Gerichtsbescheid vom Verwaltungsgericht Hamburg (4. Kammer) - 4 A 1646/16
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 2015 – soweit dieser entgegensteht – verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft durch die Beklagte.
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Die am … 1996 geborene Klägerin ist eritreische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben verließ sie Eritrea im Juli 2014 auf dem Landweg und gelangte über Äthiopien, Sudan, Libyen und Italien schließlich im November 2014 nach Deutschland, wo sie am 14. November 2014 einen Asylantrag stellte.
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Bei ihrer Anhörung durch die Beklagte am 10.Februar 2015 gab die Klägerin an, ihre Mutter sei zum Militär gegangen und habe sie im Alter von drei Jahren bei ihren Nachbarn zurückgelassen. Dort habe sie im Haushalt gearbeitet und sich um die Tiere gekümmert. Als Nachbarsjungen erzählt hätten, dass das Militär kommen würde, um junge Leute für den Militärdienst mitzunehmen, sei sie mit den Nachbarsjungen zusammen geflohen. Die Grenze zu Äthiopien hätten sie bei Dunkelheit überquert, um nicht entdeckt zu werden. Wenn sie nach Eritrea zurückmüsste, befürchte sie, ins Gefängnis zu kommen. Zudem habe sie psychische Probleme, wegen derer sie beim Arzt gewesen sei und Tabletten verschrieben bekommen habe, welche jedoch nicht geholfen hätten.
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Mit Bescheid vom 16. Dezember 2015, der Klägerin zugestellt am 4. April 2016, erkannte die Beklagte der Klägerin subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Die Ablehnung begründete sie im Wesentlichen damit, dass die Klägerin zwar glaubhaft vorgetragen habe, dass sie in Eritrea aufgewachsen sei. Es sei auch zutreffend, dass nach eritreischem Recht Personen, die sich dem aktiven Wehrdienst bzw. der allgemeinen Dienstpflicht entziehen, von Strafe bedroht seien. Eritreer, die das Heimatland verlassen, bevor sie von den Behörden aufgefordert worden sind, sich wegen der Registrierung zum Nationaldienst bei den entsprechenden Behörden zu melden bzw. die noch nicht ihren Einberufungsbefehl erhalten haben, erfüllten diesen Tatbestand jedoch nicht, gälten deshalb auch nicht als Wehrflüchtige und müssten auch keine asyl- oder flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen befürchten. Allein die mögliche Einberufung zum Nationaldienst stelle mangels eines Anknüpfungsmerkmals i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG keine flüchtlingsrelevante Maßnahme dar.
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Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 13. April 2016 Klage erhoben; eine Klagebegründung hat sie nicht eingereicht.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Dezember 2015 zu verpflichten festzustellen, dass für die Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
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Ergänzend wird auf den Inhalt der Akte und der Asylakte Bezug genommen.
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Das Gericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 28. September 2016 unter ausführlicher Darstellung der Rechtsauffassung und der verwendeten Erkenntnisquellen Prozesskostenhilfe bewilligt, sodann den Beteiligten mitgeteilt, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid erwäge, und ihnen Gelegenheit gegeben ihren Vortrag in sachlicher und rechtlicher Hinsicht zu ergänzen.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Gericht entscheidet gemäß § 84 VwGO durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten sachlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.
II.
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Die zulässige Verpflichtungsklage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid vom 28. September 2015 ist, soweit er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnt, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheids (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft richtet sich nach § 3 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 18. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftslandes) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Als Verfolgungshandlungen gelten gem. § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 685, 953) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – keine Abweichung zulässig ist, darunter das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigenden Behandlung und das Verbot der Zwangsarbeit.
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Für die Frage der Verfolgungswahrscheinlichkeit im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32). Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 1. 6.2011, 10 C 25/10, BVerwGE 140, 22, 33, juris Rn. 24; Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, BVerwGE 89, 162, 169 f.).
