Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (12. Kammer) - 12 A 3553/99

Tatbestand

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Die Kl. unterhält in X seit 1984 einen Krankentransportbetrieb. 1993 war sie unter anderer Firmierung von der Bekl. mit der Durchführung des öffentlichen Rettungsdienstes in deren Rettungsdienstbereich nach § 5 NRettDG mit 7 Fahrzeugen beauftragt worden. Einvernehmlich wurde diese Fahrzeuganzahl am 29.4.1998 auf 5 Fahrzeuge reduziert. Das Beauftragungsverhältnis wurde von der Bekl. aus Gründen ihrer Rettungsdienstneuorganisation zum 30.6.1998 gekündigt.

2

Aufgrund dessen hatte die Kl. bereits zuvor die Erteilung einer Genehmigung zur Durchführung von Krankentransporten außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes nach § 19 NRettDG mit 7 Fahrzeugen beantragt.

3

Auf diesen Antrag erteilte die Bekl. der Kl. am 29.4.1998 eine vom 1.7.1998 bis zum 30.5.2003 befristete Genehmigung nach § 19 NRettDG für 5 Fahrzeuge unter Beifügung von Nebenbestimmungen. Nr. 1 dieser Nebenbestimmungen lautet:

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1. Widerruf der Genehmigung

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Die Genehmigung wird unter dem Vorbehalt des Widerrufes gem. § 26 NRettDG erteilt. Insbesondere kann die Genehmigung widerrufen werden, sobald der neue Bedarfsplan für den Rettungsdienstbereich der X aufgestellt ist und Beauftragungen wirksam ausgesprochen sind. Steht fest, dass keine Beauftragungen ausgesprochen werden, kann die Genehmigung ebenfalls widerrufen werden.

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Weiterhin kann die Genehmigung auch widerrufen werden, wenn der Genehmigungsbehörde bis zum 30.6.1998 kein Nachweis vorliegt, dass die Eintragung eines neuen Namens für ihr Unternehmen gem. § 12 NRettDG - Schutz von Bezeichnungen - beim Registergericht beantragt oder bereits erfolgt ist.-

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Die Genehmigung enthält weitere Nebenbestimmungen, u.a. zu den Betriebszeiten und "Rollstunden", die von der Kl. mit ihren Fahrzeugen einzuhalten sind. Beschränkt auf einige dieser Nebenbestimmungen ist eine Anfechtungsklage beim VG Hannover anhängig, über die noch nicht entschieden ist - 10 A 5264/98 -.

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Im Juni 1998 beschloss die Bekl. ihren Bedarfsplan 1998/99, in dem sie den Bedarf für den qualifizierten Krankentransport in ihrem Rettungsdienstbereich mit 40 Fahrzeugen ermittelte. Diese Zahl beinhaltete eine Reduzierung der für den qualifizierten Krankentransport zuletzt vorgehaltenen 50 Fahrzeuge um 10 auf 40.

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Daraufhin widerrief die Bekl. mit einem Bescheid vom 29.6.1998 unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung die zuvor am 29.4.1998 erteilte Genehmigung vollständig. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Genehmigung das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst innerhalb X beeinträchtige. Der Bedarf an Fahrzeugen für den qualifizierten Krankentransport werde ausschließlich durch den öffentlichen Rettungsdienst sichergestellt. Einen darüber hinausgehenden Bedarf an Rettungsmitteln für die Durchführung des qualifizierten Krankentransports gebe es in ihrem Rettungsdienstbereich nicht. Die 5 weiteren Fahrzeuge der Kl. verursachten im öffentlichen Rettungsdienst Einnahmeausfälle. Im Rahmen der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung führte die Bekl. aus, dass das öffentliche Interesse an einem leistungsfähigen, bedarfsgerechten und flächendeckenden Rettungsdienst den wirtschaftlichen Interessen der Kl. vorgehe. Die Kl. habe ihre Einbindung in den öffentlichen Rettungsdienst im Wege der Beauftragung nach § 5 NRettDG abgelehnt.

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Hiergegen erhob die Kl. unter dem 30.6.1998 Widerspruch und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach. Den Antrag lehnte das VG Hannover mit einem Beschluss vom 17.7.1998 ab - 10 B 4625/98 -. Auf die hiergegen zugelassene Beschwerde änderte das Nds.OVG diese Entscheidung mit einem Beschluss vom 9.22.1998 und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Widerrufsbescheid wieder her - 7 M 4462/98 -.

