Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (4. Kammer) - 4 A 4872/06

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen einen immissionsschutzrechtlichen Änderungsbescheid des Beklagten, mit dem der an seinem Wohngebäude zur Nachtzeit zulässige Immissionsrichtwert von 40 dB(A) auf 45 dB(A) heraufgesetzt worden ist.

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Der Kläger ist Eigentümer des seit 1938 mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks B. in Hannover-C.. Das Grundstück grenzt im Norden an die stark befahrene, vierspurig ausgebaute D. und im Westen an die in einer Trogstrecke durch eine Unterführung verlaufende Zufahrt zum nördlich der D. gelegenen Werksgelände der Beigeladenen, die hier seit 1956 Nutzfahrzeuge produziert. An die Trogstrecke grenzt weiter westlich eine Rampe, die die von Süden kommende H.Straße an die D. an- sowie einen P&R-Parkplatz erschließt. Nördlich des Betriebsgeländes der Beigeladenen verläuft zunächst der Mittellandkanal und dann die Bundesautobahn A 2.

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Das Grundstück des Klägers liegt im Geltungsbereich des seit 1966 rechtsverbindlichen Bebauungsplanes Nr. 241 der Landeshauptstadt Hannover, der es als reines Wohngebiet ausweist. Das Betriebsgelände der Beigeladenen liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Der Flächennutzungsplan der Landeshauptstadt Hannover weist es als Fläche für Industrieanlagen aus.

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Im Jahre 1992 ergaben Lärmmessungen des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie, dass die Geräuschimmissionen des Werkes der Beigeladenen in den südlich der D. liegen Wohngebieten nachts bis zu 46 dB(A) erreichen. Daher gab der Beklagte der Beigeladenen mit Bescheid vom 26.03.96 u. a. auf sicherzustellen, dass durch die Betriebsvorgänge des Werkes Hannover in den mit 1, 2, 3 und 4 in der zu dieser Anordnung gehörenden Anlage gekennzeichneten Gebieten keine Lärmimmissionen hervorgerufen werden, die nachts (22.00 - 06.00 Uhr) 40 dB(A) überschreiten. Die Einhaltung dieser Lärmwerte sollte bis zum 31.01.99 (später verlängert bis zum 31.01.00) durch ein Messgutachten nachgewiesen werden.

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Das Wohngrundstück des Klägers liegt in dem mit 1 gekennzeichneten Gebiet.

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Die Beigeladene legte dem Beklagten am 19.12.96 ein vom TÜV Rheinland erarbeitetes Schallminderungskonzept vor, dass eine umfassende, in fünf Stufen durchzuführende Lärmsanierung vorsieht, nach deren Beendigung die vorgegebenen Lärmwerte erreicht werden sollen. Die Lärmsanierung ist mittlerweile bis zum Abschluss der vierten Sanierungsstufe fortgeschritten. Nach Abschluss der dritten Sanierungsstufe wurde für das Wohnhaus des Klägers ein Nachtpegel von 51 dB(A) erreicht (Gutachten Ingenieurbüro E. vom 17.12.01, S. 13). Nach Durchführung wesentlicher Teile der 4. Stufe errechnet sich für das Grundstück des Klägers im März 2005 ein nächtlicher Beurteilungspegel von ebenfalls 48 dB(A) (Schallplan des TÜV Rheinland vom 18.04.05, S. 17).

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Daneben wird das Grundstück des Klägers in der lautesten Nachtstunde einer allgemeinen Verkehrslärmbelastung von 58 dB(A) ausgesetzt, von der 1 d B(A) auf den Zu- und Abfahrtsverkehr der Mitarbeiter der Beigeladenen zurückzuführen ist (Gutachten Ingenieurbüro E. vom 25.03.02, S. 8 und 9).

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Bereits unter dem 05.03.99 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten, den in allen südlich der D. gelegenen Wohngebieten einzuhaltenden Nachtpegel auf 45 dB(A) heraufzusetzen. Zur Begründung führte sie aus, bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung hätten die Voraussetzungen für die Festsetzung derart niedriger Nachtwerte nicht vorgelegen. Die mittlerweile in Kraft getretene neue TA-Lärm ordne in Gemengelagen an, Mittelwerte zu bilden. Wenn man für ihr Betriebsgelände von einem Industriegebiet ausgehe, ergebe sich der Mittelwert von 45 dB(A). Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.00 nur teilweise durch Anhebung des Nachtwertes auf 43 dB(A) für das Wohngebiet 4. Auf Widerspruch der Beigeladenen wurde der Nachtwert dann mit Bescheid vom 15.03.05 für das Gebiet 4 auf 45 dB(A) erhöht.

