Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (13. Kammer) - 13 A 2337/01
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Gewährung einer Beihilfe zu Aufwendungen für das Medikament Caverject zur Behandlung einer sog. “erektilen Dysfunktion”, also Impotenz.
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Der im Jahre 1925 geborene Kläger ist Ruhestandsbeamter. Bis zu seiner Pensionierung im Juni 1989 stand er im Dienst des Landes Niedersachsen.
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Am 06.12.2000 beantragte der Kläger unter anderem die Gewährung einer Beihilfe für Aufwendungen in Höhe von 423,35 DM (Belegdatum: 17.10.2000) für das Arzneimittel Caverject. Durch Bescheid vom 12.12.2000 lehnte der Beklagte diese Aufwendungen als nicht beihilfefähig ab mit der Begründung, Aufwendungen für vorbeugende und unterstützende Präparate sowie Mittel mit allgemeiner gesundheitsfördernder Wirkung seien nicht beihilfefähig (§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Beihilfevorschriften – BhV -).
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Hiergegen legte der Kläger am 10.01.2001 Widerspruch ein, den er am 13.02.2001 wie folgt begründete: Wie sich aus einer ärztlichen Bescheinigung des Chefarztes des Krankenhauses A. Prof. Dr. B. vom 02.10.1998 ergebe, leide er unter einer organisch bedingten erektilen Dysfunktion. Die Impotenz sei nach den Untersuchungen der Medizinischen Hochschule C. auf diese Grunderkrankungen zurückzuführen. 1998 sei bei ihm nach ausführlicher Diagnostik eine vasculäre erektile Dysfunktion diagnostiziert worden. Die Therapie sei zunächst mittels einer Schwellkörper-Autoinjektion, später mit dem Medikament Caverject erfolgt. Die Aufwendungen für diese Therapie seien bis Oktober 1998 von der Beihilfe übernommen worden. Kurz vor Einführung von Viagra seien die Anwendungshinweise zu den Beihilfevorschriften geändert worden. Auch die gesetzlichen Krankenkassen hätten aus Angst vor einem Kostenkollaps die gesamte nicht operative erektile Dysfunktion aus dem Leistungskatalog gestrichen. Nunmehr habe jedoch das Bundessozialgericht durch Urteil vom 30.09.1998 die Erstattungsfähigkeit dieses Medikaments anerkannt. Es sei rechtswidrig, dass ihm Beihilfe gleichwohl nicht gewährt worden sei.
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Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch Bescheid vom 14.05.2001 zurück. Zur Begründung führte er aus: Nach § 6 Abs. 4 Nr. 2 BhV könne das Bundesministerium des Innern die Beihilfefähigkeit für unwirtschaftliche Arzneimittel ausschließen. Dies sei geschehen für Aufwendungen für Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion sowie zur Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz. Gemäß § 87 c Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) sei dieser Ausschluss auch für die Beamten und Versorgungsempfänger des Landes Niedersachsen verbindlich. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.1999 sei für die geltenden Beihilfevorschriften nicht bindend.
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Am 11.06.2001 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:
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Der Ausschluss der Behandlung erektiler Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der Beihilfevorschriften sei nicht rechtmäßig. Der dem zu Grunde liegende Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums sei unwirksam. Zum einen folge die Unwirksamkeit daraus, dass ein genereller Ausschluss formuliert worden sei und Ausnahmen für besonders schwierige Erkrankungen nicht angegeben worden seien. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck der Beihilfevorschriften, wonach die Beihilfe Ausgestaltung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei und der Dienstherr den Anteil der Krankheitsaufwendungen annähernd decken müsse, den eine Krankenversicherung nicht erstatte. Gerade für ihn, den Kläger, müssten Ausnahmevorschriften zur Anwendung kommen, da in seinem Fall andere Behandlungen als solche mit Caverject nicht den medizinisch notwendigen Erfolg versprächen. Der Auffassung des Beklagten, bei Caverject handele es sich um ein unwirtschaftliches Arzneimittel, sei entgegenzuhalten, dass die Unwirtschaftlichkeit in seinem Falle in keinster Weise belegt sei. Der Erlass des MF vom 13.10.1998, der dem Ausschluss zu Grunde liege, sei nur verabschiedet worden, um den Dienstherrn finanziell zu entlasten. Die finanzielle Entlastung dürfe jedoch kein Grund für die Einschränkung der Beihilfe sein.
