Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 B 2803/04
Gründe
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I. Die Antragstellerin zu 1. besucht im Schuljahr 2004/2005 den Jahrgang 11 des Fachgymnasiums G. in H.; die Antragstellerin zu 2. ist in diesem Schuljahr Schülerin der 9. Klasse der Realschule in H..
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Die Antragstellerinnen haben am 1. Juni 2004 im Hauptsacheverfahren 6 A 2801/04 eine Klage erhoben, mit der sie einen Anspruch gegen das beklagte Land Niedersachen auf Übernahme sämtlicher ihnen durch den Schulbesuch für die Dauer der gesetzlichen Schulpflicht entstehenden Kosten verfolgen. Mit dem zugleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgen sie dasselbe Rechtsschutzziel.
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Die Antragstellerinnen machen geltend, dass die Aufhebung der Lernmittelfreiheit im Land Niedersachsen Auslöser ihrer Klage sei. Außerdem hätten sie in den letzten Jahren immer wieder festgestellt, dass Sozialhilfeempfängern beispielsweise Schulrucksäcke und Klassenfahrten finanziert worden seien, während sie wegen fehlender Mittel nicht an Klassenfahrten hätten teilnehmen können.
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Aufgrund ihrer Einkommenssituation hätten sie keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Dennoch verblieben ihrer Familie nach Abzug aller Abgaben, Lebenshaltungs- und Krankheitskosten keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung ihres Schulbesuchs. Die Antragstellerin zu 1. habe jüngst an einen Klassenausflug nicht teilnehmen können, weil ihre Eltern den Kostenbeitrag von 30,- Euro nicht hätten aufbringen können. Demgegenüber sei der Staat verpflichtet, ihnen und ihren Eltern ein nach Abzug aller Ausgaben verbleibendes realitätsgerechtes Existenzminimum zu gewährleisten; er müsse sie daher von weiteren Belastungen in Gestalt der Kosten für den Pflichtbesuch der Schule freistellen.
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Die Antragstellerinnen beantragen,
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ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen sowie den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die vollen Kosten ihres Schulbesuchs zu übernehmen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
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Er vertritt die Auffassung, dass für die von den Antragstellerinnen beanspruchte Leistung eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist die Kammer ergänzend auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen.
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II. Der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerinnen ist nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO als unzulässig abzulehnen, denn die Antragstellerinnen haben auf die entsprechende, mit einer Fristsetzung versehene Aufforderung des Gerichts vom 1. Juni 2004 und entgegen ihrer eigenen Ankündigung die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Verhältnisse ihrer unterhaltspflichtigen Eltern auf dem amtlichen Vordruck nicht nachgereicht. Unabhängig davon ist der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Insoweit kann zur näheren Begründung auf die nachfolgenden Gründe für die Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz verwiesen werden.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.
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Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine vorläufige Regelung in Bezug auf den streitigen Inhalt eines Rechtsverhältnisses erlassen, soweit dieses während eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens zur Vermeidung nicht wieder auszugleichender Rechtsnachteile nötig ist. Zulässiger Regelungsinhalt einer einstweiligen Anordnung kann danach unter anderem sein, der Behörde für die Dauer des Hauptsachestreits zur Sicherung des eingeklagten Rechts eine bestimmte Leistung vorläufig aufzugeben, wenn dieses aus existentiellen Gründen notwendig ist.
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Ob die Antragstellerinnen glaubhaft machen können, dass sie in diesem Sinne zur Sicherung ihres Existenzminimums auf finanzielle oder sachliche staatliche Hilfen im Zusammenhang mit ihrem Schulbesuchs unabweisbar angewiesen sind (sog. Anordnungsgrund), kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls können die Antragsteller einen auf die vorläufige Übernahme ihrer Kosten für den Schulbesuch gerichteten Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) nicht nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen. Für die von ihnen beanspruchte Leistung des Landes Niedersachsen, welche von den Antragstellerinnen mangels Vorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen ausdrücklich nicht aus sozialrechtlichen Regelungen hergeleitet wird und deshalb auch nicht bei einem Sozialleistungsträger beantragt worden ist, fehlt es ersichtlich an einer Rechtsgrundlage.