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Unter dem 28.04.05 beantragte die Beigeladene erneut die Heraufsetzung der nachts einzuhaltenden Lärmwerte und zwar für das Gebiet 1 auf 48 dB(A), für das Gebiet 2 auf 46 dB(A), für das Gebiet 3 auf 47 dB(A) und für das Gebiet 4 auf 46 dB(A). Ihrer Auffassung nach sei die Lärmsanierung nunmehr abgeschlossen und der erreichte Zustand entspreche dem Stand der Technik. Mit Bescheid vom 09.02.06 widerrief der Beklagte seine Lärmschutzanordnung vom 26.03.96 teilweise und setzte einen einheitlichen Nachtwert von 45 dB(A) für alle vier Gebiete fest. Dabei berücksichtigte er die vorliegende Gemengelage, die Vorbelastung durch den allgemeinen Verkehrslärm sowie den Umstand, dass erhöhte Lärmimmissionswerte nur einen eng begrenzten Personenkreis belasteten und nur die kurze Zeit des Schichtwechsels (ca. 1 Std) wegen des Werksverkehrs beträfen.

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Die Beigeladene erhob gegen die Anordnung vom 09.02.06 keinen Widerspruch.

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Der Kläger hatte bereits im November 2004 den Beklagten dazu aufgefordert, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Beigeladene die festgesetzten Lärmwerte nachts auch einhält. Die insoweit zum Az 4 A 2682/05 erhobene Untätigkeitsklage ruht im Hinblick auf die mittlerweile erfolgte Heraufsetzung der Nachtwerte.

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Gegen den Bescheid vom 09.02.06 erhob der Kläger Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.06 zurückwies.

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Am 15.08.06 hat der Kläger Klage erhoben, die er im Wesentlichen wie folgt begründet: Da es sich bei der Lärmschutzanordnung um einen ihn begünstigenden Verwaltungsakt handele, habe die Ursprungsanordnung vom 26.03.96 nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der §§ 49 Abs. 2, 51 VwVfG teilweise widerrufen werden können. Eine relevante Änderung der Sach- oder Rechtslage habe es aber offensichtlich nicht gegeben; neue Beweismittel lägen ebenfalls nicht vor. Der festgesetzte Nachtwert von 45 dB(A) sei für sein Grundstück nicht gerechtfertigt, da es in einem reinen Wohngebiet liege. Selbst wenn der Bebauungsplan Nr. 241 der Landeshauptstadt Hannover insoweit an einem Abwägungsmangel leiden sollte, könne dieser nicht mehr geltend gemacht werden. Der Beklagte habe ferner nicht berücksichtigt, dass seine Familie das Wohnhaus lange vor Ansiedlung der Beigeladenen errichtet habe. Es sei gerade nicht unverhältnismäßig, von der Beigeladenen die Einhaltung der ursprünglich festgesetzten Nachtwerte zu verlangen. Nach den vorgelegten Gutachten habe die Beigeladene selbst den Erfolg ihrer Lärmsanierungsmaßnahmen vereitelt, indem sie eine Reihe von neuen Geräuschquellen geschaffen habe, die wesentlich zur Gesamtimmissionssituation des Werkes beitrügen. Zudem könnten die Geräuschimmissionen für sein Grundstück durch abschirmende Maßnahmen an der Grundstücksgrenze des Werkes der Beigeladenen noch erheblich vermindert werden.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 09.02.06 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.06 insoweit aufzuheben, als darin die Anordnung des Beklagten vom 26.03.96 zum Teil widerrufen und der Lärmimmissionswert in der Nachtzeit 22.00 Uhr - 6.00 Uhr für das Immissionsgebiet 1 geändert und von 40 dB(A) auf 45 dB(A) heraufgesetzt wird.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und ergänzt: Es habe sich erst im Verlaufe des Lärmsanierungsverfahrens herausgestellt, dass die 1996 festgesetzten Nachtwerte nicht würden erreicht werden können. Daher seien die nach 2001 vorgelegten Gutachten als veränderte Sachlage, zumindest aber als neue Beweismittel zu bewerten. Außerdem habe der Kläger sein Wohnhaus erst in den 70er Jahren erworben, als noch wesentlich höhere Lärmbelastungen als heute nach Abschluss der Sanierung bestanden hätten.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält den Bebauungsplan Nr. 241 für nichtig. Im Planungsverfahren sei das auch schon damals bestehende Nebeneinander von Wohn- und Industrienutzung vollständig verkannt worden. Dieser offensichtliche Abwägungsfehler könne nicht geheilt werden. Die “neue“ Mittelwertbildung sei korrekt erfolgt. Durch die vorgelegten Gutachten sei nachgewiesen, dass ihr Werk nun den Stand der Lärmbekämpfungstechnik erfülle und weitere Lärmminderungsanforderungen unverhältnismäßig seien. Eine Bindung an die 1996 erfolgten Festsetzungen bestehe nicht, denn diese Entscheidung sei auf der damals bestandskräftigen Genehmigungslage ihres Werkes ergangen, das sich mittlerweile etwa um die “Neue Gießerei“ erweitert habe. Darauf habe bereits das OVG Lüneburg in seiner Entscheidung vom 21.01.04 (7 LB 54/02) hingewiesen, die zwar für das Immissionsgebiet 4 ergangen sei, deren Grundsätze aber auch auf die vorliegende Konstellation übertragen werden könnten.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Klage ist nicht begründet. Die Festsetzung der zulässigen Geräuschimmissionen in Höhe von 45 dB(A) während der Nachtzeit ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 09.02.06 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.06 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

