Urteil vom Verwaltungsgericht Hannover (4. Kammer) - 4 A 4699/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Carports auf seinem Grundstück.

2

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße (Flurstück 29/31). Er hat 1/12-Miteigentumsanteil an dem Flurstück 29/49 („Garagenhof“) und ist Eigentümer des daran und an seinem Grundstück anschließenden Garagengrundstücks 29/37.

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Das Grundstück liegt im Bereich des 1969 in Kraft getretenen Bebauungsplans Nr. 416. Erschlossen wird das Grundstück danach über die B.. Auf der rückwärtigen Grundstücksseite verläuft ein Weg mit 2,50 m Breite von einem anderen Arm der B. aus. Im unmittelbaren Anschluss nördlich davon liegt an dem Garagenhof eine derzeit 12-teilige Garagenzeile auf den Flurstücken 29/37 bis 29/48 und davor eine 6,50 m breite asphaltierte Fläche. Unmittelbar an der B. liegen davor noch zwei Garagen. Die westlich gelegenen Garagen auf den Flurstücken 29/43 bis 29/49 liegen innerhalb des Baufensters „Ga I“, die westlich davon gelegenen, zu denen die Garage des Klägers gehört, nicht. Weiter westlich, am C., liegt in der Flucht des Baufensters ein weiteres Baufenster für Garagen „Ga I“, das mit 6 Garagen gefüllt ist. Im Übrigen ist eine nicht überbaubare Fläche festgesetzt. Zum Grundstück des Klägers ist dieser zweite Garagenhof mit einer hölzernen Sichtschutzwand abgeschirmt. Außerhalb des Baufensters befindet sich auch vor dem Wohnhaus B. 38 eine (wohl nicht baugenehmigte) Garage. Nach § 2 der textlichen Festsetzungen dürfen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen bauliche Anlagen nicht nach § 23 Abs. 5 BauNVO zugelassen werden. Nach der Planbegründung sollen die erforderlichen Garagen in den dafür ausgewiesenen Flächen nachgewiesen werden.

4

Auf dem Grundstück des Klägers genehmigte die Beklagte 1955 der Niedersächsischen Heimstätte, die für die Operation Build IX die Heidesiedlung plante, die Errichtung eines Doppelhauses. Im Jahr 1991 erteilte die Bezirksregierung A-Stadt mit Zustimmung der Beklagten eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Errichtung von neun Fertigteil-Garagen in einer Reihe für britische Militärangehörige, zu denen die Garage des Klägers gehört. 1994 verließen die britischen Militärangehörigen das Grundstück. 2003 befreite die Beklagte den Kläger von der Beachtung der Baugrenzen für ein Wohnhaus und genehmigte die Erweiterung des Wohnhauses des Klägers.

5

Am 3. Dezember 2015 beantragte der Kläger eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Carports von 3 m Höhe, der im Südwesten des Grundstücks zwischen den Garagenanlagen am C. und der Garagenzeile am Südende des klägerischen Grundstücks errichtet werden soll. Er soll an der Grenze zum westlichen Nachbargrundstück (B. 17/19 und C. 9) 12,60 m lang, an der südlichen Grundstücksgrenze (zum Grundstück B. 36) 7,45 m und an der östlichen Grundstücksgrenze (zum Flurstück 29/49) 6,50 m lang sein. Zugleich beantragte der Kläger die Befreiung von bauplanungsrechtlichen Festsetzungen des Bebauungsplans. Nach der Baubeschreibung soll der Carport der Unterbringung von 2 Pkw, einem offenen Kastenanhänger und einem Wohnwagen dienen. Zur Begründung seines Antrags verwies der Kläger auf vergleichbare Garagenanlagen: (der eigene) Garagenhof vor B. 36 – 38,die weiteren Anlagen Wolfsburger Damm 50, B. 24, D.. 1 und Misburger Straße 82.

6

Zugleich beantragte der Eigentümer des südlichen Grundstücks B. 36 die Genehmigung für einen südlich an den vom Kläger geplanten, anschließenden Carport. Der Antrag ruht derzeit.

