Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (7. Kammer) - 7 B 59/04

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

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Der Beschluss ergeht durch die Einzelrichterin, nachdem die Kammer dieser den Rechtsstreit mit Beschluss vom heutigen Tage zur Entscheidung gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen hat.

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Der Antrag der Antragstellerin,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die von ihr zu entrichtenden Praxisgebühren und für Arzneimittel zu übernehmen,

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bleibt ohne Erfolg.

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Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

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Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob überhaupt und in welchem Umfang (ausgehend von 120 € oder 158 € im Jahr) ein streitiges Rechtsverhältnis gegeben ist. Ein streitiges Rechtsverhältnis würde voraussetzen, dass die Antragstellerin inzwischen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 08.01.2004 bzw. gegen die Höhe des für Januar 2004 gewährten Regelsatzes eingelegt hat. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, scheitert der Antrag jedoch am fehlenden Anordnungsgrund. Die Antragstellerin hat nämlich nicht glaubhaft gemacht, dass ihr durch die Änderungen des SGB V durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) hinsichtlich der zu entrichtenden Praxisgebühr und der Arzneimittelzuzahlungen ohne vorläufige Regelung gegenwärtig ein wesentlicher Nachteil entsteht. Denn sie hat nicht dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass ein Arztbesuch und die Beschaffung von Medikamenten unmittelbar ansteht. Für einen nur vorsorglich gestellten Antrag gibt es jedoch keinen Eilrechtsschutz.

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Aber selbst, wenn eine Eilbedürftigkeit gegeben wäre, würde es vorliegend am Anordnungsanspruch fehlen.

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Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Zuzahlungen nach dem SGB V im Wege einer einmaligen Beihilfe. Ein Anspruch auf gesonderte Übernahme der Zuzahlungen durch Gewährung einer einmaligen Beihilfe besteht nur insoweit, als der Bedarf nicht ein Regelbedarf ist und deshalb nicht durch Regelsatzleistungen abgegolten ist. Regelbedarf ist der ohne Besonderheiten des Einzelfalles (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG) bei vielen Hilfeempfängern (zu deren Einteilung in Gruppen vgl. § 2 RegelsatzVO) gleichermaßen bestehende, nicht nur einmalige Bedarf nach § 1 Abs. 1 RegelsatzVO. Die Abgrenzung, was vom Gegenstand und vom Wert her zum Regelbedarf gehört, hat der Normgeber in § 22 BSHG in Verbindung mit § 1 RegelsatzVO festgelegt (BVerwG, Urteil vom 13.12.1990 - 5 C 17.88 -, FEVS 41, 221). Durch Artikel 29 des am 01.01.2004 in Kraft getretenen GMG hat er in § 1 Abs. 1 Satz 2 der RegelsatzVO die Leistungen für Kosten bei Krankheit, bei vorbeugender und bei sonstiger Hilfe, soweit sie nicht nach den §§ 36 bis 38 des Gesetzes (BSHG) übernommen werden, aufgenommen. Aufgrund der Änderungen des § 38 BSHG durch Artikel 28 des GMG (Streichung des bisherigen zweiten Halbsatzes in Abs. 1 Satz 1 und Aufhebung des bisherigen Abs. 2) werden die Leistungen nicht gesondert übernommen. Damit hat der Gesetzgeber die sog. Praxisgebühr und die Zuzahlungen zu Medikamenten zum Regelbedarf erklärt. Die mit der Leistung von Regelsätzen beabsichtigte Klarheit und Gleichheit der Sozialhilfegewährung gebietet, dass Sozialhilfeleistungen für den Regelbedarf von den nach § 1 Abs. 2 Regelsatzverordnung möglichen Ausnahmen abgesehen ausschließlich nach Regelsätzen zu bemessen sind. Damit scheiden einmalige Leistungen zur Deckung von Regelbedarf aus. Dies gilt auch dann, wenn die Regelsatzleistung den Regelbedarf nicht ausreichend berücksichtigt haben sollte. Soweit ein Regelsatz als unzureichend erkannt wird, dürfen die darauf beruhenden unzureichenden Regelsatzleistungen nicht durch einmalige Leistungen ergänzt werden (BVerwG, Urteil vom 13.12.1990 - 5 C 17.88 -, a.a.O.).