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Die Zulassung erhöhter nächtlicher Geräuschimmissionen auf seinem Grundstück mit Bescheid vom 09.02.06 verletzt subjektive Rechte des Klägers nicht. Nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte ihre Anordnung zwar zu Unrecht auf §§ 49, 51 VwVfG gestützt. Mit der angefochtenen Verfügung wird nämlich in der Sache nicht die nachträgliche Anordnung nach § 17 BImSchG aus dem Jahre 1999 teilweise widerrufen (und zulasten des Betreibers verschärft), sondern es wird ein veränderter Betriebszustand im Werk der Beigeladenen nach Abschluss der Lärmsanierung sowie Inbetriebnahme der neuen Gießerei (Halle 3 und 34), die im März 2003 schalltechnisch abgenommen wurde, und der neuen Lackiererei (Halle 29, 23, 32 und 37), die im Herbst 2004 schalltechnisch abgenommen wurde, genehmigt, d. h. die bislang bestehende Genehmigungslage wird zugunsten der Beigeladenen ausgeweitet. Der Beklagte hätte seine Verfügung daher auf die §§ 16, 6, 5 Abs. 1 BImSchG stützen müssen. Nach diesen Vorschriften ist bei einer wesentlichen Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen u. a. sicherzustellen, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) sowie Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Allein der Umstand, dass der Beklagte wohl die falsche Handlungsform gewählt hat, führt jedoch noch nicht zum Erfolg der Klage. Insoweit kann der Kläger auch nicht mit Erfolg geltend machen, die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 49 Abs. 2, 51 VwVfG für den vom Beklagten gewählten teilweisen Widerruf der Ursprungsanordnung vom 26.03.96 lägen nicht vor. Diese "alte" Lärmschutzanordnung vermittelt dem Kläger keine formale, wehrfähige Rechtsposition. Die Kammer interpretiert die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Bes. v. 05.05.06, - 7 B 1/06 - und Bes. v.12.09.07, - 7 B 24/07 -, jeweils juris) dahingehend, dass es für den Erfolg der Nachbarklage ausschließlich darauf ankommt, ob der Nachbar durch die "neue" Grenzwertfestsetzung materiell in seinen Rechten verletzt wird oder nicht.

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Die Lärmschutzanordnung vom 09.02.06 genügt den Anforderungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Sie führt nicht dazu, dass auf dem Grundstück des Klägers während der Nachtzeit schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hervorgerufen werden. Die sich aus dieser Norm ergebenden Schutzpflichten des Anlagenbetreibers im Zusammenhang mit den streitigen Lärmbeeinträchtigungen werden durch die auf der Grundlage des § 48 BImSchG erlassene TA Lärm (vom 26.8.1998, GMBl. S. 503) konkretisiert, die als Allgemeine Verwaltungsvorschrift normkonkretisierende Wirkung entfaltet und ein einheitliches Ermittlungs- und Beurteilungssystem zur Feststellung der maßgeblichen Geräuschkenngrößen sowie bestimmte Immissionsrichtwerte als Zumutbarkeitsmaßstab festlegt (OVG Lüneburg, Urt. v. 21.01.04 - 7 LB 54/02 -, BauR 2004, 1419). Die TA Lärm ist für die Verwaltungsbehörde und auch für die Verwaltungsgerichte grundsätzlich verbindlich (BVerwG, Urt. v. 29.08.07 - 4 C 2.07 -, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 21.01.04, a. a. O.).

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Die TA Lärm sieht in Nr. 6.1 für verschiedene Baugebiete Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden vor, die Anhaltspunkte für das Maß der jeweils zumutbaren Lärmimmissionen liefern. Abweichend davon können gemäß Nr. 6.7, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage), die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete sollen dabei nicht überschritten werden. Es ist vorauszusetzen, dass der Stand der Lärmminderungstechnik eingehalten wird.

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Der Beklagte ist zutreffend von einer Gemengelage ausgegangen. Sie ergibt sich daraus, dass die Lärmemissionen des Industriebetriebs der Beigeladenen auf die Wohnbebauung südlich der D. einwirken mit der Folge, dass industrielle Nutzung einerseits und Wohnnutzung andererseits mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet sind. Ein unmittelbares Aneinandergrenzen der unterschiedlichen Gebiete ist dabei nicht erforderlich (Feldhaus/Tegeder in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, B 3.6 Nr. 6 Rdnr. 60; VGH Bad.-Württ., Bes. v. 26.02.04 - 10 S 951/03 -, UPR 2004, 280). Es ist daher unbeachtlich, dass zwischen den Gebieten die 30 m breite, vierspurig ausgebaute D. verläuft.