7

Mit Bescheid vom 12. April 2016 lehnte die Beklagte die Genehmigung ab. Der Standort des Carports liege außerhalb der im Bebauungsplan Nr. 416 festgesetzten bebaubaren Fläche. Eine Befreiung von diesen Festsetzungen könne der Kläger nicht erhalten. Die Zulassung von Einstellplätzen außerhalb der dafür vorgesehenen Baufenster betreffe Grundzüge der Planung und die Abweichung vom Bebauungsplan sei auch städtebaulich nicht vertretbar. Auch sei die Erschließung nicht gesichert. Zwar liege das Baugrundstück direkt an einer öffentlichen Verkehrsfläche. Diese sei aber lediglich als Gehweg im Bebauungsplan festgesetzt und entsprechend gewidmet. Eine Erschließung über das Flurstück 29/49 komme nicht in Betracht. Es weise eine maximale Breite von 2,50 m auf. Zufahrten müssten nach § 2 Abs. 7 der Garagen- und Stellplatzverordnung aber mindestens 2,75 m breit sein. Hinzu komme, dass Garagen und Carports nur auf einer Gesamtlänge von 9 m je Grundstücksgrenze, auf einem Baugrundstück insgesamt nur auf einer Länge von 15 m errichtet werden dürften. Das Vorhaben überschreite die zulässige Länge von 9 m um 3,60 m. Eine Befreiung von den bauordnungsrechtlichen Grenzabstandsvorschriften komme auch nicht in Betracht. Die von dem Kläger benannten Referenzfälle könnten sie nicht umstimmen.

8

Am 16. Juni 2016 hat der Kläger Widerspruch erhoben. Er meint, die Beklagte habe 1969 nicht die Planungshoheit über sein Grundstück gehabt. Es sei Teil einer militärischen Liegenschaft im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen müssen, dass der Plan nicht vollzugsfähig sei. Nach der Konversion 1994 seien die neuen Eigentümer hinsichtlich einer beabsichtigten Bauleitplanung nicht beteiligt worden. Der Plan enthalte auch keine Rechtfertigung zur Festsetzung der nicht überbaubaren Flächen. Grundzüge der Planung würden durch eine Befreiung nicht berührt. Die Erschließung über den Weg im Süden sei gesichert. Bei der Widmung sei von dem Rat vergessen worden, auf dem Gehweg eine Grundstückszufahrt zuzulassen. Außerdem werde die Befahrung seit Jahrzehnten geduldet. Den Grenzüberstand wahre der Carport. Der westliche Nachbar habe der Bebauung entlang der vorhandenen Garage auf dem westlichen Nachbargrundstück zugestimmt, so dass nur noch eine Teillänge zu beachten sei. Der Bedarf an Einstellplätzen sei gestiegen.

9

Mit Bescheid vom 4. Mai 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

10

Am 2. Juni 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Er vertieft sein bisheriges Vorbringen. Die Beklagte habe am 29. Januar 1969 den Bebauungsplan Nr. 416 nicht beschlossen, da er im Ratsprotokoll mit unzutreffenden Örtlichkeiten umschrieben werde. Die britische Militärverwaltung sei seinerzeit bei der Beschlussfassung nicht beteiligt worden. Die textliche Festsetzung § 2 sei darauf zurückzuführen, dass 1968 angestrebt worden sei, den zwingenden Bau von Tiefgaragen abzusichern. Dass auf allen anderen Bestandsgrundstücken Garagenbauten auszuschließen seien, sei den Planungsakten nicht zu entnehmen. Andernorts habe die Beklagte großflächige Garagenanlagen zugelassen. Daneben habe sie zahlreiche Hochbordabsenkungen genehmigt. Erschlossen sei sein Grundstück seit dem Garagenbau von 1991. Die Beklagte könne die Erschließung nicht in Frage stellen, da sie das Befahren des Gehwegs zu den bereits errichteten Garagen dulde.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 12. April 2016 und ihren Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, entsprechend dem gestellten Antrag, die Baugenehmigung für den Neubau eines Carports (Antrag auf Befreiung außerhalb der überbauten Fläche) zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und vertieft die Gründe ihrer Widerspruchsentscheidung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage des Klägers ist nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung; der diese versagende Bescheid der Beklagten vom 12. April 2016 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

