Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 B 327/03

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin betreibt in F. unter dem Namen G. Schule F. eine als allgemein bildende Ergänzungsschule angezeigte Privatschule. Mit Bescheid vom 7. August 2001 hat die Antragsgegnerin festgestellt, dass für die Schülerinnen und Schüler während des Besuchs der „G. -Schule F., Ergänzungsschule mit Grundschulcharakter" die Schulpflicht ruht. Nachdem die Schule bis zum Ablauf des Schuljahres 2001/2002 nur Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 1 bis 4 offen stand, hat die Antragstellerin die Schule zum 1. September 2002 um die Jahrgänge 5 und 6 erweitert. Mit Bescheid vom 22. August 2002 hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die zum 1. September 2002 beabsichtigte Erweiterung der Schule um die Klassen 5 und 6 untersagt. Diesen Bescheid hat die Antragsgegnerin am 2. Dezember 2002 zurückgenommen.

2

Mit Schreiben vom 4. November 2002 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf, ihr bis zum 20. November 2002 einen geeigneten Schulleiter zu benennen, eine geeignete Lehrkraft für den Englisch-Unterricht nachzuweisen und darzulegen, wie das Schulkonzept trotz fehlenden Fachpersonals nach den Sommerferien umgesetzt worden sei. Für den Fall, dass die Antragstellerin die Aufforderung nicht fristgerecht beantworte und weiterhin gegen das Gebot der Anzeige aller wesentlichen Änderungen verstoße, kündigte die Antragsgegnerin die Untersagung der Fortführung der Ergänzungsschule zum 1. Februar 2003 an. In der daraufhin folgenden Korrespondenz der Beteiligten vertrat die Antragstellerin die Auffassung, dass sie gegen ihre Anzeigepflicht aus § 158 Abs. 3 NSchG nicht verstoßen habe und ein etwaiger Verstoß auch nicht die Untersagung der Fortführung der Schule rechtfertigen könne. Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin darauf mit Schreiben vom 2. Dezember 2002 mit, welche Nachweise für die inzwischen vollzogene Einrichtung einer 5. und 6. Klasse an der Schule noch zu erbringen seien. Anschließend fand am 12. Dezember 2002 ein Gespräch zwischen den Beteiligten statt. Mit einem Schreiben vom 6. Januar 2003 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass im Rahmen der gegenwärtigen Prüfung der Angelegenheit auch geprüft werde, den Bescheid über das Ruhen der Schulpflicht vom 7. August 2001 zu widerrufen.

3

Mit dem am 17. Januar 2003 bei dem Verwaltungsgericht gestellten Antrag begehrt die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung einer noch zu erlassenden Verfügung, mit der ihr die Fortführung ihrer Schule untersagt wird. Die Antragstellerin trägt dazu unter Vorlage des mit der Antragsgegnerin geführten Schriftverkehrs vor, dass sich zum 1. Februar 2003 die Untersagung der Fortführung ihrer Schule abzeichne und ihr von Seiten der Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme mündlich angedroht worden sei.

4

Die Antragstellerin beantragt,

5

im Wege vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutzes festzustellen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Untersagungsverfügung gemäß § 159 NSchG hinsichtlich der G. -Schule F. unzulässig ist.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

7

den Antrag abzulehnen.

8

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, der Antrag sei unzulässig, weil bisher noch keine Untersagungsverfügung erlassen worden sei.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten verweist die Kammer ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 B 327/03 und 6 B 3822/02 sowie der zu dem zuletzt genannten Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin.

II.

10

Der Antrag ist unzulässig.

11

Die Abwehr der Folgen des sofortigen Vollzuges eines Verwaltungsakts ist in § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO geregelt. Danach kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz setzt demzufolge voraus, dass die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen und außerdem dessen sofortige Vollziehung in schriftlicher Form besonders angeordnet hat (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Beides ist in Bezug auf eine Untersagung der Fortführung der Ergänzungsschule der Antragstellerin nicht der Fall, so dass vorläufiger Rechtsschutz in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht kommt.

12

Das Begehren der Antragstellerin, ihr bereits vor Anordnung eines Sofortvollzuges einer etwaigen Untersagungsverfügung "vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz" in Gestalt einer verbindlichen gerichtlichen Feststellung zu gewähren, lässt sich auch nicht auf § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO stützen und im Wege einstweiliger Anordnung durchsetzen.

13

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

14

Ein hierauf gerichteter Antrag der Antragstellerin wäre schon deshalb unzulässig, weil die gerichtliche Feststellung der Unzulässigkeit eines (zukünftigen) Behördenhandelns nicht Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein kann. Das Feststellungsinteresse, das einen solchen Antrag allein rechtfertigt, kann in einem Eilverfahren nicht befriedigt werden. Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende einstweilige Anordnung dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts (vgl. BVerwG, NVwZ 1995 S. 586).

15

Davon abgesehen wäre ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch unzulässig, weil der verwaltungsgerichtliche Eilrechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung von Verwaltungsakten in den §§ 80 bis 80b VwGO abschließend geregelt ist. Das folgt aus dem für die Rechtsbehelfe der VwGO geltenden Kodifikationsprinzip und wird vom Gesetzgeber in § 123 Abs. 5 VwGO ausdrücklich klargestellt.

16

Davon abweichend kommt vorbeugender Rechtsschutz gegen zukünftiges Behördenhandeln nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es dem Rechtsschutzsuchenden im Interesse effektiven Rechtsschutzes nicht zugemutet werden kann, die erwartete Rechtsverletzung abzuwarten. Das setzt voraus, dass objektiv ein unmittelbares Handeln des Staates in der Gestalt von mit dem Erlass des vollziehbaren Verwaltungsaktes zeitlich verbundenen Vollzugsmaßnahmen bevorsteht und subjektiv schon die kurzfristige Hinnahme der befürchteten Handlungsweise geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten in besonders schwer wiegender Weise zu beeinträchtigen. Insoweit muss wie in den Fällen des polizeilichen Einschreitens zur Gefahrenabwehr eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten der Antragsteller drohen, die über die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. zur Ingewahrsamnahme von Demonstranten durch Polizeikessel: OVG Münster, DVBl. 2001 S. 839 m.w.N.), es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen.

17

Die Annahme, dass gegen eine etwaige Untersagungsverfügung nicht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO effektiven Rechtsschutz gewährt werden könnte, weil zu erwarten ist, dass die Schulbehörde mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung sofort zu nicht oder nur schwer wieder rückgängig zu machenden Vollstreckungsmaßnahmen in der Gestalt der tatsächlichen Verhinderung des Schulbetriebs (unmittelbarer Zwang) übergehen wird, wäre angesichts des vorliegenden Sachverhalts, in der nicht der Eintritt einer gegenwärtigen, erheblichen Gefahr für Schülerinnen und Schüler sowie Schulpersonal in Rede steht, völlig lebensfremd. Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr von Bediensteten der Antragsgegnerin konkrete Vollzugsmaßnahmen schriftlich oder mündlich angekündigt worden wären. Vielmehr zeigt gerade das von der Antragstellerin abgeschlossene Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz (6 B 3822/02 - 13 ME 288/02 -), dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 4 GG zur Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes folgend während eines noch anhängigen gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens keine schwer wiegenden Vollstreckungsmaßnahmen ergreift.

 


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