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Bei einer Vorverfolgung greift insoweit die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) (so zur früheren Fassung der Qualifikationsrichtlinie BVerwG, Urt. v. 24.11.2009, 10 C 24.08, Rn. 21; Urt. v. 5.5.2009, 10 C 21/08, Rn. 25; OVG NRW, Urt. v. 14.12.2010, 19 A 2999/06.A, Rn. 50; Urt. v. 17.8.2010, 8 A 4063/06.A, Rn. 35 und 41 m. w. N.; – alle in juris). Nach dieser Bestimmung ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
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Die oben genannten Maßstäbe zugrunde gelegt, besteht nach Überzeugung der Kammer für die Klägerin aufgrund der Tatsache, dass sie als Eritreerin im dienstpflichtigen Alter Eritrea illegal verlassen hat, eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Sinne des § 3 AsylG bei einer Rückkehr nach Eritrea (so auch VG Schwerin, Urt. v. 8.7.2016, 15 A 190/15 As, juris; VG Frankfurt, GB v. 4.2.2015, 8 K 2300/14.F.A, juris).
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Die Klägerin, an deren eritreischer Staatsangehörigkeit keine Zweifel bestehen, hat schlüssig vorgetragen, sie habe Eritrea im Juli 2014 im Alter von 17 Jahren heimlich auf dem Landweg verlassen, als Jugendliche aus ihrem Dorf für den Nationaldienst rekrutiert werden sollten.
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Die Klägerin kann sich damit zwar nicht auf die Beweiserleichterung wegen Vorverfolgung berufen. Die Kammer geht aufgrund der aktuellen Lage, die sich aus den im Nachfolgenden genannten Erkenntnismitteln ergibt, aber davon aus, dass in Eritrea für alle Personen, die Eritrea illegal – d.h. insbesondere ohne ein (im Regelfall nur schwer zu erhaltendes) Ausreisevisum (vgl. European Asylum Support Office (EASO), EASO-Bericht über Herkunftsländer-Informationen, Länderfokus Eritrea, Mai 2015, abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-d.pdf, S. 53) – verlassen haben, obwohl sie sich im nationaldienstpflichtigen Alter befanden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3a AsylG aus einem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgrund gegeben ist.
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Die Klägerin hat zu erwarten, dass im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea gegen sie von den eritreischen Behörden außergerichtlich und willkürlich eine Haftstrafe unter prekären Haftbedingungen vollstreckt wird, welche eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellt (dazu 1)). Diese Verfolgungshandlung erfolgt nach den Erkenntnissen der Kammer aus Gründen der politischen Überzeugung (dazu 2)). Die Klägerin kann sich der Verfolgung auch nicht durch eine „reuige“ Rückkehr entziehen (dazu 3)). Ausschlussgründe bestehen keine (dazu 4)). Im Einzelnen:
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1) Die Klägerin hat im Falle ihrer Rückkehr mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK zu rechnen, da sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als Deserteurin bzw. Nationaldienstverweigerin behandelt werden wird. Für die Klägerin besteht die Pflicht zur Ableistung des Nationaldienstes (dazu a)). Desertion und Dienstverweigerung werden mit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung geahndet (dazu b)). Die Verfolgung als Deserteur bzw. Dienstverweigerer betrifft alle Personen, die im dienstpflichtigen Alter Eritrea illegal verlassen (dazu c)). Bei der drohenden Bestrafung handelt es sich nicht um einen Vorgang, der vom Anwendungsbereich des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ausgeschlossen wäre (dazu d)).
