Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (1. Kammer) - 1 A 3097/06

Tatbestand

1

Die Kläger zu 2) bis 10) sind türkische Staatsangehörige mit kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie wenden sich gegen den Widerruf ihrer Anerkennung als Asylberechtigte und der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG.

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Der am 22.06.2006 verstorbene Kläger zu 1) und die Kläger zu 2) bis 6) sowie 8) bis 10) stammen aus dem Ort Güner/Cilesiz (türkisch) bzw. Mezrick/Mezre (kurdisch), Kreis Nusaybin, Provinz Mardin. Sie kamen am 07.10.1994 auf dem Luftweg in das Bundesgebiet und beantragten anschließend die Anerkennung als Asylberechtigte. Bei ihrer Anhörung am 18.10.1994 gaben sie an, die Türkei wegen der Unterdrückung durch den türkischen Staat, die Großgrundbesitzer und die Moslems verlassen zu haben. Mit einem Bescheid vom 19.12.1994 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - nachfolgend nur Bundesamt -) ihre Asylanträge ab, weil ihr Herkunftsort kein Yezidenort sei, sie nicht die erforderlichen Kenntnisse der yezidischen Religion besäßen und die behauptete Unterdrückung durch den türkischen Staat und die Großgrundbesitzer keine asylrelevante Bedeutung hätten.

3

Die am 30.12.1994 erhobene Klage wurde ausschließlich auf die mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei gestützt.

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Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 21.08.1996 - 1 A 9796/94 - hob das erkennende Gericht den Bescheid des Bundesamtes vom 19.12.1994 auf und verpflichtete es, die Kläger zu 1) bis 6) und 8) bis 10) als Asylberechtigte anzuerkennen und das Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG in ihrer Person festzustellen. Zur Begründung wird ausgeführt: Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung stammten die Kläger aus einem reinen Yezidenort. Sie seien auch glaubensgebundene Yeziden. Als glaubensgebundene Yeziden seien sie nach der Grundsatzentscheidung der Kammer vom 09.09.1992 - 1 A 932/91 - in Übereinstimmung mit der geänderten Rechtsprechung des Nds. OVG seit dem Urteil vom 28.01.1993 - 11 L 513/89 - in der Türkei einer mittelbaren Gruppenverfolgung ohne inländische Fluchtalternative ausgesetzt.

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Mit einer „Abschlussmitteilung“ vom 14.10.1996 teilte das Bundesamt u.a. den acht Klägern und ihrem Prozessbevollmächtigten mit, dass sie unanfechtbar als Asylberechtigte anerkannt worden wären und das Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden sei.

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Den Kläger zu 7) erkannte das Bundesamt mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 10.11.1997 auf dessen Antrag vom 15.10.1997 als Asylberechtigten an und stellte außerdem das Vorliegen der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG in seiner Person fest.

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Mit Verfügung vom 02.03.2006 leitete das Bundesamt wegen der nach seiner Auffassung inzwischen eingetretenen Entwicklung in der Türkei und unter Berücksichtigung der von mehreren Verwaltungsgerichten geänderten Rechtsprechung zur mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei Widerrufsverfahren ein. In einem Schreiben vom 29.03.2006 erläuterte das Bundesamt den Klägern die Gründe für den beabsichtigten Widerruf ihrer Anerkennung als Asylberechtigte. Ihr Prozessbevollmächtigter äußerte sich mit Schreiben vom 24.04.2006.

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Mit vier Bescheiden vom 26.04.2006 für die Kläger zu 1) bis 7), zu 8), zu 9) und zu 10) widerrief das Bundesamt die Feststellung ihrer Asylanerkennung und des Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG in den Schreiben vom 14.10.1996 bzw. in dem Bescheid vom 10.11.1997. Ferner stellte es fest, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird, führt das Bundesamt u.a. aus: Die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG habe ausschließlich auf einer damals bestehenden mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei beruht. Seitdem habe sich jedoch die Verfolgungssituation für die Yeziden in der Türkei grundlegend geändert. Deshalb seien die zugunsten der Kläger ergangenen Entscheidungen vom 14.10.1996 und vom 10.11.1997 gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch nach dem herabgeminderten Prognosemaßstab zu widerrufen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen habe es in jüngster Zeit keine Übergriffe mehr auf Yeziden in ihren Siedlungsgebieten in der Türkei gegeben. Bestätigt werde diese Beurteilung durch mehrere Entscheidungen von Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten, in denen ebenfalls nicht mehr von einer mittelbaren Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei ausgegangen werde.

9

Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht mehr vor.

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Mit den jeweils am 11.05.2006 erhobenen Klagen machen die Kläger geltend:

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Die Voraussetzungen für einen Widerruf ihrer Anerkennungen als Asylberechtigte seien nicht erfüllt. Die Ausführungen des Yezidischen Forums e.V. in der Stellungnahme vom 18.12.2007 zu dem Urteil des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 - zeigten, dass sich die Situation der Yeziden in der Türkei entgegen der Auffassung des Bundesamtes noch nicht grundlegend geändert habe.