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Bei der Ermittlung der für die aneinandergrenzenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte ist zu berücksichtigen, dass das Werksgelände der Beigeladenen nicht in einem bauplanungsrechtlich festgesetzten Baugebiet liegt. Für den Industriebetrieb der Beigeladenen ist aber zugrunde zu legen, dass er schon wegen seiner Größe - seine zahlreichen (Teil-)Anlagen erstrecken sich über mehrere hundert Meter entlang der D. - für sich gesehen städtebauliche Relevanz hat und einem Industriegebiet im Sinne von Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. a) TA Lärm/§ 9 BauNVO zugeordnet werden kann. Für ein Industriegebiet sieht Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. a) TA Lärm einen Immissionsrichtwert von nachts 70 dB(A) vor. Von dieser Einordnung, die im Einklang mit den Festsetzungen des Flächennutzungsplanes der Landeshauptstadt Hannover steht, gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.

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Die Schutzwürdigkeit des Wohnhauses des Klägers orientiert sich an den Richtwerten für ein reines Wohngebiet (nachts 35 dB(A), vgl. Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. e) TA Lärm), denn es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 241 der Landeshauptstadt Hannover, der das betreffende Gebiet als reines Wohngebiet ausweist. Die von der Beigeladenen aufgeworfene Frage, ob dieser Bebauungsplan wegen eines offensichtlichen Abwägungsfehlers nichtig sein könnte, muss die Kammer nicht beantworten. Denn selbst wenn man die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes unterstellt, wäre die Umgebung des Wohnhauses des Klägers nach § 34 Abs. 2 BauGB als ein Gebiet einzustufen, in dem nach § 3 Abs. 2 BauNVO nur Wohngebäude allgemein zulässig sind. Die Kammer geht aufgrund ihrer Ortskenntnis sowie der vorliegenden Karten und Luftbilder davon aus, dass sich in der näheren Umgebung des klägerischen Grundstücks nahezu ausschließlich Wohngebäude und allenfalls die nach § 3 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen kleinen Läden und Betriebe finden. An der Einstufung als faktisches reines Wohngebiet ändert nichts, dass das Wohnhaus des Klägers dem Betriebsgelände der Beigeladenen lediglich durch die D. getrennt gegenüber liegt und den Lärmeinwirkungen durch den Industriebetrieb ausgesetzt ist. Denn für die Einordnung von (faktischen) Baugebieten kommt es auf die tatsächlich vorhandene Bebauung an, die den bodenrechtlichen Charakter des Baugebiets prägt. Ein Baugebiet verliert oder ändert den Charakter nach der Art seiner Bebauung nicht dadurch, dass es den Auswirkungen eines angrenzenden Baugebiets ausgesetzt ist. Die gegenteilige Sichtweise würde bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung von Gemengelagen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Denn dann würden die Immissionsbelastungen einerseits bei der Zuordnung zu einem Baugebiet gemäß Nr. 6.6 TA Lärm und dann nochmals bei der Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 und damit doppelt berücksichtigt. Das Problem, dass das Grundstück des Klägers Lärmbeeinträchtigungen durch den benachbarten Industriebetrieb zu gewärtigen hat, wird dadurch nicht ausgeblendet, es ist immissionsschutzrechtlich vielmehr auf der Ebene des Gebots der Rücksichtnahme bzw. bei der weiteren Bildung des Zwischenwerts gemäß Nr. 6.7 TA Lärm zu lösen (so OVG Lüneburg, Urt. v. 14.02.07 -12 LC 37/07 zitiert nach juris m. w. N. hinsichtlich der Rspr. des BVerwG).

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Ist als Ausgangspunkt danach von Immissionsrichtwerten für die Nachtzeit von 70 dB(A) für ein Industriegebiet und 35 dB(A) für ein reines Wohngebiet auszugehen, stellt der durch die angegriffene Lärmschutzanordnung vom 09.02.06 genehmigte Immissionsrichtwert von 45 dB(A)/nachts am Wohnhaus des Klägers einen seine Interessen berücksichtigenden, geeigneten Zwischenwert gemäß Nr. 6.7 TA Lärm dar. Dieser Wert ist vom Kläger deshalb nicht zu beanstanden. Ein Zwischenwert ist geeignet, wenn er ein zutreffender Maßstab dafür ist, dass in dem zum Wohnen dienenden Gebiet keine unzumutbaren Geräuschimmissionen und damit keine schädlichen Umwelteinwirkungen auftreten (vgl. Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht II, Stand: Oktober 2006, 3.1 Nr. 6, Rn. 26). Für die Festlegung der Höhe des Zwischenwertes kommt es maßgeblich auf die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes an; insofern stellt die TA Lärm lediglich beispielhaft Kriterien auf, ohne feste Vorgaben zu machen. Nach Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 1 und 2 TA Lärm sind wesentliche Kriterien die Prägung des Einwirkungsgebietes durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriebetriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde. Daneben können weitere Gesichtspunkte, wie die Schutzbedürftigkeit der Wohnnutzung und der Abstand zwischen den unverträglichen Nutzungen von Einfluss auf die Höhe des geeigneten Zwischenwertes sein.