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Den Widerspruch wies die Bezirksregierung mit einem Widerspruchsbescheid vom 27.7. 1999 sodann zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, dass für den Rettungsdienst der Bekl. die Verträglichkeitsgrenze aus Sicht des Trägers erreicht sei und ein funktionsfähiger sowie wirtschaftlich betriebener Rettungsdienst tatsächlich nur durchgeführt werden könne, wenn die Auslastung der notwendig vorzuhaltenden Rettungsdienstkapazitäten nicht durch zusätzlichen geschäftsmäßigen Krankentransport beeinträchtigt werde (Widerspruchsbescheid S. 4). Im 2. Halbjahr 1998 sei das Einsatzaufkommen um 4.000 Einsätze zurück gegangen. Die Funktionsfähigkeit des öffentlich organisierten Rettungsdienstes sei aufgrund des gravierenden Krankentransportrückgangs beeinträchtigt. Diese Transporte seien an die Kl. gefallen. Aufgrund der dem Rettungsdienst tatsächlich verloren gegangenen Krankentransporte sei ein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisierter Rettungsdienst nicht durchführbar (Widerspruchsbescheid S. 6). Eine Bedarfsanpassung hinsichtlich der Krankentransportwagen könne die Bekl. im Interesse der Einhaltung des Sicherstellungsauftrages nicht vornehmen (Widerspruchsbescheid S. 7 ff.).

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Hiergegen hat die Kl. am 9.8.1999 beim VG Hannover Klage erhoben. Die Beeinträchtigungsprüfung verstoße gegen höherrangiges Europarecht und dürfe deshalb einem Widerruf der Genehmigung nicht zugrunde gelegt werden. Hilfsweise beeinträchtige der Betrieb der Kl. nicht den öffentlichen Rettungsdienst der Bekl. dergestalt, dass dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sei.

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Die Kl. beantragt,

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den Bescheid der Bekl. vom 29.6.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 27.7.1999 aufzuheben.

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Die Bekl. beantragt,

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die Klage abzuweisen

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hilfsweise

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den Genehmigungsumfang der Genehmigung vom 29.4.1998 auf 4 Krankentransportwagen und 157,72 wöchentliche Rollstunden zu reduzieren.

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Sie verteidigt den angefochtenen Widerrufsbescheid und trägt zu dem Hilfsantrag vor, dass der öffentliche Rettungsdienst seine Rollstundenzahl entsprechend gekürzt habe.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

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1. Der Widerrufsbescheid der Bekl. vom 29.6.1998 ist in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 27.7.1999 rechtswidrig und verletzt die Kl. in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Krankentransportbetrieb.

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Wie bereits das Nds.OVG im vorläufigen Rechtsschutzverfahren festgestellt hat, kommt als Rechtsgrundlage für den Widerruf der der Kl. erteilten Genehmigung § 26 I NRettDG in Betracht. Danach kann die Genehmigung außer den in dieser Vorschrift genannten speziellen Gründen, die hier nicht in Rede stehen, gemäß § 1 Nds.VwVfG in Verbindung mit § 49 II VwVfG widerrufen werden. Eingeschlossen ist damit auch der Widerrufsgrund des § 49 II 1 Nr. 1 VwVfG. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Die Genehmigung vom 29.4.1998 enthält den oben im Tatbestand unter Nr. 1.1 zitierten Widerrufsvorbehalt. Grundsätzliche Bedenken gegen die Zulässigkeit dieses Widerrufs bestehen nach der Rechtsprechung des Nds.OVG nicht. Allerdings gelten gemäß § 21 I NRettDG bestimmte Vorschriften des PBefG, darunter § 15, entsprechend, soweit die Bestimmungen dieses Gesetzes keine anderen Regelungen vorsehen. Gemäß § 15 IV PBefG darf die Genehmigung nicht vorläufig oder mit einem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden. Diese Regelung gilt gemäß § 21 I NRettDG indes nicht, weil § 26 NRettDG, der die Anwendbarkeit sämtlicher Widerrufsgründe nach § 49 II VwVfG voraussetzt, insoweit anderes bestimmt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.11.1998 - 7 M 4462/98 - S. 2 f.).