18

Die Kammer kann es – erstens – dahinstehen lassen, ob der nach § 59 NBauO genehmigungspflichtigen Maßnahme bereits entgegen steht, dass der Bebauungsplan Nr. 416 den Bau des Carports außerhalb der überbaubaren Fläche ausschließt, so dass es auf die Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans nicht ankommt. Dahinstehen kann damit auch – zweitens –, ob bei einer Gültigkeit des Bebauungsplans der Kläger Anspruch auf Erteilung einer bauplanungsrechtlichen Befreiung von der Beachtung der Baufenster nach § 31 Abs. 2 BauGB, der dritten Befreiung für die Bebauung seines Grundstücks, hat. Jedenfalls verstößt sein Bauvorhaben gegen bauordnungsrechtliche Grenzabstandsbestimmungen. Nach § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO sind zwar Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer Höhe bis zu 3 m ohne Abstand oder mit einem bis auf 1 m verringerten Abstand von der Grenze zulässig. Diese Anlagen dürfen nach § 5 Abs. 8 Satz 3 NBauO den Abstand nach § 5 Abs. 2 NBauO (nur) auf einer Gesamtlänge von 9 m je Grundstücksgrenze, auf einem Baugrundstück insgesamt jedoch nur auf einer Länge von 15 m unterschreiten. Die geplante Grenzbebauung erreicht mehr.

19

Wenn der Kläger meint, an der westlichen Grundstücksgrenze dürfe die Beklagte nicht die gesamte Baulänge des Carports von 12,60 m berücksichtigen, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Der Kläger verweist darauf, dass auf dem Nachbargrundstück an seinem Bauvorhaben auf einer Strecke von 5,50 m ein Stellplatz vor der dortigen Garage und auf einer Strecke von 5,60 m die dortige Garage liege. Da er mit Zustimmung des Nachbarn anbaue, seien diese Längen nicht zu berücksichtigen. Der Kläger verweist zur Begründung seiner Auffassung auf § 5 Abs. 5 NBauO. Die Vorschrift erlaubt den Anbau von Gebäuden an solche auf dem Nachbargrundstück, verhält sich aber nicht dazu, wie die Berechnung der zulässigen Grenzlängen nach § 5 Abs. 8 NBauO zu erfolgen hat. Im übrigen stellt die Vorschrift auf Anbauten an Gebäuden ab, so dass der Einstellplatz auf dem Nachbargrundstück außer Betracht zu bleiben hätte. Hinsichtlich der Bebauung der südlichen Grundstücksgrenze auf einer Länge von 7,45 m verweist der Kläger auf eine Baulast des südlichen Grenznachbarn. Auch dies enthebt den Kläger nicht von der Beachtung der Abstandsregeln des § 5 Abs. 8 NBauO. Damit überschreitet die von dem Kläger zur Bebauung vorgesehene Grenzbebauung die zulässige Gesamtlänge von 15,00 m mit 26,55 m beträchtlich.

20

Der Kläger kann nicht beanspruchen, dass die Abweichung von den Vorgaben des § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1, Satz 3 NBauO nach § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO zugelassen wird. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen der NBauO und aufgrund der NBauO erlassener Vorschriften zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen nach § 3 Abs. 1 vereinbar sind.

21

Die Kammer folgt in ständiger Rechtsprechung nicht der Auffassung, wonach die Erteilung einer Abweichung - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - eine atypische bauliche Situation voraussetzt (so aber Stiel, in: Große-Suchsdorf, Niedersächsische Bauordnung, 9. Auflage 2013, § 66 Rn. 14 ff.; BeckOK BauordnungsR Nds/Fricke NBauO § 66 Rn. 19; SächsOVG, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 1 B 369/12 –, Rn. 6, juris; HessVGH, Urteil vom 09. Juni 2001 – 9 UE 1809/97 –, Rn. 43, juris), die nur bei Vorhandensein topografischer oder anderer Besonderheiten des Baugrundstücks zu bejahen wäre. Im Gesetz findet sich kein Anhaltspunkt für diese Auffassung (VG Hannover, Urteil vom 18. August 2016 – 4 A 344/15 –, Rn. 261 - 27, juris):