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Im vorliegenden Fall wird das Einwirkungsgebiet in besonderem Maße durch die Ausdehnung und Intensität der industriellen Nutzung der nördlich der D. gelegenen Flächen geprägt. Entscheidend ist hier in erster Linie das Automobilwerk der Beigeladenen mit seiner enormen Ausdehnung; dazu kommt weiter westlich gelegen noch ein Heizkraftwerk, die Flächen der Continental AG und jenseits der Bundesstraße 6 das Varta-Gelände. Dieser Industriekomplex drückt dem gesamten Stadtteil C. seinen Stempel auf. Dennoch entspricht der vom Beklagten festgesetzte Zwischenwert noch dem für Kern-, Dorf- und Mischgebiete gemäß Nr. 6.1.Satz 1 Buchst. c) TA Lärm geltenden Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts und gewährleistet am Wohnhaus des Klägers gesunde Wohnverhältnisse auch noch ohne besonderen passiven Lärmschutz (vgl. Hansmann, a.a.O., Nr. 6 Rdnr. 4, 28). Hinzu kommt, dass die Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung des Klägers nach den in Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm genannten Kriterien erheblich herabgesetzt ist und dem Kläger trotz der Zuordnung seines Grundstücks zu einem reinen Wohngebiet eine gesteigerte Pflicht zur Rücksichtnahme abverlangt werden kann. Denn das Grundstück des Klägers liegt am äußersten nördlichen Rand des Wohngebiets. Zwischen seinem Wohnhaus und dem Betriebsgelände der Beigeladenen verläuft lediglich die vierspurige D.. Damit ist das betroffene Wohngrundstück im Vergleich zu den übrigen des Wohngebiets in besonderem Maße den Emissionen des benachbarten Industriebetriebs ausgesetzt und wird durch diesen immissionsschutzrechtlich geprägt.

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Der Kläger kann sich zwar zu seinen Gunsten auf das in Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm angeführte Kriterium der zeitlichen Priorität berufen. Denn das Betriebsgelände der Beigeladenen wird erst seit 1955 industriell zur Kraftfahrzeugproduktion genutzt, die stetig ausgeweitet wurde. Das Wohnhaus des Klägers wurde dagegen bereits im Jahre 1938 vom Schwiegervater des Klägers errichtet und befindet sich seitdem im Eigentum der Familie. Damit war zumindest die Wohnnutzung zeitlich früher vorhanden, ohne dass die Kammer entscheidend darauf abstellen will, dass der Kläger selbst das Wohnhaus erst seit Ende der 70er Jahre bewohnt. Nach Auffassung der Kammer verliert das Kriterium der zeitlichen Priorität jedoch durch den über Jahrzehnte andauernden Zeitraum an Gewicht, in dem das Nebeneinander von Wohnnutzung und industrieller Produktion beanstandungsfrei funktionierte, und der es der Beigeladenen letztlich mit ermöglichte, ihr Werk bis auf die heutige Größe und Kapazität auszuweiten. Lärmkonflikte mit der angrenzenden Wohnbevölkerung waren während dieses Zeitraums über lange Zeit kein Thema. So setzt sich beispielsweise der 1966 - und damit 11 Jahre nach Ansiedlung des Industriebetriebes der Beigeladenen - aufgestellte Bebauungsplan Nr. 241 der Landeshauptstadt Hannover in keiner Zeile seiner Begründung mit der nach heutigen planungsrechtlichen Maßgaben kaum zu bewältigenden Konfliktsituation des direkten Nebeneinanders von Industrie und reiner Wohnnutzung auseinander. Erst mit gesteigertem Umweltbewusstsein zu Beginn der 90er Jahre trat diese Problematik in den Vordergrund. Zu diesem Zeitpunkt produzierte das Werk der Beigeladenen aber schon seit 35 Jahren. Nach diesem langen Zeitraum des "friedlichen" Nebeneinanders kann es also nicht mehr allein ausschlaggebend darauf ankommen, dass die Wohnnutzung noch weitere 17 Jahre zurückreicht als die industrielle Nutzung. Denn mit dem Standardfall, der dem Gesichtspunkt der zeitlichen Priorität zugrunde liegt - die eine Nutzung wird erst in Kenntnis der anderen längst bestehenden unverträglichen Nutzung aufgenommen -, ist die vorliegende Situation nicht vergleichbar.