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Mangels besonderer Regelung stellt somit § 36 I VwVfG die Grundlage für einen Widerrufsvorbehalt dar. Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Auf die Genehmigung nach § 19 NRettDG besteht - sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen - ein Rechtsanspruch. Nebenbestimmungen sind durch § 24 NRettDG zugelassen. Diese Vorschrift unterscheidet nicht nach bestimmten Rechtsformen, sondern nach der Zielrichtung, der die jeweilige Nebenbestimmung - in welcher Gestalt auch immer - dienen soll. Wenngleich die Voraussetzungen für die Beifügung von Nebenbestimmungen in § 24 NRettDG nicht abschließend genannt sind, ist zweifelhaft, ob der der Genehmigung vom 29.4.1998 beigefügte Widerrufsvorbehalt auf diese Norm gestützt werden kann. Denn bei den in § 24 NRettDG genannten Anlässen für die Beifügung einer Nebenbestimmung handelt es sich - nur - um Fallgestaltungen, in denen eine bestimmte Art und Weise der Betriebsführung sichergestellt werden soll. Können deshalb die hier mit dem Widerrufsvorbehalt verfolgten Ziele nicht nach Maßgabe des § 24 NRettDG durchgesetzt werden, so käme der Erlass einer Nebenbestimmung nach der 2. Alt. des § 36 I VwVfG in Betracht. Auf die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Genehmigung zielte der hier beigefügte Vorbehalt des Widerrufs, denn die Bekl. wollte sich in die Lage versetzen, nach Aufstellung ihres aktualisierten Bedarfsplans und dem Ausspruch von angepassten Beauftragungen nach § 5 NRettDG die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nach § 22 I 2 NRettDG sicherstellen zu können (OVG Lüneburg, aaO, S. 3 f. mwN).

24

Daraus folgt jedoch nicht, dass die Bekl. von dem Vorbehalt des Widerrufs freien Gebrauch machen konnte. Ein solcher Vorbehalt kann nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen, ausgeübt werden. Es muss sich um Gründe handeln, die unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Betroffenen an dem Bestand der durch den Verwaltungsakt begründeten Rechtsstellung überwiegen. Eine solche Lage wäre gegeben, wenn der Widerruf dazu diente, Beeinträchtigungen des Rettungsdienstes im Sinne des § 22 I 2 NRettDG nach aktueller Bedarfsfeststellung und darauf beruhender Beauftragungen abzuwehren. Nicht anders stellte sich im übrigen die Sach- und Rechtslage dar, wenn die Bekl. die Genehmigung nur in Anwendung des § 49 II 1 Nr. 3 VwVfG hätte widerrufen können (OVG Lüneburg, aaO, S. 4 f. mwN).

25

Das Nds.OVG konnte bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gewichtige Anhaltspunkte nicht übersehen, die darauf hindeuteten, dass die Bekl. den Bedeutungsgehalt des § 22 I 2 NRettDG verkannt und deshalb möglicherweise eine fehlerhafte Widerrufsentscheidung getroffen hat (OVG Lüneburg, aaO, S. 5). Für die Kammer haben sich diese Anhaltspunkte zu der Gewissheit verdichtet, dass eine fehlerhafte Widerrufsentscheidung vorliegt und die Bekl. jedenfalls das ihr von § 26 I NRettDG und § 49 II VwVfG eingeräumte Widerrufsermessen fehlerhaft ausgeübt hat. Dabei vernachlässigt die Kammer zugunsten der Bekl. bereits, dass eine Abwägung der widerstreitenden Interessen in dem Widerrufsbescheid der Bekl. ausschließlich im Rahmen der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 III 1 VwGO stattgefunden hat (Bescheid S. 4 f.). Im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung vom 27.7.1999 ist trotz seines Umfangs von 11 Seiten keine einzige Abwägung des Interesses der Kl. am Bestand ihres Betriebes mit dem öffentlichen Interesse der Bekl. enthalten.

26

Danach war die Bekl. nach Ergehen des aktualisierten Bedarfsplans 1998 zwar berechtigt zu prüfen, ob von dem Widerrufsvorbehalt Gebrauch gemacht werden kann. Der Widerruf hätte jedoch unter den gegebenen Umständen nicht ausgesprochen werden dürfen.