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a) Nach der eritreischen Proclamation on National Service von 1995 sind alle eritreischen Staatsangehörigen gleich welchen Geschlechts im Alter zwischen 18 und 50 Jahren verpflichtet, einen 18-monatigen Nationaldienst zu absolvieren. Dieser beinhaltet eine sechsmonatige militärische Ausbildung und einen sich an diese anschließenden zwölfmonatigen aktiven Dienst im Militär oder in (zivilen) Entwicklungsarbeiten. Die Dienstdauer kann im Fall eines Krieges oder einer allgemeinen Mobilmachung über diese Zeitdauer hinaus verlängert werden (Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Eritrea. Update Nationaldienst und illegale Ausreise, 22. Juni 2016, abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-update-nationaldienst-d.pdf, S. 45 m.w.Nachw.). In der Praxis und wegen der von der eritreischen Regierung proklamierten „no war no peace“-Situation im Verhältnis zu Äthiopien ist der Nationaldienst zeitlich unbefristet und dauert meist mehrere Jahre (durchschnittlich fünf bis zehn, häufig auch länger), wobei einerseits Frauen deutlich früher als Männer entlassen werden, andererseits eine Entlassung aus dem militärischen Teil des Nationaldienstes kaum vorkommt (SEM, a.a.O., S. 50 und 49 m.w.Nachw.; EASO, a.a.O., S. 40 m.w.Nachw.; s.a. Human Rights Council (HRC), Report of the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, 9. Mai 2016, A/HRC/32/47, abrufbar unter http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/CoIEritrea/Pages/2016ReportCoIEritrea.asp, S. 7). In der Praxis werden Eritreer im Alter von ca. 16 bis ca. 50 Jahren als dienstpflichtig behandelt, allerdings werden teilweise auch jüngere Eritreer rekrutiert (EASO, a.a.O., S. 37 und 40 m.w.Nachw.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Eritrea: Rekrutierung von Minderjährigen. Auskunft. 21. Januar 2015, abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/eritrea/150121-eri-rekrutierung.pdf, S. 2ff m.w.Nachw.).
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Die Behörden teilen die Rekruten entweder für eine zivile oder für eine militärische Verwendung ein, ohne dass letztere darauf Einfluss hätten. Ein legales Verlassen des Nationaldienstes ist nur in Ausnahmefällen möglich (SEM, a.a.O., S. 50 m.w.Nachw.). Nationaldienstleistende verdienen monatlich 500 Nakfa (entspricht ca. 22 USD), was zum Lebensunterhalt zu gering ist. Nach einer jüngst von der Regierung angekündigten Lohnreform sollen die Löhne der zivilen Komponente erheblich steigen; an Anhaltspunkten, dass dies bereits umgesetzt wurde, fehlt es aber (SEM, a.a.O., S. 52f m.w.Nachw.).
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b) Illegal ausgereisten Deserteuren bzw. Dienstverweigerern drohen Haftstrafen, welche außergerichtlich – häufig von den Militärvorgesetzten – verhängt werden und deren Dauer willkürlich festgesetzt wird. Die Haftdauer beträgt in der Regel zwischen sechs Monaten und zwei Jahren (vgl. SEM, a.a.O., S. 28 m.w.Nachw.; Amnesty International, Eritrea: Just Deserters: Why Indefinite National Service in Eritrea Has Created a Generation of Refugees, 2.12.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/download/Documents/AFR6429302015ENGLISH.PDF, S. 9, 44). In den Haftanstalten kommt es zu Folter, die Haft erfolgt teilweise incommunicado (EASO, a.a.O., S. 42 u. 47 m.w.Nachw.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, Stand: August 2015, verfügbar über die Asyldokumentation des Gerichts). Bei der Haft handelt es sich um unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (mit diesem Ergebnis auch HRC, a.a.O., 2016, S. 7). Die Haftbedingungen sind prekär, im Bericht des European Asylum Support Office (EASO, a.a.O., S. 46f) heißt es dazu unter sorgfältiger Analyse des Quellenmaterials:
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- „Einige Haftanstalten sind unterirdisch oder befinden sich in Schiffscontainern. In diesen kann es aufgrund des Klimas in Eritrea extrem heiß werden.
- Die Zellen sind oft derart überfüllt, dass sich die Häftlinge nur abwechselnd oder gar nicht hinlegen können.
- Die hygienischen Bedingungen sind schlecht. In manchen Gefängnissen gibt es anstelle einer Toilette nur ein Loch im Boden oder einen Kübel. Hofgang wird oft nicht erlaubt. Es gibt kaum medizinische Versorgung.
- Die Essensrationen sind klein und wenig nahrhaft, der Zugang zu Trinkwasser eingeschränkt.