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Zugunsten der Beigeladenen ist weiter zu berücksichtigen, dass sie seit 1999 erhebliche Lärmminderungsmaßnahmen durchgeführt hat, um dadurch dem Stand der Lärmminderungstechnik zu entsprechen (vgl. dazu Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 3 TA Lärm). Durch die in vier Stufen durchgeführte und jeweils mit umfangreichem Gutachtenmaterial dokumentierte Lärmsanierung konnten auch die das Grundstück des Klägers belastenden Lärmimmissionen vermindert werden. Dabei gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass das Grundstück des Klägers im wesentlichen durch die Geräusche der sich auf den Werkshallen befindlichen Lüftungsanlagen und den Lärm auf dem sich direkt entlang der D. erstreckenden Mitarbeiterparkplatz beeinträchtigt wird. Nach Durchführung der 3. Sanierungsstufe 2001 wirkten diese Geräusche nachts noch mit einem Pegel von 51 dB(A) auf das Grundstück des Klägers ein, wobei 48 dB(A) auf die stationären Geräuschquellen und 48 dB(A) auf die Parkplatzgeräusche entfielen (Gutachten Ingenieurbüro E. vom 17.12.01, S. 13 und 16). Diese Geräuschbelastung konnte in der 4. Sanierungsstufe gesenkt werden. Derzeit wirken die Geräusche der technische Anlagen auf den Dächern der Werkshallen nachts mit maximal 39,9 dB(A) auf das Grundstück des Klägers ein (im Einzelnen: Werkbereich 5 (Fahrzeugmontage): 39,9 dB(A), Werkbereich 2 (Karosseriebau): 39,7 dB(A), Werkbereich 4 (Verwaltung): 37,3 dB(A) und Werkbereich 9 (neue Lackiererei): 36,4 dB(A)). Dazu kommen die nächtlichen Geräusche des Mitarbeiterparkplatzes von 45,3 dB(A), so dass sich eine Gesamtbelastung in der Nacht von 48 dB(A) ergibt (zu den Werten vgl. Schallplan TÜV Rheinland vom 18.04.05, Anhang Immission und S. 17).

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Die von der Beigeladenen in den vier Sanierungsstufen durchgeführten Lärmminderungsmaßnahmen entsprechen dem Stand der Lärmminderungstechnik; weitere Maßnahmen sind nicht zu fordern. Nach § 3 Abs. 6 BImSchG sind nach dem Stand der Technik all die Maßnahmen zu fordern, die praktisch geeignet sind, zur Lärmminderung beizutragen. Als verhältnismäßig sieht die Kammer dabei nur die Lärmminderungsmaßnahmen an, die zu einer relevanten Verbesserung der Immissionssituation führen (vgl. Feldhaus /Tegeder, a. a. O., B3.6 Nr. 6 Rdnr. 65). Die Kammer legt ihrer Beurteilung in erster Linie das Gutachten des TÜV Rheinland zum Stand der Technik vom 18.04.05 zugrunde. Der Gutachter stellt auf den S. 17 und 18 dar, dass zwar auch nach Durchführung der 4. Sanierungsstufe noch weitere Geräuschminderungsmaßnahmen für die Lüftungsanlagen auf dem Dach der Halle 3 und der Kantine technisch realisierbar sind. Diese Maßnahmen würden aber nur zu einer Lärmminderung um maximal 1 dB(A) - für das Grundstück des Klägers sogar nur zu einer Minderung um 0, 1 dB(A) - führen und sind damit als nicht relevant einzustufen. Dieses Gutachten des TÜV Rheinland zum Stand der Technik hat der Kläger nicht substantiiert angegriffen. Entgegen der Auffassung des Klägers stehen die Aussagen dieses Gutachtens auch nicht im Widerspruch zu den Aussagen des Ingenieurbüros E. vom 17.12.01. Der Gutachter E. führt auf S. 21 aus, dass auch nach Durchführung der 4. Sanierungsstufe die Immissionsrichtwerte ohne Minderungen im Bereich des Freiflächenverkehrs nicht werden eingehalten werden können. Über die 4. Sanierungsstufe hinausgehende Geräuschminderungsmaßnahmen seien an stationären Geräuschquellen nur sinnvoll, wenn auch die Parkplatzgeräusche vermindert werden können. Gerade diesen Gedankengang greifen die nach Durchführung der 4. Sanierungsstufe erstellten Gutachten des TÜV Rheinland vom 18.04.05 und 07.03.08 auf, sie sind entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht unvollständig. Beide Gutachten legen zur Überzeugung der Kammer dar, dass sich der Lärm der stationären Geräuschquellen auf den Dächern der Werkshallen zugunsten des Klägers nicht mehr relevant vermindern lässt (siehe oben) und sich die im Gutachten E. zur Eindämmung der Parkplatzgeräusche vorgeschlagene Schallschutzmauer entlang der Werksgrenze zur D. nicht positiv auf das Grundstück des Klägers auswirken würde. Zwar können Lärmschutzwälle auf dem Gelände des Emittenten grundsätzlich nach dem Stand der Technik gefordert werden (vgl. Landmann-Rohmer, TA Lärm Nr. 2 RN 40). Nach der Gutachtenergänzung des TÜV Rheinland vom 07.03.08 würde eine derartige Wand gemeinsam mit einer Verlagerung des nachts weniger lärmintensiven Besucherparkplatzes in die Nähe des klägerischen Grundstücks die vom Mitarbeiterparkplatz ausgehende Lärmimmissionen für das Grundstück des Klägers aber lediglich um 0,9 dB(A) reduzieren; eine Reduzierung, die nicht hörbar und damit irrelevant wäre (S. 6). Eine Schallschutzwand kann daher nach § 3 Abs. 6 BImSchG nicht gefordert werden; eine Geräuschminderung kann auch durch Umstrukturierung des Parkverkehrs nicht erreicht werden. Weitere Lärmminderungsmöglichkeiten bei Beibehaltung der Nachtschicht hat der Kläger nicht vorgeschlagen, sie sind der Kammer auch nicht ersichtlich.