27

Dabei ist im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Kl. zunächst festzustellen, dass der Maßstab der in § 22 I 2 NRettDG enthaltenen Funktionsschutzklausel zugunsten des öffentlichen Rettungsdienstes, an dem die Widerrufsentscheidung zunächst zu messen ist, nicht gegen Europarecht verstößt. Der EuGH hält die wesentlich strengere - weil nicht im Ermessen der Behörde stehende - Funktionsschutzklausel in § 18 III des rheinland-pfälzischen Rettungsdienstgesetz nach Art. 86 II EG (Art. 90 II des EG-Vertrages a.F.) für gerechtfertigt, soweit sie nicht ausschließt, dass unabhängigen Unternehmern eine Genehmigung erteilt wird, falls die mit dem Rettungsdienst (in Rheinland-Pfalz) betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in der Lage sind, die Nachfrage im Bereich der Leistungen des Notfall- und Krankentransports zu decken (EuGH, EuZW 2002, 25). Diese Auffassung hatte bereits zuvor das Nds.OVG zu § 22 I 2 NRettDG vertreten (OVG Lüneburg, Nds.Rpfl. 2000, 325, 329 = NdsVBl. 2000, 274). Gleichwohl braucht die Kammer vorliegend der Frage, ob die Bekl. mit ihrem öffentlichen Rettungsdienst im Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung am 27.7.1999 in der Lage war, zumindest die von § 5 II 1 der niedersächsischen Verordnung über die Bemessung des Bedarfs an Einrichtungen des Rettungsdienstes vom 4.1.1993 (Nieders. GVBl. S. 1) - BedarfVO-RettD - vorgesehene Wartezeit im qualifizierten Krankentransport von "in der Regel 30 Minuten" einzuhalten, nicht weiter nachzugehen. Weder ist insoweit von Seiten der Kl. über die bloße Behauptung hinaus substantiiert vorgetragen, noch drängt sich der Kammer ein entsprechender Sachverhalt für den Zeitraum des Ergehens des Widerspruchsbescheides auf. Schließlich erweist sich die Widerrufsentscheidung der Bekl. aus anderen Gründen als rechtswidrig.

28

Die Bekl. und die Widerspruchsbehörde haben zur Überzeugung des Gerichts die Systematik des NRettDG und die Bedeutung der Funktionsschutzklausel in § 22 I 2 NRettDG verkannt, indem sie bezogen auf den ausgesprochen großen Rettungsdienst der Bekl. mit 40 Krankentransportwagen (ohne Reservefahrzeuge) allein für den qualifizierten Krankentransport keinen einzigen Unternehmer außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes in diesem Bereich zulassen und der Kl. hierzu sogar die nur zwei Monate zuvor nach § 19 NRettDG erteilte Genehmigung widerrufen.

