Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (7. Kammer) - 7 A 4548/08
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2008 und dessen Widerspruchsbescheid vom 2. September 2008 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für den Zeitraum vom 1. August 2008 bis zum 31. Juli 2011 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger wird vom Beklagten unter der Teilnehmernummer E. als Rundfunkteilnehmer geführt.
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Der Kläger befindet sich seit ………. 2006 im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus. Er erhält nach einer Bescheinigung des Krankenhauses gemäß § 11 Satz 1 des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes - Nds. MVollzG - ein monatliches Taschengeld in Höhe von zuletzt 94,77 € ausgezahlt.
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Unter Hinweis auf den Taschengeldbezug hatte der Kläger unter dem 23. Juni 2006 beim Beklagten die Rundfunkgebührenbefreiung beantragt. Der Beklagte befreite den Kläger hierauf mit Bescheid vom 13. Juli 2006 für den Zeitraum 8/06-7/07. Auf den Folgeantrag des Klägers vom 25. Juni 2007 befreite der Beklagte den Kläger abermals mit Bescheid vom 26. Juli 2007 für den Folgezeitraum 8/07-7/08.
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Unter dem 23. Juni 2008 stellte der Kläger per Telefax einen weiteren Folge-Befreiungsantrag.
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Diesen lehnte der Beklagte mit einem Bescheid vom 22. Juli 2008 mit der Begründung ab, es seien keine Unterlagen beigefügt worden.
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Hiergegen erhob der Kläger am 29. Juli 2008 Widerspruch und wies auf unveränderte Umstände im Verhältnis zu den zuvor gewährten Befreiungen hin. Außerdem fügte er den Auszug aus einem Beschluss des LG Hannover vom …………. bei, mit dem es abgelehnt wurde, die weitere Vollstreckung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen.
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Den Widerspruch wies der Beklagte mit einem Widerspruchsbescheid vom 2. September 2008 zurück. Zur Begründung führte er nunmehr aus, dass der Bezug eines Taschengeldes nach § 11 Nds. MVollzG keinen Befreiungstatbestand erfülle. Die Aufzählung der Befreiungstatbestände in § 6 Abs. 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages - RGebStV - sei abschließend.
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Mit seiner am 25. September 2008 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Zur Begründung führt er aus, dass das ihm ausbezahlte Taschengeld gemäß § 11 Satz 1 Nds. MVollzG nach den Grundsätzen und Maßstäben ausbezahlt werde, die für den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB XII - gelten. Deshalb sei er von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
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Zuvor hatte der Kläger mit Telefax vom 12. September 2009 angezeigt, dass er aktuell keine Rundfunkgeräte zum Empfang bereit halte, sich dies jedoch jederzeit ändern könne. Die Rundfunkempfangsgeräte in seiner früheren Wohnung seien verbrannt. Da er das Feuer verursacht habe, befinde er sich im Maßregelvollzug.
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Der Beklagte hat das Teilnehmerkonto des Klägers nicht gelöscht. Vielmehr weist er mit Schriftsatz vom 25. Mai 2009 auf Folgendes hin: Da das Krankenhaus, in dem der Kläger untergebracht sei, mit dem Beklagten keine Sondervereinbarung getroffen habe, bleibe der Kläger anmeldepflichtig.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2008 und dessen Widerspruchsbescheid vom 2. September 2008 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, ihn für den Zeitraum vom 1. August 2008 bis 31. Juli 2011 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Klage für unzulässig, weil der Kläger keine Rundfunkempfangsgeräte mehr bereithalte. Hilfsweise verweist er auf die Begründung des Widerspruchsbescheides.
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Der Kläger erwidert, er wolle sich jederzeit ein Rundfunkgerät zulegen und müsse verhindern, dass es - auch im Hinblick auf § 6 Abs. 5 Halbsatz 1 RGebStV auch nur für einen Monat - zur Rundfunkgebührenpflicht komme.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges des Beklagten verwiesen, der dem Gericht zur Einsicht vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig.
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Da der Beklagte das Teilnehmerkonto des Klägers auf dessen Anzeige vom 12. September 2009 nicht gelöscht hat, besteht der Anschein, dass der Beklagte den Kläger weiterhin als Rundfunkteilnehmer betrachtet und beabsichtigt, ihn zu Rundfunkgebühren heranzuziehen. Eine gegenteilige Äußerung seitens des Beklagten ist auch in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Vielmehr sprechen auch die Ausführungen des Beklagten in dem Schriftsatz vom 29. Mai 2009 über die Anmeldepflicht des in einem Krankenhaus untergebrachten Klägers für eine Zulässigkeit der Klage. Selbst für den Fall, dass der Beklagte das Teilnehmerkonto des Klägers mit Wirkung ab 1. Oktober 2008 nachträglich löschen würde, bliebe die Klage auf Erteilung einer Rundfunkgebührenbefreiung jedenfalls für die Monate 8/08-9/08 (= 2 Monate) zulässig.
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Die Klage ist auch begründet.
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Die Ablehnung der beantragten Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Rundfunkgebührenbefreiung für den Zeitraum ab 8/08-7/11. Der Beginn der Frist bestimmt sich dabei nach § 6 Abs. 5 Halbsatz 2 RGebStV. Das Ende der Frist folgt vorliegend aus § 6 Abs. 6 Satz 2 RGebStV.
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Rechtsgrundlage für den Befreiungsanspruch ist § 6 Abs. 3 RGebStV. Dabei ist neben der am 23. Juni 2008 erfolgten Antragstellung eine gesonderte Antragstellung nach dieser Vorschrift nicht erforderlich, vielmehr hat der Beklagte die Entscheidung nach § 6 Abs. 3 RGebStV von Amts wegen zu treffen (so bereits u.a. die 3. Kammer des VG Hannover, Urteil vom 28.3.2006 - 3 A 7138/05 - ZUM-RD 2006, S. 539). Dies gilt jedenfalls dann, wenn er den Rundfunkteilnehmer - wie hier - bereits in den Vorjahren bei unveränderter Sach- und Rechtslage von der Rundfunkgebührenpflicht befreit hatte.