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Für den Kläger zu 1) wurde in der heutigen mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen

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Die Kläger zu 2) bis 10) beantragen sinngemäß,

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die vier Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.04.2006 aufzuheben, soweit sie betroffen sind;

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hilfsweise,

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das Vorliegen der Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 AufenthG in ihrer Person sowie das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

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Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe der angefochtenen Bescheide vom 26.04.2006,

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die Klagen abzuweisen.

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Die von den Klägern mit der Erhebung der Klagen gestellten Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe lehnte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 18.10.2007 ab, weil es unter Berücksichtigung der beiden Urteile des 11. Senats des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 und 11 LB 324/03 - seit dem Jahre 2003 keine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei wegen ihrer Religionszugehörigkeit mehr gebe. Damit seien die Voraussetzungen für ein Fortbestehen der Asylanerkennung der Kläger entfallen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten der Verfahren 1 A 3097/06, 1 A 3101/06, 1 A 3102/06 und 1 A 3103/06 sowie auf die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

21

Sämtliche Gerichtsakten und Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Grundlage der Entscheidung gewesen, ebenso die jeweils mit Verfügung des Gerichts vom 10.12.2007 den Beteiligten übersandte aktualisierte Erkenntnismittelliste „Unterlagen Yeziden - Stand 11/2007“.

Entscheidungsgründe

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Das Verfahren 1 A 3097/06 ist gemäß §§ 92 Abs. 3 und 155 Abs. 2 VwGO einzustellen, soweit für den Kläger zu 1) in der heutigen mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen wurde.

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Die Kläger zu 2) bis 10) - nachfolgend nur als Kläger bezeichnet - bleiben mit ihren zulässigen Klagen ohne Erfolg. In dem von ihnen angefochtenen Umfang sind die vier Bescheide des Bundesamtes vom 26.04.2006 auch in dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1, 1.HS AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzen sie daher nicht in ihren Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.

I.

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Der von den Klägern gestellte Hauptantrag, die sie betreffendenden Bescheide des Bundesamtes vom 26.04.2006 aufzuheben, ist unbegründet.

25

Die Rechtsgrundlage für den Widerruf der mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 10.11.1997 für den Kläger zu 7) und der mit den Schreiben des Bundesamtes vom 14.10.1996 an die übrigen Kläger und deren Prozessbevollmächtigten erfolgten Feststellung der Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und des Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG -, die als „Abschlussmitteilung...“ bezeichneten Schreiben des Bundesamtes vom 14.10.1996 wertet das erkennende Gericht ebenfalls als feststellende Verwaltungsakte - bildet § 73 AsylVfG in der Fassung von Artikel 3 Nr. 46 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtliche Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 - BGBl. I S. 1970 -.

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Nach § 73 Abs. 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (Satz 1). Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter und zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Satz 2); es sei denn, der Ausländer kann sich auf zwingende auf frühere Verfolgungen beruhende Gründe berufen, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (Satz 3). Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 vorliegen, hat gemäß § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen. Ist nach der Überprüfung ein Widerruf nicht erfolgt, steht eine spätere Entscheidung im Ermessen des Bundesamtes (Abs. 2a Satz 3). Nach § 73 Abs. 7 AsylVfG hat die Prüfung über den Widerruf einer Asylanerkennung spätestens bis zum 31.12.2008 zu erfolgen, wenn eine Entscheidung über den Asylantrag vor dem 01.01.2005 unanfechtbar wurde.

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Die in § 73 AsylVfG bestimmten formellen und materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der mit den Schreiben des Bundesamtes vom 10.10.1996 und dem Bescheid vom 10.11.1997 erfolgte Feststellung der unanfechtbaren Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte und des Vorliegens der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG hat das Bundesamt mit den vier Bescheiden vom 26.04.2006 beachtet.

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1. Die durch Artikel 3 Nr. 46 b des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 - BGBl. I S. 1950 - in § 73 Abs. 2a AsylVfG eingeführte obligatorische Pflicht des Bundesamtes zur Überprüfung der Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylanerkennung der Kläger innerhalb von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit ihrer Asylanerkennung beginnt nach der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. Urt. vom 20.03.2007 - 1 C 21.06 -, hier zitiert nach juris) für die vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes unanfechtbar gewordenen Anerkennungen als Asylberechtigte, die sog. Alt-Anerkennungen, mit dem 01.01.2005 (vgl. BVerwG, aaO, Rdnr. 14). Sie lief daher noch bei Erlass der Bescheide vom 26.04.2006.