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Die bis zum Ende des vergangenen Schuljahres einen Teil des Begehrens der Antragstellerinnen abdeckenden Regelungen im Gesetz über Lernmittelfreiheit sind mit Ablauf des vergangenen Schuljahres weggefallen. Das Gesetz über Lernmittelfreiheit ist durch Art. 19 Abs. 3 Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes vom 12. Dezember 2003 (Nds. GVBl. S. 446) mit Ablauf des 31. Juli 2004 außer Kraft getreten. Weitere Rechtsquellen, die den Antragstellerinnen - außerhalb des Sozialleistungsrechts - zu einem Anspruch gegen das Land Niedersachsen auf Übernahme der Kosten ihres Schulbesuchs verhelfen könnten, existieren nicht. Etwaige im Zusammenhang mit dem notwendigen Schulweg der Antragstellerin zu 2. entstehende Kostenerstattungs- oder Beförderungsansprüche müssten gemäß § 114 Abs.1 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) gegenüber dem Landkreis Schaumburg als Beförderungsträger verfolgt werden.
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Entgegen der von den Antragstellerinnen vertretenen Auffassung lässt sich ihr Anspruch auch nicht unmittelbar aus verfassungsrechtlichen Normen, insbesondere nicht aus dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Bildung, herleiten:
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 56, 155 [158]) enthält Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Elemente eines Rechts auf Bildung, welches der einzelnen Schülerin ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und damit ihrer Anlagen und Befähigungen gibt (BVerfGE 58, 257 [272]). Allerdings führt das Recht auf Bildung auch in seiner Ergänzung durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, den staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. GG) nur zu einem Recht auf chancengleiche Teilhabe an den vorhandenen Bildungseinrichtungen. Auch Art. 4 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung (NV), wonach jedermann das Recht auf Bildung hat, garantiert das Recht auf Bildung nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist seine nähere Ausgestaltung nach Art. 4 Abs. 4 NV unter dem Vorbehalt gesetzlicher Regelung gestellt. Für den Bereich der schulischen Bildung hat der Landesgesetzgeber diesen Gesetzesvorbehalt mit den Regelungen des NSchG und der übrigen schulrechtlichen Regelungen ausgefüllt. Diese geben aber nach dem Außer-Kraft-Treten des Gesetzes über Lernmittelfreiheit nichts für den Kostenübernahmeanspruch der Antragstellerin her.
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Auch § 54 Abs. 1 NSchG, wonach das Land verpflichtet ist, im Rahmen seiner Möglichkeiten das Schulwesen so zu fördern, dass alle in Niedersachsen wohnenden Schülerinnen und Schüler ihr Recht auf Bildung verwirklichen können und Unterschiede in den Bildungschancen nach Möglichkeit durch besondere Förderung der benachteiligten Schülerinnen und Schüler auszugleichen sind, hat nicht den Inhalt eines subjektiven Forderungsrechts. Auch diese gesetzliche Bestimmung gibt nur eine objektive Verpflichtung des Landes zum Vorhalten eines der Staatsaufsicht unterworfenen Schulsystems wieder, welches chancengleiche Bildungsmöglichkeiten schafft und die Grundrechte der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern wahrt. Aus dem Recht auf Bildung lassen sich daher nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (vgl. OVG Münster, Urt. vom 14.9.1979, OVGE 34, 211) keine Ansprüche auf Erstattung der Kosten eines Schulbesuchs herleiten.
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Aus demselben Grund ließe sich ein Anspruch auf Übernahme der Beschulungskosten auch nicht auf Art. 7 Abs. 1 GG, wonach das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht, stützen. Seinem verfassungsrechtlich vorgegebenen staatlichen Erziehungsauftrag kommt das Land nicht mit finanziellen Hilfen zur Ermöglichung eines jeden Schulbesuchs, sondern mit der Einrichtung eines öffentlichen Schulsystems nach, welches allen jungen Menschen ihren Fähigkeiten entsprechend die für die Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichen Leben notwendigen Bildungsmöglichkeiten eröffnet (BVerwG, Urt. vom 13.8.1992, NVwZ 1993 S. 691 [692], m.w.N.). Ergänzend wird dieses dadurch abgesichert, dass für die Inanspruchnahme des Schulsystems nach Maßgabe des § 54 Abs. 2 bis 4 NSchG kein Schulgeld erhoben wird.