- Teils werden die Häftlinge misshandelt oder gefoltert (…) und zu Zwangsarbeit eingesetzt.
- Angehörige haben häufig keinen Zugang zu den Häftlingen.
- Frauen werden üblicherweise getrennt von Männern untergebracht. Dennoch gibt es Berichte über sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung z.B. durch Wächter.
- Aufgrund dieser schwierigen Umstände kommt es Berichten zufolge immer wieder zu Todesfällen in Haft.“
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c) Die Kammer geht aufgrund der Berichtslage davon aus, dass die dargestellte Verfolgung als Deserteur bzw. Dienstverweigerer nicht nur Personen betrifft, die sich aus dem aktiven Dienst entfernt haben oder zu einer erfolgten Einberufung nicht erschienen sind, sondern dass als Dienstverweigerer auch solche Personen bestraft werden, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter illegal verlassen haben.
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Zwar sind Fälle, in denen tatsächlich eine Rückführung von Eritreern stattgefunden hat, selten, und gestatten die eritreischen Behörden Menschenrechtsbeobachtern keinen Zugang, sodass die Quellenlage eingeschränkt ist (vgl. SEM, a.a.O., S. 5f). Die vorliegenden Berichte belegen aber, dass mit Personen, die das Land illegal trotz ihrer grundsätzlich bestehenden Dienstpflicht verlassen haben, wie mit Deserteuren umgegangen wird (so im Ergebnis auch SEM, a.a.O., S. 5f).
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So berichtet die Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea (HRC, a.a.O., S. 25) von 313 Eritreern, die 2016 zwangsweise aus dem Sudan rückgeführt wurden. Alle Betroffenen wurden inhaftiert, auch jene, die vor ihrer Ausreise noch nicht zum Nationaldienst herangezogen worden waren. Auch das European Asylum Support Office geht davon aus, dass alle Personen im dienstpflichtigen Alter, welche Eritrea illegal verlassen haben, bei ihrer Rückkehr als Wehrdienstverweigerer angesehen werden (EASO, a.a.O., S. 43 mit Verweis auf einen Bericht des UNHCR von 2011). Das Staatssekretariat für Migration der Schweiz (SEM, a.a.O., S. 44), kommt vor diesem Hintergrund zu folgendem Schluss: „Personen im dienstpflichtigen Alter, welche den Dienst noch nicht angetreten haben oder dem Aufgebot keine Folge geleistet haben, sehen die Behörden als Dienstverweigerer an. Sie werden wohl für einige Monate inhaftiert und anschließend militärisch ausgebildet.“
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Ebenso heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes, (a.a.O., S. 15), dass, wenn einem Rückkehrer die (bloße) illegale Ausreise vorgeworfen wird, davon auszugehen ist, dass der Rückkehrer sich deswegen zu verantworten hat, was von einer bloßen Belehrung bis zur Haftstrafe führen könne. Dabei werden zwei Fälle von Rückkehrern angeführt, welche nach ihrer illegalen Ausreise in Haft genommen wurden, wobei in einem Fall der aktive Militärdienst bereits abgeleistet worden war.
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Die Feststellungen decken sich auch mit der Einschätzung des Immigration and Refugee Board of Canada, welches in einem Bericht von 2015 mit Verweis auf Expertenmeinungen ausführt, dass (allgemein) dienstpflichtige Eritreer, die Eritrea nach der Einführung des Nationaldienstes 2002 verlassen haben, mit ihrer Inhaftierung zu rechnen haben (Refugee Board of Canada, Eritrea: Situation of People Returning to the Country After They Either Spent Time Abroad, Claimed Refugee Status, or Were Seeking Asylum (September 2014-June 2015), 18. November 2015, abrufbar unter http://www.refworld.org/publisher,IRBC,,ERI,577b6d024,0.html).