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Abgesehen davon wären medizinische Eingriffe zum Beispiel im Wege mehrerer Operationen wesentlich teurer und aufwendiger als die Behandlung mit dem Präparat Caverject.
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Der Gesichtspunkt einer gebotenen sparsamen Haushaltsführung der öffentlichen Hand sei kein ausreichendes Kriterium für die Versagung von Beihilfe. Im vorliegenden Fall gehe es auch nicht darum, ob eine “in jedem Einzelfall vorliegende volle Deckung der Aufwendungen oder Anerkennung der Beihilfefähigkeit” gegeben sei, sondern darum, dass die Beihilfefähigkeit für das Präparat Caverject völlig versagt werde.
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Im Übrigen sei § 6 Abs. 4 BhV nicht rechtmäßig und verstoße gegen § 87 NBG, weil Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, also einer Krankheit, und Präparate zur Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz gleichgestellt würden.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, ihm gemäß seinem Antrag vom 6.12.2000 Beihilfe für Aufwendungen in Höhe von 423,35 DM (216,46 Euro) für das Arzneimittel Caverject zu bewilligen, und den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2000 und seinen Widerspruchsbescheid vom 14.05.2001 aufzuheben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor: Die Versagung der Beihilfefähigkeit der streitbefangenen Aufwendungen verletze nicht die in Artikel 33 Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Wegen des lediglich ergänzenden Charakters der Beihilfevorschriften müssten auch Härten und Nachteile hingenommen werden, die sich aus der darin enthaltenen pauschalierenden und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht ergäben. In diesem Zusammenhang sei dem Dienstherrn ein erheblicher Spielraum bei der Bestimmung von Voraussetzungen, Umfang und Art und Weise dieser speziellen Fürsorge belassen. Dieser Spielraum erlaube es, bei der Zuschussregelung eine den durchschnittlichen Verhältnissen angepasste Regelung zu schaffen, bei der in Kauf genommen werden müsse, dass nicht in jedem Einzelfall eine volle Deckung der Aufwendungen oder der Anerkennung der Beihilfefähigkeit erreicht werde.
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Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BhV sei das Bundesministerium des Innern ermächtigt, die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für unwirtschaftliche Arzneimittel auszuschließen. Von dieser Ermächtigung habe das Bundesministerium des Innern Gebrauch gemacht (Rundschreiben vom 28.09.1998 und 11.05.1999). Das Niedersächsische Finanzministerium habe seine Hinweise zu § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BhV mit Runderlass vom 05.08.1999 (Nds. MBl. S. 554) für den Bereich des Landes Niedersachsen geändert und Aufwendungen für Präparate zur Behandlung der erektilen Dysfunktion sowie zu Anreizungen und Steigerungen der sexuellen Potenz von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Damit sei die Festsetzung der Beihilfe in dem angefochtenen Bescheid rechtmäßig erfolgt.
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Das Gericht hat das Gesundheitsamt der Region C. dazu befragt, ob es medizinische Erkenntnisse darüber gibt, ab welchem Alter Männer erfahrungsgemäß (altersbedingt) – eventuell auch als Folge anderer altersbedingter Erkrankungen – unter einer erektilen Dysfunktion leiden. Dr. med. D., Ltd. Med. Direktor des Gesundheitsamtes der Region C., hat hierzu am 11.10.2002 Stellung genommen. Auf die Ausführungen des Gesundheitsamtes wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der von ihm beantragten Beihilfe durch den Beklagten.
