Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (6. Kammer) - 6 A 4432/08

Tatbestand

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Der Kläger wohnt im Schulbezirk der Beklagten, einer vierzügigen Integrierten Gesamtschule (IGS) in Hannover, und hatte im vergangenen Schuljahr 2007/2008 den vierten Jahrgang einer Grundschule in Hannover besucht. Die Grundschule hatte dem Kläger empfohlen, seine Schullaufbahn im Sekundarbereich I an einer Realschule fortzusetzen.

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Nachdem die Eltern des Klägers ihren Sohn am 19. Juni 2008 zur Aufnahme in den 5. Schuljahrgang der Beklagten angemeldet hatten, führte die Beklagte zur Auswahl der aufzunehmenden Schülerinnen und Schülern ein differenziertes Losverfahren auf der Grundlage der Schullaufbahnempfehlungen durch. Als Ergebnis des Auswahlverfahrens nahm sie 119 Schülerinnen und Schüler in den 5. Jahrgang des Schuljahres 2008/2009 auf. Einen Schülerplatz in der Klasse 5a besetzte die Beklagte mit einem nicht in die 6. Klasse versetzten Schüler.

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Mit Bescheid vom 24. Juni 2008 gab die Beklagte den Eltern des Klägers bekannt, dass ihr Sohn als Ergebnis der Auslosung der im Schulbezirk zur Verfügung stehenden Plätze nicht in die Gesamtschule aufgenommen werde, aber auf Platz 2 der Warteliste stehe. Der Kläger erhob mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 7. Juli 2008 Widerspruch, den die Landesschulbehörde mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 als unbegründet zurückwies.

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Der Kläger, der seit Beginn des laufenden Schuljahres die IGS Z. in Hannover besucht, hat am 18. September 2008 Klage erhoben, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihn in den 5. Jahrgang der Gesamtschule aufzunehmen.

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Der Kläger vertritt die Auffassung, das von der Beklagten gewählte Auswahlverfahren sei rechtswidrig, weil die Beklagte keinen Gesamtkonferenzbeschluss hinsichtlich der Organisation des Auswahlverfahrens und der Festlegung bestimmter Auswahlkriterien gefasst habe. Außerdem fehle es an der Transparenz des differenzierten Losverfahrens. Selbst der Widerspruchsbescheid der Landesschulbehörde enthalte keine Angaben zur anteiligen Größe der gebildeten Leistungsgruppen. Schließlich sei auch zu vermuten, dass die Beklagte anhand der Antworten zu den Möglichkeiten einer Unterstützung der Schule auf einem bei der Anmeldung ausgegebenen Fragebogen eine Vorauswahl getroffen habe. Entsprechendes gelte für die bei der Anmeldung ausgegebene Erklärung zum Eintritt in den Förderverein. Auch werde in dem Widerspruchsbescheid nicht widerlegt, dass die arabische Abstammung von Kindern ein negatives Differenzierungsmerkmal gewesen sei.

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Der Kläger bestreitet, dass die Beklagte die freien Plätze nur an Geschwisterkinder und an Schülerinnen und Schüler mit Wohnsitz im Schulbezirk vergeben habe. Vielmehr seinen insgesamt sieben Kinder, die nicht im Einzugsgebiet der Beklagten wohnten, dennoch dort aufgenommen worden. Hierzu nennt der Kläger die Namen von vier aufgenommenen Schulkindern, von denen er behauptet, dass deren Eltern nicht im Schulbezirk der Beklagten wohnten. Der Kläger vertritt die Rechtauffassung, dass die Rechtspositionen dieser Kinder nicht schützenswert seien, selbst wenn die absolute Zahl der aufgenommenen Kinder nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/08 - zur Erschöpfung der Aufnahmekapazität der Gesamtschule führe.