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d) Bei der drohenden Bestrafung handelt es sich nicht um einen Vorgang, der vom Anwendungsbereich des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gem. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ausgeschlossen wäre (in diese Richtung aber VG Ansbach, Urt. v. 26.9.2016, AN 3 K 16.30584, juris; VG Augsburg, Urt. v. 11.8.2016, Au 1 K 16.30744, juris VG Potsdam, Urt. v. 17.2.2016, VG 6 K 1995/15.A, juris Rn. 16; VG Osnabrück, Urt. v. 18.8.2015, 5 A 465/16, juris; VG München, Urt. v. 31.5.2016, M 12 K 16.30787, juris Rn. 26). Denn zwar sieht § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vor, dass die Bestrafung für die Verweigerung des Militärdienstes dann eine Verfolgungshandlung darstellt, wenn diese in einem Konflikt erfolgt und der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Daraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Bestrafung, die dienstpflichtige Eritreer zu erwarten haben, wegen ihrer Anknüpfung an einen Militärdienst keinen Flüchtlingsschutz rechtfertigen kann.
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Denn die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft darf im Zusammenhang mit Militärdienst nicht ausschließlich anhand des Regelbeispiels des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfolgen. Vielmehr ist diese auch unter Berücksichtigung der anderen Regelbeispiele durchzuführen, insbesondere ist zu prüfen, ob die drohende Bestrafung unverhältnismäßig oder diskriminierend ist. Ob dies der Fall ist, ist danach zu beurteilen, welche Rechte verletzt werden und auf welche Art und Weise dies geschieht. Der Zweck des Regelbeispiels ist folglich nicht ein Ausschluss von Fällen, die nicht die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfüllen. Das Regelbeispiel indiziert lediglich, dass im Falle der Bestrafung für Verweigerung eines Militärdienstes, der die dort genannten Voraussetzungen erfüllt, von einer Verfolgungshandlung auszugehen ist, ohne eine Aussage über andere Fälle von Verfolgung im Zusammenhang mit Militärdienstverweigerung zu treffen (s. zum Ganzen Marx, AsylVfG, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 3a Rn. 35-36 m.w.Nachw.).
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Vorliegend ist folglich zu berücksichtigen, dass die Bestrafung für die Flucht vor dem Nationaldienst weit über das Maß des Angemessenen hinausgeht und ihrerseits eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung darstellt (s.o., b)), und dass gem. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung als Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG anzusehen ist. Hinzu kommt, dass es sich bei dem eritreischen Nationaldienst nicht um einen gewöhnlichen Militärdienst handelt, sondern um einen zeitlich unbefristeten Arbeitsdienst unter menschenrechtswidrigen Bedingungen (s.a. oben, a)), welcher als Zwangsarbeit zu qualifizieren ist. Die Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea führt dazu zutreffend aus, dass obligatorischer Militär- bzw. Nationaldienst zwar nicht zwangsläufig eine Menschenrechtsverletzung sei, sich der eritreische Nationaldienst jedoch von dem Militärdienst anderer Staaten unterscheide durch die unbegrenzte und willkürliche Dauer, die die gesetzlich vorgesehene Dauer von 18 Monaten regelmäßig um mehr als ein Jahrzehnt überschreite, durch die Heranziehung der Dienstpflichtigen in Form von Zwangsarbeit für ein weites Spektrum an wirtschaftlichen Tätigkeiten und durch die Begehung von Vergewaltigung und Folter in den Militärlagern sowie das Vorhandensein weiterer häufig unmenschlicher Bedingungen (HRC, a.a.O., S. 7).
