Beschluss vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 B 8147/05

Gründe

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I. Der Antragsteller ist libanesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. September 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter. Seit dem 10. Januar 1994 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller laufend und ununterbrochen Duldungen erteilt. Diese hatten bisher die Nebenbestimmung „Selbstständige Erwerbstätigkeit oder vergleichbare unselbstständige Erwerbstätigkeiten nicht gestattet. Arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit nur gemäß gültiger Arbeitserlaubnis gestattet.“ enthalten. Am 23. November 2005 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Duldung mit der Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“.

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Seit dem 2. Oktober 1992 ist der Antragsteller im Besitz einer Arbeitserlaubnis und im Gastronomiegewerbe in F. als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Arbeitserlaubnis war zunächst fortlaufend verlängert worden. Am 29. Dezember 1997 hat das frühere Arbeitsamt F. dem Antragsteller die Arbeitserlaubnis mit Wirkung vom selben Tag unbefristet erteilt.

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Der Antragsteller hat am 25. November 2005 Klage im Hauptsacheverfahren 6 A 8146/05 gegen die Nebenbestimmung vom 23. November 2005 erhoben. Zugleich hat er um vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug der Nebenbestimmung nachgesucht.

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Er trägt vor, seine Duldung sei noch bis zum 22. Februar 2006 gültig. Gegenstand des bei dem Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens 6 A 5545/01 sei die Frage, ob die ihm von der Antragsgegnerin auferlegten Mitwirkungshandlungen zur Erlangung eines libanesischen Passes oder Passersatzes überhaupt möglich und zumutbar seien. Deshalb stehe noch nicht fest, dass er das in seinem Fall bestehende Abschiebungshindernis im Sinne von § 11 BeschVerfV zu vertreten habe. Danach sei die Nebenbestimmung offensichtlich rechtswidrig.

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Der Antragsteller beantragt,

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die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die am 23. November 2005 seiner Duldung hinzugefügte Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin hat bis zur Entscheidung des Gerichts schriftlich nicht Stellung genommen. Fernmündlich angehört hat sie bestätigt, dass sie dem Antragsteller die vorgetragene Nebenbestimmung erteilt hat und der Antragsteller weiterhin im Besitz der unbefristeten Arbeitserlaubnis vom 29. Dezember 1997 ist.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt nimmt das Gericht ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 B 8147/05 sowie der Gerichtsakten 6 A 5545/01 (nebst Beiakten A und B) Bezug.

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II. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO zulässig. Die Klage, vor deren Erhebung es nach § 8 a Abs. 1 Nds. AG VwGO eines Vorverfahrens nicht bedarf, hat gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG findet zwar keine Anwendung auf erstmalig verfügte Duldungsauflagen, welche die Ausübung einer Beschäftigung betreffen (VG Hannover, Beschluss vom 29.8.2005 - 5 B 3722/05 -; VG Braunschweig, Beschluss vom 06.04.2005 - 6 B 113/05 -). Im Gesamtzusammenhang der Regelungen des AufenthG spricht aber Überwiegendes dafür, dass von § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auch die ändernde Neufassung von ausländerbehördlichen Nebenbestimmungen erfasst wird, wenn diese anlässlich der Verlängerung des Aufenthaltstitels oder der Duldung erfolgt.

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Der Antrag ist auch begründet.

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Die Abwägung des Interesse des Antragstellers am vorläufigen Rechtsschutz mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der geänderten Nebenbestimmung geht zu Gunsten des Antragstellers aus, denn die am 23. November 2005 seiner Duldung hinzugefügte Nebenbestimmung „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ ist offensichtlich rechtswidrig und die im Hauptsacheverfahren erhobene Klage wird aus diesem Grund aller Voraussicht nach erfolgreich sein.