29

Nach § 22 I 2 NRettDG kann eine (noch nicht erteilte) Genehmigung nur versagt werden, wenn zu erwarten ist, dass hierdurch das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten und flächendeckenden Rettungsdienst beeinträchtigt wird; hierbei sind insbesondere die Auslastung der Rettungsmittel, die Einsatzzahlen, die Eintreffzeiten und die Dauer der Einsätze sowie die Entwicklung der Gesamtkosten zu berücksichtigen. Zu der Frage, wann eine derartige Beeinträchtigung eines Rettungsdienstes allgemein anzunehmen ist, sind in der Rechtsprechung verschiedene Kriterien entwickelt worden (vgl. im folgenden: OVG Lüneburg, Urteil vom 24.6.1999 - 11 L 719/99 -). Nach der grundlegenden Entscheidung des Nds.OVG vom 17.6.1994 (NdsVBl. 1995, 41) schließt die flächendeckende und bedarfsgerechte Organisation des qualifizierten Krankentransports innerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes die Genehmigung qualifizierten Krankentransportes außerhalb des Rettungsdienstes nicht aus. Die Voraussetzungen für eine Versagung der Genehmigung sind nicht bereits dann erfüllt, wenn es im Falle der Erteilung der Genehmigung zu einer Konkurrenz zwischen den nach § 5 NRettDG beauftragten und den aufgrund von § 19 NRettDG tätigen Unternehmern kommt und infolge dessen die nach § 5 NRettDG beauftragten Unternehmer geringere Einnahmen erzielen als dies ohne jede Konkurrenz der Fall wäre. Das öffentliche Interesse an einem funktionsfähigen, bedarfsgerechten und flächendeckenden Rettungsdienst ist nicht schon dann in einem die Versagung der Genehmigung rechtfertigenden Umfang beeinträchtigt, wenn der Bedarf an qualifiziertem Krankentransport durch die gemäß § 5 NRettDG beauftragten Unternehmen und Einrichtungen gedeckt wird. Die Anwendung des § 22 I 2 NRettDG darf nicht dazu führen, nicht am öffentlichen Rettungsdienst beteiligten Unternehmen den Zugang zum "freien" qualifizierten Krankentransport praktisch unmöglich zu machen. Nicht jede Minderauslastung von Kapazitäten des Rettungsdienstes reicht daher aus, um von einer Beeinträchtigung im Sinne der genannten Vorschrift zu sprechen. Allerdings besteht eine "Verträglichkeitsgrenze", bei deren Überschreitung die Genehmigung nach § 19 NRettDG im öffentlichen Interesse an einem flächendeckenden, funktionsfähigen und bedarfsgerechten Rettungsdienst versagt werden kann (OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.8.1996 - 7 M 7019/95 -). Der Träger des Rettungsdienstes ist wiederum jedoch verpflichtet, seinen Bedarfsplan der aktuellen Situation des vom Gesetzgeber gewollten Nebeneinanders von organisiertem Rettungsdienst einschließlich qualifiziertem Krankentransport bis zum Erreichen dieser Verträglichkeitsgrenze anzupassen (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 6.2.1997 - 7 M 5028/96 -). Die nach § 22 I 2 NRettDG vorgesehene Beeinträchtigungsprüfung greift im Hinblick auf den Beruf des Krankentransportunternehmers in die durch Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit ein (BVerwG, Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 5 = NJW 1996, 1608). Die aufgestellten Zulassungsschranken dienen dem Zweck, einen funktionsfähigen Rettungsdienst sicherzustellen und damit dem Schutz eines außerordentlich wichtigen Gemeinschaftsgutes (vgl. BVerwG, DVBl. 2000, 124). Das BVerwG hat in seinem Urteil zur Funktionsschutzklausel im hessischen Rettungsdienstgesetz a.F. maßgebend darauf abgestellt, ob die Erteilung der nachgesuchten Genehmigung zu Überkapazitäten auf Seiten des öffentlichen Rettungsdienstes führen wird (BVerwG, DVBl. 2000, 124). Die Verhinderung dieser Überkapazitäten im Bereich des Rettungsdienstes einschließlich des qualifizierten Krankentransports sei ein wichtiges Anliegen, dessen Verfehlung die sachgerechte Funktion des Gesundheitswesens insgesamt schädigen würde. Der qualifizierte Krankentransport sei ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Durch Überkapazitäten in diesem Bereich bedingte strukturelle Probleme gefährdeten die fachgerechte Betreuung und Versorgung der Betroffenen. Unnötige Kosten strapazierten die ohnehin äußerst angespannten Sozialkassen (ebd.). Allerdings ist zur Ablehnung eines Genehmigungsantrages die Feststellung einer ernstlichen und schwer wiegenden Beeinträchtigung des öffentlichen Rettungsdienstes an einem auch in wirtschaftlicher Hinsicht tragfähigen Rettungsdienstes erforderlich. Je kleiner ein öffentlicher Rettungsdienst und je geringer dieser ausgelastet ist, umso eher ist eine solche Beeinträchtigung anzunehmen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.6.2000, Nds.Rpfl. 2000, 325 = NdsVBl. 2000, 274).