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2) Die Inhaftierung erfolgt aus Gründen der politischen Überzeugung. Dabei ist es gem. § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Asylsuchende tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
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Personen, die Eritrea im dienstpflichtigen Alter illegal verlassen haben, droht Verfolgung nominell deswegen, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Dass es sich dabei um eine Verfolgung aufgrund der politischen Überzeugung handelt, ergibt sich für die Kammer aber aus dem ideologischen Stellenwert, den der Nationaldienst als „Schule der Nation“ (vgl. EASO, a.a.O., S. 32) im eritreischen Staat einnimmt. Zweck das Nationaldienstes ist gemäß der Nationaldienst-Proklamation von 1995 u.a. „den Mut, die Entschlossenheit und das Heldentum, das unser Volk in den letzten dreißig Jahren gezeigt hat, zu erhalten und den künftigen Generationen weiterzugeben; eine Generation zu schaffen, die Arbeit und Disziplin liebt und am Wiederaufbau der Nation teilnehmen und dienen will; … das Gefühl der nationalen Einheit in unserem Volk zu stärken um sub-nationale Gefühle zu eliminieren“ (vgl. den Text der Proklamation bei EASO, a.a.O., S. 32). Wer sich dem Nationaldienst entzieht, wird folglich als politischer Gegner des Regimes betrachtet (HRC, a.a.O., S. 13 („Verrat“); VG Darmstadt, Urt. v. 6.10.2015, juris, Rn. 28; VG Minden, Urt. v. 13.11.2014, juris-Rn. 43-45; ebenso das österreichische Bundesverwaltungsgericht, Entsch. v. 24.5.2016, BVwG W226 2120345-1, abrufbar unter rdb.manz.at; in diese Richtung auch VG Frankfurt, GB v. 4.2.2015, 8 K 2300/14.F.A, juris, UA S. 4; a.A. VG Ansbach, Urt. v. 26.9.2016, a.a.O.; VG Augsburg, Urt. v. 11.8.2016, a.a.O.; VG Braunschweig, Urt. v. 7.7.2015, 7 A 368/14, juris). Dafür spricht die Härte, mit der der eritreische Staat – ggf. auch noch Jahre nach den Vergehen – gegen Deserteure und Dienstverweigerer vorgeht, sowie die Tatsache, dass für Desertion regelmäßig auch Verwandte der Betroffenen zur Rechenschaft gezogen werden (vgl. EASO, a.a.O., S. 43 und den von VG Darmstadt, a.a.O., juris, Rn. 28, entschiedenen Sachverhalt).
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3) Die Klägerin kann sich der Verfolgung auch nicht durch eine „reuige“ Rückkehr entziehen.
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Zwar soll es nach Auskunft der eritreischen Behörden möglich sein, freiwillig straffrei nach Eritrea zurückzukehren, wenn der Status des Rückkehrers vorher mit den eritreischen Behörden geregelt wird. Dies bedeutet, dass der Rückkehrer eine Diaspora- oder Aufbausteuer von 2% des Jahreseinkommens bezahlt und ein Reueschreiben mit folgendem Wortlaut unterzeichnet: „Ich bestätige, dass ich eine Straftat begangen habe, indem ich den Nationaldienst nicht erfüllt habe, und bin bereit, angemessene Bestrafung zur gegebenen Zeit anzunehmen“ (SEM, a.a.O., S. 33). Gegen einen wirksamen Schutz vor Verfolgung spricht bereits der Wortlaut des Reueschreibens, der eine Bestrafung in Aussicht stellt. Zwar scheint die Praxis der Straffreiheit im Hinblick auf im Exil lebende Eritreer, die Eritrea für vorübergehende Reisen aufsuchen, derzeit angewandt zu werden (SEM, a.a.O., S. 43). Jedoch scheint es keine rechtliche Grundlage für diese Praxis zu geben (vgl. SEM, a.a.O., S. 29). Vor dem Hintergrund einer sich auch in der Vergangenheit immer wieder ändernden Praxis der eritreischen Behörden bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass die Zahlung der Diasporasteuer und die Unterzeichnung des Reueschreibens mit hinreichender Sicherheit vor Bestrafung schützen (so auch Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.; SEM, a.a.O., S. 43; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 15. August 2016 zu Eritrea: Rückkehr, abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/eritrea/160815-eri-rueckkehr.pdf), zumal nicht davon auszugehen ist, dass Asylsuchende in Deutschland rechtzeitig vor ihrer Rückkehr ihren Status regeln können.
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4) Gründe, die zum Ausschluss der Flüchtlingseigenschaft führen (vgl. § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG), sind nicht ersichtlich; eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) besteht ebenfalls nicht.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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