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Die Kammer hat bereits mehrfach entschieden (vgl. Beschluss vom 13.5.2005 - 6 B 1851/05 -), dass es nach der seit dem 1. Januar 2005 geltenden neuen Gesetzes - und Verordnungslage vom Gesetzgeber nicht mehr gewollt ist, dass die Ausländerbehörden einer Duldung eine selbständige Nebenbestimmung über die Gestattung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit beifügen. Abgesehen davon, dass diese Regelungsmöglichkeit in den §§ 60a Abs. 2, 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG anders als noch in der alten Fassung des § 56 Abs. 3 AuslG nicht mehr erwähnt wird, ergibt sich jetzt die Zulässigkeit der unselbständigen Erwerbstätigkeit unmittelbar aus dem Gesetz und den darauf sowie auf die Verordnungsermächtigungen des AufenthG gestützten Beschäftigungserlaubnissen. Demzufolge würde der Erlass solcher Nebenbestimmungen zumindest in Teilen der mit den neuen ausländerrechtlichen Regelungen offenkundig angestrebten Verfahrensvereinfachung zuwiderlaufen. Die Einführung der ausschließlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden für die Entscheidungen über die Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen führt nur dann zu einer effektiven Zusammenlegung der nach früherer Rechtslage von zwei Behörden betriebenen Erlaubnisverfahren (Ausländerbehörde und Bundesagentur für Arbeit), wenn die nunmehr allein zuständige Ausländerbehörde im Hinblick auf die gesetzliche Regelung des § 4 Abs. 3 AufenthG lediglich auf Antrag und in Bezug auf ein konkretes Arbeitsangebot über die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung entscheidet. Das gilt auch für die Fälle, in denen geduldeten Ausländern (vgl. § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG) nach Maßgabe des § 10 BeschVerfV die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt werden kann. Stellt sich danach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar, ist für ein zusätzliches behördliches Verbot, z.B. in Gestalt einer Nebenbestimmung, kein Raum mehr.

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Aus diesem Grund hat die Kammer in ihrer Rechtsprechung (s.o., Beschluss vom 13.5.2005) die nach dem 1. Januar 2005 erteilte Duldungsauflage „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ in der Regel als bloßen Hinweis auf die Rechtslage nach § 4 Abs. 3 AufenthG angesehen. Anders verhält es sich aber, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Ausländerbehörde offensichtlich in eigener Zuständigkeit dem Ausländer die Ausübung einer bisher erlaubten Erwerbstätigkeit verbieten will und insoweit sich aus dem Gesamtzusammenhang ihres Vorgehens eine Regelungsabsicht entnehmen lässt. In einem solchen Fall kommt der Duldungsauflage zweifelsfrei der Rechtscharakter einer Regelung im Sinne von § 35 VwVfG zu, die gesondert anfechtbar ist und außerhalb einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gerichtlich überprüft werden kann.

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Abgesehen davon, dass für die vorliegend der Duldung des Antragstellers beigefügte und von der Antragsgegnerin offenbar als verbindlich beabsichtigte Nebenbestimmung vom 23. November 2005 nach Maßgabe des AufenthG kein Regelungsbedarf besteht, entspricht sie im Fall des Antragstellers auch nicht der geltenden materiellen Rechtslage. Der gesetzliche Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 3 AufenthG gilt nämlich nicht, soweit einem Ausländer die Erwerbstätigkeit ohne Aufenthaltstitel erlaubt ist, § 4 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dem Antragsteller ist jedoch die von ihm ausgeübte und von der Antragsgegnerin jetzt untersagte Erwerbstätigkeit erlaubt, weil er hierfür im Besitz der unbefristeten Arbeitserlaubnis vom 29. Dezember 1997 ist. Diese gilt nach § 105 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kraft Gesetzes fort, ohne dass es dafür einer besonderen Entscheidung der Antragsgegnerin bedürfte. Einzige Voraussetzung für die Fortgeltung der Arbeitserlaubnis ist nur, dass der Antragsteller - was unstreitig der Fall ist - im Besitz einer Duldung ist (vgl. Nr. 105.1.1 Vorl. Nds. VV-AufenthG). Der Gesetzgeber wollte mit der Übergangsregelung des § 105 Abs. 1 AufenthG deutlich machen, dass der darin genannte Personenkreis von dem grundsätzlichen Erfordernis eines Aufenthaltstitels ausgenommen werden soll. Er hat dazu in der amtlichen Gesetzesbegründung (Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7.2.2003 zum ZuwanderungsG, BT-Drs. 15/420 zu Art. 1 § 105, S. 101) wörtlich ausgeführt, dass mit der Arbeitserlaubnis zuvor erworbene Rechtsstatus des Ausländers auch unter dem geänderten Instrumentarium des AufenthG gewahrt werden soll. Dabei hat der Gesetzgeber klargestellt, dass dieses auch für die bisherigen Duldungsinhaber gilt. § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll danach ihrer (Weiter-) Beschäftigung während der Geltungsdauer ihrer fortgeltenden Arbeitsgenehmigungen nicht entgegenstehen (Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O.).

 


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