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Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Beihilfeanspruch ist § 87 c Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) i.V.m. §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 6 der Beihilfevorschriften (BhV). Der Kläger hat als Ruhestandsbeamter des Landes Niedersachsen grundsätzlich einen Anspruch auf Beihilfe (§ 87 c Abs. 1 NBG). Die Aufwendungen für die aus Anlass einer Krankheit von einem Arzt schriftlich verordneten Arzneimittel sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV beihilfefähig, wenn die Aufwendungen dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
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Dem Kläger wurde das Medikament Caverject nicht aus Anlass einer Krankheit verschrieben. Der Krankheitsbegriff ist in den Beihilfevorschriften nicht erläutert. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bundesgerichtshofs ist eine Krankheit ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der Heilbehandlung erfordert (BSG, U. v. 30.5.1967 – Az.: 3 RK 15/65 – BSG 26, 288, 289; BGH, VersR. 55, 385; Mildenberger, Beihilfevorschriften, Band 1, § 6 Anm. 1 (2)). Die erektile Dysfunktion, unter der der Kläger leidet, mag bei Männern jüngeren und mittleren Alters ein regelwidriger körperlicher Zustand, also eine Krankheit in diesem Sinne sein. Bei einem Mann in dem Alter des Klägers ist jedoch eine andere Beurteilung geboten. Dr. med. D., Ltd. Med. Direktor des Gesundheitsamtes der Region C., hat in seiner Stellungnahme vom 11.10.2002 ausgeführt, dass es schon ab einem Lebensalter von 25 Jahren bei Männern zu einer hormonellen Veränderung im Sinne einer erektilen Dysfunktion kommen könne. Diese Hormonstörung könne dann in gewisser Weise der Menopause einer Frau entsprechen. Das Nachlassen der Libido sei ab einem Alter von 75 Jahren erwiesen. Außerdem hat der Mediziner darauf hingewiesen, dass in dem Lebensalter, in dem sich der Kläger befinde, normalerweise das Defizit einer erektilen Dysfunktion in einer Partnerschaft keine Rolle spiele. Diese Ausführungen sind ohne weiteres nachvollziehbar. Sie belegen, dass die Impotenz, unter der der Kläger leidet, in dem in Rede stehenden Fall keine Abweichung vom “Normalzustand” darstellt, sondern einem alters- und konstitutionsbedingten Zustand entspricht. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob die erektile Dysfunktion hier mit einer im Jahre 1987 durchgeführten Prostata-Operation, der sich der Kläger unterziehen musste, zusammenhängt oder die Ursache der Impotenz in anderen organischen Leiden (etwa Diabetes, Durchblutungsstörungen, psychische Störungen) zu suchen ist. Auf der Grundlage der Feststellungen des eingeholten Gutachtens ist eine erektile Dysfunktion bei einem zum Zeitpunkt der Klageerhebung 75jährigen, mittlerweile fast 77jährigen Mann nämlich kein regelwidriger körperlicher Zustand mehr, mag es auch eine beachtliche Zahl älterer Männer geben, die nicht unter Potenzproblemen leidet. Wenn eine bestimmte Körperfunktion aber typischerweise (wenn auch nicht zwangsläufig) in einem bestimmten Alter nachlässt oder verloren geht, kann es für die Beurteilung, ob ein regelwidriger oder ein der Regel entsprechender Zustand vorliegt, keine maßgebliche Rolle spielen, ob der alterstypische Verlust der Körperfunktion durch andere Erkrankungen ausgelöst wurde. Der Kläger muss sich deshalb nicht mit dem Zustand, unter dem er leidet, gleichsam schicksalsergeben abfinden. Aber er kann die geeigneten Behandlungsmöglichkeiten nicht zu Lasten der Gesundheitsfürsorge seines Dienstherrn ergreifen.
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