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Der Kläger macht ferner geltend, dass die Beklagte vor dem 1. August 2008 unter Vergrößerung der Klassen noch weitere vier Kinder aufgenommen, ihn dabei aber trotz seines günstigen Rangplatzes auf der Warteliste nicht berücksichtigt habe. Aus diesem Grund könne sich die Beklagte auch nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht auf die Ausschöpfung der Schülerhöchstzahl des Klassenbildungserlasses berufen.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24. Juni 2008 und des Widerspruchsbescheides der Landesschulbehörde vom 12. August 2008 zu verpflichten, ihn in den 5. Jahrgang des Schuljahres 2008/2009 aufzunehmen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass ihr angesichts der Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/08 - keine gesteigerte Darlegungspflicht hinsichtlich der Erschöpfung ihrer Aufnahmekapazität obliege. Ihre Aufnahmekapazität sei danach erschöpft, weil sie den im Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums "Klassenbildung und Lehrerstunden an den allgemein bildenden Schulen" vom 9. Februar 2004 festgelegten Klassenfrequenzhöchstwert von 30 Schülern pro Klasse ausgeschöpft habe. Aktuell seien die Klassen des 5. Jahrgangs zweimal mit jeweils 30 und 31 Schülerinnen und Schüler belegt. Dies beruhe darauf, dass von den beiden in Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz erfolgreichen Schulkindern nur eines seinen Platz in Anspruch genommen habe, ein weiteres Kind abgemeldet worden sei und sie, die Beklagte, zwei weitere Kinder aufgrund stattgebender Entscheidungen der Widerspruchsbehörde aufgenommen habe.

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Des Weiteren gehe sie auch nicht davon aus, dass sich allein aus eventuellen Fehlern im Auswahlverfahren ein Aufnahmeanspruch für den Kläger ergebe, denn das Oberverwaltungsgericht habe in dem genannten Beschluss zwar das Auswahlverfahren der betreffenden Schule als fehlerhaft bezeichnet, aber dennoch das Vorliegen von Verfahrensfehlern als nicht mehr entscheidungserheblich angesehen, weil bei einer Kapazitätserschöpfung kein Anspruch auf Aufnahme mehr bestehe.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.

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Die Beklagte kann gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht verpflichtet werden, den Kläger im Schuljahr 2008/2009 in den 5. Schuljahrgang der Gesamtschule aufzunehmen. Der die Aufnahme ablehnende Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Landesschulbehörde vom 12. August 2008 verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.

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Die Frage, ob ein Anspruch auf Aufnahme in eine öffentliche Schule gegeben ist, ist auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beantworten. Gleiches gilt für die Frage, ob eine mit Rechtsfehlern behaftete Entscheidung der Schule über die Ablehnung eines Aufnahmeantrags eigene Rechte der betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Erziehungsberechtigten verletzt. Dies entspricht dem allgemeinen prozessualen Grundsatz, dass sich die rechtliche Beurteilung von Verpflichtungsbegehren in der Regel nach dem aktuellen materiellen Recht richtet (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. vom 29.8.1995 - 9 C 391/94 -, NVwZ-RR 1996 S. 232 f., m.w.N.).

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Bezogen auf den vorliegenden Fall enthält das materielle Recht keine Einschränkungen, die darauf schließen ließen, dass sich die Möglichkeit der Aufnahme eines Schulkindes in eine Gesamtschule stets nur auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt, etwa zu Beginn eines Schuljahres oder Schulhalbjahres, und zwar weder in Bezug auf das in § 54 Abs. 1 und 7 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) beschriebene Recht auf Bildung noch auf das in § 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verankerte Erziehungsrecht der Eltern (vgl. § 54 Abs. 6 NSchG). Das gilt auch für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern in die nach § 59 a Abs. 1 NSchG aufnahmebeschränkten Gesamt- und Ganztagsschulen

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Dieses vorausgesetzt steht dem Kläger aber ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Beklagte, welcher der Ablehnung des Aufnahmeantrags in den angefochtenen Bescheiden entgegenstehen könnte, nicht zu.