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Mit den vier Bescheiden vom 26.04.2006 widerrief das Bundesamt die sog. Alt-Anerkennungen der Kläger im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch unverzüglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.03.2007,aaO, Rdnr. 20) ist die unanfechtbare Feststellung als Asylberechtigter oder als Flüchtling unverzüglich zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsort eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf unabsehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Das Bundesamt wertete die weitere Entwicklung in der geänderten Beurteilung der mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei seit dem Urteil des erkennenden Gerichts vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 - sorgfältig aus und nahm die Feststellung der Kammer in diesem Urteil, dass eine flächendeckende Verfolgung der Yeziden in der Türkei nicht mehr angenommen werden könne, sowie weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und andere Erkenntnismittel (vgl. im Einzelnen den Vermerk vom 14.02.2006) zum Anlass, jeweils ein Widerrufsverfahren einzuleiten und nach Anhörung der Kläger durch Schreiben vom 29.03.2006 und der Stellungnahme ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.04.2006 die Widerrufsbescheide vom 26.04.2006 zu erlassen, wobei es die mit der zitierten Rechtsprechung des erkennenden Gerichts übereinstimmende Entscheidung des OVG NRW vom 14.02.2006 - 15 A 21.19/02. A - mit berücksichtigte.

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Selbst wenn die streitigen Widerspruchsbescheide vom 26.04.2006 nicht im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG unverzüglich ergangen wären, bliebe ihre Rechtmäßigkeit hiervon unberührt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt die Urteile vom 20.03.2007 - 1 C 21.06, juris, Rdnr. 18 sowie vom 12.06.2007 - 10 C 24.07 -, juris, Rdnr. 13) dient das in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmte Gebot des unverzüglichen Widerrufs ausschließlich öffentlichen Interessen. Ein etwaiger Verstoß gegen das Gebot verletzt keine Rechte des betroffenen Ausländers.

31

Die Beachtung der Jahresfrist von § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG durch das Bundesamt ist von dem erkennenden Gericht nicht mehr zu prüfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 12.06.2007 - 1 C 24.07-, juris, Rdnrn. 14 und 15 entschieden, dass diese Jahresfrist zumindest in den Fällen keine Anwendung findet, in denen - wie hier bei den Klägern - die Anerkennung innerhalb der Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2a AsylVfG widerrufen wurde.

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2.1 Die in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmten materiellen Voraussetzungen für den Widerruf der Asylanerkennung der Kläger und der Feststellung der Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 AuslG liegen ebenfalls vor.

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Ob die Kläger bei einer - asylrechtlich unterstellten - Rückkehr in die Türkei im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG Schutz vor Verfolgung finden, beurteilt sich nach dem sog. herabgestuften Prognosemaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit. Denn das Bundesamt hat in den „Abschluss-Mitteilungen“ vom 14.10.1996 und in dem Bescheid vom 10.11.1997 festgestellt, dass die Kläger - mit Ausnahme des im Bundesgebiet geborenen Klägers zu 7) - vor ihrer Ausreise in der Türkei wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit eine mittelbare Gruppenverfolgung und damit eine Vorverfolgung erlitten haben bzw. sich, wie der Kläger zu 7), aus begründeter Furcht vor einer politischen Verfolgung im Bundesgebiet aufhalten. Eine Rückkehr der Kläger in die Türkei wird asylrechtlich deshalb unterstellt, weil mit dem Widerruf der sog. Alt-Anerkennungen der Kläger nicht zwangsläufig eine Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet verbunden ist. Über aufenthaltsbeendende Maßnahmen hat, worauf das Bundesamt in dem Anhörungsschreiben vom 29.03.2006 an die Kläger zu Recht hinwies, die Landeshauptstadt Hannover als zuständige Ausländerbehörde erst anschließend in einem eigenständigen Verfahren zu entscheiden (vgl. insoweit zur Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen das Urteil des BVerwG vom 20.03.2007 - 1 C 21.06 -, juris, Rdnr. 21).

34

Der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit wäre nur dann anzuwenden, wenn dem Betroffenen keine Wiederholung der früheren Verfolgung droht, er stattdessen eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung geltend macht, die in keinem Zusammenhang mit der früheren Verfolgung steht (ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. u.a. den Beschluss vom 24.05.2006 - 1 B 128/05 . -, juris, Rdnr. 6 m.w.N., das Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, juris, Rdnr. 16 und das Urteil vom 12.06.2007 - 10 C 24.07 -, juris, Rdnr. 25; ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 45).

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Das ist hier nicht der Fall. Die Kläger zu 1) bis 6) und 8) bis 10) hatten die am 30.12.1994 gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 19.12.1994 erhobene Klage allein auf ihre (mittelbare Gruppen-)Verfolgung wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit gestützt und sie - ebenso wie der Kläger zu 7) - entsprechend im Rahmen der Anhörung im Widerrufsverfahren geltend gemacht.

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Unter Berücksichtigung des sog. herabgestuften Prognosemaßstabs der hinreichenden Verfolgungssicherheit wären die Kläger zu 2) bis 6) und 8) bis 10) nunmehr bei einer Rückkehr in die Türkei mit dem Kläger zu 7) vor einer mittelbaren politischen Verfolgung wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit hinreichend sicher.

