Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 A 5293/02

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des in A., B.-Straße 1 A, eingerichteten Hauses "Herbstfreuden", einer in der Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) betriebenen Altenbegegnungsstätte. Diese wird als offene soziale Einrichtung für Freizeitaktivitäten von Seniorinnen und Senioren überwiegend im Alter zwischen 60 und 80 Jahren in Anspruch genommen. Das Personal der Altenbegegnungsstätte besteht aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DRK. Im Gemeinschaftsraum der Altenbegegnungsstätte befinden sich eine Musikanlage mit Rundfunkempfangsteil sowie ein Fernsehempfänger. Beide Geräte werden nach der Darstellung der Klägerin unter anderem für die Senioren-Gymnastik und Tanzgymnastik eingesetzt, wobei auch Videoaufnahmen von den Aktivitäten der Senioren und Behinderten abgespielt werden, um Bewegungsabläufe zu analysieren und koordinieren.
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Im Februar 2002 beantragte die Klägerin die Verlängerung der für das Bereithalten des Rundfunk- und des Fernsehempfangsgeräts zuvor gewährten Rundfunkgebührenbefreiung. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31. Mai 2002 ab. Zur Begründung vertrat er die Auffassung, die in der Altenbegegnungsstätte der Klägerin betreuten Senioren zählten nicht zu dem Personenkreis, für dessen Betreuung nach § 3 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht - BefrVO - Rundfunkgebührenbefreiung gewährt werde.

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Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2002 zurück. Er führte dazu aus, dass die Altenbegegnungsstätte der Beklagten zwar gemeinnützigen Zwecken im Sinne der §§ 51 bis 68 Abgabenordnung - AO - diene, dass eine Rundfunkgebührenbefreiung nach § 3 BefrVO aber nur für solche Einrichtungen gewährt werde, die ihrem Charakter nach eine anstaltsgemäße oder heimgemäße Betreuung ermöglichten.

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Die Klägerin hat am 17. Oktober 2002 Klage erhoben. Zur Begründung weist die Klägerin darauf hin, dass ihr von dem Beklagten seit Einrichtung der Altenbegegnungsstätte Haus "Herbstfreuden" im Jahre 1981 eine Gebührenbefreiung gewährt worden sei. Dieses entspreche auch der Rechtslage, denn der Wortlaut der Befreiungsvorschriften des § 3 BefrVO gebe nichts dafür her, dass diese nur solche Einrichtungen erfassten, die ihrem Charakter nach eine anstaltsgemäße oder heimgemäße Betreuung ermöglichten. Vielmehr würden dort zum Beispiel als Einrichtungen der Jugendhilfe neben Jugendheimen auch Häuser der offenen Tür genannt.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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den Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2002 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. September 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin für das Bereithalten der Rundfunkempfangsgeräte in der Altenbegegnungsstätte Haus "Herbstfreuden" von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Rundfunkgebührenbefreiung nach § 3 Abs. 1 BefrVO seien nicht erfüllt. In der Befreiungsvorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BefrVO würden die Begriffe "Betrieb" und "Einrichtung" ersichtlich als Oberbegriffe verstanden und in den Nrn. 1 bis 4 durch Beispiele konkretisiert. In allen Beispielsfällen handele es sich um Einrichtungen, die eine anstalts- bzw. heimmäßige Betreuung zumindest im teilstationären Bereich ermöglichten. Insoweit liege dem § 3 BefrVO - anders als in § 93 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - ein eingeschränkter Einrichtungsbegriff zugrunde.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Antragsunterlagen der Klägerin (Beiakte A) sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten (Beiakte B) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht gemäß
§ 101 Abs. 2 VwGO
im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet.

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Der Beklagte wird gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Aufhebung seines Bescheides vom 31. Mai 2002 und seines Widerspruchsbescheides vom 17. September 2002 verpflichtet, die Klägerin auf ihren am 4. März 2002 gestellten Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht für das Bereithalten der beiden Rundfunkempfangsgeräte in der Altenbegegnungsstätte Haus "Herbstfreuden" zu befreien, denn auf diese Befreiung hat die Klägerin einen Anspruch.

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Die Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BefrVO sind erfüllt. Danach wird eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt in Einrichtungen der Altenhilfe bereit gehalten werden.

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Die von der Klägerin betriebene Altenbegegnungsstätte Haus "Herbstfreuden" ist eine Einrichtung der Altenhilfe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BefrVO. Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Altenhilfe" definiert sich gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g) Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB I - nach dem Recht der Sozialhilfe, wobei sein Inhalt in den Regelungen des § 75 BSHG beschrieben wird. Altenhilfe soll danach dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Diese Hilfe kann auch in der Gestalt von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung, den kulturellen Bedürfnissen oder allgemein der Betätigung alter Menschen dienen, geleistet werden (§ 75 Abs. 2 Nrn. 4 und 6 BSHG). Gerade diesen Formen der Altenhilfe dienen Altenbegegnungsstätten und die in ihnen angebotenen Veranstaltungen.