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Wie das Verwaltungsgericht in dem Beschluss des Einzelrichters vom 25. September 2008 - 6 B 4096/08 - ausgeführt hat, ließe sich ein materiell-rechtlicher Aufnahmeanspruch nur aus dem in Art. 4 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung (NV) gewährleisteten und in § 54 Abs. 1 und 7 NSchG hervorgehobenen Recht auf Bildung herleiten. Dieses Recht korrespondiert mit dem Erziehungsgrundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, welches die grundsätzlich freie Wahl zwischen den verschiedenen vom Staat in der Schule zur Verfügung gestellten Bildungswegen (BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. - BVerfGE 34, 165) umfasst und auf einfachgesetzlicher Ebene in § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG näher ausgestaltet worden ist. Danach wird den Erziehungsberechtigten das Recht eingeräumt, für ihr Kind im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges zwischen den zur Verfügung stehenden Schulformen und Bildungsgängen frei zu wählen. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass das Recht auf Bildung danach grundsätzlich keinen Anspruch auf Besuch einer bestimmten öffentlichen Schule vermittelt. Zu einem Rechtsanspruch auf Besuch einer bestimmten Schule verdichtet sich das Recht auf Bildung nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Beschluss der Kammer vom 8.8.2003 - 6 B 3150/03 -; juris, http://www.dbovg.niedersachsen.de):

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Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass innerhalb der von den Erziehungsberechtigten gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG ausgeübten Wahl der Schulform und des Bildungsgangs nur diese Schule besucht werden kann, weil entweder eine andere Schule derselben Schulform mit demselben Bildungsgang im Gebiet des Schulträgers nicht zur Verfügung steht oder der Schulbesuch gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG an den Schulbezirk dieser Schule gebunden ist. Die weiteren Voraussetzungen sind, dass die gewählte Schule über eine tatsächlich ausreichende Ausbildungskapazität verfügt und Regelungen des Bildungsweges der Aufnahme im Einzelfall nicht entgegenstehen.

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Die zuerst genannte Voraussetzung, dass der Kläger seinen Bildungsweg in der gewählten Schulform Integrierte Gesamtschule im Gebiet der Landeshauptstadt Hannover tatsächlich oder rechtlich nur bei der Beklagten fortsetzen könnte, ist nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger seinen Wohnsitz im Schulbezirk der Beklagten (§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Anlage 1 der Satzung der Landeshauptstadt Hannover vom 26. Februar 2004; ABl. RBHann. 2004 S. 276 ff.). Er ist aber in die IGS Z. aufgenommen worden, deren Schulbezirk sich auf das übrige Stadtgebiet erstreckt (§ 6 Abs. 4 der Satzung). Die Entscheidung der IGS Z., den Kläger als Schüler ihres 5. Jahrgangs in die Gesamtschule aufzunehmen, stellt sich in rechtlicher Hinsicht als Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) dar, der das Schulverhältnis des Klägers wirksam regelt und Rechtsgrundlage für den Besuch dieser Gesamtschule ist. Damit hat der Kläger nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit, eine Schule dieser Schulform und desselben Bildungsgangs im Gebiet der Schulträgerin zu besuchen, womit sein Recht auf Bildung erfüllt wird.

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Unbegründet ist die Klage auch, soweit der Kläger eine Verletzung seines Rechts auf eine fehlerfreie Entscheidung über den von seinen Eltern gestellten Antrag auf Aufnahme in die Gesamtschule geltend macht und aus diesem Grund die Aufhebung des angefochtenen Bescheid vom 24. Juni 2008 sowie eine Neubescheidung seines Aufnahmeantrags begehrt. Auch insoweit ist der Kläger nicht in seinem Recht verletzt, nachdem die Aufnahmekapazität der Beklagten ausgeschöpft worden ist und der Kläger schon aus diesem Grund nicht (mehr) in die Gesamtschule aufgenommen werden kann.

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Zwar geht die Kammer weiterhin davon aus, dass im vorliegenden Fall begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten auf § 59 a Abs. 1 NSchG gestützten und zu Ungunsten des Klägers getroffenen Vergabeentscheidung bestehen. Diese stützen sich auf die Gründe des Beschlusses der Kammer vom 6. August 2008 - 6 B 3368/08 - (juris, http://www.dbovg.niedersachsen.de). Darin hat die Kammer unter anderem darauf hingewiesen, dass die Beklagte die von ihr beschlossenen Modifikationen des Losverfahrens nach § 59 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 NSchG nicht plausibel gemacht hat. So ist nicht erkennbar, ob die Beklagte entweder vorrangig Geschwisterkinder oder aber Schülerinnen und Schüler, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Schulbezirk der Schule haben, aufnehmen wollte und welche der beiden Bewerbergruppen an erster und welche an zweiter Stelle aufgenommen bzw. ausgelost wurden. Ferner hat die Kammer in dem Beschluss ausgeführt, dass nach der Niederschrift der Aufnahmeausschusssitzung vom 23. Juni 2008 sowohl Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk als auch Geschwisterkinder mit Wohnsitz außerhalb des Schulbezirks in der ersten Auswahlstufe zusammengeführt und aus einem Lostopf als vorrangige Bewerberinnen und Bewerber gemeinschaftlich ausgelost worden sind, was einer plausiblen Anwendung der Vorrangregelungen des § 59 a Abs. 1 Satz 2 NSchG entgegensteht. Eine Stellungnahme der Beklagten dazu ist im Verlauf des Klageverfahrens nicht erfolgt.