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Das erkennende Gericht und der 11. Senat des Nds. OVG vertraten seit ihren Grundsatzentscheidungen vom 09.09.1992 - 1 A 932/91 - und vom 28.01.1993 - 11 L 513/98 - [zu dem Urteil des VG Stade vom 29.05.1989 - 4 A 206/87 -] über mehrere Jahre in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, das seinerzeit Yeziden in der Türkei im Regelfall landesweit einer mittelbaren Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt waren. Jedoch stellte das erkennende Gericht ab dem Jahr 2000 zunehmend fest, dass Yeziden in bestimmten Dörfern der Süd-Ost-Türkei ohne Verfolgungsdruck leben konnten bzw. können und außerdem in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigte anerkannte Yeziden vorübergehend oder auf Dauer in die Türkei zurückkehrten. Diese Entwicklung bewog die Kammer in dem Urteil vom 30.04.2003 - 1 A 398/02 - unter zusätzlicher Berücksichtigung einer eingehenden Auseinandersetzung mit den für verschiedene Verwaltungsgerichte erstellten Gutachten des Sachverständigen Baris, zu denen der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung am 30.04.2003 umfassend angehört wurde, zu der Feststellung, dass „eine flächendeckende Verfolgung der Yeziden in der Türkei nicht mehr angenommen werden“ könne. Es wird wegen der Einzelheiten der Anhörung des Sachverständigen Baris auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung und wegen der Entscheidungsgründe auf das Urteil verwiesen.

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Ein in diesem Sinne eindeutiger Sachverhalt lag dem rechtskräftig gewordenen Urteil der Kammer vom 23.03.2005 - 1 A 1284/04 - ebenfalls zugrunde.

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Zu der gleichen Beurteilung über eine nicht mehr bestehende mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei kommt der 11. Senat des Nds. OVG in zwei Urteilen vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris (nicht rechtskräftig; Az. des BVerwG: 10 B 156/07) zu dem Urteil der Kammer vom 18.03.2003 - 1 A 75/02 - und - 11 LB 324/03 - (n.v., rechtskräftig) zu dem Urteil der Kammer vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 -. Als Ergebnis einer umfangreichen Beweisaufnahme stellt der 11. Senat in beiden Entscheidungen fest, dass Yeziden in der Türkei wegen ihrer Religionszugehörigkeit seit dem Jahre 2003 keiner mittelbaren staatlichen Verfolgung mehr ausgesetzt sind. Auf das den Beteiligten bekannt gegebene, im Verfahren 11 LB 332/03 ergangene Urteil, in dem der 11. Senat außerdem eine Vorverfolgung für den Kläger unterstellt und deshalb den herabgestuften Prognosemaßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit angewendet hat (vgl. Rdnr. 45), wird Bezug genommen. Diese Rechtsprechung hat der 11. Senat des Nds. OVG in dem den Beteiligten ebenfalls bekannt gegebenen Beschluss vom 29.11.2007 - 11 LB 14/06 - fortgesetzt.

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2.2 Die Feststellungen des 11. Senats in den beiden zitierten Urteilen vom 17.07.2007 und dem Beschluss vom 29.11.2007 macht sich das erkennende Gericht für seine Rechtsprechung zur gegenwärtigen Situation der Yeziden in der Türkei zu eigen:

41

Zum Einen bestätigen sie die beispielsweise in den genannten Urteilen vom 20.04.2003 - 1 A 389/02 - und vom 23.03.2005 - 1 A 1284/04 - vertretene Auffassung der Kammer von der nunmehr fehlenden mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei. Zum Anderen sind die beiden wesentlichen Einwände des Yezidischen Forums e.V (nachfolgend nur Yezidisches Forum - ebenso für das frühere Kulturforum der yezidischen Glaubensgemeinschaft e.V. -) in der von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme vom 18.12.2007 gegen das u.a. in juris veröffentlichte Urteil des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 - unbegründet, den von dem 11. Senat des Nds. OVG verwerteten Auskünften des Auswärtigen Amtes komme wegen des anonym gebliebenen Vertrauensanwalts kein Beweiswert zu und der 11. Senat behaupte fälschlicherweise, dass die Religion der Yeziden eine Geheimreligion sei.

42

Mit der Behauptung, den von dem 11. Senat des Nds. OVG in den beiden Urteilen vom 17.07.2007 verwerteten Angaben des Auswärtigen Amtes komme entgegen der Ansicht des Nds. OVG kein Beweiswert zu, weil sich das Auswärtige Amt geweigert habe, die Person des von ihm beauftragten Vertrauensanwalts zu benennen, so dass dessen Ermittlungen nicht überprüft werden könnten, verkennt das Yezidische Forum zwei spezifische methodische Probleme bei der Aufklärung einer etwaigen noch bestehenden Verfolgungssituation der Yeziden in der Türkei:

43

Das Grundproblem für yezidische Kläger, das Bundesamt und die Gerichte, aber auch für das Yezidische Forum, besteht darin, dass es bereits zu Lebzeiten des am 24.02.1999 verstorbenen Religionswissenschaftlers Prof. Dr.Dr. Gernot Wießner (nachfolgend nur Wießner) keinen Sachverständigen mit vergleichbarer Qualifikation und Reputation gab, der außerdem in der Lage gewesen wäre, die von Wießner mit seinen Reisen in die Siedlungsgebiete der Yeziden in der Osttürkei in den Jahren 1972 bis 1989 begonnene Feldforschung und ihre Dokumentation aufzunehmen und abzuschließen (vgl. die Stellungnahme von Wießner an das erkennende Gericht vom 05.12.1996 zu Listen von Yezidendörfern in der Türkei des „Vereins der Yeziden in Deutschland“, von Sternberg-Spohr und von Andrews sowie die Stellungnahme vom 13.02.1997 an das erkennende Gericht). Der Sachverständige Baris kann Wießner nicht gleichgestellt werden. Auf die Ausführungen des erkennenden Gerichts in dem Urteil vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 - und die des Nds. OVG in dem Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 62 wird verwiesen (ebenso VG Osnabrück, Urteil vom 10.04.2007 - 5 A 35/07 - und VG Arnsberg, Urteil vom 06.02.2007 - 8 K 1940/05.A -).

