Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 A 1529/98
Tatbestand
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Die Klägerin studierte nach beruflicher Tätigkeit als Tierarzthelferin von 1986 bis 1992 Tiermedizin bei der Beklagten. 1994 legte sie im Zusammenhang mit Überlegungen zu einer Novellierung der Promotionsordnung der Beklagten einen Entwurf vor, der den Grad einer Doktorin der Veterinärmedizin in der Fassung " Doctora medicinae veterinariae " vorschlug. Die Klägerin wurde 1993 als Tierärztin approbiert. 1996 promovierte sie bei der Beklagten mit einer Arbeit über "I.“ und erhielt die Gesamtnote "sehr gut". Durch Urkunde vom 19.11.1996 verlieh ihr die Beklagte den Grad eines Doctor medicinae veterinariae .
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Unter dem 21.11.1996 beantragte die Klägerin durch ihre Bevollmächtigten, „ihr den Titel in der weiblichen Form Doctora medicinae veterinariae zu verleihen (Kurzform: Dr. 'a med.vet.)". Ihr, der Klägerin, stehe nach näher bezeichneten Rechtsvorschriften ein Anspruch auf Verleihung des Titels in der weiblichen Sprachform zu. Diesem Anspruch werde die Promotionsordnung der Beklagten nicht gerecht. Mit Schreiben vom 22.11.1996 ergänzte die Klägerin selbst, dass das „a" in der Abkürzung hochgestellt werden solle. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 26.11.1996 ohne Rechtsbehelfsbelehrung ab. Die lateinische Sprache kenne die von der Klägerin gewünschte Form nicht. Vielmehr gebe das grammatische Geschlecht in diesem Falle wie auch anderwärts weibliche wie männliche Form wieder. Die Klägerin legte Widerspruch ein und ergänzte ihr Vorbringen mit dem Hinweis auf die andersartige Praxis anderer Hochschulen und Bundesländer sowie auf Erlasse des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK), die ihr Anliegen unterstützten. Der weiblichen Form des Doktorgrads " doctora " stehe die lateinische Grammatik nicht entgegen, zumal da es auch den Titel "Magistra" gebe; es handele sich also um eine gebotene Analogie.
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Derweil hatte die Beklagte die Landeshochschulkonferenz (LHK) Niedersachsen mit dem Problem "Doctora" befasst; diese hatte am 18.'04.1997 die Wortschöpfung verworfen. LHK und Beklagte unterbreiteten dem MWK den Beschluß. Das MWK begründete seine Auffassung mit weiteren Erwägungen, verwies, aber auf den Übergang der Kompetenz zur Genehmigung von Promotionsordnungen auf die Hochschulleitungen und ersuchte diese um Abstimmung in der LHK.
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Mit Bescheid vom 13.02.1998 wies die Beklagte nunmehr den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte aus, gegenüber der sprachlichen Differenzierung im Deutschen sei am lateinischen „doctor' als geschlechtsneutraler Form festzuhalten.
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Gegen den ihr am 16.02.1998 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 16.03.1998 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Titelverleihung in der begehrten Form entspreche dem Gebot des § 22 Abs. 5 NHG. Die Bezeichnung „doctor" sei nämlich hinsichtlich sowohl des grammatischen als auch des natürlichen Geschlechts männlich. Anders als das englische „teacher" unterscheide man im Latein beispielsweise domina und dominus, magistra und magister , während die Endung „-tor“ allein das männliche Geschlecht einer Person bezeichne. Das Fehlen einer lateinischen Bezeichnung für lehrende Frauen erkläre sich aus dem Umstand, dass Frauen als Lehrende erst seit 1850 in Erscheinung träten. Auch das MWK habe „doctor“ jedenfalls ursprünglich für eine allein männliche Form gehalten; seine spätere Meinungsänderung entbehre der Begründung. Demgegenüber sei das Votum der LHK uneindeutig. Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf die sprachliche Entwicklung; diese führe im Gegenteil zunehmend zu Differenzierungen. Auch die Umgangssprache belege nicht den geschlechtsneutralen Gebrauch des Titels doctor. Unter „Frau Doktor“ könne nämlich eine Ärztin wie auch die Ehefrau eines Arztes verstanden werden.