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Zwar erhält der Kläger nicht unmittelbar Leistungen nach dem SGB XII, weshalb der Beklagte zu Recht darauf hinweist, dass der Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV nicht vorliegt.
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Jedoch erhält der Kläger als einzige Einnahmequelle ein monatliches Taschengeld in Höhe von 95,77 € nach § 11 Satz 1 Nds. MVollzG. Diese Tatsache stellt eine besondere Härte im Sinne von § 6 Abs. 3 RGebStV dar, die den Beklagten zwingt, dem Kläger die beantragte Rundfunkgebührenbefreiung zu befreien. Das Ermessen des Beklagten ist dabei auf "Null" reduziert, zumal er bereits in den Vorjahren bei unveränderter Sachlage zugunsten des Klägers entschieden hatte. Jedenfalls hatte der Beklagte bei seinen vormals erteilten Befreiungen keinen Anlass, von einem unmittelbaren Bezug von Leistungen nach dem SGB XII durch den Kläger auszugehen, nachdem dieser jeweils auf seine Unterbringung nach dem Nds. MVollzG hingewiesen hatte.
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Das Vorliegen einer besonderen Härte wird durch den Rechtscharakter des Taschengeldes nach § 11 Satz 1 Nds. MVollzG begründet, der vorliegend die einzige Einnahmequelle des im Maßregelvollzug Untergebrachten darstellt. Die Vorschrift lautet:
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"Der Untergebrachte erhält ein Taschengeld nach den Grundsätzen und Maßstäben, die für den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2670) gelten."
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Der im Maßregelvollzug Untergebrachte wird mithin gesetzlich dem Leistungsempfänger nach § 35 Abs. 2 SGB XII (Notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen) gleichgestellt, wobei für den Leistungsbezug nicht nur die Maßstäbe, sondern auch die Grundsätze des § 35 Abs. 2 SGB XII gelten, mithin der Leistungsbezug auch insoweit von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängt. Der unmittelbare Leistungsbezug nach § 35 Abs. 2 SGB XII durch einen in einer Einrichtung untergebrachten Leistungsberechtigten erfüllt den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RGebStV, zumal die Vorschrift im Dritten Kapitel des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) angesiedelt ist. Ist nach dem im Maßregelvollzug Untergebrachten die Gewährung von Taschengeld nach § 11 Satz 1 Nds. MVollzG von einer Bedürftigkeitsprüfung entsprechend den Vorschriften des SGB XII, Drittes Kapitel abhängig, erfüllt die Bescheinigung über die Gewährung des Taschengeldes die gleiche Funktion wie die in § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV aufgeführten Bescheide. Daher ist der Kläger denjenigen über § 6 Abs. 3 RGebStV gleichzustellen, die ihre Bedürftigkeit durch Vorlage eines Bescheides nach § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV nachweisen.
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Diese Gleichstellung ist auch ausdrückliches Motiv des Landesgesetzgebers für die Taschengeldgewährung an den im Maßregelvollzug Untergebrachten. In den Gesetzesmaterialen zu der Vorgängervorschrift des § 10 Nds. MVollzG a.F., die insoweit noch auf das Bundes-Sozialhilfegesetz - BSHG - als Vorgänger des SGB XII Bezug nahm, heißt es (LT-Drs. 9/2605, S. 34f.):
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"In den psychiatrischen Landeskrankenhäusern einschließlich ihrer der Behandlung von Abhängigen dienenden Funktionsbereiche erhalten die Kranken, die nicht im Maßregelvollzug untergebracht sind, Zuwendungen und, soweit die Voraussetzungen nach dem Sozialhilferecht vorliegen, Taschengeld. Für den Maßregelvollzug gelten diese Grundsätze bislang aus den im allgemeinen Teil der Begründung (Nr. 6) angeführten Gründe nicht. Eine gesetzliche Regelung ist deshalb erforderlich. Diese Regelung muss zum Ziel haben, die Patienten im Maßregelvollzug auch im Hinblick auf die Einkünfte den anderen Patienten so weit wie möglich gleichzustellen."
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Ist vom Gesetzgeber die Gleichstellung des im Maßregelvollzug Untergebrachten mit einem Leistungsempfänger nach dem SGB XII hinsichtlich seiner einzigen Einnahmequelle zur Bestreitung des Lebensunterhalts ausdrücklich gewünscht, ist die Gleichstellung auch im Verhältnis zu § 6 Abs. 1 Satz 1 RGebStV nachzuvollziehen. Diesem Zweck dient § 6 Abs. 3 RGebStV. Denn "ein besonderer Härtefall liegt insbesondere vor, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des [§ 6] Absatz 1 Satz 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann" (LT-Drs. 15/1485, S. 37). Diese vergleichbare Bedürftigkeit liegt hier vor.
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Nach alledem ist der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit bei Verfahren mit dem Gegenstand der Rundfunkgebührenbefreiung aus sozialen Gründen folgt nach ständiger Rechtsprechung der niedersächsischen Verwaltungsgerichte aus § 188 VwGO.
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Die Berufung ist gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Kammer der Frage, ob im Falle einer vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschten Gleichstellung eines Betroffenen mit einem Leistungsempfänger oder Berechtigten eines der in § 6 Abs. 1 RGebStV geregelten Tatbestände eine Rundfunkgebührenbefreiung nach § 6 Abs. 3 RGebStV zu erteilen ist, grundsätzliche Bedeutung beimisst.
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