44

Über einen unabhängigen und sachverständigen „Gewährsmann“ verfügt das Yezidische Forum ebenso wenig. Deshalb stützt es ( zur Methodik vgl. im Einzelnen die „Stellungnahme zur Situation der Yeziden in der Türkei“ vom 04.07.2006, S.11) seine Feststellungen vorrangig auf die Befragung von in Deutschland lebenden Yeziden aus den (früheren) Siedlungsgebieten der Yeziden in der Türkei, die es abgleicht und bei Unstimmigkeiten überprüft. „Darüber hinaus erfolgen Nachfragen in der Türkei.“, die nicht näher erläutert werden.

45

Es liegt auf der Hand, dass die auf persönlichen Befragungen und nicht auf eigenen Recherchen in den (früheren) Siedlungsgebieten der Yeziden in der Türkei beruhenden Erhebungen des Yezidischen Forums nicht in jeder Hinsicht objektiv sein können.

46

Das Yezidische Forum übersieht darüber hinaus, dass selbst Wießner in seinen Gutachten und Stellungnahmen auf die von dem Yezidischen Forum gegenüber dem Auswärtigen Amt beanstandete Methode der Anonymisierung von Informanten zurückgreifen musste. Wießner beschreibt in seiner erwähnten Stellungnahme vom 13.02.1997 im Einzelnen die vor allem auf der Konkurrenz und des mit ihr verbundenen Misstrauens der yezidischen Großfamilien unter einander beruhenden Schwierigkeiten, von Yeziden in der Türkei konkrete Auskünfte zu erhalten. Er habe es sich „daher zum Gesetz gemacht, für meine Forschungen relevante Auskünfte zu anonymisieren, d.h. ihren Wahrheitsgehalt über einen Kontext von Informationen zu überprüfen, bei der unmittelbaren Aufnahme die auskunftgebenden Personen nicht zu speichern.“

47

Ein entsprechendes methodisches Vorgehen muss demzufolge auch dem Auswärtigen Amt zugebilligt werden, selbst wenn es in der Auskunft vom 28.11.1988 an das VG Koblenz, worauf das Yezidische Forum ständig, zuletzt in der Stellungnahme vom 18.12.2007 hinweist, ohne allerdings vollständig zu recherchieren und zu zitieren, die nach eigener Einschätzung überhöhten Angaben von Yeziden weiter gegeben hat, dass in Istanbul bis zu 40.000 Yeziden ansässig sein sollen. In diesem Zusammenhang verschweigt das Yezidische Forum weiter, dass das Auswärtige Amt bereits 1 1/2 Jahre später in seiner Auskunft vom 20.03.1990 an das OVG NRW dargelegt hat, dass es sehr schwierig sei, von den Kontaktpersonen einigermaßen verlässliche Angaben über die Zahl der dauerhaft in Istanbul lebenden Yeziden zu erhalten.

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Trotz der abweichenden Bewertung der in dem Urteil des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -,juris abgehandelten Referenzfälle in der Stellungnahme des Yezidischen Forums vom 18.12.2007 hält das erkennende Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO bzw. § 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO keine zusätzliche Beweisaufnahme zur gegenwärtigen Verfolgungssituation der Yeziden in der Türkei im Anschluss an die beiden Urteile des 11. Senats des Nds. OVG vom 17.07.2007 und den Beschluss vom 29.11.2007 - 11 LB 14/06 - für erforderlich (zu einer etwaigen gerichtlichen Verpflichtung vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.01.2007- 1 B 59.06 -,juris, Rdnr. 8 zu dem Urteil des OVG NRW vom 14.02.2006 - 15 A 2119/02.A -, juris).

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Entscheidend bleibt für das erkennende Gericht, dass es bei seinen Recherchen über die gegenwärtige Situation der Yeziden in der Türkei zur Vorbereitung auf die heutige mündliche Verhandlung in sämtlichen ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln (neben Recherchen im Internet auch in dem Vortrag der Kläger in den bei der Kammer in den letzten beiden Jahren über 100 anhängig gewordenen Yeziden-Widerrufsverfahren) keine Hinweise auf zusätzliche Übergriffe auf Yeziden in der Türkei in den Jahren 2006 und 2007 gefunden hat, deren Asylrelevanz aufzuklären gewesen wäre (vgl. hierzu auch das Urteil des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -,juris, Rdnr. 93 ).