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Allerdings kann ein diesbezüglicher Rechtsfehler nicht mehr das Recht des Klägers auf eine fehlerfreie Vergabeentscheidung verletzen, nachdem die Beklagte insgesamt mehr als 120 Schülerinnen und Schülern in den bei ihr für dieses Schuljahr gebildeten 5. Jahrgang aufgenommen hat. Das mit der Regelung von Aufnahmebeschränkungen in § 59 a Abs. 1 Satz 1 NSchG von dem Gesetzgeber vorausgesetzte und maßgebend von dem Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG geprägte Recht auf eine rechtmäßige Vergabeentscheidung ist von vornherein auf die Teilhabe an der Verteilung freier Schülerplätze, also im Rahmen einer tatsächlich (noch) vorhandenen Aufnahmekapazität der Gesamt- oder Ganztagsschule, beschränkt. Dies steht im Einklang mit der Rechtsauffassung, dass der Anspruch von Schülerinnen und Schülern auf Zugang zu dem öffentlichen Schulwesen in Niedersachsen seine Grenze naturgemäß in der Kapazität der jeweiligen Schule findet (Nds. OVG, Beschluss vom 8.10.2003 - 13 ME 342/03 -, juris, http://www.dbovg.niedersachsen.de), was der Kläger in der Klagebegründung mit dem Argument, dass nicht vergeben werden kann, was nicht vorhanden ist, einräumt.

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Daraus folgt, dass etwaige Rechtsfehler im Auswahlverfahren die als Ergebnis des Losverfahrens nach § 59 a Abs. 1 Satz 2 NSchG unberücksichtigt gebliebenen Schülerinnen und Schüler nicht mehr in ihren Teilhaberechten verletzen können, sobald die aufnahmebeschränkte Schule alle verfügbaren Schülerplätze vergeben und damit ihre Aufnahmekapazität ausgeschöpft hat. In diesem Fall steht die Tatbestandswirkung der Bescheide der Schule, mit denen den ausgelosten oder vorrangig aufgenommenen Schülerinnen und Schüler die Vergabe eines Schülerplatzes bekannt gegeben wird, der Fortsetzung oder Wiederholung eines rechtswidrigen Losverfahrens entgegen. Spätestens nach ihrer erfolgten Aufnahme genießen diese Schülerinnen und Schüler eine Rechtsposition, in der sie auf den Fortbestand des Schulverhältnisses vertrauen können (Nds. OVG, Beschluss vom 18.12.2008 - 2 ME 569/08 -, juris, http://www.dbovg.niedersachsen.de), denn das NSchG sieht eine Schulentlassung oder den erzwungenen Wechsel von einer einmal besuchten öffentlichen Schule auf eine andere nur vor, wenn in der Person der Schülerin oder des Schülers liegende Gründe eine entsprechende Regelung des Bildungsweges erforderlich machen (vgl. §§ 59 Abs. 4 Sätze 3 bis 6, 61 Abs. 3 Nr. 2, 61 a, 64 Abs. 2, 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG). Im Übrigen ist das durch Aufnahme Schulpflichtiger in eine öffentliche Schule begründete Schulverhältnis auf Dauer angelegt. Der Auffassung, dass die Rechtspositionen von Schülerinnen und Schülern mit Wohnsitz außerhalb des Schulbezirks weniger schützenswert wären als die des Klägers, folgt die Kammer nicht. Fehler des Losverfahrens, die - wie im vorliegenden Fall durch nicht einheitlich bestimmte und eingehaltene Vorrangkriterien bedingt - allein von der aufnahmebeschränkten Gesamtschule verursacht werden, lassen sich nicht den nach Ansicht des Klägers zu Unrecht aufgenommenen Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten anlasten.

