Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (12. Kammer) - 12 A 2948/08

Tenor

Soweit die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten und des Beigeladenen, dessen Kosten erstattungsfähig sind, trägt der Kläger zwei Drittel. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung, die Kosten seiner versuchten Abschiebung zu tragen.

2

Der am 09.01.1966 in Skopje/Mazedonien geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Er reiste gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und dem ältesten Sohn im März 1992 erstmals in das Bundesgebiet ein und durchlief erfolglos ein Asylverfahren. Der ablehnende Bescheid vom 23.03.1994, der eine Abschiebungsandrohung enthielt, wurde am 03.11.1995 bestandskräftig. Anschließend wurde die Familie einschließlich der zwei in Deutschland geborenen weiteren Kinder in der Landeshauptstadt Hannover geduldet.

3

Seit dem Jahr 2004 betrieb die Landeshauptstadt gemeinsam mit der Beklagten die Aufenthaltsbeendigung. Nachdem Serbien im September 2005 Passersatzpapiere ausgestellt hatte, kündigte die Landeshauptstadt der Familie, die trotz zwischenzeitlicher Scheidung der Eheleute zusammen lebte, mit Schreiben vom 15.09.2006 bzw. vom 16.09.2005, beide zugestellt am 20.09.2005, die Abschiebung für den 29.09.2005 an. Mit jeweils am selben Tag zugegangenen Faxschreiben vom 15.09.2006 bzw. vom 16.09.2005 informierte die Landeshauptstadt zudem den Bevollmächtigten der Familie.

4

Mit Schreiben vom 19.09.2005 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dort eingegangen am 23.09.2005, stellte die frühere Ehefrau des Klägers durch ihren Bevollmächtigten einen auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG beschränkten Asylfolgeantrag, den sie mit einer psychischen Erkrankung sowie Suizidgefahr begründete. Die Landeshauptstadt erhielt davon weder durch das Bundesamt noch durch den Kläger bzw. seine Familie Kenntnis, sodass die Abschiebung weiter betrieben wurde.

5

Am 29.09.2005 wurden der Kläger und seine Familie wie angekündigt von zu Hause abgeholt und zum Flughafen gebracht. Die Familie stellte daraufhin einen Antrag gemäß § 123 VwGO. Nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts auf den anhängigen Asylfolgeantrag und Art. 6 GG wurde die Abschiebung der gesamten Familie gestoppt.

6

Mit Bescheid vom 05.05.2008 sowie Änderungsbescheid vom 26.06.2008 setzte der Beklagte nach Anhörung die von dem Kläger zu tragenden Abschiebungskosten auf insgesamt 4.520,30 EUR fest. Gemäß den §§ 66, 67 AufenthG habe der Kläger Stornokosten in Höhe von 18,56 EUR für die bereits gebuchten Flüge, vier Fünftel der Kosten für den polizeilichen Transport der Familie nach Frankfurt in Höhe von 2.767,04 EUR, Kosten der Passbeschaffung für den Kläger in Höhe von 49,- EUR und die Kosten der amtlichen angeordneten Sicherheitsbegleitung des Klägers durch serbische Beamte in Höhe von 1.685,70 EUR zu erstatten. Der Kläger habe es versäumt, die Landeshauptstadt von der Erkrankung der früheren Ehefrau des Klägers und dem Asylfolgeantrag rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, obwohl die Erkrankung bereits viel früher bekannt gewesen sei. Die Landeshauptstadt habe keinen Grund gehabt anzunehmen, dass die Abschiebung nicht habe durchgeführt werden können. Wäre der gerichtliche Eilantrag nur einen Tag eher gestellt worden, hätte die geplante Abschiebung ohne derartige Kosten gestoppt werden können. Geltend gemacht würden nur die Kosten der versuchten Abschiebung des Klägers und seiner Kinder, nicht aber die auf die ehemalige Ehefrau entfallenden Kosten.

7

Der Kläger hat am 09.06.2008 Klage erhoben. Er könne nicht nachvollziehen, warum das Bundesamt die Landeshauptstadt nicht über den Asylfolgeantrag informiert habe. Aufgrund der gesetzlichen Lage, dass nach Stellung des Asylfolgeantrags eine Abschiebung nicht habe erfolgen dürfen, habe es keinen Grund gegeben, das gerichtliche Eilverfahren vor Beginn der Abschiebemaßnahmen einzuleiten.

8

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 24.06.2010 hat die Beklagte den Forderungsbetrag um die Kosten der Sicherheitsbegleitung von 1.685,70 EUR auf 2.834,60 EUR vermindert. Insofern haben Kläger und Beklagte das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, wobei sich die Beklagte zur Kostenübernahme verpflichtet hat.

9

Aus dem schriftlichen Vorbringen des Klägers folgt sinngemäß sein Antrag

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den Bescheid vom 05.05.2008 in der Gestalt, die dieser durch die Änderungsbescheide vom 26.06.2008 und vom 24.06.2010 gefunden hat, aufzuheben.