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Durch die Verleihung des männlichen Titels doctor sei sie, die Klägerin, dauerhaft und erheblich betroffen, weil sie mit ihm ein ganzes Leben lang existieren müsse. Das verletze ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG und verstoße gegen die Gleichheitsgebote des Art. 3 Absätze 1 und 2 GG. Die Verleihung des Titels in der begehrten Form könne sie nach § 22 Abs. 5 NHG und nach § 2 Gesetz zur Förderung der Gleichstellung der Frau in der Rechts- und Verwaltungssprache verlangen. Diese Vorschriften sollten Frauen insbesondere vor sprachlicher Verunglimpfung und Zurücksetzung schützen. Angemessen und würdevoll wäre das Wort „ Doctora ", dessen Verwendung der Beklagten vom MWK ausdrücklich gestattet worden sei. Die mutmaßlich korrekte Wortbildung „ doctrix " würde im Hinblick auf Bildungen wie Asterix und Obelix die Trägerin der Lächerlichkeit preisgeben. Im übrigen sei die lateinische Sprache wandlungs- und anpassungsfähig und es gebe „Neu-" und „Gegenwartslatein". Das gegenteilige Votum der LHK stehe ihrem Anliegen nicht entgegen.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 26.11.1996 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 13.02.1998 zu verpflichten, ihr - der Klägerin - den Grad einer „ Doctora medicinae veterinariae " (Kurzform: Dr. a med.vet.),
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hilfsweise: den Grad eines „ Doctor medicinae veterinariae " in angemessener und würdevoller Weise in der weiblichen Form zu verleihen,
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hilfsweise: die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweise dafür,
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a) dass die lateinische Bezeichnung „Doctor" aus sprachwissenschaftlicher Sicht nicht geschlechtsneutral sondern männlich ist,
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b) dass die lateinische Sprache wandlungs- und anpassungsfähig ist und im Neu- und Gegenwartslatein die Bezeichnung „Doctora" die adäquate Form darstellt,
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2. die Zuziehung ihrer Prozeßbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und erwidert: § 22 Abs. 5 NHG gebiete die Verleihung der Hochschulgrade in der dem Geschlecht des Trägers entsprechenden sprachlichen oder einer neutralen Form. Eine spezifisch weibliche Form des Doktorgrads gebe es nicht. Die Vorschrift rechtfertige nicht die Bildung einer künstlichen Form, möge sie auch als weiblich empfunden werden. Doctora und Doctrix seien gleichermaßen unangemessen. Die Verleihung des Doktorgrades stehe in langer wissenschaftlicher Tradition, die sich gewachsener Bezeichnungen in lateinischer Sprache bediene. Seit der Promotion Dorothea Erxlebens als erster Frau in Deutschland im Jahre 1754 habe das Wort „doctor“ männliche wie weibliche Inhaber bezeichnet. Das grammatisch männliche Wort bezeichne nicht notwendigerweise nur männliche Individuen. Die Wörter Teacher, Mensch und Person könnten beide Geschlechter bezeichnen, und das gelte auch für doctor. LHK und - neuerdings - MWK hielten das Wort ebenfalls für geschlechtsneutral. Deshalb liege auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder 2 GG nicht vor. Im Übrigen sehe die Neufassung der Promotionsordnung den Begriff "Doktorin" als Bezeichnung des Grades in deutscher Sprache vor.
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Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf ihre Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen; er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist weder mit Haupt- (1.) noch mit Hilfsantrag (2.) begründet; auch der Hilfs-Beweisantrag ist abzulehnen (3.). Dies führt zur Klageabweisung mit den Nebenentscheidungen (4.).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verleihung des Doktortitels in der Form „ Doctora medicinae veterinariae (Dr. a med. vet.)“; denn es gibt keine Rechtsgrundlage für dieses Begehren.
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Auszugehen ist von § 22 Abs. 5 Nds. Hochschulgesetz (NHG); diese Vorschrift ist gegenüber dem Gesetz zur Förderung der Gleichstellung der Frau in der Rechts- und Verwaltungssprache vom 27.02.1989 (Nds. GVBI. S. 50) die speziellere. Nach § 22 Abs. 5 NHG sind Hochschulgrade an Frauen und Männer in der dem Geschlecht entsprechenden sprachlichen Form oder in neutraler Form zu verleihen. Diese Vorgabe trifft auch die Beklagte im Bereich ihrer Satzungsautonomie.
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1.1 Zutreffend geht die Klägerin davon aus, dass das lateinische Wort doctor ein Maskulinum ist und ursprünglich eine männliche Person bezeichnet. Insofern ist es "von Hause aus" nicht als Hochschulgrad für Frauen geeignet, mag es sich auch in rund 250jähriger Geschichte als Hochschulgrad für Männer und Frauen eingebürgert haben.
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1.2. Dies kann indessen letztlich offen bleiben, denn jedenfalls verleiht das niedersächsische Hochschulrecht, auch im Lichte des Artikels 3 Abs. 2 GG, der Klägerin keinen Anspruch auf die von ihr gewünschte Bezeichnung.
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1.2.1 Wie die Kammer bereits in ihrem Urteil zur Rechtschreibreform (Urt. v. 02.03.1998 - 6 A 4317/97 -, NJW 1998, 1250 [1251f) ausgesprochen hat, steht die Sprache nicht zu beliebiger Disposition des Staates (im Ansatz ebenso BVerfG, Urt. v. 14.07.1998 - 1 BvR 1640/97 -, BVerfGE 98, 218, [246]). Der Staat findet die Sprache vor. Jegliche Einwirkung auf Sprache muss eine Legitimation vorweisen können. Schon dieser Befund wirft die Frage nach der Rechtfertigung staatlicher "Wortschöpfung" auf.