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Die Antragstellerin, der der Regelsatz für den Haushaltsvorstand in Höhe von 296 € gewährt wird, hat aber auch keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren Regelsatzes. Die Regelsatzhöhe gemäß der niedersächsischen Verordnung über die Festsetzung der Regelsätze nach dem BSHG vom 25.06.2003 (Nds.GVBl. 2003, S. 221) - Regelsatzhöheverordnung 2003 - ist auch nach der Änderung der RegelsatzVO rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar führt die Einbeziehung der Zuzahlungen nach dem durch das GMG geänderten SGB V in den Regelbedarf faktisch zu einer Regelsatzkürzung. Denn seit 01.01.2004 muss bei unveränderter Höhe des Regelsatzes ein zusätzlicher Bedarf hieraus gedeckt werden. Eine unzumutbare Härte, wie die Antragstellerin sie geltend macht, ergibt sich hieraus jedoch nicht. Der Gesetzgeber hat nämlich im Bereich der Regelsatzfestsetzungen ein weites Gestaltungsermessen; er darf bestimmen, in welchem Umfang unter Berücksichtigung des insgesamt vorhandenen Finanzvolumens und der sonstigen Staatsaufgaben Haushaltsmittel für die Aufgaben der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt und in Anspruch genommen werden sollen. Diesen Spielraum überschreitet der Gesetzgeber erst dann, wenn die dafür vorgesehen Mittel und dementsprechend die vorgesehenen Leistungen erkennbar und eindeutig zur Erfüllung der sozialen Verpflichtung des Staates gegenüber in Not geratenen Mitbürgern unzureichend sind, also den sozialen Mindestvoraussetzungen nicht mehr entsprechen (BVerwG, Beschluss vom 06.06.1996 - 5 B 51.95 - <juris>). Gemessen an diesen Kriterien ist die Entscheidung, ohne Veränderung des bisherigen Regelsatzes den Empfängern von Sozialhilfe ebenso wie den übrigen gesetzlich Krankenversicherten eine Zuzahlung zuzumuten, nicht zu beanstanden. Die jährliche Belastungsgrenze für Sozialhilfeempfänger liegt gemäß § 62 des durch das GMG geänderten SGB V bei 2% des Regelsatzes des Haushaltsvorstandes und bei 1 % des entsprechenden Regelsatzes für chronisch kranke Sozialhilfeempfänger, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind. Maximal sind im Kalenderjahr mithin 71,04 € an Zuzahlungen aus dem Regelsatz zu leisten. Selbst wenn dieser Betrag in einem Monat zu leisten sein sollte, was für den betroffenen Sozialhilfeempfänger zweifellos eine empfindliche zusätzliche Belastung bedeutet, ist das Führen eines Lebens, welches der Würde des Menschen entspricht, hierdurch nicht in Frage gestellt. Insbesondere werden Sozialhilfeempfänger nicht ausgegrenzt. Denn auch die übrigen gesetzlich Versicherten mit niedrigem Einkommen müssen sich in ähnlicher Weise einschränken und für die nunmehr zu leistenden Zuzahlungen Mittel ansparen bzw. auf sonstige Ausgaben verzichten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch die selbst im Maximalfall unter 25 % des Regelsatzes (der ersten Kürzungsstufe gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG) liegende zusätzliche Belastung das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet wäre.

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Die von der Antragstellerin bislang lediglich behauptete Medikamentenabhängigkeit würde dieser schließlich ebenso wenig wie ihr nicht näher umschriebenes Bildungsniveau einen Anspruch auf abweichende Bemessung des Regelsatzes wegen der Besonderheit des Einzelfalls gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG geben. Eine Besonderheit des Einzelfalls im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Hilfesuchende einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf geltend macht, der bei der generalisierenden Bemessung der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen nicht berücksichtigt worden ist und, weil einzelfallabhängig, auch nicht berücksichtigt werden konnte. Allein ein höherer Bildungsgrad begründet keinen zusätzlichen Bedarf. Und die durch die Erweiterung des Regelbedarfs um die Zuzahlungen gemäß dem geänderten SGB V bewirkte faktische Regelsatzkürzung trifft alle Sozialhilfeempfänger, die das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen. Besondere Belastungen hat der Gesetzgeber bereits dadurch berücksichtigt, dass bei chronischen Erkrankungen die Belastungsgrenze bei 1 % des Regelsatzes des Haushaltsvorstandes liegt. Vor diesem Hintergrund stellt eine Medikamentenabhängigkeit keine atypische Fallgestaltung dar.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

 


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