50

Ein wesentliches Indiz besteht für das erkennende Gericht, ebenso für den 11. Senat des Nds. OVG (vgl. das Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -,juris, Rdnr. 96), beispielsweise darin, dass seit mehreren Jahren in der Türkei keine Gräber von bestatteten Yeziden beschädigt oder beraubt wurden, worauf noch der Sachverständige Baris in seiner Anhörung durch das erkennende Gericht am 30.04.2003 abgestellt hatte (vgl. das Protokoll der mündlichen Verhandlung in dem Verfahren 1 A 389/02). Müssten die Yeziden mit derartigen unter Umständen asylrelevanten Übergriffen rechnen, wäre zur Überzeugung des erkennenden Gerichts der am 23.07.2005 In Deutschland verstorbene geistliche Würdenträger der Yeziden, der Peshimam Ismail Deniz, nicht in die Türkei übergeführt und auf dem Friedhof des Heimatdorfes der Kläger Mezre (kurdisch) beigesetzt worden (vgl. auch: Nds. OVG, Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -,juris, Rdnr. 49). Die Behauptung auf Seite 23 der Stellungnahme vom 18.12.2007, ihre Religion werde von yezidischen Besuchern in der Türkei nicht praktiziert, abgesehen von Beerdigungen, die unter erkaufter Tolerierung stattfänden, es liege auf der Hand, dass die Agas und Dorfschützer solche für sie lukrative Beerdigungen weiterhin zuließen, hat das Yezidische Forum weder konkret in Bezug auf die Besetzung des Peshimams Ismail Deniz noch sonst in den vorangegangenen Stellungnahmen vom 04.07.2006 und vom 20.03.2007 in verallgemeinerungsfähiger Weise belegt.

51

Auf die Kritik des Yezidischen Forums, der 11. Senat des Nds. OVG habe in seinen Entscheidungen vom 17.072.007 und vom 29.11.2007 die yezidische Religion fälschlicher Weise als Geheimreligion bezeichnet, wird nachfolgend im Abschnitt II.1 eingegangen.

52

Danach hat das Bundesamt wegen der zumindest seit dem Jahre 2003 nicht mehr bestehenden mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei mit den vier Bescheiden vom 26.04.2006 die mit Schreiben vom 14.10.1996 und mit Bescheid vom 10.10.1997 erfolgte bestandskräftige Feststellung der Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte nach Maßgabe von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu Recht widerrufen.

II.

53

Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG (dazu 1.) und von Abschiebungshindernissen im Sinne von § 60 Abs. 2) bis 7) AufenthG (dazu 2.) gerichteten Hilfsanträge der Kläger sind ebenfalls unbegründet. Auch insoweit haben die vier Bescheide des Bundesamtes vom 26.04.2006 in ihrem streitigen Umfang im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin Bestand.

54

1. Nach § 60 Abs. 1 Sätze 1 bis 2 AufenthG in der Fassung von Artikel 1 Nr. 48 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 - BGBl. I S. 1970 - darf ein im Bundesgebiet anerkannter Asylberechtigter nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren (§ 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Artikel 4 Abs. 4 und die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlose als Flüchtlinge usw. (nachfolgend nur Qualifikationsrichtlinie) ergänzend anzuwenden.

55

Wegen einer asylerheblichen Verfolgung aus religiösen Gründen schützt § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, ebenso wie Artikel 16a Abs. 1 GG, an sich nur vor religiöser bzw. religiös motivierter Verfolgung im privaten Bereich und gewährleistet damit zumindest das „religiöse Existenzminimum“.

56

Artikel 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie erweitert nunmehr den Schutz des „religiösen Existenzminimums“ im privaten Bereich auf „die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich“. Auch im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Artikel 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie erweiterten Abschiebungsschutz werden die Kläger nach Auffassung des erkennenden Gerichts in Übereinstimmung der geänderten Rechtsprechung des 11. Senats des Nds. OVG bei einer etwaigen Rückkehr in die Türkei in ihrer Religionsausübung nicht unzumutbar behindert.

57

Ebenso wie die beiden für Asylverfahren von Yeziden aus dem Irak und aus Syrien zuständigen Senate des Nds. OVG (vgl. das Urteil des 9. Senats vom 19.03.2007 - 9 LB 373/05 -, juris, Rdnrn. 64, 65 und 66 zu Yeziden aus dem Irak und den Beschluss des 2. Senats vom 07.06.2007 - 2 LA 416/07 -, juris, Rdnr. 5 zu Yeziden aus Syrien) stellt der 11. Senat in seinen Entscheidungen vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnrn. 40, 94, 95 und 96 und vom 29.11.2007 - 11 LB 14/06 - (ebenso OVG Saarland, Beschluss vom 26.03.2007 - 3 A 30/07 -, juris, Rdnrn. 11 ff) darauf ab, dass es sich bei der yezidischen Religion von ihrem Wesen her um eine Art „Geheimreligion“ handelt, die nicht vor den Augen Ungläubiger und damit nicht im öffentlichen Bereich praktiziert wird.