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Lassen sich aber Rechtsfehler des Vergabeverfahrens nach § 59 a Abs. 1 NSchG nicht mehr durch eine gerichtliche Entscheidung korrigieren, wenn alle verfügbaren Schülerplätze vergeben sind (Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.12.2008, a.a.O.), können die rechtswidrig abgelehnten Schülerinnen und Schüler ihre Ansprüche auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über ihre Aufnahme noch vor Abschluss des Vergabeverfahrens nur mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der auf die Verpflichtung der Schule zum vorläufigen Freihalten eines noch nicht vergebenen Schülerplatzes gerichtet ist, wahren.

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Um zu verhindern, dass den im Losverfahren nach § 59 a Abs. 1 NSchG unberücksichtigt gebliebenen Bewerberinnen und Bewerbern mit der Vergabe der verfügbaren Schülerplätze ein endgültiger Rechtsverlust droht (s.o.), muss ihnen die betreffende Schule, die als Teil der öffentlichen Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, es ermöglichen, bei dem Verwaltungsgericht effektiv gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, also den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung zu beantragen und die gerichtliche Sachentscheidung abwarten. Denn Art. 19 Abs. 4 GG richtet sich mit der Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht nur an die Gerichte selbst. Vielmehr ist es auch eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, Art. 19 Abs. 4 GG Geltung zu verschaffen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür Sorge zu tragen, dass jeder Bürger den endgültigen Verlust subjektiver Rechte durch Inanspruchnahme eines Gerichts verhindern kann. Demzufolge darf die öffentliche Verwaltung das einem gerichtlichen Verfahren vorangehende Verwaltungsverfahren nicht so gestalten, dass es zur Vereitelung oder unzumutbaren Erschwerung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die von ihr getroffenen Entscheidungen führt (BVerfG, Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 ff. = NJW 1982 S. 2173, 2175 f.). Das wäre aber der Fall, wenn die Ablehnung des Aufnahmeantrages einer Schülerin oder eines Schülers zeitgleich mit dem Ergehen aller Bescheide über die Vergabe der innerhalb der vorhandenen Kapazität verfügbaren Schülerplätze erfolgt. In diesem Fall könnten die Rechtsfehler im Auswahlverfahren nach den oben dargelegten Wirkungen der Kapazitätsausschöpfung schon mit der Bekanntgabe des für den Betroffenen negativen Ausgangs nicht mehr gerichtlich korrigiert werden. Sie wären somit allein aufgrund der zeitlichen Gestaltung des Verfahrensablaufs irreparabel. Da im Übrigen das Ergebnis des Losverfahrens nach § 59 a Abs. 1 NSchG nicht vorhersehbar ist und sich Rechtsfehler des Losverfahrens durch Außenstehende in aller Regel erst nachträglich feststellen lassen, muss die Schule durch Einräumung einer Zeitspanne sicherstellen, dass die abgelehnten Schülerinnen und Schüler sowie ihre Erziehungsberechtigten tatsächlich Gelegenheit haben, ihren Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung nachzugehen und das Verwaltungsgericht anzurufen, bevor alle Schülerplätze vergeben worden sind. Insoweit gelten für die gerichtliche Überprüfung von Vergabeentscheidungen nach § 59 a Abs. 1 NSchG im Grundsatz dieselben Grundsätze, wie sie von dem Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschluss vom 19.9.1989 - 2 BvR 1576/88 -, NJW 1990 S. 501) für den Eilrechtsschutz zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruch bei der Vergabe öffentlicher Ämter entwickelt worden sind. Die aufnahmebeschränkte Schule wird daher in aller Regel nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Losverfahrens an die erfolglosen Bewerberinnen und Bewerber bis zur Erteilung der Bescheide über die Vergabe der ausgelosten Schülerplätze einen ausreichenden Zeitraum abwarten müssen, innerhalb dessen nach Ablehnung des Aufnahmeantrags das Verwaltungsgericht angerufen werden kann. Da auch die Aufnahme der ausgelosten Schülerinnen und Schüler für die Schule naturgemäß eine eilbedürftige Angelegenheit darstellt, wird insoweit in der Regel eine Frist von einer Woche als angemessene Überlegungsfrist ausreichen (vgl. zum Eilrechtsschutz auch die Rechtsbehelfsfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG).