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1.2.2 Das Problem verschärft sich, wenn man in Rechnung stellt, dass die lateinische Sprache eine „tote Sprache" ist (hierzu Frederick Bodmer, Die Sprachen der Welt, 5. Auflage, S. 362, 365), also nicht mehr als „Muttersprache" eines Volkes gebraucht wird. Jegliche Einwirkung auf die Sprache würde sich dann als künstliche darstellen. Hierzu aber fehlt jedermann die Legitimation. Die Bundesrepublik Deutschland, ihre Länder und Körperschaften haben weder Recht noch Pflicht, die lateinische Sprache fortzuentwickeln. Eher werden sie gehalten sein, das Gewordene und Vergangene zu respektieren.
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1.2.3 Der Einwand der Klägerin, es gebe auch Neu- und Gegenwartslatein, greift nicht durch. Wenn insbesondere die Katholische Kirche Latein als weltumspannende „Organisationssprache" pflegt und fortführt, so ist ihr das unbenommen, doch bleibt der Befund der Künstlichkeit, und für den Nachweis staatlicher Pflicht ist nichts gewonnen.
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1.2.4 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass das, was die Klägerin will, die Regeln der lateinischen Sprache verlässt. Der lateinischen Endsilbe „-tor", innerhalb deren die Endung „-or" ein Maskulinum bezeichnet (vgl. etwa Schumann, Kleine lateinische Formenlehre, 2. Auflage Frankfurt/M. 1948, S. 12), entspräche im Femininum die Endsilbe „-trix", die man etwa im Wort obstetrix (Hebamme) findet. Die Klägerin empfindet die regelgerechte Bildung „ doctrix " wegen der Assoziation zu Asterix und Obelix als „unwürdig", und das ist ihr gutes Recht. Sie könnte indessen selbst bei bestehender staatlicher Sprachkompetenz nicht verlangen, dass - wahrhaft willkürlich - ein Kunstwort „ doctora " gebildet wird, dass das Latein nicht kannte und in seiner Regelhaftigkeit nicht hätte bilden können. Das End-a als Ausweis von Feminina ist, ungeachtet männlicher Wörter wie poeta , agricola oder nauta , bekanntlich den Maskulina auf -us zugeordnet; „ doctora " würde also ein Maskulinum " doctorus “ voraussetzen. Die Beachtung des Systems entzieht jeglicher Forderung nach Analogie à la „ magistra " den Boden.
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1.2.5 Anzumerken ist: Die alte Promotionsordnung der Beklagten (Bekanntmachung des MWK vom 18.04.1991, Nds. MBI. S. 632) verstößt gegen § 22 Abs. 5 NHG jedenfalls deshalb, weil sie die immerhin im Deutschen mögliche Bezeichnung "Doktorin" nicht vorsieht; insoweit ist die Beklagte in Pflicht. Für den vorliegenden Rechtsstreit bleibt der Verstoß indessen folgenlos, da die Klägerin diese Form des Doktorgrads nicht begehrt. Auch die am 15.03.2000 in Kraft getretene neue Promotionsordnung der Beklagten vom 04.10.1999 (Verkündungsblatt der Beklagten Nr. 08/2000 vom 14.03.2000, S. 1) wird dem Gesetzesbefehl nicht ausreichend gerecht, weil sie zwar in § 1 Abs. 1 den Grad einer Doktorin vorsieht, dies aber im Muster der Promotionsurkunde (Anlage 4), die die Titelführung festlegt, insofern nicht umsetzt, als dort allein die lateinische Fassung des Doktorgrads aufgenommen ist.
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Im Übrigen spricht manches dafür, dass der Gesetzesbefehl des § 22 Abs. 5 NHG gegenüber dem historisch gewachsenen Doktorgrad in lateinischer Sprache leer läuft. Allein der Grad "Doktorin" vermag den Willen des Gesetzgebers umzusetzen.
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2. Der Hilfsantrag kann keinen Erfolg haben, weil die Klägerin allein eine lateinische Wortbildung erstrebt, zu deren Vornahme der Staat - wie oben erörtert - nicht verpflichtet ist.
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3. Der hilfsweise gestellte Beweisantrag auf Einholung eines sprachwissenschaftlichen Gutachtens ist abzulehnen. Das Gericht kann unterstellen, dass „doctor“ nicht geschlechtsneutral sondern männlich und dass die lateinische Sprache wandlungs- und anpassungsfähig ist. Die weitere Behauptung, im Neu- und Gegenwartslatein würde " doctora " die adäquate (weibliche) Form darstellen, ist nach dem oben Abgehandelten offensichtlich unzutreffend, aber unerheblich, weil nach Auffassung des Gerichts die Beklagte nicht einmal verpflichtet wäre, die tatsächlich „adäquate“ Bezeichnung " doctrix " einzuführen.
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