22

„Hätte der Gesetzgeber regeln wollen, dass die Erteilung einer Abweichung nur bei einem atypischen Sachverhalt in Betracht kommt, hätte er dieses etwa durch eine Aufnahme des Tatbestandsmerkmals „im Einzelfall“ tun können. Dieses Tatbestandsmerkmal, das sich in § 31 Abs. 2 BauGB a.F. fand, hat der Bundesgesetzgeber gestrichen, um klarzustellen, dass eine „Atypik“, wie sie bis dahin von den Gerichten verlangt werde, nicht mehr vorliegen müsse. Der Wortlaut des § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO legt daher nahe, dass es einer atypischen Situation nicht bedarf. Dem Einwand der mangelnden Bestimmtheit, mit dem die Notwendigkeit dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals begründet wird (vgl. Stiel, a.a.O., Rn. 14), kann entgegen gehalten werden, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine atypische bauliche Situation angenommen werden kann, nicht weniger unbestimmt ist. Wenn der Gesetzgeber das Erfordernis der Atypik sogar in dem sensiblen Bereich des § 31 Abs. 2 BauGB streicht, der es der Bauaufsichtsbehörde ermöglicht, sich über die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit hinwegzusetzen, kann dieses Erfordernis nicht in eine Norm hineingelesen werden, die Abweichungen lediglich von Normen der gleichen Rechtsetzungsebene erlaubt. Art. 20 Abs. 3 GG rechtfertigt die Atypik als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal daher nicht.“

23

Insoweit bestätigte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Auffassung der Kammer (Urteil vom 27. Juni 2018 – 1 LC 183/16 –, Rn. 63 - 66, juris) und kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Ermessen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO alle Belange „zugleich im Tatbestand und im Ermessen“ zu behandeln seien:

24

Das könnte für eine einheitliche Ermessensvorschrift sprechen. Das würde auch § 66 Abs. 2 NBauO erklären. Denn die dort begründete Pflicht, den Abweichungsantrag zu begründen, soll der Bauaufsichtsbehörde ermöglichen, Umfang und Gewicht der Vorhabeninteressen vollständig zu erfassen und bei der Entscheidung nach Absatz 1 der Vorschrift in der Gegenüberstellung mit den öffentlichen Belangen und Nachbarinteressen umfassend zu würdigen. Selbst wenn § 66 NBauO neuer Fassung nicht als einheitliche Ermessensvorschrift/-entscheidung ausgestaltet ist, besagt der nachstehend unterstrichene Passus,

25

Absatz 1 Satz 1 legt den Grundsatz fest, dass die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen kann, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den nachbarlichen Belangen vereinbar sind; damit werden zugleich die in die bei der Ermessungsentscheidung vorzunehmende Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte bezeichnet.

26

dass die auf „Tatbestandsebene“ zu behandelnden Gesichtspunkte damit nicht „verbraucht“ sind und auf der Rechtsfolgen-/Ermessensseite nicht mehr eingespeist werden dürfen. Es kann vielmehr durchaus so sein, dass ein bestimmter öffentlicher Belang – nach der Gesetzesbegründung sind die in § 3 Abs. 1 bis 3 NBauO enthaltenen dabei mit besonderer Durchsetzungskraft ausgestattet – im konkreten Fall ein solches Gewicht entfalten, dass eine Abweichung schon deshalb ausscheidet. Ist das im Einzelfall noch nicht der Fall, kommt es für das Entscheidungsergebnis auf eine im Rahmen der Ermessensausübung vorzunehmende Abwägung der konkurrierenden Interessen an. Dabei sind die öffentlichen und nachbarlichen Belange, welche auf Tatbestandsseite das Abweichungsbegehren noch nicht haben zu Fall bringen können, neuerlich einzuspeisen. Hierbei kann es dazu kommen, dass die nachbarlichen oder öffentlichen Interessen an uneingeschränkter Einhaltung des öffentlichen Baurechts zwar nicht mit bemerkenswertem Gewicht ausstaffiert sind, den Abweichungsinteressen aber ein noch geringeres Gewicht zukommt und der Abweichungsantrag daher auf der Ermessensebene abgelehnt werden darf.“

27

Einen Anspruch auf Zulassung der Abweichung hätte der Kläger nur bei einer Ermessensreduzierung auf null. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen, der Befreiungsantrag wäre wegen der fehlenden planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens negativ zu bescheiden, nicht zu beanstanden sind.