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Für die danach im vorliegenden Verfahren nach § 59 a Abs. 1 NSchG entscheidende Tatsachenfrage, ob die Kapazität der Schule nach Abschluss des Aufnahmeverfahrens im Sinne von § 59 a Abs. 4 NSchG erschöpft ist, kann nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer auf die Schülerhöchstzahlen für die Bildung von Klassen im Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums „Klassenbildung und Lehrerstundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen“ (vom 9.2. 2004, SVBl. S. 128) zurückgegriffen werden, weil sich die Schülerhöchstzahlen auf allgemeine Erfahrungssätze von Schüler-Lehrer-Relationen stützen.

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Allerdings geht die Kammer davon aus, dass es sich bei den Höchstzahlen nur um Richtwerte in Gestalt pauschaler Vorgaben für die Bildung, Teilung oder Zusammenlegung von Klassen handelt, die weder dazu dienen, im Rechtsverhältnis zwischen der Schule und den zur Aufnahme angemeldeten Schülerinnen und Schülern die Kapazität einer Schule festzulegen, noch eine Kapazitätsverordnung im Sinne des § 60 Abs. 1 Nr. 1 NSchG ersetzen können (vgl. Beschluss der Kammer vom 6.8.2008 - 6 B 3368/08 -, a.a.O.). Daraus hat die Kammer in ihrer bisherigen Rechtsprechung den Schluss gezogen, dass eine Schule, die sich im Rechtsstreit auf eine Erschöpfung ihrer Kapazität durch Aufnahme anderer Schülerinnen und Schüler beruft, darlegen muss, dass die sich aus dem Klassenbildungserlass ergebende rechnerische Aufnahmekapazität gleichzeitig auch ihrer tatsächlichen Aufnahmekapazität im Sinne von § 59 a Abs. 4 NSchG entspricht, dass also mit der Aufnahme einer weiteren Schülerin oder eines weiteren Schülers die Erfüllung des Bildungsauftrages der Schule nicht mehr gesichert wäre. Zugleich hat die Kammer an diese Darlegung erhöhte Anforderungen gestellt, wenn das durch den Grundsatz der Chancengleichheit bestimmte subjektive Teilhaberecht des Rechtsschutz Suchenden bereits durch Rechtsfehler im Aufnahmeverfahren verletzt worden ist (Beschluss der Kammer vom 6.8.2008 - 6 B 3368/08 -, a.a.O.).

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An diesen Anforderungen an die Darlegungslast einer nach § 59 a Abs. 1 NSchG aufnahmebeschränkten Schule hält die Kammer nicht mehr fest, nachdem das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/089 - (a.a.O.) grundsätzlich entschieden hat, dass die Kapazität einer aufnahmebeschränkten Schule nach den Schülerhöchstzahlen im Klassenbildungserlass zu bemessen ist und so dem Zugangsanspruch einer Schülerin oder eines Schülers eine zwingende Grenze gesetzt wird.

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Die Kammer geht dabei weiterhin davon aus, dass die Bestimmung der Grenze der Kapazität einer Schule im Einklang mit dem in der Definition des § 59 a Abs. 4 NSchG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers von Tatsachen und nicht von generellen Erlassbestimmungen abhängig ist. Danach macht des NSchG die Annahme einer Überschreitung der Aufnahmekapazität weiterhin davon abhängig, dass die Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule nach Ausschöpfung der verfügbaren Mittel unter den personellen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten nicht mehr gesichert ist, was im Grundsatz ein Abstellen auf personelle, sächliche und fachspezifische Gegebenheiten der jeweiligen Schule und nicht auf die Vorgaben in den die Schule bindenden generellen Erlassregelungen bedingt. Die Kammer sieht sich auch nicht befugt, den Gesetzgeber insoweit zu korrigieren. Außerdem hat die Kammer Zweifel daran, dass sich die Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/089 - (a.a.O.), wonach die um Rechtsschutz gegen ablehnende Vergabeentscheidungen nach § 59 a Abs. 1 NSchG nachsuchenden Schülerinnen und Schüler darlegen müssen, dass die räumlichen und personellen Kapazitäten der Schule nicht erschöpft sind (s. Seite 11 des Beschlussabdrucks), mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG vereinbaren lässt. Diese beruhen darauf, dass Art. 19 Abs. 4 GG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 - NVwZ 2000 S. 1163, 1164 und 2.12.1987 - 1 BvR 1291/85 - BVerfGE 77, 275 ff. = NJW 1988 S. 1255 f.; jeweils m.w.N.) eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung der Darlegungslast im Verwaltungsprozess, die den Rechtsschutzsuchenden mit seinem Anliegen im Ergebnis „leer laufen“ lässt, weil sich die darzulegenden Tatsachen von vornherein seinem Wahrnehmungs- und Kenntnisbereich entziehen, verbietet.