11

Aus dem schriftlichen Vorbringen der Beklagten und des Beigeladenen folgt ihr Antrag,

12

die Klage abzuweisen.

13

Die Beklagte trägt vor, es sei unklar, warum das Bundesamt die Landeshauptstadt nicht über den Asylfolgeantrag in Kenntnis gesetzt habe. Der Kläger habe aber jedenfalls bei der Landeshauptstadt nachfragen müssen, ob die Abschiebung nunmehr gestoppt worden sei.

14

Der Beigeladene trägt ausschließlich zu den Kosten der Sicherheitsbegleitung vor.

15

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Soweit Kläger und Beklagte das Verfahren übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

17

Im Übrigen bleibt die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis aller Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ohne Erfolg.

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Der Bescheid vom 05.05.2008 ist in der Gestalt, die er durch die Änderungsbescheide vom 26.06.2008 und vom 24.06.2010 gefunden hat, rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

19

Rechtsgrundlage für die Kostenforderung der Beklagten ist § 66 Abs. 1 AufenthG. Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen, hat danach der Ausländer zu tragen. Dabei ist unter Abschiebung im Rechtssinne auch ein Abschiebungsversuch zu verstehen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 31.03.2010 - 8 PA 28/10, juris, m.w.N.). Dass es aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände nicht zur Abschiebung kommt, ändert nämlich nichts daran, dass der Ausländer die bereits erfolgten Abschiebungsmaßnahmen und die dadurch entstandenen Kosten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG veranlasst und deshalb zu tragen hat.

20

Der Abschiebungsversuch stellt auch keine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG dar, deren Kosten nach der vorgenannten Vorschrift nicht erhoben werden. Zwar war die Abschiebung der geschiedenen Ehefrau des Klägers nach Stellung des Asylfolgeantrags am 23.08.2005 gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG unzulässig. Aufgrund der staatlichen Schutzpflicht für die Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 und 2 GG führte dies zugleich zur Unzulässigkeit einer isolierten Abschiebung der gemeinsamen Kinder und des in häuslicher Gemeinschaft lebenden Klägers und Kindsvaters. Von dem Asylfolgeantrag hatte die Landeshauptstadt jedoch weder Kenntnis, noch hätte sie davon Kenntnis haben müssen. Vielmehr oblag es gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dem Kläger, die vorgenannten Umstände unverzüglich gegenüber der Landeshauptstadt geltend zu machen (vgl. insofern Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 66, Rn. 5 <Stand: Oktober 2006>; VGH Mannheim, Urt. v. 28.03.2006 - 13 S 347/06, juris). Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Bevollmächtigten des Klägers die geplante Abschiebung seit dem 15.09.2005 (Ehefrau und Kinder) bzw. 16.09.2005 (Kläger) bekannt gewesen war. Es wäre dem Kläger deshalb ein Leichtes gewesen, die Landeshauptstadt über den am 19.09.2005 verfassten und am 23.09.2005 beim Bundesamt eingegangenen Asylfolgeantrag in Kenntnis zu setzen. Der Kläger durfte demgegenüber nicht darauf vertrauen, dass das Bundesamt selbst die Landeshauptstadt sofort in Kenntnis setzen würde. Eine solche Benachrichtigung ist zwar sinnvoll und üblich, aber im Unterschied zu anderen Benachrichtigungspflichten etwa gemäß § 24 Abs. 3 AsylVfG gesetzlich nicht vorgesehen. Der Zeitraum von nur sechs Tagen einschließlich eines Wochenendes, der dem Bundesamt zur Information der Landeshauptstadt zur Verfügung stand, erscheint überdies zu kurz, um den Kläger von den Risiken seines Unterlassens zu entlasten. Aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG folgt daher, dass die Landeshauptstadt pflichtgemäß gehandelt hat, sodass die Kosten des fehlgeschlagenen Abschiebungsversuchs als Folgen einer richtigen Sachbehandlung erstattungsfähig sind.

21

Der Umfang der Kostenforderung folgt aus § 67 Abs. 1 AufenthG. Die Stornokosten sind gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ersatzfähig. Die Ersatzfähigkeit der Kosten der Passersatzpapierbeschaffung folgt aus § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Die Kosten der polizeilichen Begleitung - hinsichtlich der Sicherheitsbegleitung durch serbische Kräfte hat die Beklagte ihre Forderung fallen gelassen - fallen unter § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Soweit der Kläger für die Abschiebekosten seiner Kinder herangezogen wird, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. Denn Eltern haften für die Kosten der Abschiebung ihrer Kinder, wenn sie die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen ihr minderjähriges Kind nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG mitveranlasst haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.06.2005 - 1 C 15/04, juris). Das ist hier der Fall, weil der Familie auf Veranlassung der Eltern nicht freiwillig ausgereist ist.

22

Bedenken gegen die Höhe der noch geltend gemachten Positionen im Einzelnen sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 161 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Hinsichtlich des erledigten Teils des Verfahrens trägt die Beklagte die Kosten allein, weil sie eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung abgegeben hat. Die Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil er einen eigenen Antrag gestellt hat und so ein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO).

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.

 


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