28

In aller Ausführlichkeit führt die Beklagte dazu aus, dass eine Abweichung nur zugelassen werden könnte, wenn nicht die Grundzüge der Planung des Bebauungsplans Nr. 416 berührt würden. Von der Rechtsgültigkeit des Bebauungsplans muss die Beklagte mangels eigener Vertretungskompetenz ausgehen können. Dies sei aber der Fall. Nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte zu den Grundzügen der Planung – erstens – wegen § 2 der Textlichen Festsetzungen des Plans, – zweitens – der Planbegründung, Garagen sollten in den dafür ausgewiesenen Flächen errichtet werden können, und – drittens – der Zuordnung von Garagen zu den jeweiligen Straßenzügen einen planerischen Willen des Plangebers ausmacht. Danach geht er davon aus, dass nicht überbaubare Flächen von Bauten, insbesondere Garagen, freigehalten werden. Dieser planerische Wille ist trotz eventueller „Sünden“ andernorts im Plangebiet, wo Garagen außerhalb der überbaubaren Fläche genehmigt worden sein könnten, noch zu verwirklichen. Die planerischen Festsetzungen weisen darauf hin, dass Garagen nur in „inselartigen“ Baufenstern errichtet werden dürfen. Wenn nun die 12-teilige Garagenzeile mit der Garage des Klägers und den beiden davorliegenden Garagen nach Westen aufgrund früher erteilter Befreiungen aus dem dafür vorgesehenen Baufenster „ausbricht“, ist damit der planerische Wille, zwischen dem eigentlichen Baufenster für Garagen dort und dem nächsten Baufenster für Garagen im Westen am C. noch ein Rest unbebaute Fläche zu belassen, noch gerade zu verwirklichen. (Wenn der Kläger den Zwischenraum zwischen beiden Garagenzeilen inzwischen im Wortsinn für Stellplätze ohne Bedachung „zugepflastert“ hat, beruht dies nicht auf einer Genehmigung und ist von der Beklagten planerisch nicht zu beachten. Seinem Vortrag, er unterhalte neben dem Einstellplatz für seinen Wohnwagen eine nach allen Seiten offene Terrasse zum Garagenhof, kann das Gericht nicht folgen.) Mit der versagten Zulassung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann es die Beklagte gerade noch verhindern, dass in einer Reihe 20 Garagen mit einem dazwischen integrierten Carport für zusätzlich wenigstens 4 Fahrzeuge den planerischen Willen vollkommen missachtet, zumal in der Nachbarschaft die Erwartung besteht, um den Garagenhof herum selbst baugenehmigt Carports an den Carport des Klägers anzuschließen bzw. sich ohne Genehmigung eine Garage vor das Haus zu setzen. Im Extremfall würden sich dann an der Rückseite des klägerischen Grundstücks wenigstens 26 Einstellplätze in Garagen oder Carports befinden (und die Wohnnutzung aus dem Reinen Wohngebiet verdrängen).

29

Die Ermessenserwägungen der Beklagten gehen auch auf die von dem Kläger benannten Fälle ein, in denen andernorts im Plangebiet Garagen in den nicht überbaubaren Flächen genehmigt worden und zieht daraus den nicht zu beanstandenden Schluss, dass die vereinzelte Genehmigung solcher Anlagen nicht mit dem im Übermaß mit Garagenanlagen konfrontierten Bereich um das Grundstück des Klägers vergleichbar ist. Seinen eigenen grundstückbezogen zu ermittelnden Stellplatzbedarf kann der Kläger mit der eigenen Garage zufrieden stellen. Wenn seine Fahrzeuge eine Größe erreicht haben, dass die Garage für ein Unterstellen nicht mehr taugt bzw. er seine Anhänger untergestellt wissen will, muss der daraus hervorgerufene Stellplatzbedarf andernorts befriedigt werden.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

 


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