32

Aus diesen Gründen stimmt die Kammer mit der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/089 - (a.a.O.) nur im Ergebnis überein. Sie geht angesichts der Bedeutung der Schülerhöchstzahlen für die Verwirklichung des Bildungsauftrags der Schulen davon aus, dass die Ausschöpfung der Schülerhöchstzahl eine widerlegbare, tatsächliche Vermutung für die Ausschöpfung der Aufnahmekapazität einer aufnahmebeschränkten Schule begründet. Gleiches gilt für die Beurteilung der notwendigen Größe einer öffentlichen Schule, die durch die Bestimmung oder das tatsächliche Vorhalten einer faktischen Zügigkeit der Schule seitens des Schulträgers konkretisiert wird.

33

Angesichts der unstreitigen Vierzügigkeit der Beklagten besteht danach die tatsächliche Vermutung, dass die durch räumliche und personelle Bedingungen vorgegebene Kapazität der Beklagten nach § 59 a Abs. 4 NSchG überschritten würde, wenn im 5. Jahrgang mehr als 120 Schülerinnen und Schüler Aufnahme fänden. Tatsachen, welche diese Vermutung widerlegen könnten, lassen sich weder dem Vorbringen des Klägers entnehmen, noch sind diese von Amts wegen erkennbar.

34

Die für die Klassenbildung in Gesamtschulen in Nr. 3.1 des Klassenbildungserlasses festgelegte Schülerhöchstzahl von 30 Schülerinnen und Schüler je Klasse hat die Beklagte angesichts der Liste der 119 Aufgenommenen (Bl. 45 bis 47 Beiakte A) und eines nicht versetzten Schülers ausgeschöpft. An dieser Tatsache hat sich bis zur Entscheidung der Kammer im Ergebnis nichts geändert, da sich nach dem Vortrag der Beklagten, an dessen Richtigkeit insoweit keine Zweifel bestehen, immer noch insgesamt 122 Schülerinnen und Schüler, nämlich zweimal 30 und zweimal 31 in den vier Klassen des 5. Jahrgangs befinden.

35

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, dass die Beklagte selbst durch vier nachträgliche Aufnahmeentscheidungen die Schülerhöchstzahl überschritten hat und sich aus diesem Grund nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 2 ME 569/089 - (a.a.O.) wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens aus § 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - nicht auf die Einhaltung der Schülerhöchstzahl berufen könne, trifft dies tatsächlich nicht zu. Denn die gegenwärtige Gesamtzahl von 122 Schülerinnen und Schülern beruht nicht darauf, dass die Beklagte nachträglich und abweichend vom Ergebnis des Losverfahrens Aufnahmen ausgesprochen hätte. Vielmehr war die Beklagte mit den zum Schuljahresbeginn getroffenen Entscheidungen der Kammer vom 6. August 2008 in den Verfahren 6 B 3368/08 und 6 B 3398/08 auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung der Kammer vorläufig verpflichtet worden, eine weitere Schülerin und einen weiteren Schüler vorläufig aufzunehmen. Wenn die Widerspruchsbehörde in diesen Fällen sowie in zwei weiteren Widerspruchsverfahren entschieden hat, den Widersprüchen stattzugeben, beruhen die nachfolgend in drei dieser Fälle getroffenen Aufnahmeentscheidungen der Beklagten nicht auf freien Willensentschlüssen über eine Abweichung von der mit dem Klassenbildungserlass gesetzten Kapazitätsgrenze.

 


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