsverfügung vom 25. Juli 2014 „...das Wiederaufgreifen des Verfahrens betreiben [möchte]…“. Mit Ziffer 2 des Schreibens vom 8. Oktober 2014 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf „.Wiederaufnahme des Verfahrens“ als unzulässig zurück, weil die Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht gegeben seien. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19. Oktober 2014 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass der Bescheid vom 25. Juli 2014 von falschen Tatsachen ausgehe und rechtswidrig sei.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unzulässig zurück. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO lägen nicht vor. Insbesondere stehe dem Wiedereinsetzungsantrag § 44a VwGO entgegen, da der Kläger nicht gleichzeitig Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 9. September 2014 erhoben habe.

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Am 29. Februar 2016 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung trägt er ergänzend vor, dass sein Anspruch auf Entscheidung über das Wiederaufgreifen nicht gemäß § 44a VwGO ausgeschlossen sei. Ihm stehe ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens unabhängig davon zu, ob sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlass des Bescheids vom 25. Juli 2014 geändert habe oder neue Beweismittel vorlägen, denn die Entscheidung vom 25. Juli 2014 sei fehlerhaft, weil sie davon ausgehe, dass Chlordioxid mehr als ein fiktives Arzneimittel sei.

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Der Kläger beantragt,

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die Ziffer 2 des Bescheids der Beklagten vom 8. Oktober 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, im Wege des Wiederaufzugreifens den Bescheid vom 25. Juli 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung trägt sie vor, dass die Klage bereits unstatthaft und somit unzulässig, darüber hinaus auch wegen eines Verstoßes gegen § 44a VwGO unzulässig, und jedenfalls mangels Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 HVwVfG und § 60 VwGO unbegründet sei.

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In der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 2016 hat der Kläger eine persönliche Eingabe zur Akte gereicht.

Entscheidungsgründe

I.

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Im Einverständnis der Beteiligten durfte der Berichterstatter anstelle der Kammer entscheiden (vgl. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

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Der Berichterstatter durfte trotz Ausbleiben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da diese unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO rechtzeitig geladen worden ist.

III.

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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

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1. Der Zulässigkeit der Klage steht insbesondere § 44a VwGO nicht entgegen, da das Wiederaufgreifen keine Verfahrenshandlung in einem laufenden Verwaltungsverfahren i.S.d. § 44a VwGO darstellt.

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2. Die Klage ist unbegründet. Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruches auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 HmbVwVfG liegen nicht vor.

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a) Der Antrag auf Wiederaufgreifen ist bereits unzulässig, denn der Kläger hat keinen Wiederaufgreifensgrund hinreichend deutlich benannt. Eine Wiederaufgreifensantrag ist aber nur dann zulässig, wenn der Betroffene mindestens einen Wiederaufgreifensgrund gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hinreichend deutlich benennt (Falkenbach in: Bader/Ronellenfitsch, Beck'scher Online-Kommentar VwVfG, Stand: April 2016, § 51, Rn. 13). Denn weder die Behörde noch das ggf. später darüber entscheidende Gericht darf andere als die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe berücksichtigen, da der konkret darzulegende Wiederaufgreifensgrund den Gegenstand des Verfahrens auf Wiederaufgreifen bestimmt (BVerwG, Urt. v. 9.12.2010, 10 C 13/09, juris, Rn. 28). Die genaue Bezeichnung ist auch deshalb erforderlich, weil nur bei einem substantiiert dargelegten Wiederaufgreifensgrund die Prüfung der Präklusion nach § 51 Abs. 2 HmbVwVfG und der Dreimonatsfrist gemäß § 51 Abs. 3 HmbVwVfG möglich ist.

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Der Kläger hat keinen Wiederaufgreifensgrund hinreichend deutlich benannt. Er hat weder substantiiert eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zu seinen Gunsten (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 HmbVwVfG) seit Bestandskraft des Bescheids vom 25. Juli 2014 vorgetragen noch hinreichend deutlich ein neues Beweismittel bezeichnet (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 HmbVwVfG). Vielmehr ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 24. August 2016 der Aufforderung des Gerichts, zu den Voraussetzungen des § 51 HmbVwVfG vorzutragen, nicht nachgekommen, sondern hat lediglich erklärt, dass keine Änderung der Sach- oder Rechtslage erforderlich sei und keine neuen Beweismittel vorliegen müssten, weil die Entscheidung vom 25. Juli 2014 in fehlerhafter Weise davon ausgehe, dass Chlordioxid mehr als ein fiktives Arzneimittel sei.

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Auch die persönliche Eingabe des Klägers vom 9. Oktober 2016, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowohl dem Gericht als auch seinem Prozessbevollmächtigten erstmals überreicht hat, benennt nicht hinreichend deutlich einen Wiederaufgreifensgrund. Es handelt sich nicht um den Vortrag einer geänderten Sach- oder Rechtslage oder um ein neues Beweismittel, sondern um eine umfangreiche Darstellung, weshalb aus der Sicht des Klägers die tierärztliche Behandlung mit Chlordioxid sinnvoll und ethisch geboten ist. Der Kläger trägt also keinen neuen Sachverhalt vor, sondern ergänzt und vertieft seinen Vortrag aus dem ursprünglichen Verwaltungsverfahren, das zum bestandskräftigen Bescheid vom 25. Juli 2014 führte. An keiner Stelle trägt er vor, dass sich die Sach- oder Rechtslage seit der Bestandskraft des Bescheids vom 25. Juli 2014 zu seinen Gunsten geändert hat. Außerdem bezeichnet er zwar eine Reihe von möglichen Zeugen und Sachverständigen für seine Angaben. Er führt aber an keiner Stelle aus, dass es sich um neue Beweismittel handelt und weshalb er diese Beweismittel im ursprünglichen Verwaltungsverfahren nicht geltend machen konnte.

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Dass Wiederaufgreifensgründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen könnten (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG), hat der Kläger nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

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b) Unabhängig davon weist das Gericht auf die folgenden zwei Aspekte hin: Erstens genügt die – aus Sicht des Klägers bestehende – bloße Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheids vom 25. Juli 2014 nicht für ein Wiederaufgreifen nach § 51 HmbVwVfG. Zweitens wäre der Wiederaufgreifensantrag aller Voraussicht nach auch dann unzulässig, wenn die persönliche Eingabe vom 9. Oktober 2016 als neues Beweismittel anzusehen wäre. Denn der Kläger hat nicht vorgetragen und es ist nicht ersichtlich, dass er ohne grobes Verschulden außerstande war, den Inhalt seiner persönlichen Eingabe in dem früheren Verfahren, das zum bestandskräftigen Bescheid vom 25. Juli 2014 führte, geltend zu machen (vgl. § 51 Abs. 2 HmbVwVfG) und dass er mit dieser Eingabe die dreimonatige Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG, die auch für im gerichtlichen Verfahren neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe gilt (BVerwG, Urt. v. 9.12.2010, 10 C 13/09, juris, Rn. 28), eingehalten hat.

IV.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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