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Im Rahmen des vorhandenen Schulsystems und der Regelungen der Bildungswege haben die Erziehungsberechtigten das Recht und die Pflicht zur Wahl einer fähigkeits- und neigungsentsprechenden Schulbildung ihrer Kinder. Die Verpflichtung des Staates aus Art. 6 Abs. 1 GG, sie bei ihrer Erziehungsaufgabe zu schützen, reicht jedoch nicht so weit, dass der Staat verpflichtet wäre, die Erziehungsberechtigten von den mit der schulischen Bildung ihrer Kinder verbundenen Kosten freizustellen (BayVerfGH, Entscheidung vom 3.3.1983, NVwZ 1984 S. 97 [zum Anspruch auf Schulgeldfreiheit]). Das gilt auch unter Berücksichtigung der unter anderem aus den wertentscheidenden Grundsatznormen der Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. vom 29.5.1990, BVerfGE 82, 60 ff.; Beschl. vom 29.1.1994,
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BVerfGE 89, 346 ff.) zum notwendigen Existenzminimum von Kindern und zum verfassungsrechtlich erforderlichen Familienlastenausgleich. Soweit die Antragstellerinnen in diesem Zusammenhang geltend machen, dass nach Abzug der Aufwendungen für ihre Schulausbildung ihr eigenes Existenzminimum und das Existenzminimum ihrer familiären Lebensgemeinschaft nicht mehr gewährleistet sei, ist ihrem Vorbringen entgegenzusetzen, dass der Staat in ihrem Fall nicht mit den persönlichen Kosten der Schulpflicht in ihr Existenzminimum eingreift, sondern mit der Besteuerung des Einkommens ihrer unterhaltsverpflichteten Eltern. Soweit Sozialleistungen für den Familienlastenausgleich nicht zur Verfügung stehen, muss die Sicherung ihres Existenzminimums nicht zwingend durch das Vorhalten kostenloser Lernmittel und kostenfreier schulischer Veranstaltungen bewirkt werden. Vielmehr lässt sich das verfassungsrechtlich erforderliche Ziel ebenso gut mit einer verminderten Einkommensbesteuerung erreichen (BVerfG, a.a.O., BVerfGE 82, 60 [83 ff.]; BVerfGE 89, 346 [352 ff.]). Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, in den das Verwaltungsgericht nicht eingreifen kann (vgl. BVerfG, a.a.O., BVerfGE 82, 60 [81]).
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Schließlich lässt sich auch das in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG sowie Art. 1 Abs. 2 NV verankerte Sozialstaatsprinzip nicht als Grundlage für einen Anspruch auf Übernahme der Kosten des Schulbesuchs der Antragstellerinnen heranziehen.
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Das Sozialstaatsprinzip verlangt, dass die staatliche Gemeinschaft in der Regel die Lasten mitträgt, die in einer gerechten Sozialordnung von der Gesamtheit zu tragen wären, tatsächlich aber mehr oder weniger zufällig nur einige Bürger oder bestimmte Gruppen getroffen haben. Das bedeutet aber keinen automatischen Anspruch auf Abwälzung solcher Lasten gegen den Staat, sondern nur die Pflicht des Staates, zu einer gerechteren Lastenverteilung nach Maßgabe einer gesetzlichen Regelung zu gelangen. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ansprüche der einzelnen Belasteten begründen (vgl. BVerfGE 27, 253 ff.). Deshalb folgt allein aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes noch nicht das Gebot, dass die Schulausbildung eines Kindes keinerlei Kosten verursachen darf oder dass der Staat verpflichtet wäre, den unterhaltspflichtigen Eltern eines Schulkindes sämtliche ihnen durch den Besuch der Schule entstehende Kosten zu ersetzen (BVerwG, Beschl. vom 19.10.1977, DÖV 1978 S. 615, m.w.N.; Beschluss vom 24.10.1979 - BVerwG 7 B 222/79 -; zitiert nach juris).
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