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Insgesamt hält die Kammer das nach Durchführung der 4. Sanierungsstufe noch bestehende Lärmminderungspotential für das Werk der Beigeladenen mit den Gutachten des TÜV Rheinland vom 18.04.05 und 07.03.08 für umfassend beurteilt. Für die vom Kläger beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bestand daher keine Veranlassung; der darauf gerichtete Beweisantrag war abzulehnen.

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Der Einwand des Klägers, der Beklagte habe bei der lärmtechnischen Bewertung die von der unter der D. hindurchführenden Trogstrecke ausgehenden Verkehrsgeräusche nicht berücksichtigt, betrifft nicht die angefochtene Mittelwertfestsetzung durch den Beklagten. Nach Nr. 7.4 Abs. 1 TA Lärm sind nur die Verkehrsgeräusche auf dem Betriebsgrundstück sowie der Ein- und Ausfahrt zusammen mit den übrigen Anlagengeräuschen zu erfassen und zu beurteilen. Etwas anderes gilt für die dem Betrieb nach Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm zuzurechnenden Verkehrsgeräuschen auf öffentlichen Straßen. Diese müssen vom Anlagenbetreiber nur vermindert werden, wenn sie den allgemeinen Verkehrslärmpegel um mehr als 3 dB(A) erhöhen. Nach dem Gutachten des Ingenieurbüros E. vom 25.03.02, das die gesamte Trogstrecke bis zur Abzweigung auf die Parkflächen der Beigeladenen zum öffentlichen Straßenraum zählt, erhöht der hier stattfindende Verkehr die allgemeine Verkehrslärmbelastung aber nur um 1 dB(A), wobei diese Annahme noch hoch gegriffen ist, weil das Gutachten bei der Berechnung von einem ebenerdigen Gelände ausgeht und die abschirmende Wirkung des Trogbauweise nicht berücksichtigt (S. 10). Zwar geht die Kammer aufgrund der von der Landeshauptstadt Hannover im Verfahren vorgelegten straßenrechtlichen Unterlagen davon aus, dass die Trogstrecke lediglich bis zur D. dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist und das nördlich der D. verlaufende Teilstück im Eigentum der Beigeladenen steht und dem Betriebsgrundstück zuzuschlagen ist. Damit wäre ein Teil des auf der Trogstrecke erzeugten Lärms noch dem Mitarbeiterparkplatz der Beigeladenen zuzurechnen, was zu einer Erhöhung des Gesamtimmissionspegels für das Werk der Beigeladenen führen dürfte. Für die im vorliegenden Verfahren allein streitige Mittelwertbildung ist dies jedoch nicht relevant, weil der Parkplatzlärm wie oben ausgeführt nach dem derzeitigen Stand der Technik nicht weiter vermindert werden kann.

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Der weitere Einwand des Klägers, der Schallplan des TÜV Rheinland vom 18.04.05 setze sich nicht damit auseinander, dass ein Messabschlag von 3 dB(A) nicht mehr vorgenommen werden dürfe, betrifft ebenfalls nicht die hier streitige Mittelwertbildung. Nach dem Schallplan des TÜV Rheinland vom 18.04.05 ist das Grundstück des Klägers nachts Lärmimmissionen von 48 dB(A) ausgesetzt; ein Wert, der nach dem Stand der Technik nicht weiter vermindert werden kann und bei korrekter Betrachtung der auf dem nördlichen Teil der Trogstrecke verursachten Lärm eher erhöht werden muss. Der vom Beklagten festgesetzte Mittelwert von 45 dB(A) wird damit jedenfalls mindestens um 3 dB(A) überschritten. Einen Messabschlag in Höhe von eben diesen 3 dB(A) wird die Beigeladene nach Auffassung der Kammer nicht zu ihren Gunsten in Ansatz bringen können. Bei dem Messabschlag gemäß Nr. 6.9 TA Lärm handelt es sich um einen einseitigen, den Geräuschverursacher begünstigenden Abschlag, der nur bei Überwachungsmessungen zugunsten des Betreibers anzuwenden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.08.07, - 4 C 2.07 -, juris). Eine Überwachungsmessung dürfte für das Grundstück des Klägers jedoch nicht in Betracht kommen, weil dort nachts ein allgemeiner Verkehrslärm herrscht, der die Lärmimmissionen der Beigeladenen um 58 dB(A) übersteigt (Gutachten Ingenieurbüro E. vom 25.03.02, S. 8 und 9) und die auf das Werk der Beigeladenen zurückzuführende Immissionsbelastung daher nur gerechnet werden kann. Die vom Kläger aufgeworfene Problematik des Messabschlags sie wird erst dann relevant, wenn die Einhaltung des festgesetzten Mittelwertes gefordert wird. Sie kann im hier zu entscheidenden Verfahren um die Mittelwertbildung auf sich beruhen; nach Auffassung der Kammer wird der Kläger jedenfalls durch eine Richtwertfestsetzung, die die tatsächliche Immissionsbelastung um 3 dB(A) oder sogar mehr unterschreitet, nicht in seinen Rechten verletzt.