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Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Verordnungsgeber in § 3 Abs. 1 Nr. 4 BefrVO in Abweichung von dem sozialrechtlichen Begriff der Altenhilfe für das Recht der Rundfunkgebührenbefreiung einen abweichenden Rechtsbegriff der Altenhilfe mit einem eigenen Inhalt schaffen wollte. Dasselbe gilt in Bezug auf den Begriff der "Einrichtung". Auch dieser ist mit seinem im Sozialrecht entwickelten Inhalt für das Recht der Rundfunkgebührenbefreiung maßgebend. Danach ist unter Einrichtung eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen. Ihr Bestand und Charakter muss vom Wechsel der Personen, denen sie zu dienen bestimmt ist, weitgehend unabhängig sein. Deshalb fallen zum Beispiel im Bereich der Jugendhilfe darunter nur Einrichtungen, die orts- und gebäudebezogen sind, während bloße Dienstleistungen den Einrichtungsbegriff nicht erfüllen (OVG Lüneburg, NdsVBl. 2000 S. 85, 86 zur Gebührenbefreiung für Kraftfahrzeuge einer Einrichtung der Jugendhilfe).

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Soweit der Beklagte vorträgt, dass der Begriff der Einrichtung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 BefrVO einen Oberbegriff vorgebe, dessen Typik sich nur auf stationäre, nicht lediglich ambulante Leistungen beziehe, so kann daraus für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin nichts hergeleitet werden. Dass die in Nr. 1 von § 3 Abs. 1 BefrVO aufgezählten Einrichtungen nur stationäre Einrichtungen betreffen, entspricht der Rechtsprechung der Kammer (zur ambulanten Dialyse: Gerichtsbescheid vom 25.7.2002 - 6 A 5547/00-; ebenso: OVG Koblenz, Urt. vom 27. Juli 2001 - 12 A 10609/01 -) und steht im Einklang mit dem von der Verordnungsermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Rundfunkgebührenstaatsvertrag vorgegebenen Befreiungsrahmen. Danach können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht oder für eine Ermäßigung der Rundfunkgebühr für das Bereithalten von Rundfunkempfangsgeräten in Unternehmen, Betrieben oder Anstalten, insbesondere Krankenhäusern und Heimen bestimmen. Die in Nr. 1 von § 3 Abs. 1 BefrVO genannten Einrichtungen knüpfen dabei ersichtlich an den durch den Zusatz "insbesondere Krankenhäusern und Heimen" näher gekennzeichneten Begriff der "Anstalten" an.

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Dasselbe soll nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 18.4.2002 - 7 B 01.2383; zitiert nach juris) für die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO genannten Einrichtungen für Behinderte gelten, auch soweit diese als Werkstätten für Behinderte den betreuten Personenkreis nur tagsüber aufnehmen.

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Allerdings ist es nach Auffassung der Kammer nicht zulässig, die im einleitenden Satzteil des § 3 Abs. 1 BefrVO verwendeten Begriffe "Betrieb" und "Einrichtung" als Oberbegriffe auszulegen, die ausschließlich Betriebe und Einrichtungen kennzeichnen, welche eine "anstalts- und heimmäßige Betreuung" ermöglichen (so aber: VGH Mannheim, Urteil vom 15.1.1996 - 2 S 1749/95 -; zitiert nach juris). Damit würde im Ergebnis der funktionale Einrichtungsbegriff (s.o.) abweichend von der Rechtsentwicklung im Sozialrecht für die Rundfunkgebührenbefreiung eingeschränkt und von dem Inhalt der in der Einrichtung erbrachten Dienstleitungen abhängig gemacht. Diese Einschränkung des Einrichtungsbegriffs lässt sich auch nicht im Anschluss an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (s.o.) mit der Zielsetzung einer Verhinderung der "kulturellen Verödung" des betreuten Personenkreises begründen. Wenn danach (BayVGH, a.a.O.) zu "stationär" betreuten Behinderten auch die tagsüber in Werkstätten für Behinderte (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO) aufgenommenen Personen zählen sollen, müsste dasselbe auch für Altenbegegnungsstätten als Einrichtungen der Altenhilfe gelten, soweit in ihnen im Rahmen des § 75 BSHG bestimmte mehrtägige (BayVGH, a.a.O.) oder fortlaufende Beschäftigungs-, Gesundheits-, Bildungs- oder Unterhaltungsprogramme oder -kurse angeboten werden. Der Inhalt des angebotenen Programms einer Altenbegegnungsstätte kann aber angesichts des funktionalen Inhalts des Einrichtungsbegriffs nicht entscheidend für die Gewährung der Rundfunkgebührenbefreiung sein.

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Unabhängig davon trifft es auch nicht zu, dass in allen in § 3 Abs. 1 BefrVO genannten Beispielsfällen, und zwar auch in denen der Nrn. 3 und 4, ausschließlich Einrichtungen genannt werden, die eine "anstalts- und heimmäßige Betreuung" ermöglichen (so aber VGH Mannheim, a.a.O.). Wie bereits ausgeführt umfasst der Begriff der Altenhilfe nach § 75 BSHG auch Hilfen, die in offenen Einrichtungen für den betreuten Personenkreis angeboten werden. Dasselbe gilt für den in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BefrVO verwendeten Begriff der Jugendhilfe. Dieser beinhaltet nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe - SGB VIII - auch die in den offenen Einrichtungen erbrachten Angebote der Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII). Dem trägt die genannte Regelung der Nr. 3 des § 3 Abs. 1 BefrVO Rechnung, indem dort unter anderem ausdrücklich auch Häuser der offenen Tür aufgezählt werden. Nichts anderes gilt schließlich für die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BefrVO ebenfalls genannten Tageseinrichtungen für Kinder (§ 22 SGB VIII), deren Einbeziehung in einen engeren (stationären) Einrichtungsbegriff sich im Übrigen auch nicht mit dem in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (a.a.O.) herangezogenen Gesichtspunkt der beabsichtigten Verhinderung einer kulturellen "Verödung" des betreuten Personenkreises rechtfertigen ließe.

 


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