58

Mit seiner Kritik

59

„Es wird mit Bedauern festgestellt, dass diese irrigen Ansichten immer noch in der Rechtsprechung auftauchen. Der leider früh verstorbene Gutachter Prof.Dr.Dr. Gernot Wießner hatte den Begriff „Geheimreligion“ und das Recht, die Religion dem Umfeld zu verschweigen, mit den Verhältnissen in der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens begründet. Unter diesen Verhältnissen konnten in den letzten Jahrhunderten keine Gotteshäuser errichtet werden. Daher entstand auch keine bauliche Tradition wie bei Kirchen und Moscheen.

60

Es ist aber in Deutschland unübersehbar, dass die Yeziden gerade die Möglichkeit der offenen und öffentlichen Religionsausübung und des freien Bekenntnisses als die eigentliche Befreiung ansehen, die mit ihrer Flucht verbunden ist.

61

Das Gericht hat von der Existenz yezidischer Vereine, darunter auch von unserer Institution, zweifellos seit Jahren Kenntnis. Insofern ist nicht nachzuvollziehen, weshalb zur angeblichen „Geheimreligion“ keine Nachfrage stattfand...“

62

setzt sich das Yezidischen Forum weder mit dem religionsgeschichtlichen bzw. -wissenschaftlichen Ansatz der Rechtsprechung noch mit den angesprochenen Feststellungen von Wießner in dem erforderlichen Umfang auseinander.

63

Die Rechtsprechung von dem Wesen der yezidischen Religion als einer Art „Geheimreligion“, nicht zu verwechseln mit „Geheimkult“ (vgl. die differenzierenden Ausführungen des Bundesamtes im Abschnitt 3.2 der Schrift „Yeziden in der Türkei“, Stand November 1999), wird religionsgeschichtlich bzw. - wissenschaftlich aus dem Gebot der „taqiye“, dem Verbergen, dem Verstellen aus Frömmigkeit , abgeleitet. Es hat im Verhältnis der Yeziden untereinander dazu geführt, dass die einfachen Gläubigen nicht mehr in die Mysterien des Glaubens eingeführt, sondern nur mit äußeren Verhaltensmaßregeln und Tabus vertraut gemacht werden, damit sie den ihnen vorbestimmten Platz innerhalb der „undurchlässigen“ Kasten der yezidischen Gemeinschaft einnehmen können (vgl. im Einzelnen: die Ausführungen des früheren Mitarbeiters von Wießner Dr. Berner am 01.09.1982 vor dem VG Stade, das Gutachten von Sternberg-Spohr vom Mai 1988 für die Gesellschaft für bedrohte Völker, die EKD-Informationen „Die Yeziden“, 1992, S. 10 [7.] und die Informationsschrift des Bundesamtes „Yeziden in der Türkei“, Stand November 1999, Abschnitt 3.2). Wegen dieses geheimen Charakters der yezidischen Religion wurde sie bisher zu den Arkanreligionen gezählt, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie nur im Geheimen tradiert und praktiziert werden ( vgl. Sternberg-Spohr, aaO, S. 5).

64

Mit dem Gebot des „taqiye“ und seinen Konsequenzen für die yezidische (Religions-) Gemeinschaft befasst sich das Yeziden Forum in keiner seiner in der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittelliste „Unterlagen - Yeziden, Stand 11/2007“ enthaltenen Stellungnahmen. In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 04.07.1998 zur Glaubensgebundenheit eines Asylbewerbers betont es, bei dem Yezidentum handele es sich nicht um eine Arkanreligion. Aus Sorge, von den Moslems erkannt zu werden, hätten die Yeziden ihre Religion nicht öffentlich praktizieren können. In einem Schreiben vom 25.01.1998 an die 7. Kammer des erkennenden Gerichts bemerkt das Yezidische Forum: „Die yezidische Religion ist keine Geheimreligion. Jeder Nicht-Yezide kann ohne großen Aufwand zu betreiben, sich über die Grundsätze des Yezidentums kundig machen.“

65

Demgegenüber vertritt der dem erkennenden Gericht aus seiner vorübergehenden Tätigkeit als Dolmetscher bekannte Yezide C. in einem Beitrag in der Zeitschrift „Kurdistan heute August September“ 94, S. 37 die Auffassung, dass die fehlenden schriftlichen Aufzeichnungen über die Yezidi-Religion es schwer machten, ihre wesentlichen Grundzüge herauszufinden bzw. zu bestimmen. Eine Darstellung der Grundprinzipien der Religion der Yeziden werde zusätzlich dadurch erschwert, dass die Yeziden allgemein ein unterschiedliches Wissen, die große Masse der Laien (Muriden/Miriden) kaum Kenntnisse der yezidischen Religion besäßen. Selbst die Geistlichen würden häufig nur die einzelnen Institute und Glaubensnormen kennen, jedoch nicht immer den Sinn und die damit verbundenen strukturellen Zusammenhänge. Dieser Missstand dürfte u.a. seinen Grund darin haben, dass der Glaube der Yezidi eine Geheimreligion „ist“.