38

Der Kläger kann auch aus sonstigen Gründen die Einhaltung eines Immissionsrichtwertes von 40 dB(A) nicht beanspruchen. Der Zwischenwertbildung steht nicht entgegen, dass der für ein reines Wohngebiet geltende Immissionsrichtwert von 35 dB(A) nachts um mehr als 5 dB(A) erhöht und insoweit eine Gebietskategorie (gemäß Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. d) TA Lärm) übersprungen wird. Die TA Lärm liefert für eine dem entgegen stehende Beschränkung keine Grundlage. Aus den Regelungen zur Gemengelage in Nr. 6.7 TA Lärm geht vielmehr hervor, dass der Zwischenwert maßgeblich anhand der konkreten Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebiets zu bestimmen ist. Dies schließt es nicht aus, in Fällen besonders ausgeprägter Nutzungskonflikte - wie hier - den Immissionsrichtwert für ein betroffenes Wohngebiet auch um deutlich mehr als 5 dB(A) heraufzusetzen (so OVG Lüneburg, Urt. v. 14.02.07, a.a.O. m. w. N.; BVerwG, Bes. v. 12.09.07, a. a. O.). Ob und unter welchen Bedingungen auch die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete überschritten werden dürfen - dies ist nach Soll-Bestimmung in Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 2 TA Lärm nur im Regelfall ausgeschlossen -, muss die Kammer nicht entscheiden, denn der Beklagte hat den Mischgebietswert von 45 dB(A) als Immissionsrichtwert gewählt.

39

Ein etwa bestehendes Vertrauen des Klägers darauf, dass die 1996 festgesetzten Lärmobergrenzen in alle Zukunft beibehalten werden, ist ebenfalls nicht schutzwürdig. Dieses Vertrauen wird zum Einem dadurch entwertet, dass die tatsächliche faktische Belastung bereits 1996 mit 46 dB(A) weit über dem festgesetzten Immissionsrichtwert lag (Lärmmessungen des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie aus 1992). Entscheidend aber ist, dass sich der damaligen Grenzwertfestsetzung keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der einmal genehmigte Umfang der emittierenden Tätigkeiten auf dem Werksgelände der Beigeladenen stets unverändert bleiben soll (so OVG Lüneburg, Urt. v. 21.01.04 - 7 LB 54/02 -).

40

Unter Berücksichtigung der deutlich herabgesetzten Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung des Klägers und der von der Beigeladenen durchgeführten Lärmminderungsmaßnahmen hat der Beklagte nach allem einen geeigneten und dem Kläger zumutbaren Zwischenwert von 45 dB(A) für die Nachtzeit festgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Bes. v. 29.10.02 - 4 B 60/02 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 165) kommt schon im Falle eines Nebeneinanders von Wohnen und gewerblicher Betätigung dem Schutz der Wohnnutzung situationsbedingt ein geringerer Stellenwert zu als in einem gegen gewerbliche Nutzungen gänzlich oder weitgehend abgeschirmten Gebiet. Dies schlägt sich darin nieder, dass Beeinträchtigungen in einem weitergehenden Maße zumutbar sind als in einer Umgebung, die in dieser Richtung nicht oder weniger vorbelastet ist. Die äußerste Grenze für die Herabsetzung des Lärmschutzniveaus ist bei der Schwelle der Gesundheitsgefährdung zu ziehen. Im vorliegenden Fall ist die Unverträglichkeit der Grundstücksnutzungen noch ausgeprägter, weil die Wohnnutzung des Klägers durch eine industrielle Nutzung beeinträchtigt wird. Der festgesetzte Immissionsrichtwert von 45 dB(A) liegt indes deutlich unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsgefährdung. Er gewährleistet - wie bereits erwähnt - am Immissionsort noch gesunde Wohnverhältnisse.

41

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

42

Gründe nach § 124a VwGO die Berufung zuzulassen liegen nicht vor. Die Fragen zur Reichweite des Nachbarschutzes und zur korrekten Mittelwertbildung in Gemengelagen nach TA Lärm sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des OVG Lüneburg geklärt; die Kammer folgt insoweit dem Urteil des OVG Lüneburg vom 14.02.07 -12 LC 37/07 -. Zwar mag die Rechtssache als tatsächlich oder rechtlich schwierig eingestuft werden können, dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Berufung durch die Kammer.

 


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