30

Vorliegend ist der Rettungsdienstbereich der Bekl. nicht klein. Vielmehr handelt es sich um einen von der Fahrzeuganzahl und vom Einsatzaufkommen her größeren, wenn nicht gar den größten Rettungsdienstbereich Niedersachsens. Es widerspräche der Systematik des NRettDG sowie dem erklärten Willen des Gesetzgebers, wenn die Verträglichkeitsgrenze in einem solchen Rettungsdienstbereich bereits dann als überschritten angesehen wird, wenn nur ein einziger Unternehmer mit einem oder mehreren Fahrzeugen qualifizierten Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes anbietet. Dass es sich bei dem öffentlichen Rettungsdienst der Bekl. gemessen an der Zahl der Fahrzeuge um einen "sehr großen" Rettungsdienst handelt, der das Hinzutreten eines oder mehrerer Fahrzeuge außerhalb seiner Organisationsstruktur ohne weiteres "verträgt", folgt ebenfalls aus der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, nach der bereits die Bereitstellung von 14 Krankentransportwagen im qualifizierten Krankentransport als "großer" Rettungsdienst bezeichnet wird (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.6.2000, Nds.Rpfl. 2000, 325, 326 = NdsVBl. 2000, 274; vgl. auch erk. Kammer, Urteil vom 6.9.2001 - 12 A 3407/00 - zu einem Rettungsdienst mit 22 Fahrzeugen für den qualifizierten Krankentransport). Werden vorliegend im Rettungsdienstbereich der Bekl. die 5 Fahrzeuge der Kl. belassen, erhöht sich die Gesamtzahl der für den qualifizierten Krankentransport im öffentlichen Rettungsdienst vorgehaltenen 40 Fahrzeuge - lediglich - um 12,5%, wobei die Reserve-KTW des öffentlichen Rettungsdienstes bereits außer Betracht bleiben. Durch die Gestaltung des öffentlichen Rettungsdienstes bei gleichzeitigem Ausschluss eines jeden Unternehmers vom qualifizierten Krankentransport außerhalb dieses öffentlichen Rettungsdienstes wird unzulässig in das von Art. 12 GG gewährleistete Grundrecht des Unternehmers auf Berufsfreiheit eingegriffen, weil ihm der Zugang zum "freien" qualifizierten Krankentransport praktisch unmöglich gemacht wird.

31

Die hiergegen von der Bekl. gerichteten Argumente überzeugen nicht. Soweit sie darauf abstellt, ihren Bedarfsplan nicht mehr anpassen und ihre 40 innerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes für den qualifizierten Krankentransport vorgehaltenen Fahrzeuge aus Gründen des Sicherstellungsauftrages nicht weiter reduzieren zu können, übersieht sie, dass der Gesetzgeber von einem grundsätzlich neben ihrem öffentlichen Rettungsdienst zu ermöglichenden qualifizierten Krankentransport ausgeht. Auch ist weder dem Bedarfsplan vom Juni 1998 noch dem zugrunde liegenden Gutachten vom 13.2.1998 zu entnehmen, dass es tatsächlich der Vorhaltung von 40 Fahrzeugen bedarf, um die in § 5 II 1 BedarfVO-RettD geregelte Wartezeit einzuhalten. Sowohl im Plan als auch im Gutachten wird der Schwerpunkt eher auf die Beachtung der jeweils zu erwartenden Nachfrage nach Leistungen des Rettungsdienstes für verschiedene Wochentage und Tageszeiten mit geeigneten Abstufungen bei der Vorhaltung von Krankentransportwagen im Sinne von § 5 II 3 BedarfVO-RettD gelegt, als auf die Einhaltung der Wartezeit nach Satz 1 der Vorschrift. Genaue Angaben hierzu fehlen im Plan und in dem zugrunde liegenden Gutachten. In letzterem ist lediglich von (Gesamt-)Einsatzzeiten bzw. einer Einsatzdauer (Gutachten S. 64, 160) unter besonderer Berücksichtigung von Ferntransporten (Gutachten S. 162) die Rede. Nur für die Notfallrettung ist die Einhaltung der in § 2 III BedarfVO-RettD geregelten Eintreffzeit überprüft (Gutachten S. 67). Soweit die Bekl. darauf abstellt, dass die Fahrzeuge der Kl. nicht an die Rettungsleitstelle angeschlossen sind und sich hierdurch u.a. Schwierigkeiten im Grenzbereich zur Notfallrettung ergeben können, steht dem der Wille des Gesetzgebers entgegen, dem Unternehmer außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes den qualifizierten Krankentransport mit einer eigenen Telefonzentrale zu ermöglichen. Im übrigen bleibt es der Bekl. unbenommen, die Zusammenarbeit der Kl. mit ihrem öffentlichen Rettungsdienst gemäß § 24 Nr. 4 NRettDG durch Nebenbestimmung zur Genehmigung zu regeln (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.11.1998, aaO, S. 7). Dies hat die Bekl. mit der Aufnahme der Nebenbestimmung Nr. 5 in die Genehmigung vom 29.4.1998 auch unternommen.