66

Danach beruht die Kritik des Yezidischen Forums an der Auffassung des 11. Senats des Nds. OVG von der Religion der Yeziden als einer ihrem Wesen nach Art von Geheimreligion auf einer „verkürzten“ Sichtweise und entsprechenden Auseinandersetzung, die demzufolge die Einwände des Yezidischen Forums gegen die geänderte Rechtsprechung des 11. Senats des Nds. OVG nicht rechtfertigen kann.

67

Diese „verkürzte“ Sichtweise des Yezidischen Forums gilt auch für den Hinweis auf den Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Wießner. Es trifft nicht zu, dass Wießner den Begriff „Geheimreligion“ und das Recht, die Religion dem Umfeld zu verschweigen, nur mit den Verhältnissen in der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens begründet habe.

68

In seiner Stellungnahme vom 08.06.1998 für das VG Gießen unterscheidet Wießner vielmehr wie folgt:

69

„Der Hinweis auf die yezidische Religion als Geheimreligion ist für mich in seiner Pauschalität inakzeptabel. Die Religion der Yezidi ist in der kemalistischen Türkei natürlich nicht verboten; die Yeziden werden von den Muslimen unterdrückt und von den staatlichen Organen nicht vor Übergriffen der Muslime geschützt. Außerdem handelt es sich bei der Religion der Yeziden zwar weithin um eine sog. Geheimreligion, in der viele Riten unter Ausschluss der nicht-yezidischen Öffentlichkeit praktiziert werden. Andere Riten aber finden dagegen öffentlich statt, z.B. die Beschneidung, bei der Muslime als „Paten“(Kirive Sinnette) teilnehmen.“

70

Selbst bei dem differenzierenden Maßstab von Wießner steht zur Überzeugung des erkennenden Gericht in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des 11. Senats des Nds. OVG aufgrund der Änderung der Verhältnisse in der Türkei zumindest seit 2003 fest, dass Yeziden bei einer etwaigen Rückkehr in ihre angestammten Siedlungsgebiete auch unter Berücksichtigung von Artikel 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie in ihrer Religionsausübung nicht unzumutbar behindert werden.

71

Soweit das OVG Rheinland-Pfalz in dem von dem Yezidischen Forum in der Stellungnahme vom 18.12.2007 auf Seite 17 erwähnten Urteil vom 05.06.2007 - 10 A 11576/06 u.a., -, juris und ihm folgend das OVG Schleswig-Holstein in einem Beschluss vom 22.08.2207 4 LA 40/07 -, ASYLMAGAZIN 10/2007, S. 12 zu einer von der Rechtsprechung des 11. Senats des Nds. OVG abweichenden Auffassung kommen, vermag sich das erkennende Gericht beiden Entscheidungen nicht anzuschließen. Das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 05.06.2007 beruht wesentlich auf einem für das Gericht von dem Sachverständigen Baris erstatteten Gutachten, dessen Gutachten aber nach Ansicht des erkennenden Gerichts (vgl. Abschnitt 2. des Urteils vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 -), des Nds. OVG (vgl. das Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 62), des VG Osnabrück ( Urteil vom 10.04.2007 - 5 A 35/07 -) und des VG Arnsberg (vgl. das Urteil vom 06.02.2007 - 8 K 1940/05.A -) kritisch hinterfragt werden müssen. Dies hat das OVG Rheinland-Pfalz in dem Urteil vom 05.06.2007 unterlassen, außerdem sich nicht in einem vergleichbaren Umfang wie der 11. Senat des Nds. OVG in den beiden Urteilen vom 17.07.2007 mit der konkreten veränderten Situation der Yeziden in der Türkei in den letzten vier bis fünf Jahren befasst ( zu weiteren Einwänden gegen das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 05.06.2007 - 10 A 11576/06 u.a., juris vgl. den Beschluss des Nds. OVG vom 29.11.2007 - 11 LB 14/06 -).

72

Unabhängig davon sind die für die Annahme einer (un-) mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung von Betroffenen entwickelten Grundsätze auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG übertragbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -,juris, Rdnrn. 21 - 24). Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen im Abschnitt I.2.1. gibt es zumindest seit dem Jahre 2003 keine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei und entsprechend keine private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG mehr.

73

Daher haben die Kläger keinen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Artikel 10 Abs. 1b der Qualifikationsrichtlinie.

74

2. Die in § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG aufgeführten Voraussetzungen für einen subsidiären ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz sind auch in Anwendung der in § 60 Abs. 11 AufenthG genannten Regelungen der Qualifikationsrichtlinie nicht erfüllt.

75

Die Kläger haben weder gegenüber dem Bundesamt im Rahmen der Anhörung vor Erlass der Bescheide vom 26.04.2006 noch gegenüber dem Gericht individuelle und stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, es bestehe für sie die begründete Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr in die Türkei oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

76

Außerdem steht ihnen im Sinne von Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie eine inländische Fluchtalternative in der Türkei zur Verfügung (vgl. das Urteil des erkennenden Gerichts vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 - und das Urteil des Nds. OVG vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03 -, juris, Rdnr. 94 zur Ausnahme von der Regelvermutung der mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei).

 


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