32

Die Kammer vermag deshalb ein Überschreiten der Verträglichkeitsgrenze, die Anlass für den Widerruf der einzigen Krankentransportgenehmigung mit 5 Fahrzeugen im Rettungsdienstbereich gibt, nicht festzustellen.

33

Schließlich haben sowohl die Bekl. als auch die Widerspruchsbehörde ihr Ermessen beim Widerruf unterschritten (§ 114 VwGO). Sie haben nicht berücksichtigt, dass die Kl. - wenn auch unter anderer Firmierung - bereits seit 1984 in X einen Krankentransportbetrieb unterhält. Ebenso wenig haben sie berücksichtigt, dass beim Widerruf einer einmal erteilten Genehmigung ein strengerer Maßstab anzulegen ist als bei der Versagung einer erstmals beantragten Genehmigung, die - beim Überschreiten der Verträglichkeitsgrenze - ebenfalls im Ermessen der Behörde steht. Denn die Kl. hat im Vertrauen auf den Bestand der Genehmigung bereits Investitionen getätigt und den Betrieb aufgenommen. Dieses Interesse der Kl. am eingerichteten und ausgeübten Krankentransportbetrieb haben die Behörden im vorliegenden Fall überhaupt nicht in ihre Entscheidung eingestellt. Die Bekl. hat in ihren Bescheid vom 29.6.1998 auf Seite 4 zwar ausgeführt, dass sie bei ihrer Entscheidung "für die sofortige Vollziehung" die wirtschaftlichen Interessen der Kl. für ihr Unternehmen und das öffentliche Interesse gegenübergestellt habe und letzteres als höher zu bewerten sei als das Interesse der Kl. "an der Durchführung von qualifiziertem Krankentransport außerhalb des Rettungsdienstes". Damit wird aber zugleich deutlich, dass die Behörden den laufenden Betrieb der Kl. einschließlich ihrer bereits getätigten Investitionen nicht in ihre Entscheidung eingestellt haben. Auch ist es unzulässig, das wirtschaftliche Interesse der Kl. mit der Begründung nachrangig zu gewichten, sie habe es abgelehnt, sich von der Bekl. nach § 5 NRettDG beauftragen zu lassen und damit quasi die Möglichkeit weiterer wirtschaftlicher Betätigung selbst aus der Hand gegeben. Eine solche Erwägung steht im Gegensatz zur Systematik des NRettDG, die einen grundsätzlichen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung nach § 19 NRettDG vermittelt, und begründet deshalb einen Ermessensfehler (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 9.11.1998, aaO, S. 8).

34

Nach alledem kommt zur Überzeugung der Kammer auch eine Teilaufhebung des Widerrufsbescheides nicht in Betracht. Die Bekl. hat ganz widerrufen. Selbst unterstellt, die Verträglichkeitsgrenze zum Schutze des öffentlichen Rettungsdienstes wäre nur dann noch nicht überschritten, wenn der Kl. lediglich ein Krankenkraftwagen oder zwei, drei oder vier Fahrzeuge belassen würde, käme eine Teilaufhebung nicht in Betracht, weil dann gerichtlicherseits in das Widerrufsermessen der Bekl. eingegriffen würde (vgl. OVG Koblenz, AS RP-SL 2, 323 juris).

35

2. Der Hilfsantrag der Bekl., der für den Fall gestellt worden ist, dass die Klage der Kl. Erfolg hat, ist bereits unzulässig. Der beklagten Behörde ist es im Anfechtungsprozess gegen einen belastenden Verwaltungsakt verwehrt, den Verwaltungsakt mittels eines Eventualantrages "zu retten", das Gericht möge ihn in "in geringerer Belastung" für rechtmäßig erachten. Ein vergleichbarer Eventualantrag ist allenfalls im Zivilprozess im Falle der Widerklage statthaft. Vorliegend erfolgt der Widerruf einer Genehmigung jedoch durch Verwaltungsakt und nicht durch Widerklage. Es ist Sache der Verwaltung und nicht des Gerichts, eine ordnungsgemäße Widerrufsentscheidung zu treffen und sie zu begründen. Im übrigen sieht das NRettDG die Beschränkung einer Genehmigung nach § 19 NRettDG auf "Rollstunden" und damit eine Einschränkung der Betriebsberechtigung nicht vor, so dass auch insoweit Bedenken gegen den Hilfsantrag der Bekl. bestehen.

 


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